Beiträge von Tai im Thema „Soto-Zen: Kontemplation/analytische Vorgehensweisen beim Zazen?“

    Wenn es so ist, dass ein Koan nicht mittels dualistischem Denken zu erfassen ist, gibt es auch keine Aufzeichnung irgendeines Koan. Dann ist die gesamte Koanarbeit nur ein geschicktes Mittel, das man auch weglassen kann und aufs Feldgehen und tausende Setzlinge pflanzen, dann hat man wenigstens irgendwann was im Magen. Die Arbeit die ganz wegen der Arbeit gemacht wird, ist dann wertvoller. Sich auch noch die "Zeit mit Koan" zu vertreiben, anstatt das zu tun, was jetzt wichtig ist, ist dann wirklich nur eine Anstrengung, die keinen Wert hat außer ein Ablenken von der Arbeit fürs Leben.

    Dann lieber Soto vor der Wand und die Welt/Geist und den Körper abfallen lassen.

    Was ist wertvoller, Koanpraxis oder Arbeit, die ganz wegen Arbeit gemacht wird? Wer mag, darf solchen Gedanken und dem Spiel des begrifflichen Denkens folgen. Den ganzen Rattenschwanz von Vorlieben, Abneigungen, bedingtem Enstehen und dem daraus erwachsenden Leiden gibt's gratis mit dazu.


    Deswegen ist die Koanfrage ja gerade eine, an der das dualistische Denken nicht andocken kann - wenn die Frage denn konsequent und konstant genug gestellt wird. Das ist so ein Augenblick, wo all deine Ängste da sind, Leiden, Verzweiflung an der Vergänglichkeit, alle Gefühle und alles wird im großen Zweifel des "Was ist dies?" in Frage gestellt. Es heißt nur genau solange "Was ist dies?" oder "Mu", solange du die Koanfrage in begrifflichem Denken verstehst. Gelingt es dir jedoch das begriffliche Denken in der ätzenden, alles zersetzenden (Koan-)Frage aufzulösen (loszulassen), dann trittst du in die nonverbale Hwadu-Praxis ein. Dann gibt es tatsächlich keine Aufzeichnungen der Koans mehr. In einem solchen namenlosen Zustand kannst du aufs Feld gehen und tausend Setzlinge pflanzen ohne je das Koan, das du selbst geworden bist, aus den Augen zu verlieren oder aus dem Herz.


    All dies gilt auch für die vielen Koans der Aufzeichnungen, denn sie sind nicht verschieden vom "Was ist dies?" und auch nicht verschieden von demjenigen, das sich die Frage stellt. Gerade weil es kein Koan gibt, wenn du es nicht erleuchtest, kann ein befreiter Mensch die vielen Koans als geschickte Mittel einsetzen, ohne von ihnen in den Dreck gezogen zu werden.


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    Die Antwort auf "Was ist dies?" ist hoffentlich kein kluger Einfall oder sonstiges, das sich in Worte fassen ließe.

    Nein. Es gibt darauf keine Antwort mit Worten.


    Aber ich frage mich, wie ich das dem Meister, wenn ich denn zum ersten Mal die Gelegenheit dazu bekäme, beantworten könnte, die Frage "Was ist dies?"

    Vielleicht kommt spontan eine Körperbewegung, eine Geste, eine Handlung, ein Laut. Gut, aber woher weiß der Meister, dass ich es nun so "durchdrungen" habe, dass er "zufrieden" sein kann und mir ein nächtes Koan gibt, weil dieses nun "abgeschlossen" ist? Das ist mir alles sehr rätselhaft...

    "Was ist dies?" ist kein Koan, das man beantwortet und dann ein für alle mal beiseite legt. Jetzt gibst du eine authentische, erschöpfende Antwort und im nächsten Moment ist die Frage schon wieder brandaktuell. Deswegen wird es auch als Lebenskoan bezeichnet. Für dasjenige, das den nächsten Augenblick erlebt, geht es beim "Was ist dies?" auch dann wieder genauso um Leben und Tod (im Sinne von erwacht oder verblendet). Deswegen werden alle sogenannten Nebenkoans letztendlich auch zum "Was ist dies?", denn alle zielen auf dasjenige, das schaut (hört, riecht, schmeckt, fühlt, denkt und bewusst ist).


    In der Koan-Schulung stehen dem Meister für die Prüfung seiner Schüler*innen Unmengen von Koans zur Verfügung. Es gibt sogenannte Anfängerkoans und Koans, die auf vershiedenste Weise schwerer zu durchdringen sind. Es gibt ganze Gruppen von Koans, die jeweils einen bestimmten Aspekt des Erwachens beleuchten oder auch eine bestimmte Form von Anhaftung oder Verblendung. Hast du ein Koan aus einer solchen Gruppe durchbrochen, wird der Meister dir i.d.R. andere Koans aus derselben Gruppe vorlegen, um deine Erkenntnis zu prüfen und dein Verständnis zu vertiefen. "Rätselhaft" ist dagegen mir, wie eine Meister*in beim Stillen Sitzen die Prüfung ihrer Schüler und Nachfolger vornimmt. (Das ist jetzt nicht als rhetorische Pointe zu verstehen, sondern als etwas, das mich tatsächlich schon lange interessiert).


    Wie Leonie weiter oben schrieb, kann und sollte eine Koan-Antwort mitunter auch durchaus in Form von Worten gegeben werden. Ein großer koreanischer Zen-Meister (Hae Am Sunim) pflegte seinen Schülern zu sagen: "Ich habe dir in Worten eine Frage vorgelegt - du solltest also auch in der Lage sein, sie in Worten zu beantworten!" Auch wenn die wahre Antwort nonverbal gegeben wird, ist sie doch keineswegs beliebig (so im Sinne von: "Ich mache einfach mal irgend eine verrückte Geste") sondern trifft immer genau auf den Punkt.


    Dennoch sind alle Koans so gestrickt, dass du sie vermittels dualistischem Denken nicht auflösen kannst, sondern nur über Soheits-Erfahrung. Angemessene, verbale Koanantworten sind also nicht solche, die das gedankliche Erfassen von etwas mit der Sache selbst verwechseln (wie wir es beim begrifflichen Denken normaler Weise permanent tun). Mal ein Beispiel: An einem heißen Tag irgendwo in der Wallachei triffst du auf einen völlig dehydrierten Wanderer. Du kannst ihm jetzt mit noch so treffenden Worten das Erlebnis vom Wassertrinken beschreiben - davon erlebt er nicht, wie Wasser schmeckt und seinen Durst löscht er schon gar nicht. Ihm aber mit Worten den Weg zum nächsten Wasserhahn zu weisen, wäre eine durchaus angemessene Antwort auf diesen Augenblick. Hast du selbst eine gefüllte Wasserflasche dabei, kannst du auch treffend auf nonverbale Weise Antwort geben. Nur solche wahren Antworten führten den Wanderer zum wahren Geschmack des Wassers und dazu, zum Wasser, das er trinkt, zu werden.


    So ist die Koan-Schulung. Eine Meister*in merkt halt sofort, wenn einer nur über das Wasser schwafelt.


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    Die Antwort auf "Was ist dies?" ist hoffentlich kein kluger Einfall oder sonstiges, das sich in Worte fassen ließe.


    Gib aber Acht: Im nächsten Augenblick lauert schon der nächste Gedanke, der dich von dem, was dieses unmittelbar gegebene, namenlose Erleben genau jetzt wahrnimmt, ablenkt und fortträgt. Es ist ein bisschen, als wenn jemand über die Fokussierung auf den Atem seine Aufmerksamkeit genau jetzt zu halten versucht. Nur dass du im Koan (oder Hwadu) auf dasjenige schaust, das den Atem und alles erlebt, also auf dasjenige schaust, das schaut. "Was ist dies?"


    Gelangst du zu solcher Soheit, dann kannst du auch Antwort geben und die Antwort ist Ausdruck deines Erwachens. Diese Art von Schulung bedarf aber eines Lehrerers/einer Lehrerin, in deren Glut eine Schülerin/ein Schüler ihr eigenes Erwachen schmieden und prüfen kann.


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    Hallo Zrebna,


    die auf den fragenden Geist selbst gerichtete Frage "Was ist dies? (Wer/was bin ich?)" ist eine Koan-Frage. Selbstverständlich ist die Arbeit mit dem Koan Bestandteil der formalen Praxis im Koan-Zen; auch in der Kwan Um Zen School, aus der Meister Hyon Gak hervorgegangen ist. Wie Dharma Buddy zurecht beschreibt, geht es in der Koan-Praxis nicht darum, die Koanfrage zu analysieren und durch dualistisches Denken zu beantworten. Die "Was ist dies?"-Frage repräsentiert eine konstante, wache Genau-Jetzt-Aufmerksamkeit auf dasjenige, das fragt und hat damit, ebenso wie "Mu", die Qualität eines sogenannten Haupt- oder Lebenskoans. Ergänzt wird diese Praxis durch die Arbeit an weiteren Koans wie etwa die aus den bekannten Koansammlungen. Die Begriffe "Hwa-Du" und "Koan" werden im koreanischen Zen (Seon) nahezu synonym verwendet. Genaueres dazu findest du in diesem Thread:


    Übersetzungvorschläge für huatou


    Ansonsten, aber schade, dass es sich bei dem Center nicht um ein Zen Center der Soto-Schule handelt.


    Kann man natürlich so sehen. Persönlich habe ich Hyon Gak Sunim noch nicht getroffen, lediglich vor etwa 25 Jahren seinen Lehrer Seung Sahn Sunim und ich habe auch mal für ein Jahr in der Kwan Um Zen-Schule praktiziert und an Retreats teilgenommen. Einen so gut ausgebildeten, erfahrenen und offiziell anerkannten Zen-Meister wie Hyon Gak Sunim in der Stadt zu haben, geht für jemanden, der sich für Koan-Zen interessiert, schon sehr in Richtung 'Sechser im Lotto'.


    Es ist doch einfach so, dass die Jogye Schule aus der Seung Sahn stammt eben kein Soto-Zen ist. Schon die Jogye Schule ist ja wie gesagt ein Alamgam und Seung Sahn hat sich in seiner Kwan Um Schule noch davon wegbewegt und Elemente aus dem japanischen Rinzai aufgeonommen, die sich auch von der in Korea verbreiteten Koan Praxis entfernen.


    Der im Westen wohl bekannteste Lehrer des koreanischen Zen (Seon), Seung Sahn, adaptierte eine japanische Methode des Kôan(gong’an)-Studiums mit dokusan, privaten Einzelgesprächen, und dem Abarbeiten zahlreicher Kôan.


    Nein, die dem dokusan entsprechenden Koan-Interviews und das "Abarbeiten" von Koans sind seit Jahrhunderten fester Bestandteil der koreanischen Tradition. Wodurch sich Meister Seung Sahns Kwan Um Zen School von den diesbezüglichen Standarts im Jogye Order abhebt, ist im Gegenteil, dass Seung Sahn Sunim ein System entwickelt hat, welches sich statt auf die über 1700 in Korea anerkannten Koan nur auf 10 Koans (die seiner Auffassung nach zur Schulung reichen) stützt. Sowohl in der heutigen Praxis, wie ich sie bei meinem eigenen Lehrer (einem koreanischer Zen-Meister im Jogye Order) kennenlernen durfte, als auch in den Erzählungen über Schüler und Meister der koreanischen Zen-Mönche und Nonnen vergangener Jahrhunderte, als auch in der wissenschaftlichen Literatur sind private und öffentliche Koan-Interviews ein wesentliches Element der koreanischen Koan-Praxis. Ohne dieses Element würde diese Form der Schulung so auch gar nicht funktionieren.


    Auch im koreanischen Buddhismus gab es ebenso wie in Japan (nur schon deutlich früher aus dem chinesischen Chan übernommen) Ausrichtungen mehr auf dem Sutra-Studium, dem stillem Sitzen oder der Praxis mit dem Koan. Diese unterschiedlichen Schwerpunkte führten auch zu allerhand Konflikten, was vor einigen Jahrhunderten dadurch gelöst wurde, dass nahezu alle Schulen in den Jogye Order aufgenommen wurden. Das heißt, es gibt im Mantel dieses Ordens auch Schulen, deren Praxis dem Soto-Zen verwandt ist. Meister Seung Sahn und Hyon Gak Sunim gehören aber dem Zweig der Koan-Praxis an.


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