Beiträge von Sudhana im Thema „Der Karmapa, Missbrauchsvorwürfe, eine Initiativen von Karma Kagyüs“

    Lieber Martin_1980 ,

    Man kommt ja meistens nicht zum Buddhismus, weil das Leben so schön ist, und alles rund läuft.

    Nein, wenn man den Ruf des Löwen hört, hat man in der Regel einen Grund, zu lauschen. Daran lässt sich von außen wenig ändern. Das Problem sind dann Jäger, die den Ruf imitieren, um damit eigenen Zielen zu folgen. Z.B. ein reicher Herdenbesitzer zu werden.

    Man findet zum ersten Mal seit langer Zeit ein wenig Frieden und Glück.


    Diese Skandale bedrohen dann unser Rettungsboot.

    Ja, die Anzahlung wird schon geleistet. Was das Rettungsboot angeht, so sollte man es gründlich untersuchen, bevor man sich ihm anvertraut. Da ist das Rettungsboot dann womöglich mit Gold und Juwelen herausgeputzt und der darauf thronende Steuermann ein reinkarnierter Nirmanakaya im vollen Bodhisattvaornat. Ja, das ist schon beeindruckend, tolles Marketing. Trotzdem lohnt es sich, erst einmal nachzuschauen, ob das Holz unter dem Gold und den Juwelen eigentlich Kernholz des Bodhibaums ist oder nur verrottende Kiefer. Bei dieser Prüfung sollte man sich auf sein eigenes Urteil verlassen, statt sich von Kostümen blenden zu lassen und ihren Trägern zu trauen. Kostet halt ein bißchen Arbeit, so etwas wird ja heute gerne 'outgesourced'. Nix gegen Gold oder Kostüme (bei 'offiziellen' Anlässen trage ich selbst eines) - aber wenn man diese Prüfung nicht selbst - und gründlich - macht, läuft man Gefahr, an einen Schlangenölverkäufer zu geraten. Ich habe mir sagen lassen (und glaube es auch), dass die besseren Kutscher dieses Fahrzeugs genau dies allen Ernstes von Schülern verlangen, bevor sie sie zusteigen lassen. Und das ist okay so. Dann ist das Fahrzeug auch in Ordnung und fliegt nicht aus der erstbesten Kurve.

    Wir werfen den Buddha, den Sangha, die Wiedergeburt, die himmlischen und höllenbereiche, die Rituale weg, und bauen uns einen westlichen effektiven Buddhismus zusammen, der uns schneller an ein Ziel bringt, an das wir eigentlich auch nicht glauben.

    Ich verstehe diesen Prozess (der zweifellos auch Auswüchse aufweist) als notwendig für die Inkulturation des buddhadharma im Westen. Wobei ich es gerade im 'Zen' besonders widerlich finde, wie da manche die neoliberale Gierkultur zum Köder machen. Das lässt nichts Gutes für die Geköderten erwarten. Das ist nicht mein Verständnis einer sinnvollen Inkulturation, wo ich mich sicher mit den 'Säkularen' einig weiss. Wobei bei denen nach meinem Empfinden schon ein wenig das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird (sorry ...). Das gute daran ist jedenfalls, dass Leute, die sich von Skandalen (gleich, in welcher Glaubensgemeinschaft) abgestoßen fühlen, mit der säkularen Herangehensweise einen Zugang für sich finden. Meinen persönlichen Vorstellungen würde ein stark entmythologisierter Buddhimus entsprechen - ist vielleicht ganz gut, wenn es bei Vorstellungen bleibt ...

    Vielleicht hilft da einfach nur der Mittelweg.

    So sehe ich das auch. Wie ich auch Deine Kritik des 'Wellness-Buddhismus' zwar hart, aber berechtigt finde. Das ist ein offenes Tor für Scharlatane.

    Ein Kind zeugen und die Mutter und das Kind mit Mitteln zu versorgen ist wohl kaum strafbar, da gibt es ja wohl mehr.

    Hier sollte man doch mal genauer hinsehen.

    Wobei ein Punkt ja nicht ganz unerheblich ist - die "Mittel zur Versorgung" waren dermaßen großzügig bemessen, dass da der Verdacht eines Schweigegeldes naheliegt. Wie etwa bei der ersten Klage gegen Herrn Lakar in den USA, die mit einer "gütlichen Einigung" endete. Konkret einer "Wiedergutmachung" im oberen sechstelligen Bereich.


    Aber das ist nicht der eigentliche Punkt - der ist vielmehr die Herkunft der Gelder. Das ist Dāna und ich glaube kaum, dass die erheblichen finanziellen Mittel, die die KK-Organisation bei ihren Anhängern einsammelt, von diesen dazu gedacht sind, dass der Chef davon u.a. großzügig Alimente zahlt. Was ja nett von ihm ist - aber das ist nicht sein Geld, das er da verpulvert. Dafür haben Laien gearbeitet.


    Das ist übrigens ein nicht unwichtiger Grund, warum der Vinaya Bhikshus und Bhikshuni sexuelle Enthaltsamkeit auferlegt. Dāna soll dem Lebensunterhalt von Bhikshus und Bhikshuni dienen und nicht dazu, ihnen (bzw. einigen von ihnen) einen sybaritischen Lebensstil zu finanzieren. Und schon gar nicht dem Lebensunterhalt ihrer Spielgefährtinnen und der mit ihnen gezeugten Kinder. Auch das ist Missbrauch, Missbrauch von Dāna. Und das rührt an die Grundlage der vierfachen Sangha. Ich sehe das also völlig anders als Noreply ("Der Karmapa hat ?kein? Verbrechen gegen seine „Kirche“ begangen.") - kein "Verbrechen" natürlich (dafür sind ordentliche 'weltliche' Gerichte zuständig), aber einen schweren Bruch der Gelübde, der ihn unmittelbar (durch Begehen) aus dem Sangha der Ordinierten ausschließt. Dass er sich trotzdem noch als Ordinierter verkleidet, macht es nicht besser.


    Gerade unter diesem Blickwinkel hat die Tabuisierung dieses Themas in den KK-Gemeinschaften ein besonderes G'schmäckle.

    Ich erlaube mir mal, kurz daran zu erinnern, was ich hier vor einer Woche schrieb:

    Zitat

    Wobei pauschales Tibet-bashing eigentlich nur von einem Informationsdefizit zeugt. Da gibt es schon noch ein bißchen mehr als nur Vajrayana und Guruyoga. Und selbst das wird nicht immer missbraucht - auch wenn es sicherlich das mit Abstand größte Potential dazu hat.

    Was nun wiederum die Frage aufwirft, warum hier manche Leute so tun, als ginge es hier um Kritik am 'Tibetischen Buddhismus'. Eine solche Undifferenziertheit, wie sie die selbsternannten 'Verteidiger' hier auszeichnet, hat natürlich eine Funktion - die des Deckmantels. Man versucht damit, die Kritik z.B. an der KK-Fraktion mit Ogyen Trinley an der Spitze zu einer Kritik des tibetischen Buddhismus insgesamt umzudeklarieren und damit zu entwerten; sie als Diffamierung zu denunzieren.


    Das ist nichts als ein altbekannter und ziemlich billiger rhetorischer Taschenspielertrick; die sog. Erweiterung oder Verabsolutierung (die 'Kunstgriffe' 1 und 3 in Schopenhauers 'Eristischer Dialektik'). Damit es auch der Letzte kapiert: eine Kritik an der KK-Führungsriege mit der Gallionsfigur Ogyen Trinley ist nicht automatisch Kritik z.B. an den Gelugpa oder am Dalai Lama; nicht einmal am konkurrierenden Karmapa und dessen Fraktion. Und schon gar nicht eine des 'Tibetischen Buddhismus' insgesamt und auch keine von Marpa oder Milarepa. So wenig, wie es eine Kritik des Buddhismus generell ist - was dann die nächste Steigerung von Erweiterung und Verabsolutierung wäre. Es geht um die schwarzen Schafe, nicht die ganze Schafherde.


    Es ist im Gegenteil so, dass mit solch einer Argumentation der Buddhismus (oder spezifischer der 'Tibetische Buddhismus' oder auch Zen) in Geiselhaft genommen wird, um berechtigte Kritik an Mißständen abzuwehren. Nicht die Kritiker (soweit sie nicht selbst mit solch unsauberen Mitteln arbeiten) diffamieren den Buddhismus, vielmehr die Kritisierten bzw. deren Verteidiger tun dies. Sie missbrauchen ihn als Deckung und schaden damit seinem Ansehen mehr, als es nichtbuddhistische Kritiker könnten. Um so mehr ist dies Grund, dass sich Buddhisten gegen eine solche Vereinnahmung wehren.


    Ansonsten - Löschung von Beiträgen ohne Begründung, das geht gar nicht. Das ist Zensur. Die Angaben in dem Beitrag waren übrigens sorgfältig und zeitaufwendig u.a. auf Phayul, The Indian Express, Times of India und Tibetan Review recherchiert. Wenn der Beitrag nicht wiederhergestellt wird - wobei ich bereit bin, bei nachvollziehbarer Begründung den Beitrag in Details zu redigieren - bin ich hier raus. Nicht nur aus dem Thread, aus Buddhaland generell. Ich mache das hier nicht zum Spass.


    Als kleines Abschiedsgeschenk ein gekürztes Zitat aus dem Pātimokkha, Abschnitt Pārājikā Dhammā (Regeln über Vergehen, die jegliches Erlösungsstreben vereiteln und den Ausschluss aus dem Sangha zur Folge haben):

    Zitat

    Mönche, aus diesem Anlaß verkünde ich hiermit einen Übungspfad für Mönche aus zehn Gründen:


    1. um der Vortrefflichkeit des Ordens willen,

    2. um des Wohlbefindens des Ordens willen,

    3. um übelgesonnene Menschen im Zaum zu halten,

    4. damit es gutgesonnene Mönche gut haben,

    5. zur Zügelung diesseitiger Triebe (āsavā),

    6. zur Abwehr jenseitiger Triebe,

    7. um denen befriedende Zuversicht (pasāda) zu bringen, die sie noch nicht gefunden haben,

    8. zur Vergrößerung der Zahl derer, die sie gefunden haben,

    9. zur Befestigung der Wahrheitslehre und

    10. zur Befolgung der Heilszurechtführung.


    Ein Mönch, der Geschlechtsverkehr ausübt, ist ausgeschlossen, steht außerhalb der Gemeinschaft.

    [...]

    So gelte denn folgender Übungspfad: Ein Mönch, der in diebischer Weise Nichtgegebenes in einem Wert an sich nimmt, bei dem der König einen Dieb, der ertappt worden ist, auspeitschen oder einsperren oder verbannen ließe, ist ausgeschlossen, steht außerhalb der Gemeinschaft.

    [...]

    Fünf große Räuber sind in der Welt zu finden, Mönche, wel­che fünf?


    Da denkt der eine Räuber: Selbstverständlich will ich, von einem Hundert oder Tausend umringt, durch Dörfer und Städte und Königreiche ziehen und töten und töten lassen, zer­stören und zerstören lassen, foltern und foltern lassen. Ebenso, Mönche, denkt da ein schlechter Mönch: Selbstverständlich will ich, von Hundert oder Tausend umringt, durch Dörfer und Städte und Königreiche auf Almosentour ziehen und, geschätzt, geachtet, anerkannt, gerühmt, verehrt, unterstützt von Haus­leuten und Hauslosen, den Bedarf an Gewändern, Speis und Trank, Lagerstatt und Arznei solcher erhalten, die in die Hauslosigkeit gezogen sind. Das, Mönche, ist der erste große Räuber, der in der Welt zu finden ist.


    Weiter, Mönche: Da hat ein schlechter Mönch die Lehre und die Ordensregel, wie sie vom Erhabenen dargelegt worden ist, auswendig gelernt und macht damit Geschäfte, wie wenn sie sein eigen wäre. Das, Mönche, ist der zweite große Räuber, der in der Welt zu finden ist.


    Weiter, Mönche: Da bezichtigt ein schlechter Mönch einen Nachfolger des reinen höchsten Wandels, einen, der den höchsten Wandel absolut rein führt, grundlos eines Verstoßes gegen den höchsten Wandel. Das, Mönche, ist der dritte große Räuber, der in der Welt zu finden ist.


    Weiter, Mönche: Da umschmeichelt und beschwatzt ein schlechter Mönch einen Hausvater wegen Dingen, die für den Orden von Wert und von Nutzen sind wie ein Kloster, ein Klostergelände, eine Behausung, ein Grundstück für eine Behausung, eine Lagerstatt, einen Stuhl, ein Polster, einen Kupferkessel, einen Kupfertopf; eine Kupferschüssel, einen Kupferbecher, ein Rasiermesser, eine Axt, ein Beil, eine Hacke, einen Spaten, eine Liane, Bambusstäbe, Muñjagras, Babbajagras, Tinagras, Ton, hölzerne oder irdene Gegenstände. Das, Mönche, ist der vierte große Räuber, der in der Welt zu finden ist.


    Ihr Mönche: In der Welt mit ihren guten und bösen Geistern, mit ihren Asketen und Geistlichen, Göttern und Menschen ist aber das der größte Räuber, der sich übermenschliche Eigenschaften anmaßt, die er nicht besitzt. Und warum?


    Ihr habt euch durch Diebstahl vom Almosen des Landes ernährt, Mönche.


    Wer sich für etwas anderes

    ausgibt, als was er wirklich ist:

    durch Lug und Trug hat er gespeist,

    durch Diebstahl nahm er es zu sich.

    Die gelbe Robe tragen auch,

    die ungezügelt, übel sind.


    Die Üblen durch ihr übles Tun

    erscheinen in der Höllenwelt.


    Den Eisenball schluckt besser man,

    der flammend schmilzt in Feuersglut,

    als daß man sittenlos verzehrt

    des Landes Spende, zügellos.

    [...]

    Ein Mönch, der, ohne das entsprechende Erleben sich selber eine übermenschliche Eigenschaft, ausreichende heilende Kenntnis anmaßt: 'Das erlebe ich, das kenne ich' – auch wenn er hinterher, auf Drängen oder ohne Drängen zugibt, daß er gefallen ist und in dem Wunsch, gereinigt zu werden, spricht: "Brüder, ohne es zu kennen, habe ich gesagt 'ich kenne es', ohne es zu sehen: 'ich kenne es'; ich habe eitel und leer und hohl dahergeredet', auch dann ist er ausgeschlossen, steht außerhalb der Gemeinschaft."

    _()_

    Noch ein Nachtrag hierzu:


    Worum es da wirklich geht, kann man eigentlich schon seit 2011 wissen.


    Was den Devisenschmuggel angeht, so wurde die Anklage gegen Ogyen Trinley zwar fallen gelassen* , weil er angeblich keine Kontrolle über seinen eigenen Spendentrust hatte. Sein Finanzdirektor Thupten Sherab musste dafür den Kopf hinhalten. Die im Wohnsitz des Karmapa, dem Gyuto-Kloster in Dharamsala, bei einer Razzia beschlagnahmten Devisen im Wert von damals $ 995.000 wurden endgültig konfisziert. Mal $ 690.000 für eine geschwängerte (angehende) Nonne, mal $ 995.000 für Devisenvergehen - mit der Zeit kommt da richtig Geld zusammen ... Es war schon immer etwas teurer, einen besonderen Geschmack zu haben.


    *zwei Mal, die erste Aufhebung wurde vom High Court von Himachal Pradesh wieder gekippt

    Hiermit diskreditierst Du mal eben eine ganze Traditionslinie


    Diese Traditionslinie wird von ganz anderen Leuten diskreditiert. Nämlich von denen, die sie heute maßgeblich repräsentieren.

    In diesem Thread ist gut nachvollziehbar, wie Missbrauchsskandale dazu verwendet werden, religiöse Strukturen insgesamt infrage zu stellen.

    Wenn diese institutionellen Strukturen zu "Missbrauchsskandalen" - aber auch zu Dingen wie Geldwäsche oder dubiosen Immobiliengeschäften - führen, ist es mehr als gerechtfertigt, sie in Frage zu stellen.

    Respekt vor buddhistischen Linien

    Sorry, aber Respekt kann man nur vor Menschen und ihrem Verhalten haben. Oder auch nicht, wenn sie ihn nicht verdienen. Egal auf welche "Linie" sie sich berufen.

    Respekt bedeutet aber, sich diesen kulturellen Ausprägungen nicht ausschließlich mit eurozentrisch-wokem Wertekanon des dekadenten Spätkapitalismus zu nähern

    Danke. Ich kann Dir versichern, dass ich diese "kulturellen Ausprägungen", wie Du die hier diskutierten Vorkommnisse so schön verharmlosend nennst, nicht unter der Perspektive eines "eurozentrisch-wokem Wertekanon des dekadenten Spätkapitalismus" betrachte. Śīla reicht da völlig aus. Basics sind da z.B. nicht nehmen, was nicht aus eigenem Antrieb gegeben wird oder kein sexuelles Fehlverhalten. Das ist entscheidend - und daran muss sich eine "kulturelle Technik" samt "ihren philosophischen, psychologischen und sozialen Hintergründen" messen lassen. Der buddhistische Weg hat die drei Aspekte Śīla, Samādhi und Prajńā - ohne Śīla kann man nicht mehr von Buddhadharma sprechen; "der Edle Achtfache Pfad ist in den drei Übungsfeldern enthalten" (MN 44). Ob die "kulturelle Technik" dann "wertlos" und "dysfunktional" ist oder nicht, ist allenfalls eine sekundäre Frage. Irgendeinen Wert wird sie schon haben, fragt sich nur für wen und auf wessen Kosten.

    Das vajrayāna kann ein ungeheuer effizientes Mittel sein, aber es ist eben auch ein gefährliches Fahrzeug, das nicht ohne Grund bis vor wenigen Jahrzehnten nur im Geheimen weitergegeben wurde. Wenn nun die Werkzeuge dieses Fahrzeugs von unvorbereiteten, schlecht informierten, spirituell kaum gefestigten, psychisch instabilen, in den Sila nicht gefestigten Personen ausgeübt wird, ist vollkommen klar, dass das zu Leid, Verwirrung und Elend führen muss. Aber damit ist dieses Fahrzeug nicht weniger wirksam oder respektabel. Der tibetische Buddhismus ist uns sehr fremd. Seine kulturellen Ausprägungen sind befremdlich, teils gefährlich und entsprechen in vieler Hinsicht nicht den exotisch-bunten Hippie-Fantasien, die viele zu spirituellem Hyperkonsum und Eskapismus einladen, bei dem man Initiationen sammelt wie Abziehbildchen.

    Lies Dir bitte diesen Abschnitt noch einmal sorgfältig durch und überdenke ihn. Meines Erachtens ist das Reduktion auf klassisches Victim blaming. Das mag ja alles richtig sein, aber das Problem ist ja nicht die psychologische Vulnerabilität alleine. Erst wenn Menschen und Institutionen diese Vulnerabilität ausnutzen, wird es zum Problem.

    Thorsten Hallscheidt:

    Es müsste einen umfangreichen Dharma-Führerschein für die Anwendung buddhistischer Techniken geben, bevor sich die Menschen in Abhängigkeiten und psychologische Abenteuer stürzen.

    Ob es ein "Führerschein" sein muss, kann man bezweifeln. Aber eine gründliche Unterweisung in Sutrayana und Mahayana sollte schon Voraussetzung sein. Womit wir dann beim Defizit der Institutionen wären. Aber das würde natürlich das Werbeversprechen der Ruckzug-Erleuchtung (der höchste und vor allem schnellste Weg) konterkarieren.

    Thorsten Hallscheidt:

    Aber dann würde die Attraktivität dieser Techniken und Kulturen sicher bald gegen Null gehen.

    Eben. Wir können uns natürlich auf den Standpunkt "wo gehobelt wird, fallen Späne" zurückziehen. Und uns Diskussionen wie diese hier komplett sparen.

    Nicht ganz, denn die öffentliche Diskussion über einen Verdachtsfall bedeutet ja schon eine Schädigung für den, der solch eines Verbrechens verdächtigt wird, ist also nicht neutral.

    Grundsätzlich: um Verbrechen handelt es sich bei sexuellem Missbrauch in buddhistischen Gemeinschaften in aller Regel nicht. Verbrechen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind (§12 Abs.1 StGB). Was im Strafmaß darunter liegt, ist nach deutschem Strafrecht ein Vergehen - und selbst darum handelt es sich zumeist nicht. Nicht jede unmoralische Handlung (oder was man dafür hält) ist strafbar - so ist es beispielsweise zwar strafbar, wenn sich ein Therapeut bei der Beratung oder Therapie einer Klientin nicht (oder nicht ausschließlich) an deren Bedürfnissen orientiert, sondern die psychische Abhängigkeit der Patientin ausnutzt, um eigennützige Zwecke zu verfolgen. Wenn dies hingegen ein 'spiritueller Begleiter' mit einer erwachsenen Person tut, also ihre Leichtgläubigkeit, ihr Vertrauen missbraucht, dann ist es das in aller Regel nicht. Obwohl die psychologische Konstellation dieselbe ist: eine asymmetrische Beziehung, in der die schwächere Seite eine psychische Abhängigkeit entwickelt (deren Auflösung dann auch ein unverzichtbarer Teil einer fachgerechten Psychotherapie ist).


    Leider ist die strafrechtliche Behandlung unterschiedlich, was schlicht daran liegt, dass die Qualifikation eines Therapeuten eine staatlich anerkannte und sein berufliches Handeln daher auch staatlich reguliert ist; die eines Guru, Mönchs oder oder Priesters aber nicht - und das ist aus naheliegenden Gründen auch gut so. Um die Qualifikation und um die sachgerechte Ausübung religiöser Begleitung (die nur zu häufig auf 'Leitung' reduziert ist) haben sich die religiösen Institutionen selbst zu kümmern. Ob sie es auch tun, ist eine andere Frage. Die Erfahrung zeigt, dass so etwas fast nur auf öffentlichen Druck hin geschieht - also wenn der 'Spenden'fluss zu versickern beginnt und das Geschäftsmodell versagt.


    Richtig ist, dass ein ungerechtfertigter öffentlicher Druck eine "Schädigung" ist. Auch üble Nachrede (d.h. in Beziehung auf einen anderen eine nicht erweislich wahre Tatsache zu behaupten oder verbreiten, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist, §186 StGB) ist ein Vergehen; wenn sie öffentlich geäußert wird möglicherweise sogar ein Verbrechen. Wer sich - um den genannten öffentlichen Druck auszuüben - zum Aufklärer oder gar Ankläger berufen fühlt, tut gut daran, sicherzustellen, dass die entsprechenden Tatsachenbehauptungen auch erweislich wahr sind. Insofern sind Thorsten Hallscheidt s Bedenken absolut nachvollziehbar. Wie ich hier in einem anderen Thread geschrieben hatte, sollte man sich, wenn man sich öffentlich zum Anwalt tatsächlicher oder vermeintlicher Opfer macht, sorgfältig absichern - also die Anschuldigung auch belegen können. D.h. man sollte sich im Fall des Falles auf mindestens eine eidesstattliche Erklärung eines Opfers oder Zeugen stützen können bzw. selbst Opfer oder Zeuge sein. Wie nun der Fall im Hamburger KK-Zentrum lief, weiss ich nicht - deswegen verkneife ich mir die in diesem Thread hier naheliegende Anmerkung, dass der Fisch vom Kopf her stinkt.


    Das Grundproblem ist in aller Regel selbstverschuldete Unmündigkeit. "Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen." Dies als nachgereichte Erläuterung meiner von Arthur1788 kritisierten Anmerkung "mein Mitgefühl und mein Verständnis für die Opfer und auch für diese Karma-Kagyü-Initiative hält sich in Grenzen." Wobei mir durchaus bewusst ist, dass das Mitgefühl eines Bodhisattva grenzenlos sein sollte; der Satz war durchaus auch selbstkritisch gemeint. Immerhin gelingt es mir, auch etwas Mitgefühl für die Täter aufzubringen - die persönliche Problematik Ogyen Trinleys, seine völlig verkorkste Erziehung, wurde hier ja schon angedeutet. Was selbstredend nichts rechtfertigt oder entschuldigt.


    Die freiwillige / selbstverschuldete Unmündigkeit, die Bereitschaft, seine Autonomie aufzugeben und sich einem vorgeblichen 'Übermenschen' kritiklos zu unterwerfen, sehe ich als die eigentliche Wurzel des Problems. Und natürlich stehen hinter solch einer irrationalen Unterwerfung Motive, die kritikwürdig sind und ich für meinen Teil sehe die Rolle eines spirituellen Begleiters nicht zuletzt darin, solche Motive aufzudecken und bewusst zu machen. Dass verschiedene 'buddhistische' Traditionen hingegen eine kritiklose Unterwerfung geradezu fordern, zu einer Voraussetzung machen, führt zwar nicht notwendig immer zum Missbrauch des Vertrauens, aber offensichtlich immer wieder. Und da sind wir dann auch bei der Verantwortung der Institutionen, die die Missbraucher legitimieren.


    Die sicher sehr ehrenwerten Leute von der Karma-Kagyü-Initiative haben offensichtlich nicht verstanden, wo das Problem liegt - die 'Krankheit'. Eine solche 'Sangha' lässt sich nicht heilen. Worum es da wirklich geht, kann man eigentlich schon seit 2011 wissen. Mein Rat wäre: sucht euch eine Übungsgemeinschaft, in der ihr nicht eine Schafherde seid, die sich willig scheren lässt. Was wollt ihr da noch?

    Insofern eine Missbrauchsproblematik als spezifisch 'buddhistisch' zu bezeichnen wäre (was nun etwa im Fall Döring mE nicht zutrifft), ist dies vor allem bedingt durch eine für Missbrauch anfällige Methode der Dharmaübermittlung. Um nicht zu sagen eine Methode, die sich zum Missbrauch geradezu anbietet. Konkret ist dies die Überhöhung von (in aller Regel männlichen) Lehrenden in eine transhumane Sphäre; ihre Ausstattung mit übernatürlichen Attributen. Etwa 'höchste Weisheit', die sich praktischerweise für Normalsterbliche dadurch auszeichnen soll, dass sie für diese schlicht unverständlich ist. Dass sich diese "Ausstattung" einzig in der Sichtweise der Normalsterblichen vollzieht, wird nicht einmal verborgen. Im Gegenteil - ihnen wird erzählt, genau dies sei Voraussetzung für den (natürlich) höchsten und schnellsten Weg zur Erleuchtung. Citius, altius, fortius - das hat die Leute schon immer interessiert. Richtig ist wohl auch, dass diese Überhöhung im tibetischen Buddhismus in ein Extrem getrieben wurde, das sicherlich zumindest zum Teil auch dem Legitimationsbedürfnis einer Klerikokratie zuzuschreiben ist.


    Wenn das mit der Überhöhung tatsächlich so funktionieren sollte (ich enthalte mich da eines Urteils), dann lässt sich eine solche Methode durchaus als upāyakauśalya, als 'geschicktes Mittel' einstufen. Wobei diese Doktrin zwar Grundlage eines Methodenpluralismus ist, die in durchaus erfreulichem Kontrast zur inhärenten Intoleranz der beiden großen Monotheismen steht, aber alles andere als ethisch unproblematisch ist. Die upāya - Doktrin lässt sich in einem Satz auf einen (sicherlich etwas schlichten) Nenner bringen: der Zweck heiligt die Mittel. Wenn man dann Lehrende in der Anwendung solcher Mittel überdies explizit von jeder ethischen Disziplin, śīla, freispricht, ist das Ergebnis vorhersehbar.


    Ansonsten ist (zumindest für mich) unübersehbar, auf welche persönlichen Charakteristika dieses 'geschickte Mittel' zielt - ohne innere Bereitschaft zu Hörigkeit und Devotion (die ja auch offen gefordert werden) funktioniert so etwas nicht. Wobei zu solchen Spielen - ob auf sexueller oder spiritueller Ebene - eben auch immer mindestens zwei gehören, Dom und Sub. De facto ist es nur ein Rollenspiel, wobei lediglich der Spielleiter alle Regeln kennt. Wenn nun der Zweck, der solche geschickten Mittel heiligt, nicht (oder nicht nur) der ist, mit dem geworben wird - also die Ruckzuck-Erleuchtung - haben wir einen Missbrauch. Sei er sexuell oder finanziell.


    Ich muss ganz ehrlich gestehen: mein Mitgefühl und mein Verständnis für die Opfer und auch für diese Karma-Kagyü-Initiative hält sich in Grenzen. Ich stelle mir da immer die Frage: wie kann man sich als erwachsener, halbwegs intelligenter und in einer aufgeklärten Kultur aufgewachsener Mensch auf so etwas einlassen? Trotzdem: solche Fälle müssen publik gemacht werden, vor allem von Buddhisten selbst. Offensichtlich ist der tibetisch-buddhistische Klerus ebenso wenig gewillt, gegen die schwarzen Schafe in den eigenen Reihen etwas zu tun, wie der katholische.

    Wenn ich es richtig mitbekommen habe, handelte es sich bei dem Lehrer um ihn hier. Dass man seinem Lehrer oder seiner Lehrerin dankbar ist, gibt es nicht nur im tibetischen Buddhismus. Wobei pauschales Tibet-bashing eigentlich nur von einem Informationsdefizit zeugt. Da gibt es schon noch ein bißchen mehr als nur Vajrayana und Guruyoga. Und selbst das wird nicht immer missbraucht - auch wenn es sicherlich das mit Abstand größte Potential dazu hat.

    Dass dem Papst ein vergleichbares Fehlverhalten nachgewiesen werden könnte, ist mir nicht bewußt

    Wenn ich vom "Vatikan in seinen besten Zeiten" spreche, dann sind die auch schon ein halbes Jahrtausend vorbei. Alexander VI., Julius II., Leo X. - diese Kaliber, nicht die freundlichen Grüßonkel heutzutage. Nicht, dass der Laden zwischenzeitlich sauberer geworden wäre - nur ärmer. Laut meiner Tageszeitung will das Erzbistum Trier (in dessen Revier ich wohne, Deutschlands Wilder Westen) jetzt anfangen, Kirchen zu verscherbeln. Geht eh kaum noch jemand hin. Und die Kirchensteuereinnahmen schrumpfen dramatisch; insbesondere seit im August die 'Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs im Verantwortungsbereich des Bistums Trier' ihren ersten Zwischenbericht vorgelegt hat. Dumm gelaufen, da sitzen Wissenschaftler und Betroffenenvertreter drin, keine Pfaffen. Da soll mal einer sagen, die Lektüre der Morgenzeitung würde einem nur den Tag vermiesen (okay, in der Summe schon ...).


    Nunja, es steht zu hoffen, dass die exotische Konkurrenz nicht ganz so langsam untergeht. Wobei ich mich angesichts der vergleichsweise (mit katholischen Laien!!!) schwach entwickelten Kritikfähigkeit so mancher Buddhisten manchmal schon ernsthaft frage, ob der Buddhadharma im Westen vor allem Leichtgläubige mit einem Faible für den geheimnisvollen Orient anspricht ... vielleicht bin ich ja auch leichtgläubig und bloß noch nicht auf die Schnauze gefallen deswegen. Naja - wer will mir schon an die Wäsche gehen?