Beiträge von Igor07 im Thema „Ärger, Wut und Ohnmacht“

    Vielleicht verstehe ich das Wort "Liebende Güte" falsch.

    @Timi .


    Die liebende Güte ist eher unpersönlich. Anders ausgedrückt: Uns alle verbindet dasselbe Schicksal – egal ob Mörder oder Heiliger –, wir sind vergänglich und werden sterben. Diese innere Verbundenheit mit allen lebendigen Wesen, die leiden, wird technisch gesprochen als paṭicca-samuppāda bezeichnet – das Prinzip des bedingten Entstehens –, ähnlich dem Modell des holografischen Universums.

    Erzwingen kann man diese Erkenntnis nicht. Sie entsteht nur dann, wenn der Mensch die drei Daseinsmerkmale direkt wahrnimmt: dass alles vergänglich ist, schwer zu ertragen (oder auf Deutsch "leidhaft") und ohne einen inneren Kern. LG.

    Igor07

    Vielen Dank, das war sehr hilfreich. LG

    Ich lese dich schon lange in diesem Forum . Oft ist es schwer zu verstehen, was zwischen den Zeilen steht – welche Motive und Beweggründe mitschwingen. Die Sprache wirkt eindimensional, während die innere Welt vielschichtig und schillernd ist. Kein Wort kann sie je vollständig wiedergeben.

    Ich kann dir erzählen, was mir hilft: In meinem Inneren erschaffe ich eine Oase der Stille, einen Raum der Ruhe. Es ist wie ein Ozean – tief in seinem Innersten herrscht völliger Frieden, während an der Oberfläche der Sturm tobt.

    Dann stelle ich mir vor, dass jede Welle nichts anderes ist als ein sich selbst vergessener Tropfen, der verzweifelt nach dem Wasser sucht – nicht ahnend, dass er selbst Wasser ist. Und so kann ein Tropfen verdursten, obwohl er Teil des Meeres ist. Eine kleine Allegorie, die mich begleitet.

    Alles Gute für dich! :taube:

    Ich will ja nicht fundamental widersprechen aber Einsicht und Einübung korrelieren durchaus. Und so kann man - ohne Einsicht - auch mal mit der Übung beginnen und dann mag die Einsicht leichter fallen, oder andersrum mit der Einsicht starten; die ist aber nur durch die Übung zu vollenden.

    Ich möchte mich noch einmal kurz einschalten und eine Frage stellen: Warum übe ich überhaupt? Welchen Sinn hat das alles für mich? Ich möchte es so erklären, dass es jeder verstehen kann.

    Die Ereignisse in der Welt liegen außerhalb meines Einflusses. Der Krieg im Zentrum Europas geht weiter, und die USA haben den russischen Präsidenten nun als besten Freund – zwei narzisstische Diktatoren ohne Skrupel und Gewissen verstehen sich eben gut. Man könnte diese Liste globaler Probleme endlos fortsetzen. Die AfD wird immer stärker, und was das für unser Land in einigen Jahren bedeutet, darüber sollte man lieber nicht zu viel nachdenken – es bringt ohnehin nichts.

    Ein normaler Mensch kann auf all das nur mit Ärger, Wut und Ohnmacht re-agieren. Doch der Buddhismus lehrt uns, bewusst und angemessen zu handeln, a-gieren, ohne von unseren eigenen Konditionierungen verblendet zu sein. Es geht darum, diese Ohnmacht nicht weiter zu nähren.

    Wenn der erste Pfeil – der Schmerz – unvermeidlich ist, dann liegt es in meiner Macht zu entscheiden, ob ich mir selbst den zweiten Pfeil abschieße. Manchmal ist das wirklich das Einzige, was ich kontrollieren kann. Ansonsten folge ich dem Gelassenheitsgebet:

    „Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,

    den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,

    und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“

    Man muss nicht unbedingt an Gott glauben, aber an das Gute in der Natur des Menschen – so wie an die Buddha-Natur. Meiner Meinung nach ist das essenziell, um sich in unserer turbulenten Zeit nicht von destruktiven Emotionen und Gedanken versklaven zu lassen. Es geht um innere, existenzielle Freiheit.

    Der Buddhismus sagt, man sollte mit seiner Handlungen anderen Menschen nicht schaden.

    @Timi .

    Der Buddhismus sagt, dass ich nur meine eigene innere Ein-Sicht oder meine eigene Einstellung ändern kann, aber nicht die der anderen Menschen. Wenn ich das klar erkenne, entsteht Mitgefühl – sogar gegenüber denen, die mir absichtlich schaden.

    Liebende Güte ist, anders ausgedrückt, das Ergebnis der Einsicht, also der inneren Erfahrung – ansonsten würde sie niemals funktionieren. LG.

    Das sind ja nichts anderes als ein Teil der nivaranas - und diese gilt es hinter sich zu lassen. Wenn also solche Gefühle aufsteigen, dann nimmt man es wahr. Aber man agiert sie nicht aus, weil man sich dessen bewusst wird.

    Und:



    Ich halte nichts Emotionen zu unterdrücken. Denn das bringt nur mehr Dampf im Kessel.

    Ich kann es mir leider nicht verkneifen, dies kurz zu kommentieren. Wenn ein Mensch voller Ärger, Wut oder Ohnmacht ist und keine Möglichkeit hat, diese Gefühle abzureagieren, können psychosomatische Störungen entstehen. Diese aufgestaute Energie sucht nach einem Ventil, das bildlich gesprochen den Druck entweichen lässt. In solchen Fällen wäre es besser, sich mehr zu bewegen und sich zu erden. Dadurch könnte sich diese Energie verteilen und schließlich auflösen.

    Natürlich ist es eine fortgeschrittene Stufe, wenn der Praktizierende Ärger oder Wut als vorübergehende innere Regungen (Phänomene) beobachtet, die entstehen und vergehen, ohne sich damit zu identifizieren. Diese Gefühle gehören einem nicht wirklich. Dieser Prozess kann jedoch sehr schmerzhaft sein und sogar in Elend enden. Oder aber man würde erwacht – tja, erleuchtet! Lol … War das ein Scherz, oder?

    Das Gefühl der Ohnmacht ist in unserer Zeit besonders gut nachzuvollziehen. Doch ich mache mir stets bewusst, dass alles entsteht und vergeht. Ich kann den Lauf der Natur nicht ändern – so wenig wie andere Menschen, seien sie Heilige oder Schurken. Das Einzige, was ich beeinflussen kann, ist meine innere Haltung.

    Was uns alle auf dieser Erde verbindet, ist unser Leiden – und die unumstößliche Gewissheit, dass wir eines Tages sterben werden. Wir wissen nur nicht, wann. Nichts können wir absolut mitnehmen; am Ende bleiben nur Staub und Asche.

    Gerade deshalb lohnt es sich, dem Weg des Dharma zu folgen. Denn dieser Tag, ja vielleicht sogar diese Stunde, könnte die letzte sein.