Beiträge von Nashorn im Thema „Sotapanna“

    Auszug aus dem Brief 25 vom 19. Mai 1963, von Nanavira Thera an Herrn Samaratunga.


    Über Sotapanna:


    Ein sekha (bhikkhu oder Laie), wie Sie ganz richtig sagen, ist ein sotápanna, ein sakadágámì oder ein anágámì, und das Wort „sekha“ bedeutet „einer in der Übung (um ein arahat zu werden)“. Wenn er ein sotápanna ist, hat er höchstens noch sieben menschliche Existenzen vor sich – er kann keine achte menschliche Geburt annehmen. Aber wenn er (als bhikkhu mit guter Gesundheit) sich jetzt in der Meditationspraxis bemüht, kann er sakadágámì, anágámì oder sogar arahat noch in diesem Leben werden. In diesem Fall reduziert oder streicht er vollkommen die Anzahl der verbleibenden Existenzen (als Mensch oder deva). Wenn er allerdings seine Zeit mit Arbeitsprojekten, Reden oder Schlafen zubringt, stirbt er vielleicht noch als sotápanna und muss bis zu sieben weitere menschliche Existenzen aushalten (von himmlischen Existenzen ganz zu schweigen). Daher sind diese Dinge so gesehen Hindernisse für den sekha: sie halten ihn davon ab, seine Ankunft bei arahattá zu beschleunigen, aber sie können seine letztendliche Ankunft nicht verhindern.


    Ich bin erfreut zu hören, dass es Sie schockiert, vom Buddha zu erfahren, dass ein sekha bhikkhu an Arbeit, Reden oder Schlafen Gefallen finden kann. (Ich entschuldige mich nicht dafür, unverblümt zu sprechen, weil (I) wenn ich es nicht tue, tut’s keiner und (II) wie gesagt, die Zeit kann knapp sein.)


    Ganz allgemein finde ich die Buddhisten Ceylons bemerkenswert selbstgefällig als Bewahrer und Erben der Buddhalehre und bemerkenswert unwissend in Bezug auf das, was der Buddha tatsächlich lehrte. Von ein paar gelehrten Theras abgesehen (die im Aussterben begriffen sind), sind die Inhalte der Suttas praktisch unbekannt. Diese Tatsache, in Verbindung mit der großen traditionellen Hochachtung vor dem Dhamma als Nationalerbe, hat die Buddhalehre in ein immens wertvolles antikes Objekt der Verehrung verwandelt, mit einer großen Hinweistafel davor, „NICHT BERÜHREN“. Mit anderen Worten, das Dhamma in Ceylon ist jetzt völlig von der Wirklichkeit abgetrennt (wenn Sie einen statistischen Beweis wollen, sagen Sie mir, wieviele in Englisch gebildete Hochschulabsolventen in Ceylon haben es für wert befunden, bhikkhus zu werden. Man geht wie selbstverständlich davon aus (bhikkhus und Laien gleichermaßen), dass es völlig ausgeschlossen ist, dass heutzutage irgendwelche sekha bhikkhus (oder Laien) in Ceylon herumlaufen. Die Leute können sich nicht mehr vorstellen, was für eine Art von Kreatur ein sotápanna denn nur sein könnte, und in der Folge schreiben sie ihm jede Art von Vollkommenheit zu – aber streiten ihm die Möglichkeit der Existenz ab.


    Ich wage zu denken, wenn Sie tatsächlich den ganzen Vinaya und die Suttas durchläsen, wären Sie entsetzt über einige der Dinge, zu denen ein sotápanna aus dem wirklichen Leben imstande ist. Als bhikkhu ist er zum Suizid fähig (aber auch ein arahat – ich habe bereits Beispiele zitiert); er ist in der Lage, alle geringeren Vinayaregeln zu brechen (M.48: I,324; A.III,85: I,231f.); er ist imstande, aus Sinnesbegierde zu entroben (z.B. der Ehrw. Citta Hatthisáriputta – A.VI,60: III,392-399): er ist (in gewissem Maße) zu Zorn, Übelwollen, Eifersucht, Geiz, Betrug, Verschlagenheit, Schamlosigkeit und Frechheit fähig (A.II,16: I,96). Als Laie ist er (im Gegensatz zur Volksmeinung) fähig, alle fünf Ethikregeln zu brechen (allerdings, sobald er das getan hat, sieht er seinen Fehler ein und leistet Wiedergutmachung, anders als der puthujjana, der damit einverstanden ist, es beim Bruch der Regeln zu belassen).


    Es gibt ein paar Dinge in den Suttas, die den Kommentator so sehr schockiert haben, dass er verpflichtet war, echt falsche Erklärungen dazu abzuliefern (ich denke vor allem an den Suizid des arahats in M.144: III,266 und Saláyatana Samy. 87: IV,55-60 und an den betrunkenen sotápanna in Sotápatti Samy. 24: V,375-377). Wozu der sotápanna absolut nicht in der Lage ist, ist folgendes (M.115: III,64f.):


    (I) irgendeine Gestaltung (sankhara) für beständig halten,


    (II) irgendeine Gestaltung für angenehm halten,


    (III) irgendein Ding (dhamma) für Selbst halten,


    (IV) seine Mutter töten,


    (V) seinen Vater töten,


    (VI) einen arahat töten,


    (VII) böswilllig das Blut eines Buddha vergießen,


    (VIII) den Orden spalten,


    (IX) einem anderen Lehrer als dem Buddha folgen.


    All dies kann ein puthujjana tun.


    Warum bin ich froh, dass es Sie schockiert zu erfahren, dass ein sekha bhikkhu am Reden (und Schlimmerem) Gefallen finden kann? Weil es mir die Gelegenheit gibt, darauf zu beharren, dass die Buddhalehre für Sie niemals zur Wirklichkeit werden kann, wenn Sie den sekha nicht auf den Boden der Tatsachen zurückbringen. Solange Sie damit zufrieden sind, den sotápanna außer Reichweite auf ein Podest zu stellen, kann Ihnen niemals einfallen, dass es Ihre Pflicht ist, selbst ein sotápanna zu werden (oder es zumindest zu versuchen), hier und jetzt, genau in diesem Leben; denn Sie werden es einfach als Axiom hinnehmen, dass es Ihnen nicht gelingen kann. Wie Kierkegaard es formuliert:


    Was in bezug auf das Allgemeine groß ist, darf daher nicht als Gegenstand der Bewunderung, sondern muss als Forderung dargestellt werden. (AUN, Bd.2, S.63)


    Das heißt, von Ihnen wird nicht verlangt, einen sotápanna zu bewundern, sondern selbst einer zu werden.


    Lassen Sie mich diese Sache noch anders illustrieren. Es ist möglich, dass Sie zur Zeit des Buddha als junger Mann in Indien lebten, und zur gleichen Zeit gab es da in einer Nachbarfamilie ein junges Mädchen, das zusammen mit seinen Eltern den Buddha lehren hörte. Und sie hat vielleicht die Lehre des Buddha verstanden und ist sotápanna geworden. Und vielleicht ist sie Ihnen zur Frau gegeben worden. Und weil Sie ein puthujjana waren, wussten Sie nicht, dass sie eine sekha war (denken Sie daran, ein puthujjana kann einen ariya nicht erkennen – ein ariya kann nur von einem anderen ariya erkannt werden). Aber auch wenn sie sotápanna war, könnte sie Sie geliebt haben, es geliebt haben, von Ihnen geliebt zu werden, Ihre Kinder zur Welt zu bringen, sich hübsch anzuziehen, Gäste zu unterhalten, Lustbarkeiten zu besuchen und sogar Gefallen daran zu finden, von anderen Männern bewundert zu werden. Und es wäre vielleicht ihr ganzer Stolz gewesen, zu arbeiten und Ihr Haus in Ordnung zu halten, und sie hätte es genossen, mit Ihnen, Ihren Freunden und Verwandten zu reden. Aber hin und wieder, wenn sie alleine war, hätte sie sich auf ihr sotápanna-Verständnis der wahren Natur der Dinge besonnen und sich insgeheim geschämt und geekelt, dass sie sich noch an all diesen Befriedigungen ergötzt (die sie dem Wesen nach als dukkha sehen würde). Aber weil sie mit den Pflichten und Freuden, ihre Frau zu sein, so beschäftigt war, hätte sie nicht die Zeit für viel Praxis gehabt und hätte sich mit dem Gedanken zufrieden gegeben, dass sie höchstenfalls nur noch sieben weitere menschliche Geburten zu ertragen hatte.


    Jetzt angenommen, eines Tages besuchten Sie den Buddha, und er sagte Ihnen, dass Ihre Frau kein puthujjana wie Sie selbst war, sondern eine ariya, eine der Auserkorenen – wären Sie damit zufrieden gewesen, sie außer Reichweite auf ein Podest zu stellen (wo sie zweifellos sehr unglücklich gewesen wäre) und zu sich zu sagen, „Ach, das ist eine zu schwierige Errungenschaft für eine bescheidene Person wie mich“? Oder hätte Sie nicht vielmehr Ihr männlicher Stolz bis ins Mark getroffen und geschmerzt bei dem Gedanken, dass ihre hingebungsvolle und unterwürfige Ehefrau eine „im Dhamma Fortgeschrittene“ sein sollte, während Sie, der Herr und Gebieter des Haushalts, ein gewöhnlicher Mensch geblieben waren? Ich denke doch, dass Sie sich wohl angestrengt hätten, Ihrer Ehefrau zumindest ebenbürtig zu werden.