Beiträge von Benkei im Thema „Nichiren und das Reine Land“

    Namaste!

    Tatsuo:

    Die begabten Menschen können ichinen sanzen verstehen und somit die Buddhaschaft in diesem Leben verwirklichen. Andere, so Nichiren, die weniger begabt sind, verstehen nicht den Kern des Lotos Sutras, können allerdings tiefen Glauben entwicklen und somit im nächsten Leben in das Reine Land des Adlergipfels wiedergeboren werden. Die Wiedergeburt im Reinen Land des Adlergipfels ist dabei allerdings nicht gleichzusetzen mit der Buddhaschaft, sondern eher mit der Ebene eines Bodhisattvas (ähnlich wie im Reinen Land Buddhismus), da die Wiedergeburt im Reinen Land noch eine Phase als Schüler des Buddhas beinhaltet. Nichiren erklärt in dem Hokke shoshin jobutsu-sho (jp. 法華初心成仏抄; Die Verwirklichung der Buddhaschaft durch den anfänglichen Glauben), dass denjenigen, die in dem Reinen Land wiedergeboren werden dort das Lotos Sutra dargelegt wird, wodurch sie letztlich die Buddhaschaft erlangen.


    Meinen Dank für den Link.


    Ich werde mal schauen, ob ich den Text in Deutsch in meinen vier Gosho-Bänden finde. Ein Kapitel "Die Verwirklichung der Buddhaschaft durch den anfänglichen Glauben" ist darin wohl nicht enthalten; vielleicht anders übersetzt?


    Anscheinend wird die deutsche Gosho momentan von der SG-D überarbeitet. Von der überarbeiteten Gosho ist bislang nur Band 1 erschienen und die alten Bände werden gar nicht mehr angeboten?!


    Gibt es die Gosho eigentlich schon vollständig in Englisch übersetzt? Wenn ja, wie viele Bände sind das dann?


    < gasshô >


    Benkei

    Namaste!

    Tatsuo:

    Ich denke, dass das Reine Land des Adlergipfels nicht nur eine Metapher für die Verwirklichung der Buddhaschaft in diesem Leben ist und ich konnte auch bis jetzt keine Stelle in Nichirens Schriften oder wissenschaftlichen Artikeln zu dem Thema finden, die diese Interpretation nahe gelegt hätte.


    Ob Nichiren das Reine Land des Geiergipfels nun als Metapher/Upaya ansah oder nun selbst an eine "sonst wie geographische" bzw. "sonst wie physische", nachtodliche Existenz in einem solchen Paradies glaubte, wird schwerlich zu belegen sein.


    Ich muss vorab zugeben, dass ich von seinen hinterlassen Schriften bislang noch nicht viele gelesen habe (von meinen vier Gosho-Bänden gerade mal das erste durchgelesen, und das ist auch schon ein paar Jährchen her).


    Allerdings sehe ich viele dieser Werke, insbesondere die Briefe an einzelne Gläubige, nicht als hinreichende Belege an, Nichirens eigene Glaubensvorstellungen zu repräsentieren. Gerade diese Briefe sind, wie auch viele andere religiöse Texte/Predigten, Lehren für eine bestimmte Zielgruppe, in einem bestimmten Kontext, in einer bestimmten Situation - also keineswegs universelle und repräsentative Lehren.


    Die Vorstellung eines "Reinen Landes des Geiergipfels", welches anderorts/-zeits existiert als im "Hier-und-Jetzt", widerspricht aus meiner Sicht klar der Doktrie von Ichinen Sanzen, welche ich gegenüber anderen Lehren schon als universell ansehe.
    Von diesen Doktrien her kann das "Reine Land des Geiergipfels" eigentlich nur als Synonym für die Zehnte Welt -also die Buddhaschaft- verstanden werden.


    < gasshô >


    Benkei
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    Zum Begriff "Ichinen Sanzen" hier eine kurze Übersetzung von der Seite Buddhist Centre Namo-Myoho-Renge-Kyo:
    "Im Buddhismus gibt es ein Konzept welches Ichinen Sanzen genannt wird. Dies ist das Prinzip, das jeder Moment des Lebens [Ichinen] alle 3000 möglichen Welten beinhaltet. 'Ichinen' beinhaltet Lebensessenz und 'sanzen', die Phenomene, welche sie manifestiert. Dieses Prinzip, welches im Lotos Sutra enthalten ist, wurde von dem chinesischen Meister T'ien Tai auf der Basis des Lotos Sutra entwickelt. In jedem Moment erfährt das Leben eine von zehn Lebensstadien, welche "Die Zehn Welten" genannt werden. Jede dieser "Welten" beinhaltet das Potenzial für alle Zehn Welten in sich selbst, was 100 mögliche Welten ergibt. Jede dieser 100 möglichen Welten beinhaltet zehn Faktoren. Die zehn Faktoren sind Prinzipien um die Wesenheit des Lebens und sein Wirken zu klären; sie beinhalten: Erscheinung, Natur, Substanz, Kraft, Funktion, Ursache, Bedingung, Auswirkung, Ergebnis und Folgerichtigkeit vom Anfang bis zum Ende.
    Letztlich sind alle Wesen verschieden von allen anderen, was durch die Drei Reiche der Existenz, welche Individuum, Gesellschaft und Umwelt beinhalten, ausgedrückt wird. Das Individuum besteht aus den Fünf Aggregaten, nämlich Benennung, Vorstellung, Wille, Bewusstsein und Form. Das Wesentliche ist das Dasein. Dasein ist weder Existenz noch Nicht-Existenz und steht in direktem Kontakt mit der Wahren Wesenheit."


    Ich hoffe meine schnelle Übersetzung ist nicht allzu schlecht. Nach kurzer Recherche zum Begriff 'Ichinen Sanzen' befand ich den vorgenannten Text als kurzen Umriss doch recht treffend.


    Die "Zehn Welten" sind übrigens: Hölle, Hunger, Animalität, Ärger, Ruhe, Vorübergehende Freude, Lernen, Teilerleuchtung, Bodhisattvaschaft und Buddhaschaft. Die ersten sechs Welten entsprechen den Sechs Daseinbereichen in der geänderten Reihenfolge: Hölle, Pretas, Tiere, Asuras, Menschen und Devas; die letzten vier Welten entsprechen: Sravaka, Pratyekabuddha, Bodhisattva und Buddha.

    Namaste!

    Tatsuo:
    thecap:


    Das Reine Land ist einigen Praktizierenden eine Aspiration; es wird aber nicht als höchstes Ziel angesehen, weil es vergänglich ist.


    Das Reine Land Sukhavati/gokuraku jodo ist eben genau das nicht. Als Reines Land, das durch den Buddha Amida geschaffen wurde, der unendliches Leben besitzt, ist dieses Land aufgrund seiner Gelübde nicht vergänglich.


    Sukhavati ist zwar nach den Sutren des Reinen Landes nicht vergänglich, allerdings ist es doch nie das höchste Ziel:
    Man will ja gerade "dorthin geboren werden" (ich beziehe mich hier auf die "nicht-Shinran'sche Sichtweise"), damit man dort Belehrungen von Amida erhält und mit ihm zusammen praktizieren kann um dann "von dort aus" das Nirvana -das letztliche Ziel- zu erlangen.


    < gasshô >


    Benkei

    Namaste!

    Ryonin:

    Für mich weisst auch das Lotossutra auf die Unbegrentztheit des Seins (was man ja auch mit den begriff Amitayus ausdrücken kann) hin. Wird das Kapitel (Die Lebensdauer des Tathagatas) nicht täglich rezitiert?


    Ja.
    Sowohl in den Nichiren-Schulen wie auch in der Tendai-Shu gehört der Versteil des 16. Kapitels zur täglichen Andacht.
    Auch in der Soto-Shu gehört dieser Text zur Auswahl der Sutren für die Morgenandacht (wechselt sich meist mit dem "Universelen Tor des Avalokiteshvara"-Kapitel des Lotos-Sutra ab).


    < gasshô >


    Benkei

    Namaste!

    Tatsuo:

    Ich denke nicht, dass Nichiren das Reine Land des Adlergipfels wirklich als upaya ansehen würde. Dagegen spräche sicher, dass von dem Reinen Land im 16. Kapitel des Lotossutras gesprochen wird. Nach der Interpretation aus Sicht des Tendai, aber auch Nichirens, ist das 16. Kapitel das "Ursprungstor" (jp. honmon) des Lotossutras; es ist also die reine Lehre des (Ur-)Buddhas und somit völlig frei von upaya.

    Die Hauptaussage des "Myoho-Renge-Kyo: Nyorai juryohon"-Kapitels (16. Des Tathagata Lebensdauer) ist meines Erachtens nicht die Veranschaulichung des "Reine Land des Geiergipfels", sondern die Klarstellung, dass Shakyamuni nicht erloschen und vorüber ist, sondern noch immer wirkt. Das "Paradies des Geiergipfels" sehe ich darin als Metapher, wie schon gesagt, für das Parinirvana; vielleicht auch als Utopie für ein besseres mögliches Dasein im hier und jetzt - und von der Warte aus reel.


    Die Sichtweise, dass ein unverstörbares, physisches Paradies existiert, dass ähnlich ist, wie es wörtlich im Sutra beschrieben ist, sehe ich als Upaya an - allenfalls als vorübergehende Auffassung, die vermittelt wird, um die Menschen zum Dharma zu führen.


    Tatsuo:

    Zu dem Reinen Land des Adlergipfels hab ich noch folgendes Zitat gefunden:
    [Aus Sicht Nichirens gilt:] "Amidas Sukhāvatī, Maitreyas Tuṣita-Himmel usw. sind nichts anderes als hōben [sk. upaya] für diejenigen, die zum Lotus-Sūtra keine karmische Beziehung (kechi' en 結縁) haben. Sie existieren nicht wirklich und das einzig wahre Reine Land ist die Welt, in der Śākyamuni erschien, um seine Lehre zu verkünden. Der Ort, an dem der wahre Lotus-Anhänger wiedergeboren zu werden wünscht, ist daher das Reine Land des Geierbergs (ryōzen jōdo 霊山浄土) in einem übergeschichtlichen Sinne" (Kleine: Honens Buddhismus des Reinen Landes: Reform, Reformation oder Häresie?, 1996, S. 270 f.)


    Das spricht m.E. eher dafür, dass das Land des Adlergipfels (oder Geiergipfel, was näher an dem Sanskrit-Namen des Berges Griddhkuta angelehnt ist), real erfahrbar ist und nicht nur ein upaya ist.


    Die Paradiese/Reinen Länder anderer Buddhas und Sutras als Upaya zu bezeichnen war zur Zeit Nichirens gängige Praxis. Das kennt man ja auch von Honen Shonin, der ebenfalls Sukhavati als einzig lohnendes Reines Land und Amida Butsu als einzig sinnvollen Buddha für die Verehrung ansah.


    Nichiren verstand sich ja quasi als Wiederhersteller von Tendai Chigis bzw. Dengyo Daishi Saichos Lehren im Mappo Zeitalter, und als solcher räumte er natürlich dem Lotos Sutra den höchsten Stellenwert ein. Für ihn bestand die einzige Möglichkeit zur Errettung in dieser degenerierten Epoche im Lotos Sutra, so dass es aus seiner Sicht keinen Sinn mehr machte, die übrigen Sutras gründlicher zu studieren oder gar deren Praktiken auszuüben und deren Buddhas zu verehren oder ihnen hohen Stellenwert einzuräumen.


    Zitat

    [...]das einzig wahre Reine Land ist die Welt, in der Śākyamuni erschien, um seine Lehre zu verkünden.


    ... und das ist diese Welt.


    Zitat

    Der Ort, an dem der wahre Lotus-Anhänger wiedergeboren zu werden wünscht, ist daher das Reine Land des Geierbergs (ryōzen jōdo 霊山浄土) in einem übergeschichtlichen Sinne"


    Ich denke der Lotus-Anhänger strebt nach Verwirklichung in diesem Leben und schafft damit das Reine Land des Geiergipfels in einem übergeschichtlichen Sinn - im Hier und Jetzt.


    Tatsuo:

    Kurz nebenbei, weil es hier nicht hin gehört: Es ist ziemlich umstritten, ob Shinran das Reine Land Amidas als upaya bezeichnen würde. Ich denke nicht, dass Shinran so weit ginge. Für seinen Lehrer, Honen, dagegen ist es ziemlich klar, dass er das Reine Land als ein Ort verstand, in den man nach dem Tod hingeboren wird.


    Vielleicht habe ich mich etwas unverständlich ausgedrückt.
    Ich sehe nicht die jeweiligen Reinen Länder als Upaya an, sondern die Beschreibungen, die von ihnen in den Sutren wiedergeben werden.


    Von der Warte aus verstand Shinran die "Drei Sutren des Reinen Landes" bestimmt nicht wörtlich; bei Honen bin ich mir nicht ganz schlüssig, obwohl er bestimmt auch kein physisches, örtlich definierbares Paradies vor Augen hatte.


    < gasshô >


    Benkei

    Namaste!

    Tatsuo:

    Wie kommt es, dass jemand, der bereits in diesem Leben die Buddhaschaft erlangt hat, dennoch in einem Reinen Land wiedergeboren wird um dort die Lehre zu hören, die er ohnehin schon verwirklicht hat? Mit scheint es, als ob die Funktion des Reinen Landes bei Nichiren nicht zweckorientiert ist, wie es in der Jodo Tradition ist (um die Buddhaschaft zu erlangen um dann das Reine Land zu verlassen und den Lebewesen aller Existenzbereiche zu helfen), sondern mehr am Genuss der Buddhaschaft orientiert ist.


    Ich denke, das "Reine Land des Adlergipfels" ist ebenso wie Amitabhas "Sukhavati" als Upaya ("Geschicktes Mittel") zu verstehen, und soll hier den Frieden des Parinirvanas verdeutlichen. Aus meiner Sicht soll hier kein reeler, nachtodlicher Ort beschrieben werden, sondern eine Metapher für den Frieden und die Erfüllung, die dem Wegübenden winken.


    In Volker Zotz' Vorwort zu Takamaro Shigaraki's "Sogar der Gute wird erlöst, um wie viel mehr der Böse", heißt es in diesem Zusammenhang:

    Zitat

    "Die Lehre der Prajnaparamitasutras, das "Gestalt nicht verschieden von Leerheit" sei, ein konstituierendes Element des Mahayana, begegnet uns damit auch in der mythischen Sprache des Amitabha-Kults. Das Land des Buddha, das in seiner vom Sutra* dargestellten Konkretheit zunächst als Widerspruch zum Nirvana wirkt, erweist sich dem tieferen Blick gerade zu als Metapher dafür.
    [...]
    Obwohl das Bild vom Land Amitabhas durch die Schilderung der reichen Lebensumstände mit allem, was man nur erträumen mag, den Massen auf ein erstrebenswertes Jenseits deutet, widersprach es dem gelehrten Mönch durch die implizierten Negationen nicht dem Erlöschen (Nirvana) als letztem Ziel. Amitabha und sein Reich dienten im Sinne des Mahayana als geschickte Mittel (upaya), um Menschen auf den Weg der Befreiung zu führen."
    * hier: das Längere Sukhavatiyuhasutra


    < gasshô >


    Benkei