Ich habe eine Frage und möchte diese eingangs mal etwas platt und plakativ formulieren:
Begünstigt die buddhistische Lehre es, das Leben in erster Linie als eine Qual zu sehen?
Ich versuche mal, es näher zu erläutern, wie ich das meine.
Dukkha kann wohl als einer der zentralsten Begriffe im Buddhismus bezeichnet werden. Alles, was ich mit den Sinnen (einschließlich des Denkens) wahrnehmen kann, ist durchdrungen davon. Alles ist außerdem Werden und Vergehen unterworfen, alles ist vergänglich. Weiterhin kann man sagen, der Buddhismus entlarvt einen Großteil dessen, wie wir gewöhnlich auf die Welt blicken, als illusionsbehaftet, als wirklichkeitsfremd.
Es geht viel darum, loszulassen, sich zu verabschieden, zu überwinden. Es kann die Frage auftauchen: "Wozu das alles, was bleibt denn noch übrig?" Wenn man es wirklich zu Ende denkt, bleibt nichts übrig. Nichts, das dieser Welt zugerechnet werden kann. Nibbāna wird gleichsam in eine Parallelwelt verlegt, die sich von dem, was unsere gewöhnlichen Sinne wahrnehmen können, weit entfernt befindet.
Das Werden und Vergehen, das Rad des Lebens, wie wir es mit unseren unmittelbaren Möglichkeiten sehen können, wird als etwas gesehen, das es zu überwinden gilt.
Das alles kann dazu einladen, resigniert / niedergeschlagen / apathisch zu werden, finde ich. Oder nicht? Die "Erlösung" wird in gewisser Weise gerade NICHT im Hier und Jetzt angestrebt, sondern eben in einer Parallelwelt, jenseits aller Erscheinungen und Phänomene.
So wie ich es hier formuliere, muss es vielleicht als falschverstandener Buddhismus bezeichnet werden, aber die Gefahr, zu solchen Ergebnissen zu kommen, finde ich doch ziemlich groß.
Denn am Ende scheint es nicht darum zu gehen, das Dasein vor allem zunächst einmal selbst weitgehend von dukkha zu befreien. Natürlich geht es darum auch, aber in letzter Konsequenz ist das offenbar nicht das Ziel. Sondern das Ziel ist, gleichsam über den Kreislauf, in den wir eingebunden sind, hinauszuwachsen. Ihn zu verlassen. Aus meiner Sicht kann das davon ablenken, was für Möglichkeiten dem Menschsein möglicherweise innewohnen, das Hier und Jetzt selber zu verwandeln. Und zwar so zu verwandeln, dass dukkha abgemildert wird. Dass die gröbsten Stacheln und Dornen, soweit es das menschliche Potenzial zulässt, beseitigt werden.
Das kann zwar keine dukkha-freie Welt hervorbringen, aber ich würde schon sagen, dass da eine ganze Menge möglich ist.
Wenn ich Buddhismus mehr als eine Religion, denn als eine Möglichkeit, das menschliche Potenzial zum Erblühen zu bringen, sehe, kann es leicht passieren (wie in allen anderen Religionen auch), dass ich "die Rettung" in ein vermutetes Paralleluniversum verlege.
Was denkt ihr zu meinen Gedanken? Wie seht ihr das?