Wenn man da, wo ich herkomme, die Bodisattvagelübde empfängt, hat man sich über ein Jahr intensiv darauf vorbereitet. Unter anderem, indem man zu den 10 Hauptgelübden (deren erste fünf die pañcaśīla sind) einen Kommentar verfasst und seinem Lehrer oder seiner Lehrerin vorlegt. Über das Thema redet man dann ein Jahr mit dem, von dem man die Gelübde empfangen will - und wenn man schwer von Begriff ist, notfalls auch länger. Irgendwann tun es dann auch die drei reinen Gelöbnisse alleine: Ablassen von Üblem, Gutes tun, Gutes tun für Andere. Aber da muss erst einmal das Fundament stimmen.
Ich habe die Gelübde bei den Drikung-Kagyüs genommen. Da stand das am Ende von ein paar Tagen Belehrungen.
Die Gelübde sind schon umfangreich. Ich denke, es wird davon ausgegangen, dass das Nehmen der Gelübde erst der Anfang der Übung ist.
Es gibt eine Meditationsform dazu, die man als einzige oder zu den anderen Formen, die man gerade praktiziert, machen kann. Uns wurde damals empfohlen, den Tag damit zu beginnen und die Gelübde täglich zu erneuern, weil man ja auch täglich die Gelübde im Kleinen bricht – je länger man übt, umso mehr Verstösse erkennt man. Und dann gibt es Brüche, die man nur durch eine neue Gelübdenahme bei einem Meister kitten kann, da genügt die tägliche Erneuerung nicht.
Das ist sicher keine oberflächliche Herangehensweise, sondern dem Wissen geschuldet, dass man auf dem Weg ist und dabei unvermeidlich stolpert.
Man kann die Gelübde recht früh nehmen oder auch später. Das ist wohl eine Entscheidung, die jeder für sich selbst trifft. Es ist schließlich auch niemand alleine auf dem Weg, man kann immer einen Lehrer konsultieren, der einen unterstützt.