Hier eine rührende Geschichte von Omori Sogen, von dem ich demnächst seine Einführung in die Zen-Übung herausbringe. Omori war einer vom alten Schlag - ein mir bekannter Übersetzer kannte ihn noch persönlich und sprach von einer entsprechenden Präsenz, wenn er im gleichen Raum war. Diese Geschichte stützt voids Anliegen.
"Seisetsu Roshi, der früher mein Lehrer war, trat im sechsundzwanzigsten Jahr des Meiji (1893) im Alter von siebzehn Jahren in den Tenryu-ji ein. Im Frühjahr des folgenden Jahres, als er nach einem Jahr Ausbildung im Kloster in sein Haus in Tajima zurückkehrte, besuchte er als erstes seinen früheren Lehrer, Priester Hokuin, im Shobo-ji. Er erzählte ihm von vielen Dingen, die seit seinem letzten Besuch geschehen waren. Priester Hokuin, der ihm mit großer Genugtuung und Interesse zuhörte, fragte ihn plötzlich: „Übrigens, wie heißt dein Lehrer im Kloster?“
„Nun, er wird Priester Gasan genannt.“
„Oh, Gasan? Das ist ein unbekannter Name. Jedenfalls muss er ein junger Priester sein. Wessen religiöser Erbe ist er?“
„Es tut mir leid, dass ich es nicht weiß.“
Der achtzehnjährige Seisetsu wusste nichts davon, und so antwortete er aufrichtig. Aber Priester Hokuin schaute traurig und sagte: „Was? Du kennst nicht einmal die religiöse Abstammung deines Lehrers? Was für eine Art von religiöser Disziplin hast du denn durchgemacht? Ich habe mich noch nie so unglücklich gefühlt.“ Als er dies sagte, weinte er, obwohl er ein erwachsener Mann war."
In diesem Kapitel rät Omori, nur einen Lehrer zu wählen, der authentisch bestätigt wurde. Zitiert wird u. a. auch Hakuins Top-Nachfolger Torei Enji:
„Schüler behaupten fälschlicherweise, dass ihre gegenwärtige Situation ein Beweis für ihre Erleuchtung sei. Aus diesem Grund ist die Zahl derer, die in die böse Gruppe der Verblendeten fallen, nicht gering.“
Schön, aber was, wenn einem der eigene Verstand sagt, dass die Lehrer verblendeter sind als man selbst? Schon schließt sich wieder der Kreis zum nötigen Glauben, den es braucht, um sich dann doch irgendeinem Lehrer anzuvertrauen oder gar unterzuordnen, unter der Voraussetzung, dass man an sich selbst entsprechend zweifelt - was nur bedingt empfehlenswert ist.
Nun kommen wir zum anderen hier angesprochenen Problem, das mich auch bei der Lektüre solcher Texte befällt: Was glaubt denn so ein Zen-Lehrer. einem Nicht-Dauersitzenden voraus zu haben (Omori war da als Rinzai kaum von Dogen zu unterscheiden, nur im Detail)? Was glauben die Adepten, dass er/sie einem voraushat? Diese Frage habe ich für mich schon bei meinem ersten Sesshin bei einem Osho von Joshu Sasaki beantwortet. Und die Antwort ist heute noch die Gleiche: Nichts, wenn ich mich bemühe, die damit verbundenen Fähigkeiten und Charaktereigenschaften selbst einzuüben, auf WELCHEM WEG AUCH IMMER. Ich finde es natürlich bei dem Meister in der Linie, auf die ich mich nun häufig beziehe, nämlich Joshu Sasaki, sehr bemerkenswert, dass er selbst im Sterbeprozess laut einem Anwesenden nicht gestört werden wollte (durch medizinische "Eingriffe") und das vlt. sogar noch durch Manipulation seiner "Flatline" auf dem Bildschirm (laut einem Video von Shozan Jack Haubner) deutlich machte. So möchte ich auch sterben können. Allerdings - ich würde mich dafür nicht einmal in zehn Sesshin setzen, weil ich davon ausgehe, dass der Aufwand in keinem Verhältnis zum relativ kurzen, endgültigen Sterben steht. Was also genau ist die Frucht dieser dauernden Quälerei und Askese?
Es ist ja klar, dass der Zenpriester seinen Weg verabsolutiert, weil zu ihm ständig die Bedürftigen kommen, für die er Hilfestellung parat hat. Aber wie beim Arzt, der auch wissen muss, dass außerhalb seiner Praxis womöglich mehr Gesunde als Kranke sind, sollte der Zenmeister nicht den Blick dafür verlieren, was draußen so alles möglich ist. Und was drinnen tatsächlich geschieht. Nämlich all die ganz normalen Verfehlungen, die wir auch von draußen kennen. Nun kann man, wie es Qualia andeutet, auch davon lernen, aber es braucht m.E. kein eigenes Zen-Szenario, um all die klesha/Befleckungen zu studieren, die möglich sind.
Also benötigt man im Allgemeinen weder für die Erkenntnis des "Wahren" noch des "Falschen" unbedingt den Zen-Lehrer oder gar das Zazen. Das ist doch ganz offensichtlich. Selbst Omori Sogen befindet sich da teils in einer Rhetorik von inner-religiösen Zirkelschlüssen, wie sie auch z. B. für Muho sich immer deutlicher herauskristallisiert, um einen aktuellen Lehrer zu nennen.
Insofern begrüße ich Entwicklungen, wie sie lubob beschreibt (Hierarchien abflachen usw.). Der Meister hat ausgedient. Im Grunde geht es mir darum, dass ALLE Meister in der traditionellen Funktion ausgedient haben, wenn sie nicht mindestens irgendein sagenhaftes Niveau wie das von Omori Sogen, Harada Roshi oder Sasaki (sicher Geschmackssache) erreichen. Alle anderen bringen es nicht, und da ist leider oft auch das echte Dharma-Siegel kein Anlass zur Freude.
Was ich den unterschiedlichen Positionen hier entnehme ist also, dass es vlt. besser wäre, nur noch über die Inhalte der Lehrer zu diskutieren statt über ihren "Schein" (im doppelten Sinn) und dabei völlig rücksichtslos auch gegen ihre möglicherweise offiziellen Titel zu sein.
Interessanterweise meinte Omori noch in seinen Kommentaren zu den Ochshirt-Bildern, die allermeisten kämen sowieso nur zu dem, was in Bild 3 oder höchstens 4 gemeint ist - den Ochsen (Wahres Selbst) sehen oder fangen. Nicht aber: Zähmen.
Da könnte was dran sein.