ZitatUnd ja, Du hast Recht, ohne eine mögliche Wiedergeburt ist ein tieferes Einsteigen nicht nötig. Für mich stellt sich das allerdings inzwischen anders dar. Und auch wenn es keinen Beweis dafür gibt, halte ich es dennoch für besser, mich so zu verhalten, dass ich möglichst nicht wiederkommen muss.
Das unterscheidet wohl den Mahayani vom Theravadin.
Für einen Mahayani geht es nicht um das Vermeiden des eigenen Leides, sondern er will das Leid der anderen Wesen verringern. Er versucht sich ethisch zu verhalten für die anderen Wesen. Deshalb ist Wiedergeburt sogar wünschenswert. Und für die Mahayanis, die nicht an Wiedergeburt glauben, so wie mich, gibt es ebenfalls keinen Grund, nicht tiefer einzusteigen. Denn er denkt an die Mitwesen und die Nachkommen, weil er sich nicht getrennt sieht und sich seiner Verantwortung bewusst ist.
Der Glaube an die Wiedergeburt ist nicht relevant.
In meinen Augen ist das eine stabile Grundlage: Denn wenn ich den Glauben an die Wiedergeburt verlieren würde, so ich den mal gehabt hätte, würde das ganze System in sich zusammenfallen. Sobald aber Mitgefühl und das Wissen um die gegenseitige Bedingtheit entwickelt ist, ist es egal ob man an Wiedergeburt glaubt oder nicht.
Und um dem Streit vorzubeugen: Ich bin der Meinung, dass jeder, der ernsthaft hinter der Sache Dharma steht, Mitgefühl entfaltet, das alles über die Glaubensfragen hinausgehend trägt. Der oben vorgetragene Unterschied scheint mir eher eine Sache von "Einsteigerschwerpunkten" und Methoden und Gelehrsamkeiten zu sein.
Ich kann natürlich der Meinung sein "Nach mir die Sinflut!" und mich allem entziehen. Aber das ist Verblendung. Und Verblendung ist kein Schimpfwort, sondern der Name für das Nicht-Erkennen der Zusammenhänge. Wenn mich schon die anderen nicht interessieren, dann kann ich aber sagen: "Ok. Ich mache das alles nur, damit es mir morgen ein bisschen besser geht." Auch das trägt nicht. Denn das Leben ist nur zum Teil so, dass ich selbst gestalten kann. Wenn ich also dann den ISIS-Schächern gegenüberstehe, versagt das wohl. Aber besser als sich um gar nichts scheren, ist das natürlich schon. Der Sinn des Praktizierens erschließt sich meines Erachtens erst mit dem Praktizieren. Wobei intensives Ergründen von Zusammenhängen in meinen Augen ein wichtiger Teil der Praxis ist. Ich sehe also einige Ansatzpunkte für den Beginn der Praxis: Das eigene gegenwärtige Leben zu verbessern, das eigene Leben in einer Wiedergeburt zu verbessern, das Leben Anderer zu verbessern, das Leben der Nachkommen zu verbessern, die Leistung der Ahnen zu ehren, Neugierde auf die Wirkung, Traditionsbewusstsein, Hingabe an die Lehrer … sogar sich damit brüsten zu wollen, kann ein Einstieg sein, der zu einem guten Resultat führt. Mir scheint nur wesentlich zu sein, dass man Ausdauer mitbringt und Ernsthaftigkeit und die Bereitschaft sich darauf einzulassen. (Der Absatz ist jetzt für Christian bestimmt.)
ZitatDas Leben ist schön, wenn Du gesund bist, wenn Du genug zum Leben hast, eine gute Beziehung, gut geratene Kinder - und vor allem, wenn Du zu den wenigen Menschen auf dieser Welt gehörst, die recht frei und im Wohlstand leben dürfen, ohne wegen ihrer Hautfarbe, Geschlecht oder Religionszugehörigkeit misshandelt zu werden.
Dazu, liebe Monika, möchte ich was anfügen:
Ich habe noch nie den Eindruck gehabt, es ginge in der Lehre um ein "schönes Leben". Mein Eindruck ist vielmehr, dass es darum geht, das Leben als solches anzunehmen, mitsamt Alter, Krankheit, Tod, Verlassenwerden und Getrenntsein. Das Zitat oben aus dem Kanon lese ich ebenfalls so.
"Schön" ist das Gegenteil von "hässlich". Das ist eine dualistische und vor allem wertende Haltung. Daraus sprechen Aversion und Anhaftung. Dieses ist, meinem Verständnis nach, zu überwinden. Wenn ich also krank werde und Schmerzen erleide, dann ist das nicht mehr "hässlich", sondern es ist wie es ist. Es tut immer noch weh, ich leide immer noch daran, aber ich hadere nicht damit. Ich vergeude meine Energie nicht mehr mit dem Gedanken daran, wie schlimm es doch ist, und warum ich, und wann ist es vorbei … Ich setze dem unvermeidlichen Leid, das das Leben mit sich bringt, nicht noch mein eigenes Krönchen auf.
Das entspricht auch meiner eigenen Erfahrung und meinen Beobachtungen mit Schwerkranken oder vom Leben heftig Geschlagenen. Diejenigen, die damit nicht hadern, haben sich Humor bewahr, können immer noch Freude empfinden, mit anderen Menschen mitfühlen, sind nicht ständig im Mittelpunkt … sind nicht nur Gefangene ihres Leidens. Und je mehr sie das bewahrt haben, desto unwesentlicher empfinden sie ihr Leid.
Noch einmal das Zitat mit Hervorhebungen von mir:
Zitat"Und was, Freunde, heißt 'nicht bekommen, was man sich wünscht, ist Dukkha'? Den Wesen, die der Geburt unterworfen sind, kommt der Wunsch in den Sinn: 'Ach, wären wir doch nicht der Geburt unterworfen! Es soll keine Geburt über uns kommen!' Aber dies bekommt man nicht durch Wünschen, und nicht bekommen, was man sich wünscht, ist Dukkha. Den Wesen, die dem Altern unterworfen sind, kommt der Wunsch in den Sinn: 'Ach, wären wir doch nicht dem Altern unterworfen! Es soll kein Altern über uns kommen!' Aber dies bekommt man nicht durch Wünschen, und nicht bekommen, was man sich wünscht, ist Dukkha. Den Wesen, die der Krankheit unterworfen sind, kommt der Wunsch in den Sinn: 'Ach, wären wir doch nicht der Krankheit unterworfen! Es soll keine Krankheit über uns kommen!' Aber dies bekommt man nicht durch Wünschen, und nicht bekommen, was man sich wünscht, ist Dukkha. Den Wesen, die dem Tod unterworfen sind, kommt der Wunsch in den Sinn: 'Ach, wären wir doch nicht dem Tod unterworfen! Es soll kein Tod über uns kommen!' Aber dies bekommt man nicht durch Wünschen, und nicht bekommen, was man sich wünscht, ist Dukkha. Den Wesen, die Kummer, Klagen, Schmerz, Trauer und Verzweiflung unterworfen sind, kommt der Wunsch in den Sinn: 'Ach, wären wir doch nicht Kummer, Klagen, Schmerz, Trauer und Verzweiflung unterworfen! Es soll kein Kummer, Klagen, Schmerz, keine Trauer und Verzweiflung über uns kommen!' Aber dies bekommt man nicht durch Wünschen, und nicht bekommen, was man sich wünscht, ist Dukkha."
"Und was, Freunde, was sind die fünf Daseinsgruppen, an denen angehaftet wird, die, kurz gesagt, Dukkha sind? Sie sind: die Daseinsgruppe der Form, an der angehaftet wird, die Daseinsgruppe des Gefühls, an der angehaftet wird, die Daseinsgruppe der Wahrnehmung, an der angehaftet wird, die Daseinsgruppe der Gestaltungen, an der angehaftet wird, die Daseinsgruppe des Bewußtseins, an der angehaftet wird. Dies sind die fünf Daseinsgruppen, an denen angehaftet wird, die, kurz gesagt, Dukkha sind. Dies wird die Edle Wahrheit von Dukkha genannt."gt, Dukkha sind. Dies wird die Edle Wahrheit von Dukkha genannt."
Wir alle sind die Wesen, die diesen Dingen unterworfen sind. Niemand ist davon ausgenommen. Das Wünschen, es möge nicht so sein, hilft nichts. Es ist unvermeidlich.
Dukkha ist also der Wunsch, dass etwas anders sein möge als es ist. Dukkha entsteht, weil unsere Wünsche nach Vermeidung des Unvermeidlichen unerfüllt bleiben. Dukkha wäre demnach immer dann, wenn wir nicht im Jetzt leben, sondern in der Zukunft, der Vergangenheit, dem Nicht-So-Wie-Es-Gerade-Ist. Deshalb sind wir dann auch nicht Thatagata.
Leiden ist unvermeidlich, Dukkha ist auflösbar. Es hört also auf, wenn wir aufhören uns Dinge zu wünschen, die unerfüllbar sind.
Nicht das Leiden schafft Dukkha, sondern der Wunsch nicht zu leiden (der Wunsch nach Leiden damit natürlich auch, wenn er unerfüllt bleibt "Geht es dem Esel zu gut, begibt er sich aufs Eis.") Darin besteht für mich die Gier: Vermeiden von Leid und Suchen nach Leid.
Es bedeutet nicht, dass die fünf Daseinsgruppen aufgelöst werden sollen. Wie denn auch? Die Anhaftung daran soll aufgelöst werden. Wir können den Glauben an die feste Existenz der Daseinsgruppen als Illusion erkennen und sind damit immer in der Lage, sie infrage zu stellen. Das ist nicht Wegdrücken oder Wegdefinieren von Leiden, sondern die Freiheit sich davon völlig gefangen nehmen zu lassen. Manchmal ist diese Freiheit nur eine winzige Ecke in einem Universum aus Schmerz, in meinen Augen ist das aber besser als nix. Manchmal benötigen wir nur diese winzige Ecke. Es heißt: Das Licht einer kleinen Kerze beendet schon die Dunkelheit. Ich kann mich noch gut an die Zeit meines Lebens erinnern, in der ich das kleine Licht nicht einmal sah, nur von seiner Existenz wusste. Allein das gab mir Kraft genug, um mich auf den Weg zu machen es zu finden.
So jedenfalls mein aktueller Stand.
Liebe Grüße
Doris