Beiträge von Thorsten Hallscheidt im Thema „Warum es „Blödsinn“ ist den „Buddhismus studieren oder verstehen zu wollen““

    Anna Panna-Sati

    Wenn ein Phänomen Ursachen und Umstände als Benennungsgrundlage hat, so kann Geld nicht "eigentlich nur Papier" sein. Denn wäre es "nur" Papier, wäre es eben Papier und nicht Geld. Eine wesentliche Grundlage für Geld ist ja eben die Vereinbarung, diese spezielle Form von bedrucktem Papier als abstraktes Tauschmittel zu nutzen. Diese Eigenschaft, Tauschmittel zu sein, ist ja keine Illusion innerhalb der konventionellen Wahrheit, denn ich kann ja etwas kaufen damit und bekomme es als Entlohnung für Arbeit. Es ist sogar ein starkes Bild für das abhängige Entstehen, denn ohne die Vereinbarung, bedrucktes Papier als Tauschmittel zu nutzen, würde es kein Geld geben. Bedrucktes Papier wird also erst in Abhängigkeit von unserer kulturellen Vereinbarung Tauschmittel zu sein zu Geld. Damit hat das Geld zwar keine inhärent existierende Eigenschaft (das hat nach der Lehre von Shunyata kein Phänomen) einer Wertigkeit, aber eine strukturelle, in Abhängigkeit entstehende Wertigkeit.

    Das Flecksein der Buchstaben ist nur ein abhängig entstandener Aspekt unter vielen, die ein Phänomen Wort ausmachen. Diese Konzentration (oder Reduktion) auf Fleck-Sein oder Quark-Sein hat nichts mit der absoluten Wahrheit zu tun, denn Shunyata ist es ja gerade, womit postuliert wird, dass keine Eigenschaft, kein Phänomen, kein Ding eigenständig sein kann, sondern immer mit allem verbunden auf- und in die Existenz tritt, kontextuell und kausal. Eine Reduktion der Seinsaspekte auf "naturwissenschaftlich" oder "ontologisch" beleuchtet immer nur einen kleinen Teil der Wahrheit. Wenn dieser Aspekt dann absolut gesetzt wird (so ist es, DAS, dieser Aspekt ist die Wahrheit und der Rest ist Illusion), hat das mit Shunyata nichts mehr zu tun.

    Dieses Konzept wurde so vereinbart und um Verirrung/Verwirrung zu vermeiden, sollte es vernünftigerweise akzeptiert werden, auch, wenn es nicht der "absoluten Wahrheit" entspricht (als Buddhist wird man sich dessen bewusst sein).

    Nein, Anna, es gibt keine absolute Wahrheit hinter der Rose. Die Rose ist Produkt des abhängigen Entstehens, darum und nur darum ist sie Rose. Alle Ursachen und Umstände (auch die der Benennung oder kulturellen Definition in all ihrer Vielfalt) gehören dazu. Die Rose entspricht so vollkommen der absoluten Wahrheit, denn es gibt keine andere. Keiji Nishitani nennt das absolute Diesseitigkeit. Keine Realität hinter den Erscheinungen. Die Erscheinungen sind die Realität im höchsten Sinne.

    Igor07

    Das ist wieder nur eine neue Konstruktion. Da sind auch keine eigentlichen "flimmernden Flecken", die aus sich selbst heraus existieren würden. Auch diese Konstruktion besteht in Abhängigkeit von Deinen Vorstellungen und Sichtweisen. Da sind – in Abhängigkeit von Fähigkeit, Bildungsgrad, kultureller Zugehörigkeit, physischer, sozialer Disposition, ect., u.s.w. ... – Worte, die einen Kontext bilden. Es gibt nichts Eigentliches. Es gibt keine Wirklichkeit, die eigentlich ganz anders ist, weil das "Eigen" nicht existiert und nicht existieren kann. Das, was da ist, ist da, abhängig entstanden und nur in Relation, Bezug und Abhängigkeit zu anderem existent. Ein Geldschein ist ein Geldschein. Eine Rose ist eine Rose.

    Und die Begründung?

    Weil ich Blumen und Wolken erlebe, sehe, rieche und spüre – elektromagnetischen Wellen nicht. Diese "Wellen" ersetzen intersubjektive Begriffe, die auf einer in Form von Erfahrung wirklichen (=wirksamen) Benennungsgrundlage beruhen, durch abstrakte Vorstellungen, die keine Benennungsgrundlage mehr haben und auch mit keiner Erfahrung mehr verbunden sind. Das Leiden kommt nicht dadurch zustande, dass ich Blumen oder Wolken sehe, sondern dadurch, dass Gier, Hass und Unwissenheit aufkommt, wenn ich positive oder negative Erfahrungen mache, die ich gerne besitzen oder vermeiden möchte und deren Bedeutung ich übertreibe.

    Nirvana ist das vollkommene Ende der Geistesgifte, Nirvana ist Friede.

    Samsara ist vollkommen geprägt durch die Geistesgifte, Samsara ist ohne Frieden.


    Wollte man sagen, beide seien identisch, würde man behaupten, Frieden sei Krieg und Verwirrung sei Klarheit.


    Wenn ein Wahn endet, endet nicht das, worauf sich der Wahn bezieht. Wenn ich ein Seil im Garten für eine Schlange halte und merke dann, dass es ein Seil ist, ändert sich nichts an der Tatsache, dass dort etwas ist, das als Schlange oder Seil erscheinen kann. Es ist aber weder Seil noch Schlange.


    Die wahnhaften Vorstellungen, Bilder und Einschätzungen bezogen auf die Wirklichkeit sind Produkte der Geistesgifte. Enden die Geistesgifte, endet nicht die Wirklichkeit. Der Wahn endet.

    Hallo Samadhi1876

    Vielleicht wäre es doch ganz gut, sich etwas intensiver mit der buddhistischen Lehre auseinanderzusetzen, falls Buddhismus für Dich überhaupt von Interesse ist. Das könnte einige Überraschungen und hilfreiche Perspektiven bieten. Aber vielleicht bist Du ja auch mit der Praxis, die Du Dir selbst zusammengestellt hat, ganz zufrieden. Das wäre doch ideal. In jedem Fall gibt es einige Unterschiede zwischen der buddhistischen Lehre und dem, was Du – nach dem, was Du schreibst – dafür hältst. Vor allem ist doch das Ziel weit umfassender und auch Begriffe wie Leerheit oder Erleuchtung/Erwachen sind um einiges radikaler und existenzieller. Und dabei geht es nicht in erster Linie darum, dass man den äußeren, materiellen Besitz verschenkt. Aber das ist an dieser Stelle zu umfangreich, um es in einer Diskussion zu erläutern, bei der die Beschäftigung mit der Lehre generell bezweifelt wird. ;)

    Samadhi1876


    Auch von mir vielen Dank für den Mut, Deine Erfahrungen zu teilen! _()_


    Für Blödsinn halte ich es nicht, die buddhistische Lehre studieren oder verstehen zu wollen.


    Die Schriften sind wie Landkarten, die Erfahrungswege nachzeichnen. Sie ermöglichen mir, einzuschätzen, wo auf dem Weg ich mich befinde. Die Erfahrungen, die Du beschreibst, scheinen mir nicht fremd. Als erwacht würde ich mich aber sicher nicht bezeichnen. Was Du beschreibst, sind Erfahrungen der wirklichen Ruhe und tiefen Konzentration, die von tiefem Glück begleitet sein können, ohne durch das ständige Kommen und Gehen von Gedanken, Wünschen oder Gefühlen abgelenkt zu sein. Die Welt wird dann wieder etwas wirklicher, klarer, intensiver – etwa so, wie sich das in der Erinnerung als Kind abgespielt haben mag.


    Ich möchte diese Erfahrung nicht kleinreden. Sie sind und waren für mich ein erstes sicheres Zeichen, dass die Lehre des Buddha auf realen Erfahrungen beruht, die alle Menschen machen können. Sie sind nach meiner Sicht ein wichtiges, erstes Zwischenziel auf dem Weg.


    Das Erwachen wird in den buddhistischen Schriften ganz eindeutig als vollständige Versiegen von Gier, Hass und Verblendung bezeichnet. Der Weg dorthin führt über Konzentration, Meditation und Kontemplation, das heißt von am eigenen Leben erfahrener, zutiefst verstandener und in Denken, Sprechen und Handeln real gewordener Erkenntnis.


    Du beschreibst die ersten Schritte zur Erlangung eines Werkzeugs, das diese Form von Erkennen der Wirklichkeit möglich machen kann. Das Werkzeug ist die Meditation – genauer Shamatha und Vipashyana. Die Erkenntnis und reale Erfahrung der Wirklichkeit führt dann irgendwann am Ende des Weges zum vollständigen Versiegen von Gier, Hass und Verblendung, indem die Vergänglichkeit und Leidhaftigkeit aller Phänomene nicht nur verstanden, sondern auch gesehen wird, ebenso wie die Abwesenheit eines transzendenten, ewigen, unabhängig bestehenden Ichs und die Leerheit aller Erfahrungen und Dinge. Das ist etwas wirklich Großes.


    Eine Gefahr, wenn ich ohne Lehrer oder ohne die Beschäftigung mit den Schrift gewordenen Erfahrungen früherer Lehrer den Weg zu gehen versuche, ist zu glauben, ich hätte das Ziel schon erreicht, weil ich einen besonderen Zustand erlebt habe. Die Erfahrung, die Du zu beschreiben scheinst, habe ich auch zuerst für das Erwachen gehalten. Nun sehe ich, dass ich eigentlich "nur" ein Tor gefunden habe, das zum Erwachen führen kann – oder um eine andere Metapher zu bemühen – den Eingang zum Kaninchenbau, dessen Tiefe ich nicht einmal erahne.


    Ich fand das anfangs eher ernüchternd. Aber Ernüchterung folgt eben immer auf einen Rausch.


    Im Zen liegt beides, Rausch und Ernüchterung, nahe, vielleicht näher als bei anderen buddhistischen Wegen, da Zen als der direkteste Weg gilt. Das Erwachen immer wieder verwirklichen, indem man nur sitzt und die unmittelbare Erfahrung der Gegenwart ihre Wirkung tun lässt, ohne intellektuelle Konzepte darüber zu stülpen. Eine sicher gute Sache. Zen liegt mir auch am meisten. Dieser direkte Weg birgt aber auch die Gefahr, einen schönen Aussichtspunkt für das Ziel zu halten, weil man die Landkarte nicht kennt, und nicht weiß, wo man sich tatsächlich befindet. Ein Gespräch mit einem Zenmeister oder aber die Beschäftigung mit den Schriften kann diesen Irrtum auflösen. Jedenfalls bei mir war das so.


    In Sachen Kinder: Kinder sind keine erwachten Wesen. Ich weiß nicht, ob Du Kinder hast oder Dich Deiner eigenen Kindheit in all ihren Facetten erinnerst. Vielleicht war ich fünf Jahre alt, als ich mir ein Gokart zum Geburtstag gewünscht hatte. Ich bekam aber ein Dreirad. Ergebnis: Ich wurde unglaublich wütend, habe geheult und war furchtbar enttäuscht. Der vorprogrammierte Streit mit meinen Eltern tat ein übriges, dass es mit richtig schlecht ging. Nach dem vollkommen Versiegen von Gier, Hass und Verblendung fühlte sich das jedenfalls nicht an. Wenn ich meine Tochter bei ihrem Leben beobachte, so ist auch sie, seit sie auf der Welt ist, wie alle Wesen durch die drei Geistesgifte geplagt – auch wenn sie noch nicht so blind und stumpf ist, wie ich mich zuweilen fühle, wenn mich die Erwachsenensorgen plagen.


    Der Buddhaweg ist ein langer, mühevoller und zutiefst lohnender Weg mit vielen schönen Erlebnissen auf der Reise. Ein Blick auf die Landkarten hier und da lohnt sich in jedem Fall, um Sackgassen oder Holzwege zu vermeiden.