Lieber IkkySan,
endlich komme ich dazu, Dir zu antworten! (wie immer aus Sicht meiner Praxis; ich verwende hier den Begriff "Widerstände" mal Synonym zu "Hindernisse")
Von einem "perfektem Weg" hab ich nicht gesprochen. Ich schrieb: (...)
Nein, hast Du nicht, das stimmt; aber Du hast die Praxis so beschrieben, deswegen kam ich darauf (Dein Beispiel der Tee-Zeremonie). Ist das vielleicht schon mal ein Punkt: Kann man mit unperfekter Praxis ein perfektes Ziel erreichen könnte?
Mein Lehrer würde sagen: "So what? Relax a little bit"und lächeln. Wo ist das Problem?
Nun, das Problem ist, dass dies nur ein temporärer Vorschlag ist, der situationsbedingt vielleicht nützlich ist...auf lange Sicht gesehen jedoch nicht.
Oh nein, das als temporär anzusehen, wäre ein völliges Missverständnis dessen, was gemeint ist. Gleichmut ist doch ein entscheidendes Ziel der Praxis, kein momentanes Wohlfühl-Dingens. Warum nicht gleich damit anfangen, hier und jetzt! (Betonung liegt auf "anfangen" ). Und wenn das nicht geht: Die Praxis nutzen, um zu sehen, warum man meint, dass das nicht möglich ist. Wo liegen die Widerstände?
Ist es so, dass Du den Weg als sehr anstrengend empfindest? Deine Wortwahl deutet für mich in diese Richtung ("perfektes Ideal", "hinterherjagen", "Fokus nie verlieren").
Ja das ist in der Tat so - der Weg ist für mich sehr anstrengend, da ich viel Energie hineingebe und auch ehrlich gesagt nicht weiß, wie es anders funktionieren sollte. Vielleicht hast du ja da Vorschläge?
In "meiner" Richtung versucht man, das durch die Balance zwischen Achtsamen Schauen (Einsichtsmeditation) und Liebender Güte zu moderieren. Das war auch genau das, was mich zu meinem Lehrer gebracht hat. "Analyse" meiner selbst habe ich in meinem Leben schon genug betrieben; mir war und ist die Selbstannahme genauso wichtig. Mit Liebender Güte hegt man die Widerstände ein und setzt so viel Energie frei, dass die "anstrengenden" Teile nicht zu viel Raum einnehmen.
Du sagst, Du gibst viel Energie hinein. Im Sinne von "rechter Anstrengung", oder "unangemessen" viel, für das, was Du für Dich bewirkst?
Falls ich dich richtig verstehe, übst du Vipassana, was ja gar nicht mal weit weg ist vom Zen. Das wäre mehr dann so die Richtung "im Unperfektem heimisch fühlen". Das kann ich auch bewerkstelligen, nur nicht eben als Lebenseinstellung - dafür macht mir auch die Praxis und das Studieren einfach noch zu viel Spass.
Ich denke auch, ist meine persönliche Meinung, dass es alleine mit Gleichmut und Achtsamkeit nicht getan ist. Auch im Daoismus strebt man immer zu einem "perfektem Menschen", auch wenn das offensichtlich nicht der Fall ist, wenn man rein nur Laotse usw. liest. Man merkt halt mit der Zeit, dass sich das Handeln und das Verstehen verbessern, wenn man an der Praxis dran bleibt. Das ist für mich wichtig, damit auch andere profitieren können.
Das sehe ich graduell auch anders. In der Vipassana-Praxis geht es darum, sich in dem Unperfekten heimisch zu fühlen, das man nicht verändern kann. Und das anzuerkennen, das schon "perfekt" ist, wie unsere Lebenssituation hier in Europa, die Sonne und der Mond, die Natur, ... Das ist doch ein wesentlicher Unterschied. Es geht wieder darum, möglichst wenig Energie zu investieren, in Bezug auf Dinge, die man nicht verändern kann (wie bedingtes Entstehen, die ständige Veränderung von allem, Tod und Verfall, ...). Vor allem geht es nicht darum, das Leiden einfach hinzunehmen (wohl aber, anzuerkennen, dass es Teil des menschlichen Existsenz ist).
Und das ist auch kein Entschluss, sondern ständiges Ziel und Folge der Praxis. Wenn man die Praxis aufgibt, und nicht erwacht ist, dann übernehmen über kurz oder lang wieder Gier, Hass und Verblendung die komplette Kontrolle, das ist im Vipassana wie in allen anderen Richtungen. Nach allem, was ich weiß, saß auch der Buddha nach seinem Erwachen weiter auf dem Kissen.
Ein wichtiger Punkt, der auch mit Gleichmut zu tun hat: Im Vipassana geht man davon aus, dass man, so wie man ist, bereits perfekt ist. Es gibt keinen Zwang sich zu verbessern. Man verlernt "nur" noch einigen "Müll", der sich durch GHV angesammelt hat, um das Leiden aufzugeben. (Ich denke mal, das ist analog der Buddhanatur im Zen?)
Genauso, wie Du schreibst:
Man merkt halt mit der Zeit, dass sich das Handeln und das Verstehen verbessern, wenn man an der Praxis dran bleibt.
Aber das Ziel ist nicht, perfekt zu werden, sondern das Leiden loszulassen. Den Endzustand kann man dann gerne perfekt nennen.
Gerade fällt mir noch auf:
Das wäre mehr dann so die Richtung "im Unperfektem heimisch fühlen". Das kann ich auch bewerkstelligen, nur nicht eben als Lebenseinstellung - dafür macht mir auch die Praxis und das Studieren einfach noch zu viel Spass.
Ich verstehe, was Du meinst. Aber glaubst Du, Du hast da eine Wahl, wenn Du Das Leiden beenden willst?
Sich "im Unperfekten heimisch fühlen" bedeutet doch nichts anderes, als die Aufgabe von Gier, Hass und Verblendung.
Spekulation: Oder steckt die Angst dahinter: Wenn ich zu viel loslasse, dann werde ich zum Zen-Zombie, der keine Notiz mehr von der Welt nimmt, der keine Feude mehr empfindet, und dem alles egal ist?
Ich bin wirklich neugierig darauf, was Deine Praxis für Dich anstrengend macht (über Unanehmlichkeiten wie Schmerzen beim Sitzen hinaus). Hast Du Lust, von Deinen Widerständen/Hindernissen zu berichten? (auch gerne per PN)
Liebe Grüße,
Aravind.