Beiträge von Sudhana im Thema „gelebter Zen“

    Wenn ich das Buch eines anderen Menschen lese, findet, was dabei geschieht, ausschließlich in meinem Gehirn statt.

    ... und das muss nicht einmal das "Buch" eines Menschen sein. Je mehr Bücher von "anderen Menschen" man gelesen hat (und ich weiss, wovon ich da spreche ;)), um so mehr lernt man das sansui kyō zu schätzen - das 'Sutra der Berge und Flüsse'. Aber was dann, beim "Lesen" geschieht - findet das wirklich "ausschließlich in meinem Gehirn statt"? Was geschieht - geschieht dies wirklich in irgendeiner Weise "ausschließlich"? Oder ist nicht genau dieses "ausschließlich" Verirrung?


    Im Genjōkōan heisst es:

    Zitat

    Sich selbst vorantragen um die zehntausend Dinge zu bezeugen ist Verirren.

    Dass die zehntausend Dinge fortschreiten und uns selbst übend bezeugen ist Erwachen.

    Die zum Verirren vollkommen erwachen sind die Buddhas.

    Die sich im Erwachen heillos verirren sind die leidenden Wesen.

    Es gibt Kerle, die noch aus dem Erwachen heraus erwachen, und es gibt Kerle, die sich inmitten des Verirrens noch weiter verirren.


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    Dann hab ich also Dogen-Leseverbot, cool.

    Auf formlosen Antrag hin stelle ich Dir gerne eine Ausnahmegenehmigung aus :). Nun - Du hast das ja als Konjunktiv formuliert. Wenn man dann beispielsweise in Dōgens populärstem Text (dem 'Zazen-Handbuch' Fukan Zazen Gi) liest:

    Zitat

    Da du bereits die entsprechenden Umstände für einen menschlichen Körper erreicht hast, vergeude deine Tage nicht. Wenn man sich jederzeit das angemessene Verhalten auf dem Weg des Erwachten vergegenwärtigt, wer kann dann nachlässig den Funken eines Feuersteins geniessen? Wahrlich, Form und Substanz sind wie Tau auf dem Gras und die Geschicke des Lebens wie der Blitz: in einem Augenblick sind sie geleert, in einem Moment verloren.

    - dann hat sich die genannte "Möglichkeit" sicher erledigt ...


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    Dogen hätte ja auch meinen können, dass man die ersten Lebensjahre einfach das Leben genießen und sich erst später um den Tod des Ich zu Lebzeiten kümmern soll.

    Wenn man das tatsächlich als Möglichkeit in Betrachtung ziehen möchte, sollte man es allerdings sorgfältig vermeiden, Dōgen zu lesen oder gar ensthaft zu studieren. Insbesondere das von Leonie erwähnte Uji und Shōji.

    Zitat

    Es ist falsch, zu meinen, man gehe vom shō (Leben, Geburt, Entstehen) zum shi (Tod, Sterben) über*. Entstehen (shō) ist ein Status zu einer Zeit und hat so bereits [sein] Vorher und Nachher. Darum heisst es in der Buddha-Lehre Entstehen (shō) ist zugleich Nicht-Entstehen (fu-shō). Metsu (Vergehen, Sterben) ist ebenfalls ein Status zu einer Zeit, und hat so auch [sein] Vorher und Nachher. Deswegen heißt es: Vergehen (metsu) ist zugleich Nicht-Vergehen (fu-metsu). Im Fall von Entstehen (shō) gibt es nichts als Entstehen (shō); im Fall von Vergehen (metsu) gibt es nichts als Vergehen (metsu). Darum lässt sich sagen: Kommt Entstehen (shō) auf einen zu, ist allein Entstehen (shō), kommt Vergehen (metsu) auf einen zu, gebe man sich dem Vergehen (metsu) hin. [Beides] ist nicht zu verabscheuen, [beides] nicht herbeizuwünschen.


    Dies Leben und Tod (shōji) ist Buddhas würdiges Leben. Wer es verabscheut und wegwerfen möchte, der wird Buddhas würdiges Leben bestimmt verlieren. Wer aber darin stehen und im Leben und Tod (shōji) verhaftet bleibt, auch der verliert Buddhas würdiges Leben und löscht Buddhas Gestalt aus. Erst wenn man [shōji] nicht verabscheut und sich nicht [mehr nach Nirvana] sehnt, ist man in Buddhas Herz. Miß nicht mit dem [eigenen] Herzen, sage nichts mit Worten.


    Wer sowohl seinen Leib als auch sein Herz losläßt und vergißt, sich in Buddhas Haus hineinwirft, von Buddha geführt wird und diesem immer folgt, der läßt Leben und Tod (shōji) los und wird Buddha, ohne Mühe anzuwenden und ohne sein Herz zu verschwenden. Wer sollte dann in seinem Herzen ins Stocken kommen?


    Es gibt einen sehr leichten Weg, Buddha zu werden: Nichts Böses tun, nicht an Leben und Tod (shōji) verhaftet bleiben, für alle Lebewesen herzinniges Mitempfinden haben, alle Oberen achten und mit allen Unteren mitempfinden, im Herzen nichts verabscheuen, im Herzen nichts wünschen, im Herzen unbekümmert und unbesorgt sein, dies heisst Buddha. Suche [ihn] nicht anderswo.


    * Wegen der inhaltlich bewußt eingesetzten Mehrdeutigkeit von shō und shi stehen zunächst die japanischen Worte und dann in Klammern die drei bzw. zwei Grundbedeutungen. Im folgenden steht dann nur noch ein deutsches Wort als Übersetzung, gefolgt von dem japanischen in Klammern.

    ** Hier steht nicht das sinojapanische Wort "Leben" shō, sondern das japanische inochi, dementsprechend das Wort Buddha nicht wie sonst butsu (sinojapanische Leseweise), sondern hotoke (japanische Leseweise) ausgesprochen werden sollte. Hotoke leitet sich von dem Verb hodokeru (sich-lösen) ab.


    Dōgen, Shōbōgenzō Shōji (Übersetzung Ryōsuke Ōhashi / Rolf Elberfeld)

    Zitat

    Sharishi ze sho hō kū sō

    fu shō fu metsu

    fu ku fu jō

    fu zō fu gen


    Shariputra, alle dharmas sind leere Erscheinung

    ohne Entstehen, ohne Vergehen

    ohne Befleckung, ohne Reinheit

    ohne Zunahme, ohne Abnahme


    (Maka Hannya Haramita Shin Gyo, Sutra vom Herzen der großen Prajñāpāramitā)


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    Wenn man bisher keine Berührungen mit Zen/Chan oder wie man es auch immer nennen möchte hatte kann man leicht irritiert sein.

    Das ist zweifellos richtig. Richtig ist aber auch, dass man, wenn "Berührungen mit Zen/Chan oder wie man es auch immer nennen möchte hatte" nicht nur leicht sondern sogar schwerstens irritiert sein kann. Irritiert zu sein ist menschlicher Normalzustand - ein paar Berührungen mehr oder weniger ändern daran nichts.

    Zuerst habe ich mich auf Wikipedia zu seiner Geschichte und Praxis eingelesen.

    Wikipedia würde ich im Kontext Buddhadharma und erst recht Zen jetzt nicht als seriöse Quelle bezeichnen.

    Dann wird man erst mal auf Zitate wie "Wenn du den Buddha siehst, töte ihn!" verwiesen, oder auf den geistigen Wegbereiter Nansen, der bedenkenlos und offenbar grundlos eine Katze zerhackt oder wie frühe praktizierende Buddha Statuen und Sutras verbrannt und zerstört haben.

    q.e.d.


    Rinzais "töte Buddha", Nansens Katze oder Tankas Verheizen einer Buddhastatue werden gerne "zitiert", weil sie etwas über Zen aussagen sollen. Das tun sie auch - wie hunderte (scheinbar) deutlich weniger spektakuläre Präzedenzfälle. Dazu muss man sie verstehen - und um sie zu verstehen bedarf es Voraussetzungen, die ich bei Wikipedia-Autoren in aller Regel nicht vermute. Möglicherweise sind die eher bei Dir gegeben als bei denen. So oder so kommst Du nicht darum herum, dich erst einmal eine Weile ziemlich intensiv mit solch einer Geschichte zu beschäftigen, um sie zu verstehen. Google und Wikipedia - und, btw, auch dieses Forum - helfen da nicht wirklich.


    Rinzais Buddha, dem Du auf dem Weg begegnest ist ein falscher Buddha. Aber das ist gar nicht das Problem, um das es da geht. Das Problem ist vielmehr: wie tötest du den Buddha, der Dir begegnet? Nur so machst Du den Buddha, der Du bist, lebendig. Und Nansen - das ist nur eine Geschichte, wenn auch eine lehrreiche. Keine besonders glaubwürdige - auch während der Tang-Dynastie liefen buddhistische Äbte nicht mit Schwertern bewaffnet durch die Gegend. Tut jedoch nichts zur Sache. "Grundlos" handelt der Nansen dieser Geschichte übrigens keineswegs. Er macht seinen Job und legt den Dharma dar. Es ist eine Geschichte über Karma - und Dōgen gab Ejō dazu den Wink mit dem Zaunpfahl: Ursache und Wirkung sind nicht getrennt. Wenn Du das verstehst, dann auch, wie Jōshū die Katze hätte retten können - und warum er nicht da war, dies zu tun. Um eine Empfehlung, Katzen zu filetieren, geht es in dieser Geschichte jedenfalls nicht. Und Tanka - der verbrannte die hölzerne Buddhastatue nicht, um sich an dem Feuer zu wärmen. Und schon gar nicht, um jemanden damit zu provozieren oder um damit zu prahlen, was für ein Freigeist er doch sei. Der Priester des Tempels, dem die Statue gehörte, sollte daraus etwas lernen - der verstand aber nur die Hälfte, nämlich dass hölzerne Buddhas keine Sarira hinterlassen. Hätte er Tanka beim Herumstochern in der Asche geholfen, hätten sich auch die Sarira gefunden.

    Wenn man dann weiter aus Neugierde in Foren wie diesem liest was Zen-Anhänger so bewegt bekommt man viel aufgeblähte Weisheit über Zazen, weil sie es scheinbar zum einzigen erklären, was Zen ausmacht.

    Ja. "Zen-Anhänger" neigen auch nicht weniger zu Blähungen als Buddhisten anderer Provenienz und ihre Fürze sind keinen Deut wohlriechender. Was das Zazen angeht, so ist Zazen nur unter ganz bestimmten Umständen (oder besser: Nicht-Umständen, denn diese Umstände sind das Fehlen von Umständen) das einzige, was Zen ausmacht. Aber zumindest kann man sagen, dass es ohne Zazen kein Zen und ohne Zen kein Zazen gibt.


    Wenn ich dann aber sehe, wie Zen in seinen Ursprungsländern praktiziert wird fällt mir augenscheinlich kein wesentlicher Unterschied zu anderen Schulen das Mahayana auf.

    Mir wiederum fällt da kein wesentlicher Unterschied dazu auf, wie Zen hier in meiner Übungsgemeinschaft praktiziert wird. Wobei die nun nix Besonderes ist ... Vielleicht kennst Du ja nur das "Zen in seinen Ursprungsländern" besser als das Zen hierzulande?


    Ansonsten - Du sprichst da von Äußerlichkeiten - also dem, was du siehst. Ist das "wesentlich"?

    Es werden Texte rezitiert, sich vor Statuen verneigt, Mönche und viele Laien ernähren sich vegetarisch, es gibt viel soziales Engagement.

    Sicher werden hier weniger Texte rezitiert und es gibt in den Zendos auch weniger Statuen als in einem japanischen Kloster, vor denen man sich verneigt. Ist das "wesentlich"? Ansonsten - Mönche und viele Laien ernähren sich vegetarisch, es gibt viel soziales Engagement ...


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