Beiträge von Benkei im Thema „Verdunklung statt Erleuchtung“

    Namaste!

    Milou:

    Das plötzlich Erkennen, wie gewaltig der angesammelte Haufen Mist ist, den man vor seiner Haustür liegen hat (stammt von Ajahn Brahm) kann einen schon überwältigen. Je nach persönlicher Konditionierung holt man sich dann die Mistgabel - oder man gibt auf.


    Shinran Shonin [Gründer der japanischen Jôdo Shinshû-Tradition des Reinen Land-Buddhismus] betrachtete sich selbst als "dummes Wesen voll von blinden Leidenschaften, welches seit anfangloser Zeit schlechtes Karma ansammelt und unfähig ist irgendeine gute Tat zu vollbringen". Aber selbst diese Erkenntnis, diese Einsicht, bewirkte bei ihm letztlich kein Aufgeben, sondern er gelangte zu der Gewissheit, von Buddha gerettet zu sein - hier und jetzt im Reinen Land zu leben.


    Milou:

    Das letztere war nie mein Weg, aber den Weg anzuschauen, den man noch vor sich hat, kann einen gewaltig einschüchtern. Man muss es wohl mit den Chinesen halten, die so oder so ähnlich sagen:

    Zitat

    Auch eine Lange Reise beginnt mit dem ersten Schritt.


    Der Weg, den man vor sich hat, ist letztlich nur ein Konzept!
    Lang - kurz,
    steil - gerade,
    steinig - eben -
    alles nur zwei Seiten derselben Münze, die man "falsche Anschauungen" nennt!


    Im "Sandokai" heißt es:
    Wenn du den Weg direkt vor dir nicht verstehst,
    wie willst du ihn beim Gehen erkennen?
    Vorankommen ist keine Frage von fern oder nah,
    aber wenn du verwirrt bist, so versperren Berge und Flüsse deinen Weg.


    Meister Hakuin sagt:
    Wahrlich, was könnte noch fehlen?
    Nirvâna ist hier, vor unseren Augen!
    Dieser Ort ist das Reine Land,
    Dieser Körper ist der Buddha!


    Meine Entschuldigung für diesen vielleicht sinnlosen Zen-Exkurs ;)


    Einen schönen Ostersonntag!
    < gasshô >


    Benkei

    Namaste & frohe Ostern!


    Hallo Milou,

    Milou:

    bei den von Dir beschriebenen Zusammenhängen wäre es also in gewisser Weise gefährlich, nach Erleuchtung zu streben, ohne Unterstützung eines Profis.


    Darauf wollte ich eigentlich nicht hinaus.
    Meine These ist eher, dass man eine Erwachenserfahrung besser "verarbeiten", sprich: zum positiven "wenden" kann, wenn man sich vorher mit der Thematik auseinandergesetzt hat.


    Beispiele:
    - Ein Zen-Mensch (ob er nun mit oder ohne Lehrer praktiziert) wird eine Erwachenserfahrung wohl entweder als Kenshô erkennen, oder sie vielleicht als Täuschung abtun.
    - Ein Praktizierender des tibetischen Buddhismus wird diese Erfahrung vielleicht als "Schau von Rigpa" erkennen.
    - Ein Theist wird der Erfahrung vielleicht den Namen "Gegenwart Gottes" oder "göttliche Eingebung" geben.


    Aber darüber hinaus: wenn man bei der Erfahrung gerade (s)einen (verwirklichten) Lehrer parat hat, kann das natürlich ungemein nützlicher sein.


    Milou:

    Wenn man aber der Meinung ist, dass man leidet und sich dann dem Buddhsimus zuwendet, um sich davon zu befreien, kann es sehr schnell passieren, dass man plötzlich erst merkt, wie sehr man wirklich leidet, d.h. dass das Leiden wesentlich umfassender ist, als man bisher gedacht hat (Verdunklung).


    Das klingt für mich, als wenn das Leiden erst durch die Beschäftigung mit dem Buddhismus zugenommen hätte...

    Das ist wahrscheinlich eine Herangehensweise an die Vier Edlen Wahrheiten, die den Schwerpunkt zusehr auf die erste Edle Wahrheit - "das Leiden" legt.
    Die Edlen Wahrheiten sind aber Vier! Und der Hauptaspekt ist wohl die vierte Edle Wahrheit, also der Weg, der zur Aufhebung des Leidens führt, der Edle Achtfache Pfad der in der Mitte liegt.
    Sein Hauptaugenmerk auf das Leiden zu legen, ist aber keinesfalls der Mittelweg, sondern ein Extrem, welches es zu vermeiden gilt.


    Wenn mich jemand mit akuten Problemen fragen würde, ob der Buddhismus eine Lösung anbietet, dann würde ich wohl zuerst einmal daraufhinwirken, dass die akuten Probleme bereinigt werden. Danach kann man sich dann intensiver mit dem Dharma beschäftigen.
    Für die Lösungen kann man natürlich bereits buddhistische Techniken anwenden:
    - Was ist das Problem (Leiden)?
    - Was ist die Ursache für das Problem?
    - Wie kann das Problem aus der Welt geschafft werden?
    - Was muss ich ganz konkret tun, um das Problem aus der Welt zu schaffen?


    Die ganze Masse von philosophischen Anschauungen der einzelnen buddhistischen Schulen, Konzepte wie Nicht-Selbst, Nur-Geist, Anatman, Vergänglichkeit usf., können einem Menschen mit ernsthaften Problemen bestimmt viel weiteren Schaden zufügen. Es kommt wohl nicht von ungefähr, dass der Buddha oder die großen Meister solche Lehren nicht zu jeder Gelegenheit lehrten.


    < gasshô >


    Benkei

    Namaste!


    Hallo Milou,


    eine äußerst tragische Geschichte!


    Ich würde das beschriebene Ereignis zwar nicht als "Verdunklung" oder "negative Erleuchtung" bezeichnen, bin aber (auch aus dem Erfahrungsbericht eines Mitsitzers) absolut davon überzeugt, dass es so etwas wie ein "negatives [Teil-]Erwachen" gibt!


    Das bedeutet dann quasi ein Kenshô zu erfahren, ohne dass man das spirituelle Hintergrundwissen, oder überhaupt eine Vorstellung von einer derartigen Erfahrung, hat.
    Man erhascht [ungewolltes Wortspiel] einen Eindruck von der Realität (DAVON), weiß diese Erfahrung aber nicht im positiven Sinn zu deuten und fällt praktisch in ein tiefes Loch, da das Leben nach diesem Erlebnis keinen Sinn mehr zu haben scheint.


    Ich denke aber nicht, dass wir hier von "umfassender Erkenntnis" sprechen können [im Zen wäre dass dann wohl Satori], sondern sozusagen "nur" (immerhin!) davon, einen "kurzen Blick hinter den Schleier" geworfen zu haben; der Schleier selbst wird danach wieder geschlossen und es bleibt nur die Erinnerung an den Blick, die der Betreffende nun freilich für sich interpretiert. Diese Interpretation kann dann auch negativ ausfallen (vor allem, wenn man sich noch nie mit dieser oder verwandten Thematiken beschäftigt hat und zu einer eher materialistischen Weltsicht tendiert), zumal es sich ja um eine essentielle Erfahrung handelt, welche das Potential besitzt, die Sichtweise des Erfahrenden vollständig über den Haufen zu werfen.


    Das "negativ" aus dem von mir gewählten Terminus "negatives [Teil-]Erwachen" würde sich folglich in erster Linie auf die Konsequenzen beziehen, welche aus der Erfahrung resultieren.


    Ich wünsche angenehme Osterfeiertage!
    < gasshô >


    Benkei