Um mit dem 'Betreff' zu beginnen - es ist stark von den Ausgangsbedingungen abhängig (den 'Fähigkeiten', und Erfahrungen, die jemand mitbringt), ob bzw. wie sehr man für Sōtō-Zen, also die von Dōgen übermittelte Übung des Weges, einen Lehrer braucht. Theoretisch ist es sicher möglich, das alles aus den Schriften Dōgens zu lernen, wenn man sie (und das ist der entscheidende Punkt) übend liest - d.h. umsetzt / aktualisiert. Zentral im Zazen. Das dürfte nur äußerst selten gelingen, in der Regel bleibt man da stecken und gibt früher oder später frustriert auf. "Zen bringt nix? Haha - verarschen kann ich mich selbst ..."
Wobei, den Weg gehen im Zen (gerade im Soto) ja nicht so sehr über das diskursive/analytische (z.B. Studium von Texten) geschieht, sondern ganz klar über die Praxis, dem Zazen.
Wenn man nicht überzogene Erwartungen hat, dann denke ich, dass man da nicht zwingend aufgeben muss (nach z.B. paar wenigen Jahren täglich formaler Praxis - z.B. 2-mal 30 min/Tag + 1-2 Sesshin-Retreats pro Jahr), sondern durchaus am Ball bleiben kann.
Erfahrungsgemäß tauchen beim Einüben des Zazen in der formlosen Form des shikantaza verschiedene Probleme auf - mentaler und somatischer Art. Evt. auch schlicht praktischer Art oder gar sozialer Art. Die Beratung durch kalyāṇamitras - wenn man sie denn annehmen kann - kann da eine große Hilfe sein. Kalyāṇamitra ('guter und tugendhafter Freund') ist die ursprüngliche Bezeichnung für 善知識, zen chishiku, was auch dasselbe bedeutet.
Absolut, das habe ich auch gesagt - auf jeden Fall hilfreich. Aber soweit zu gehen und zu sagen, dass falls man nicht das Glück hat (1-2-mal/Jahr im Sesshin mit dem Kursleiter zu sprechen zählt für mich nicht) eine beständige Sangha zu haben, Zazen "auf eigene Faust" null Entwicklung bringt (wie ich es oft in Foren von scheinbar religiösen und hörigen "Zen-Jüngern" lese), entbehrt mir jeder Logik.
Leicht am Thema vorbei, aber bzgl. dem Wert des Praktizierens in Seklusion, fand ich folgenden Artikel/Interview richtig gut - wie gesagt, nicht das Thema hier, aber evtl. interessant für stille Mitleser, daher share ich den Link zum Interview:
https://tricycle.org/magazine/power-solitude/
Das, was bei uns so gerne mit "Meister" übersetzt wird. Das muss nicht laufen wie eine Handwerkslehre nach japanischer Zunftordnung, das ist eher etwas für Geschäftsleute. 'Lehrer' (bzw. 'Lehrerin') passt eigentlich ganz gut, wenn man da auch pädagogischen (und nur den) Eros mitdenkt. Und - es ist durchaus sinnvoll, sich verschiedene Lehrer/innen und ihren Lehrstil anzuschauen, bevor man sich für jemanden entscheidet und ihn dann fragt. Am besten für solch ein 'Testen' eignet sich ein Sesshin oder Zazenkai - da lernt man auch die Übungsgemeinschaft kennen. Nichts sagt zuverlässiger etwas über einen Lehrer / eine Lehrerin aus als die unter seiner/ihrer Betreuung übende Gemeinschaft.
Mache ich bereits, aber auch hier:
Ich muss dafür teils mehrere Stunden anreisen und folglich kommt es da kaum zu einer regulären Bindung/Kontakt - zumindest bis jetzt noch nicht...
Was man nicht erwarten sollte, ist, dass man dann ständig am Händchen genommen und herumgeführt wird. Wenn einem einer so kommt, verdrückt man sich am besten schnell. Du musst deinen Weg schon selbst suchen und finden. Du bekommst dabei Unterstützung und Beratung - von jemandem, der auf seinem Weg schon etwas länger unterwegs ist.
100% bei dir, daher nochmal:
Lehrer -> gut und hilfreich.
100% notwendig - zumindest bis zu einem bestimmten Punkt meiner Meinung nach nicht. Die Praxis selber ist sowieso "on your own" und Austausch gibt es im heutigem Zeitalter digital oder über Lektüre.
Nochmal, idealerweise hat man einen wirklich guten Lehrer mit regelmäßigen (nicht 2-3-mal/Jahr!) Kontakt. Aber wenn man (noch) nicht das Glück hat, diesen Umstand zu haben, dann muss man deswegen meiner Meinung nach nicht die "Flinte ins Korn werfen", weil zu viele Indizien dafür sprechen (siehe vorherigen Post), dass die regelmäßige Praxis "auf eigene Faust" ebenfalls zu Früchten führt - auch wenn womöglich langsamer und/oder zu weniger Früchten - komplett fruchtlos bleibt es nicht, so glaube ich.
Ruckzuck geht das alles nicht, das Einüben braucht seine Zeit. Da kann es durchaus ausreichend sein, zwei- bis dreimal im Jahr um ein (oder mehrere, im Rahmen eines sesshin) dokusan zu bitten. Der Bedarf nach Unterstüzung und Hilfestellung reduziert sich ja auch mit der Zeit - was ja schließlich Sinn der Sache ist.
Ok, so habe ich das noch nicht gesehen - das mag sein - da fehlt mir noch die Erfahrung zu.
Den wichtigsten Punkt habe ich noch gar nicht angesprochen. Ohne Lehrer hat man kein Korrektiv, wenn man auf den Holzweg gerät, ohne es zu merken. Der hört dann irgendwann auf und man meint, man sei am Ziel, während man nur irgendwo knöcheltief im Dreck steckt.
Ja, das hört man in diesem Zusammenhang immer wieder - endlich kommt es auch hier.
Kurz und knapp: Ich bin hier skeptisch, weil wenn man nicht eine Natur zur völligen Überheblichkeit hat und etwas Reflexionsgabe, dass ist diese Gafahr da, aber ich denke sie wird stark überschätzt. Ansonsten gibt es auch hier genug Warnhinweise, die man online oder in Lektüren findet... "Wenn du es benennen kannst, dann ist es es nicht...".
"Ich denke ich bin erwacht..." - "Ach ja, welches ICH denkt denn das?"
uvm....
Ich denke einfach, dass der durchschnittliche Praktizierende viel reflektierter und vorsichtiger bei Einschätzungen ist, als es herkömmlich angenommen wird.
Also erste Frage, ab wann gilt ein Lehrer eigentlich als "wirklicher" Lehrer?
[Ich bitte um Nachsicht, wenn ich mir fortan das etwas umständliche Gendern spare]
Haha, meine Nachsicht hast du hier zu 100%.^^
Der Schüler macht den Lehrer und der Lehrer den Schüler. Anders gesagt - da findet eine Übertragung statt. Und zwar primär eine Übertragung von Herz/Geist zu Herz/Geist. Das setzt eine große Offenheit des Schülers voraus - und eine solche Offenheit kann auch missbraucht werden und zu Verletzungen führen.
Es gibt wegen dieses Missbrauchspotentials auch eine sekundäre, formale Übertragung. So 'ne Art Waffenschein. Diese formale Übertragung definiert den Kreis derer, die von ihren Lehrern als befähigt beurteilt wurden, das Erlernte und Erfahrene selbst zu lehren - es weiter zu übertragen. Das ist so etwas wie eine wechselseitige Bürgschaft.
Okay, der Haken an der Sache ist klar - eine Garantie, nicht an den Falschen zu geraten, sind auch saubere Papiere nicht immer, wie man weiß. Ein eigenes Urteil bleibt einem da nicht erspart. Deswegen sollte es wohl abgewogen sein.
Dazu ein weiterer Punkt. Wie oben schon angedeutet, spielt Sangha, die konkrete Übungsgemeinschaft, eine wichtige Rolle. Das 'dritte Juwel' ist ebenso Lehrer wie ihr Leiter. Wer nie in und als Gemeinschaft geatmet und Zazen geübt hat, hat etwas verpasst.
Viele historische Zen-Praktizierende habe ja großteils recht einsiedlerisch gelebt und ohne Lehrer in Abgeschiedenheit praktiziert - ich denke, dass diese trotzdem Entwicklung auf dem Weg erfahren haben.
Ja und ja. Wobei sie sich auf diese Weise zurückgezogen haben, nachdem sie keinen Lehrer mehr brauchten. Oder sogar erst (wie Jōshu), nachdem ihr Lehrer, den sie bei seinen Aufgaben unterstützten, verstorben war. Es ist die Phase der Übung, den die klassischen 'Ochsenbilder' 7 -9 beschreiben. Dabei kann und braucht auch kein Lehrer mehr helfen. Aber zunächst ist es erst einmal sinnvoller, am 4. Bild zu arbeiten. Dann kann man weiter sehen ...