Beiträge von Leonie im Thema „Kann man Lehrer und Lehre trennen?“

    Ich denke anders, und ich versuche es zu erklären, warum. Die Kunst, egal welche, hat nichts mit der Ethik oder moralischen Werten zu tun.

    Das habe ich auch nicht gesagt. Die Kunst kann mit ästhetischen Urteilen erfasst werden, sie ist Ausdruck eines Kunstschaffenden und erschafft einen Eindruck beim Betrachter.

    Oder: was Kunst ist entscheidet der Künstler. Oder der Programmierer der KI, heutzutage.

    Das gilt natürlich auch für die Musik.


    Mich hat vor ein paar Jahren John Cage in einem Beitrag zur Musik beeindruckt. Er sagte, wenn er Musik höre, dann habe er den Eindruck, dass da jemand redet und das ist anders, wenn er dem Verkehr lauscht. Da redet niemand und es gibt nur Klang-Aktivität - und das liebe er.

    Das ist auch mein Empfinden - wenn ich Musik höre, dann habe ich das Gefühl, dass da jemand was will - mich bewegen will. Und das ist beim Gesang der Vögel anders - die Vögel wollen nur singen und sich bemerkbar machen in ihrem Revier. Von mir wollen sie nichts. Deshalb liebe ich den Gesang der Vögel mehr als die Musik Mozarts.


    Und genauso ist es mit allen anderen Künsten und Künstlern. Ein Künstler will sich ausdrücken - und im Zusammenspiel mit den gesellschaftlichen Bedingungen will er auch davon leben. Oder seine Frau und Familie wollen davon leben. Wie die Frau von Hermann Nitsch, die wegen Steuerhinterziehung angeklagt wurde, weil sie falsche Angaben machte, als sie die Kunstwerke ihres Mannes verkaufte. Das kam heraus, weil bei ihnen eingebrochen wurde und die Angaben über den Inhalt des Tresors nicht der Wahrheit entsprachen.


    Und genau darin, dass jeder ein Künstler ist und sich ausdrückt, mit seinen Mitteln, aber die gesellschaftlichen Bedingungen Kunst für einen Kunstbetrieb und -markt zurechtbiegen, stellt den Künstler vor das Problem, sich seiner ethischen Regeln und moralischen Werte bewusst zu werden und sich ihnen auch zu stellen.


    John Cage

    Die OMT waren und sind öffentlich und damit grundsätzlich was anderes zu den geheimen "Spielen" von denen der DL redet.

    Ich meine die Teilnahme daran als Statist*in oder Akteur*in.

    Meinst du das bezüglich Hermann Nitsch und seinem Zeugs?


    Wenn ich daran teilnehme, dann ist das natürlich als Teilnehmerin, buchstäblich - ich darf da richtig mitmachen - und in die warmen Eingeweide fassen und den Gestank erleben und so weiter. Hast du schon mal das Vergnügen gehabt? Es hat keine katharische Wirkung, wenn es auch nicht unbedingt was für schwache Nerven ist. Es ist nur a weng anstrengend.


    Es werden da etablierte Körperkonzeptionen in blasphemischen Strategien parodiert. Aktionen entfalten ihr Wirkungspotential im Aufgreifen, Verwandeln (Transformation) und Überschreiten (Transgression) des Vorcodierten.


    Damals - in den 60er Jahren war das spektakulär - weil diese erstarrten Nachkriegskulturen mit Brachialgewalt aufgebrochen werden sollten - heute empören sich die Bürger über die Klebeaktionen - aber jetzt ist der Wiener Aktionismus museal.


    Über die geheimen Sessions des DL kann ich nichts sagen - die sind geheim und interessieren deshalb mich nicht. Alles Geheime hat mich noch nie interessiert.

    Der Schüler begibt sich in eine Kultur, die sich zur Aufgabe gemacht hat, den eigenen moralischen Kompass zu erschüttern. Wie soll ein Schüler urteilen, wenn seine Wahrnehmung von Richtig und Falsch angezweifelt wird? Es wird Glauben gefordert.

    Im entsprechenden Kontext hat das ja auch durchaus seine Berechtigung. Nur ist dieses Mittel eben mit Sicherheit nicht für jeden geeignet. Wie der Dalai Lama in dem Interview sagte: Es sollte geheim bleiben (nicht an jede und jeden, der oder die gerade Bock darauf hat, weitergegeben werden) und nur unter entsprechenden Bedingungen angewandt werden. Auch die Orgien Mysterien Theater von Hermann Nietsch waren nicht für jeden geeignet. Aber sie sind oder waren geeignet, die blinden Flecken der inneren Landschaft aufzudecken, ähnlich wie die griechische Tragödie mit dem Element der Katharsis.

    Die OMT waren und sind öffentlich und damit grundsätzlich was anderes zu den geheimen "Spielen" von denen der DL redet.

    Ob sie geeignet sind, entscheidet der Zuseher und der bezahlt dafür ja auch einen Beitrag. Es mag sich kunsttheoretisch ganz nett anmuten, wenn man da einen Zusammenhang zu den griechischen Mysterien oder der Katharsis des griechischen Theaters konstruiert. Das erhöht das Spektakel und gibt dem eine quasi-religiöse Note. Im übrigen gründet das Theater im Ritual und auch die religiösen Veranstaltungen gründen im Theater. Ob das einen therapeutischen Effekt hat, bezweifle ich mal, auch wenn Nitsch sich bei Freud bedient hat als Erklärungsrahmen. Aber irgendeinen Effekt hat es - immerhin ist es sehr beeindruckend - laut, blutig - ein besonderer Kindergeburtstag für Erwachsene.


    Dagegen sind die "religiösen Spektakel" beim DL geheim - nicht-öffentlich. Man kennt also die Bedingungen nicht, auf die man sich da einlässt und es wird dann zu einem "rabbit-hole", aus dem sich nur sehr schwer wieder heraus finden lässt.

    So, was ich sagen wollte, man sollte es zwischen den Menschen und ihrem Werken die Grenze klar ziehen.

    Ich hatte das ja bereits an anderer Stelle schon mal geschrieben, dass der Autor, Künstler, Schöpfer von seinem Werk nicht getrennt werden kann. Allein schon deshalb, weil man eben einen Beethoven, Händel oder Wagner sofort erkennen kann. Und auch Picasso und Matisse unterscheiden sich in ihrer Kunst, weil sie verschiedene Künstler, Menschen waren.


    Nun ist dann so ein Künstler auch noch Mitglied der NSDAP - und das hat etwas mit seinen menschlichen und sozialen Qualitäten zu tun - und dies verändert dann den vermeintlich "unschuldigen oder unvoreingenommenen Blick" auf die Kunst des Künstlers. Jedenfalls liegt dies in der Freiheit des Betrachters. Und auch in der Freiheit des Kunstmarktes.


    Und deshalb ist Kunst auch nicht getrennt von Zeit und Gesellschaft und wie du so am Beispiel Wagners Ritt der Walküre zeigst, kann dessen Musik in einem Anti-Kriegsfilm den "Ritt" der Kampf-Hubschrauber dramatisch begleiten. Es bedeutet, dass Wagners musikalische Begleitung und Inszenierung der bürgerlichen Gesellschaft noch nicht ausgespielt hat, wie jeder ja an den Hügel-Inszenierungen in Bayreuth erleben kann.


    Wenn man Wagner mag, es folgst nichts draus, dass man NS-Ideen gutheisst oder verbreitet. Das ist doch klar! Für jeden! Oder?

    Zur Zeit Wagners gab es die Vorläufer der Ideologie, die sich dann den Nazis anboten - an deiner Aussage wird nur klar, dass Gefühle und Gedanke getrennt sind und es besser ist, wenn man nicht seinen Gefühlen gedankenlos folgt.

    Wagner und der Nationalsozialismus


    Und genau das - dieses gedankenlosen Gefühle - sind mit dafür verantwortlich, dass man bestimmten Leuten auf den berühmten Leim geht. Man gibt sich hin, weil man sich hingeben will, weil man glaubt, dass Hingabe und Gefühle von Hingabe ein Beleg für Lebendigkeit seien - diese Geschichten mit den falschen Lehrern sind alles Beispiele für Bequemlichkeit im Denken. Wenn man sich nicht seines eigenen Verstandes bedienen kann, bleiben eben nur die Gefühle - und die haben eben vor allem das Potential zur Täuschung der Urteilskraft.

    "Erkennen" hat ja einen großen Bedeutungsumfang - einfach mal im OpenThesaurus sich die Synonyme ansehen.

    Dabei geht es nicht unbedingt um das Erfassen eines Objekts, wobei auch das schon nicht ohne Vorwissen möglich ist. Ich muss wissen, wo und was ich erkennen soll. Ich brauche also durchaus einen, der schon mal die Sache aufgedeckt hat und mir nun ungefähr zeigen kann, wo ich suchen sollte. Ein edler Freund ist mir da eine gute Hilfe - der muss in keiner Linie aufgeführt sein. Aber er muss wissen,um was es geht. Er muss das in etwa realisiert haben, was im Vakkali Sutra steht:

    Zitat

    Die Lehre sehend, sieht man mich; mich sehend, sieht man die Lehre!

    Insofern sind hier Lehre und Lehrer eins - Buddha und Dharma - und vielleicht wird deshalb das auch als Buddhadharma zusammen gesetzt.

    Nun ist es aber so, dass Buddhadharma nicht getrennt vom Rest auffindbar ist, sondern eher wie Gravitation alles durchdringt. Es lässt sich nicht extrahieren oder filtern. Aber durch die Wechselwirkungen kann das erkannt werden, weil es im Leiden und in den leidenden Wesen ein Echo, eine Reaktion auslöst. Das ist vergleichbar mit dem Satz - an ihren Früchten wird man sie erkennen - die falschen oder rechten Lehrer. Bei solchen "falschen" Lehrern bleiben auch die "falschen" Schüler hängen und sie verlieren von Generation zu Generation an Kraft.

    Alles Suchen beruhigt sich, wenn einer erkannt hat, dass die "wahre Natur unserer Unwissenheit keine andere ist, als unsere Buddha-Natur" - so wie es im Shodoka ausgesagt wird. Dann stellt sich auch nicht mehr die Frage nach dem Lehrer - der ist ja immer mit dabei - und auch der edle Freund, die edle Freundin sind da.

    Ayya Khema äußerte einmal, dass nur ein Erleuchteter einen Erleuchteten erkennen könne... Ich weiß nicht, ob Buddha Shakyamuni dies so gesagt hat, aber, sollte es stimmen, wäre es für Schüler ja unmöglich, ihren Lehrer als Erleuchteten zu identifizieren und sie "müssten" es dann einfach glauben, wenn es so propagiert wird. In der Folge bestünde die Gefahr der "Vergötterung" mit allen negativen Konsequenzen....

    Im Shobogenzo Kenbutsu - Buddha begegnen - findet man diese Aussage: nur Buddhas können Buddhas sehen bzw. begegnen. In dem Kapitel wird allerdings auch ausführlich erläutert, was damit gemeint ist.

    Es ist für "gewöhnliche Wesen" unmöglich "Buddhas" zu erkennen. d.h. zu bezeugen - weil, wie das im Diamant-Sutra auch heißt - Buddhas keine Mermale haben.

    Die Tradition, die ihre Lehrer als "Erleuchtete" oder Erwachte markiert, spricht Gläubige oder gut Gläubige an. Und wie du richtig siehst, führt das zu negativen Folgen. Letztlich gibt es nur mehr oder weniger Erleuchtete und auch mehr oder weniger Verblendete. Und jeder ist mehr oder weniger. D.h. der Buddha, das Erleuchtungswesen, das du bist kann Buddha bezeugen.


    Im Genjokoan heißt es

    Zitat

    Wer zum Verirren erwacht: ein Buddha.

    Wer sich im Erwachen verirrt: ein gewöhnliches Wesen.

    Manche erwachen noch aus dem Erwachen. Andere verirren sich inmitten des Verirrens.

    Wenn Buddhas wahrhaftige Buddhas sind, dann sind sie sich nicht bewusst, Buddhas zu sein. Dennoch sind sie bezeugte Buddhas, die fortfahren, Buddha zu bezeugen.