Beiträge von Thorsten Hallscheidt im Thema „Der weise Tsongkhapa über manche sexuelle Praktiken : )“

    Es ist völlig unerheblich, welche Stoffe im Gehirn ausgeschüttet werden oder nicht. Wahrscheinlich wird immer irgendetwas im Gehirn passieren, solange das Gehirn existiert. Das ist die Dritte-Person-Perspektive auf meine Existenz, die für den buddhistischen Weg nicht von Bedeutung ist. Bei diesem geht es um einen Erfahrungs- und Erkenntnisweg aus der Ersten-Person-Perspektive.


    Die Dritte-Person-Perspektive, also die "objektive" auf Wissenschaft gegründete, ist interessant, aber begrenzt, weil sie eben nur die chemischen Begleitumstände beobachten und beschreiben kann, die einer anderen Seinskategorie angehören als der Erlebnisinhalt (Qualia), der mit diesen Beobachtungen und Beschreibungen korrelieren mag. Offenbar gibt es da irgendeine eine Verbindung oder Interaktion, jedoch ist nach wie vor unklar, wie subjektives Erleben oder Bewusstsein entsteht.


    Diese Diskussion mündet in das Zombie-Problem:


    Zitat
    David Chalmers argumentiert, dass der Materialismus auf die Annahme festgelegt ist, die Existenz von Bewusstsein ergebe sich bereits aus der physikalisch-funktionalen Beschreibung. Die Vorstellbarkeit von Zombie-Szenarien zeige jedoch, dass selbst eine vollständige physikalisch-funktionale Beschreibung nicht die Existenz von Bewusstsein impliziere.[5] Zumindest offenbart das Gedankenexperiment eine Erklärungslücke des Physikalismus, weil es momentan keine verbreitete Theorie gibt, die die Kausalität von nicht mentalen Eigenschaften auf phänomenale Eigenschaften erklärt.[6]

    Susan Blackmore beschreibt das Problem sehr anschaulich: „Stellen wir uns zum Beispiel den Zombie Sue Blackmore vor. Zombie-Sue sieht genauso aus wie ich, benimmt sich genauso wie ich, redet so wie ich über ihre privaten Erfahrungen und diskutiert wie ich über das Bewusstsein. Für einen Außenstehenden ist sie durch nichts von der echten Sue zu unterscheiden. Der Unterschied besteht allein darin, dass sie über kein Innenleben und kein bewusstes Erleben verfügt; sie ist eine Maschine, die Wörter und Verhaltensweisen produziert, während es in ihrem Inneren völlig dunkel ist. Könnte diese Zombie-Sue wirklich existieren?[7]


    Quelle

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    Aber wie gesagt: Das spielt für die buddhistische Lehre auch keine Rolle, weil es dabei um etwas ganz anderes geht. Es ist ein heilspragmatischer Weg, der auf einer Erfahrungsgeschichte von tausenden von Jahren zurückblickt, zusammengetragen von unzähligen Menschen, die etwas gefunden haben und bezeugen können, das sie mit Worten wie Erwachen, Befreiung, Nirwana benannt haben, das sich aber der Sprache letztlich völlig verschließt. Die verschiedenen Religionen oder Schulen weisen verschiedene Wege, wie diese Befreiung verwirklicht werden kann, nicht als temporäres, rauschhaftes Phänomen, sondern als komplette Umwandlung der gesamten Erfahrungswirklichkeit in Denken, Sprache und Handlung. Es ist eine Geistesschulung, die Bewertung von Erfahrungen ebenso einschließt wie eine generelle ethische Ausrichtung, eine weit größere Aufmerksamkeits- und Konzentrationsfähigkeit und ein tiefes Bewusstsein von kausalen Zusammenhängen. Zentral ist aber das Bewusstsein einer tiefen Verbundenheit mit etwas, das der Urgrund des Seins genannt werden kann, für das es aber letztlich keine Worte gibt, die nicht unbeholfen und falsch klingen. Das muss einfach erfahren werden. Der Anfang dessen ist aber immer die Einübung der grundlegenden ethischen Handlungsmaximen, als Basis für alles Weitere.
    Buddhologie, so interessant all dieses Wissen auch sein mag, ist eine solche Basis nicht.

    So funktioniert der Mensch. In der Hirnforschung sagt man darum, dass Menschen zur Meditation zurückkehren, weil es ihr Belohnungszentrum triggert. Sie mögen sich was anderes einreden, aber sie ticken da wie die anderen, deren Zentrum vlt. durch Essen oder Bingewatchen getriggert wird.

    Falls Du keinen Unterschied erlebt hast zwischen Bingewatchen und Meditation, stellt sich mir die Frage, welche Meditationsform Du verfolgst. Zen kann es jedenfalls nicht sein.

    Die Freude, die durch Befriedigung von Bedürfnissen erlangt werden kann, ist die einzige und höchste, solange keine andere Form der Freude erfahren wird. Der Unterschied besteht darin, dass die erste Form den Durst nicht stillt – die Sehnsucht bleibt oder wird sogar größer –, während die zweite Form den Durst vollkommen stillt. Das lässt sich nicht argumentieren oder diskutieren. Die Erfahrung der Freude, die den Durst stillt, kommt zustande, indem die Begierden und Abneigungen zur Ruhe kommen. Und diese Erfahrung verändert das Leben.


    Wenn ich einen Menschen töte, werde ich ab diesem Zeitpunkt immer ein Mörder sein. Diese Tat wird mein Leben gründlich verändern und jedes andere Gefühl beeinflussen und einfärben. Ebenso ist es mit der Erfahrung der inneren Stille, die den Durst stillt. Auch sie verändert das Leben von Grund auf und durchdringt jede darauf folgende Erfahrung. Das ist das Unvergängliche an dieser Erfahrung in der Stille.


    Buddha zeigt den Weg, der zu dieser das Leben verändernden und befreienden Erfahrung in der Stille führt. Auch im Zen ist das nicht anders.


    Wir arbeiten wir daran, die bonnō zu überwinden. Wozu?


    Es wird also gar kein "Glück" (oder Unglück) erfahren, sondern auch dieses Glück oder Unglück nur nachträglich hineininterpretiert.

    Hm... ich weiß nicht, ob Du schon einmal wirkliches Unglück erlebt hast. Da muss ich nichts mehr nachträglich hineininterpretieren – das ist unmittelbar da. Deine Sichtweise kommt mir sehr konstruiert und angelesen vor. Aus der Perspektive des vollkommenen Erwachens, der völligen Überwindung von Subjekt und Objekt, aus der Perspektive der vierten Versenkungsstufe und jenseits dessen, mag diese Aussage Sinn machen. Für Übende auf dem Weg (wie für mich) bleibt sie theoretisch, macht sie keinen Sinn.

    Es ist eben nicht nur "der eigene getäsuchte Blick", sondern auch "Buddhas getäuschter Blick", der überwunden werden muss.

    Nur zu, überwinde Buddhas getäuschten Blick. Aber zuvor musst Du noch die Lücke zwischen Hirnchemie und Qualia schließen.


    Es geht letztlich darum, den Ansatz Buddhas weiterzuentwickeln und nicht bei alten Schriften stehenzubleiben.

    Dazu ist es hilfreich, den "Ansatz" Buddhas auch gründlich zu verstehen, was im Falle der Lehre des Buddha bedeutet, sie selbst zu erfahren und den Weg bis zum Ende zu gehen.

    Ist Sex für die meisten Menschen m.E. nicht in erster Linie Leiden, sondern in erster Linie Freude, und genau aus diesem Grund praktizieren sie ihn. Es wäre also besser, man würde langsam verstehen, dass der Buddha in seinen umständlichen Analogien sich da getäuscht hat.

    Die Beseitigung von Mangelgefühlen ist immer mit Freude verbunden. Das ist nicht der Punkt. Problematisch wird es, wenn der Mangel nicht mehr behoben werden kann, oder man in Angst lebt, dass er nicht mehr behoben werden könnte. Problematisch wird eine Begierde, wenn man selbst oder andere unter den Handlungen leiden oder Schaden nehmen, die zu ihrer Befriedigung führen. Problematisch wird eine Begierde, wenn ihre Erfüllung nicht das erhoffte Glück erzeugt, sondern eine Taubheit, Leere, Krankheit oder zunehmend frustrierende Gewöhnung hinterlässt. Problematisch wird eine Begierde, wenn man von der Erfüllung so abhängig wird, dass aus dem Wünschen und Wollen ein unablässiges und letztlich nur noch mehr und immer mehr Mangel zurücklassendes Getrieben-Sein wird.


    Es gibt die Möglichkeit, eine Begierde immer wieder durch Befriedigung zu erfüllen. Es wird wieder neuer Mangel und der erneute Wunsch nach Befriedigung entstehen. Es gibt aber auch die Möglichkeit, dem Mangel (Durst) zu begegnen, indem man die Begierde, die Abneigung oder die Verblendung selbst auflöst.


    Beispiel: Ich war etwa 20 Jahre meines Lebens stark von Zigaretten abhängig. Der Verzicht auf Zigaretten erzeugte Mangelgefühle und Schmacht. Eine Zigarette zu rauchten, bedeutete ein großes Glücksgefühl, weil das üble Gefühl der Begierde nach einer Zigarette für eine gewisse Zeit beseitigt war.


    Es gab viele schöne und beglückende Zigaretten: die Zigarette davor, die danach, die während dessen. Ein ganzes Lebensgefühl und eine ganze Lebensästhetik baute sich darauf auf.


    Viel besser allerdings ist heute (nachdem ich seit 14 Jahren nicht mehr rauche) das Gefühl, gar keine Zigaretten mehr zu brauchen. Das ist eine grundlegende Veränderung und Verbesserung meiner Verfasstheit, die nicht länger abhängig davon ist, ob ich gerade etwas zum Rauchen habe oder nicht, und die nun weder mir noch meinen Mitmenschen mehr Schaden zufügt. Das Beste daran aber ist die beständige Befreiung von der Nikotinsucht. Ich habe zwar die vielen schönen und beglückenden Zigaretten verloren, würde aber keine Zigarette mehr mit dem Gefühl der Befreiung von der Sucht eintauschen wollen.


    Ich bin heute völlig frei von Zigarettensucht. Dieser Zustand ändert sich nicht mehr, und er ist weit beständiger als die kurze Freude, die eine Zigarette bei Schmacht mir zu geben imstande war. Es ist eine Freude und ein Friede jenseits der Zigarettensucht. Setze bei "Zigarette" beliebig ein, was Dir einfällt, was Dich selbst oder andere Menschen ständig umher und antreibt, was Gier und Abneigung, was Frustration, Leiden, Angst oder vergängliches Glück erzeugt.


    Ein unfreier Mensch ist derjenige, der von Mangelgefühlen umhergetrieben wird, um immer wieder neue und andere Befriedigung zu erlangen. Er hält die zeitweilige Befriedigung einer Begierde für Glück – dabei ist es nur die Beseitigung eines Mangels, eines Symptoms. Die Beendigung des ständigen Durstes selbst ist die eigentliche Freiheit oder Befreiung, von der der Buddha spricht. Diese Freiheit von ständigen Mangelgefühlen (Dukkha) erzeugt eine gänzlich andere und dauernde Verfasstheit jenseits von Bedürfnis und Befriedigung, die man – einmal erlangt – nicht mehr gegen das ständige Auf und Ab von Bedürfnis und Befriedigung eintauschen möchte. So viel besser und heller ist die grundlegende Verfasstheit.


    Buddha hat sich nicht getäuscht. Das kann ich aus meiner eigenen bescheidenen Erfahrung mit der Lehre bisher bestätigen. Der eigene getäuschte Blick auf das, was Glück verspricht, ist aber schwer zu erkennen, wenn man noch keine andere Form der Freude erlebt hat, als die durch die Beseitigung eines Mangelgefühls oder durch die Befriedigung eines Bedürfnisses.

    Sex ist eine tolle Sache... unter dem Strich überwiegt aber das Leiden. Das hat Buddha erkannt. Es gibt aber eine Form des Friedens und der Erfüllung, die weit tiefer reicht als die, die durch Sex erreicht werden kann, und die nicht von den wandelbaren Zuständen der Existenz abhängig ist. Aus dieser Perspektive betrachtet ist Sex nichts als Salbe auf einem von Krankheit und Aussatz geschundenen Körper. Buddhas Lehre heilt die "Krankheit" und mildert nicht nur die Symptome.

    Die Vorstellungen der Menschen, was heilsam und hilfreich ist, haben sich seit den Zeiten Tsongkhapa sehr verändert, und sie werden sich weiter verändern. In 30 Jahren wird man möglicherweise kulturelle Äußerungen von Menschen daran messen, ob sie Fleisch gegessen haben, ob sie Verbrennungsmotoren gefahren, ob sie geflogen sind, Billigkleidung gekauft (und somit mittelbar Klimawandel und Ausbeutung befördert), ob sie mittel- oder unmittelbar Flüchtlinge im Mittelmeer haben ertrinken lassen, u.s.w..


    Wollte man kulturelle Äußerungen als wertlos betrachten, weil sie den heutigen ethischen Normen nicht entsprechen, würden wir auf einen großen Teil tradierter Kultur verzichten müssen. Zudem ist es fraglich, ob unsere "westlichen" Werte in jedem Falle das Gelbe vom Ei sind. Ich glaube jedenfalls nicht mehr unbedingt, dass die freie Entfaltung der Persönlichkeit ohne Berücksichtigung der jeweiligen Folgen und Konsequenzen für andere Wesen, ein Grundrecht jedes Menschen darstellen sollte.


    Jeder Träger, jede Trägerin von Tradition und Kultur ist zwangsläufig Kind seiner/ihrer Zeit. Zu Zeiten von Platon galt Sex älterer Männer mit Knaben als notwendig, um die Knaben in die Sexualität einzuführen. Ist die antike griechische Philosophie deshalb wertlos geworden?

    void


    Ja, klar, darum habe ich ja geschrieben "Sexualität egal welcher Form". Wenn man Sexualität als ein natürliches Bedürfnis begreift, wie etwa das Essen, so gibt es auch hier so etwas wie Völlerei oder auch die ständige Unzufriedenheit mit dem, was man schon kennt, sodass es immer neuer Reize bedarf, um einen Zustand der Zufriedenheit zu gewinnen. Und wie gesagt, aus einer "weltlichen" Perspektive ist das in Ordnung und wünschenswert: So viel ausprobieren wie möglich, mit allem, was freiwillig ist und Spaß macht. Will ich aber den buddhistischen Weg über Entspannungstechniken hinaus beschreiten, so wird sich meine Perspektive auf Sex und Essen, auf alle Dinge des Lebens zwangsläufig verschieben. Und diese andere, auf das Erwachen ausgerichtete Perspektive erscheint auch in vielen alten Texten.

    Es kommt auf das Ziel der Praxis an, ob und welche Form der Sexualität als problematisch angesehen werden könnte oder nicht. Viele religiöse Texte sind aus der Perspektive des Erwachens geschrieben. Aus dieser Perspektive mag Sexualität egal welcher Form dem Ausbrennen der Wunden eines Aussätzigen an einem Kohlenfeuer gleichen, das dieser aus Mangel an anders gearteter Erfahrung als Glück fehlinterpretiert. Daher können solche Texte auch heute möglicherweise eine Orientierung bieten.