Beiträge von Chantasaro im Thema „Zweifel und Ich-Dünkel“

    Jojo:
    Zitat

    Ich muss eine starke Persönlichkeit aufbauen, die stärker als alles andere ist, damit ich den Zweifel niederringen kann. Und das im gleichen Atemzug mit dem Ablegen vom Persönlichkeitsglauben :D .


    Meine Erfahrung ist, dass ich "meine Persönlichkeit" immer wieder aufgeben muss. Und dann geschieht etwas Paradoxes: ausgerechnet in Momenten, in denen es mir gelingt, von "meiner Persönlichkeit" zurück zu treten, nehmen andere mich oft als "starke Persönlichkeit" wahr. Vielleicht meinst du das? Damit würde der scheinbare Widerspruch sich auflösen.


    Da habe ich keine wirkliche Antwort drauf. Mönche, die mit Arahat gelebt haben berichten, dass sie plötzlich einfach da waren. Man konnte sie nicht kommen spüren. Auf der anderen Seite gibt es ja das Phänomen, dass man in einem Raum ist und wenn eine bestimmte Person den Raum betritt, alle zu ihr hinschauen. Wir nennen das Charisma, ein Freund nennt es Präsenz. Er hat mir mal erklärt, dass diese Präsenz auch durch den Konsum von Kokain hergestellt respektive verstärkt werden kann. So wie er mir erklärte, fokussiert sich unter dem Einfluss von Koks alles auf das ICH, das ICH wird gestärkt.


    Anattā bedeutet ja nicht Kein-Ich oder Kein-Selbst. Da ist durchaus ein Ich und ein Selbst im psychologischen Sinne. Nur ist dieses ICH temporär zusammengebraut aus verschiedenen Komponenten und keines dieser Komponenten ist stabil, resistent oder immerwährend. Wenn ich also die oben beschriebene, starke Persönlichkeit aufbaue, dann braue ich mit da etwas temporäres zusammen und das immer und immer wieder, wenn Avijjā bekämpft wird. Diese starke Persönlichkeit beruht zu grossen Teilen auf Dhammawissen und Dhammaweisheit. Weitere Komponenten sind Wille, Tatkraft und Energie.

    JazzOderNie:

    ... dann ist es vllt ein und die selbe stimme (zweifel), aber in unterschiedlichen facetten. wenn mich meine innere stimme selber zuquatscht ...


    Das kann durchaus sein. Für mich läuft das alles unter Avijjā.


    Die zweite Stimme von der ich sprach ist die Weisheit.

    @ JazzOderNie


    Puhhh Du hast eine Diskussion gestartet, die sehr viel verschiedene Themen beinhaltet. Wenn ich nicht auf alle Deine Fragen eingehe, dann bitte stelle sie nochmals. Wenn möglich sollten wir in homöopathischen Dosen weitersprechen, denn sonst wird alles zu oberflächlich.


    JazzOderNie:

    ... das sagst du so einfach. ;)


    Als ich begonnen habe Thailändisch zu lernen, dachte und sagte ich oft, dass dies eine sehr schwierige Sprache ist. Wie sehr ich mich doch geirrt habe. Denn hier in Thailand spricht jedes Kind Thailändisch und hier im Nordosten sogar auch einen Laodialekt. Umgekehrt hat meine Exfrau geklagt, wie schwer es ist Deutsch zu lernen. Meine Kinder konnten sehr schnell Schweizerdeutsch, Thailändisch und Hochdeutsch.


    Gleich ist es mit der Lehre. Da kamen früher Leute zu Buddha, die hatten noch nie etwas von der Lehre gehört. Sie setzten sich nieder, hörten eine einzige Lehrrede und zack, erlangten sie einen der vier Erwachungsstufen. Es muss also einfach sein, anders wäre das nicht möglich. Mir ist schon klar, dass der erhabene Buddha ganz genau wusste, was er wem erzählen musste, damit diese Person einen Schritt in die Freiheit machen kann. In Diskussionen wird genau das als Ausrede genommen. "Der Buddha hatte grossen Anteil am Erfolg und weil er nicht mehr da ist, ist es schwierig, sehr schwierig, unmöglich."


    Gerade wir Mönche und Nonnen ziehen solche Aussagen sehr gerne herbei, wie mir über all die Jahre aufgefallen ist. Dann machen wir aus der oft sehr einfachen Lehre etwas sehr kompliziertes. Und wenn das auch noch nicht genug ist behaupten wir, dass man halt nur mit den tiefsten Vertiefungen der Tiefenmeditation und auch nur wenn der Mond in einem speziellen Spezialwinkel zur Sonne steht, überhaupt die Chance zur Befreiung haben. Warum tun wir das? Wieso ist es immer so, dass der Mönch recht hat und ein Laie nicht?


    Damit wir uns richtig verstehen, ich übe keinerlei Kritik an irgendwelchen Mönchen, Nonnen oder Laien. Wenn man in meinen Worten Kritik sehen will, dann bitte gegen das Gesamtsystem, welches sich über 2500 Jahre entwickelt hat. Wenn trotz dieser Worte jemand meint, ich würde mit dem Zeigefinger auf andere zeigen, dann soll bitte beachtet werden, dass Mittel-, Ring- und der kleine Finger auf mich selbst zeigen ;) .


    Zurück zum Thema. Mir ist aufgefallen, dass wir unter dem Wort Dünkel nicht das gleiche verstehen. Für mich bedeutet Dünkel sich überschätzen und sich dadurch abgrenzen. Es hat fast den Geschmack des Hochmutes. Daraus habe ich gefolgert, dass Dünkel ein Hindernis ist, dass ich den Persönlichkeitsglaube durchschauen kann. Nicht das einzige Hindernis, aber es hat sich dann wirklich so herausgestellt. Solange ich mich als etwas anders sehe wie alle anderen Menschen, egal ob Buddha, Dalai Lama, einen hochintelligenten Uniprofessor, ein Penner, eine Frau, ein Kind, ein Sterbender, ... so lange kann ich den Persönlichkeitsglauben nicht ablegen.


    Der Zweifel ist doch die Stimme, aber auch die Eigenschaft, dich mich unsicher macht. Und jetzt kommt ein scheinbarer Widerspruch zum oben gesagten. Ich muss eine starke Persönlichkeit aufbauen, die stärker als alles andere ist, damit ich den Zweifel niederringen kann. Und das im gleichen Atemzug mit dem Ablegen vom Persönlichkeitsglauben :D . Irre nicht? Ich weiss nicht, ob es nur so geht, aber so geht es.


    Avijjā ist für mich der Mix aus folgenden Komponenten: Nicht-Wissen, Ignoranz, falsches Wissen, Dummheit: Die teilweise oder vollständige Abwesenheit von Vijjā (richtiges Wissen). Es ist die Grundlage, auf der die drei Kilesa (Moha, Dosa, Lobha) überhaupt ein Nährboden erhalten und sich entfalten können. Avijjā gibt es auf zwei Ebenen: Der Mangel an Wissen bei der Geburt und das falsche Wissen, das sich später anhäuft.


    Um Avijjā besser fassen zu können, habe ich sie/ihn personifiziert. Bei mir ist es eine Frau, hinterhältig, hinterfotzig, zu allen Schandtaten bereit. Staatsfeind Nummer 1 und Chefin der Kilesa.


    Dass ich meine Erfahrungen nicht in der herkömmlichen Art und Weise präsentiere, sondern es einfach aus meinem HerzGeist heraussprudeln lasse hat folgenden Grund. Als ich begann, mich mit dem Buddhismus zu befassen, war ungefähr nach einem Jahr der Entschluss gereift, dass ich in diesem Leben Nibbāna verwirklichen will. Ab diesem Augenblick schien sich die ganze Welt gegen mich zu verschwören. Nicht die ganze Welt, aber unter anderem auch Menschen, von denen man eigentlich erwarten könnte, dass sie einem zumindest Mut zusprechen. Das hat mich echt beschätigt, eines Nachts träumte ich, die Personen sei in Wirklichkeit Māra/Avijjā. Es gab auch liebe Menschen, die mich unterstützten und mir den Weg zeigten. Nur deren ihr Weg führte vom Ziel weg, anstatt drauf hin. Darum habe ich alle Bücher weggegeben und habe mit niemandem über den Weg gesprochen. Ich suchte und ging meinen eigenen Weg. Ich hatte als Unterstützung nur die Lehrreden auf Englisch und Deutsch, zu Beginn noch nicht mal auf Pali.


    Durch diesen Weg, habe ich einige klassische Erklärungen der Mönche und Nonnen nicht mitbekommen, aber ich habe einen reichen Erfahrungsschatz in der Praxis. Jetzt bin ich an einem Punkt angelangt, wo ich meine Praxis ändern muss. Ich muss mir einen neuen Weg zurecht legen. Deshalb bin ich oft im Internet, wozu dieses Forum ja auch gehört. Ich suche nach Inspiration und Information. Als "Nebenwirkung" lerne ich auch, meine Erfahrung mit den entsprechenden Worten zusammen zu bringen. Dennoch werde ich wohl nie auf die scholastische Schiene geraten und die Lehre wie ein Roboter vortragen.


    Zum Thema Stimmen und Khandha, da bin ich gerade ratlos, was die Stimmen mit den Khandha zu tun haben. Für mich sind sie Avijjā respektive Vijjā (Wissen) / Paññā (Weisheit). Eine unterschiedliche Tonlage der beiden Stimmen konnte ich nicht feststellen. Wenn ich denke dann höre ich nicht Stimmen, sondern "höre" Worte. Vielleicht ist es für mich deshalb so schwierig, Avijjā eindeutig als Avijjā wahrzunehmen. Du schreibst von Dialog, ich verstehe nicht einen Dialog darunter. Es sind nicht mehrere Stimmen, die miteinander diskutieren, zumindest habe ich es noch nie so wahrgenommen. Früher dachte ich, ich würde denken. Das hatte zur Folge, dass ich mich mit den Gedanken voll und ganz identifizierte. Dann entdeckte ich, dass zwischen dem Entstehen eines Gedankens und dem "das ist mein Gedanke", eine kleine zeitliche Differenz besteht.


    Bisher habe ich Avijjā nie als Gefühlsregung Vedanā wahrgenommen. Für mich kommt Vedanā in der zeitlichen Abfolge vor der Entstehung von Sprache. Wenn ich mich auf Vedanā fokussiere, dann kann ich nicht mit der Sprache arbeiten, sonst verliere ich sofort den Kontakt zu Vedanā, weil ich zeitlich gesehen stehen bleibe und nicht mehr im Augenblick bin. Für mich ist das Hier&Jetzt zeitlich gesehen sehr kurz und wenn ich im Hier&Jetzt bleiben will, dann löst sich Sprache auf, die Gedanken versiegen.


    Zum Stromeintritt können wir einen neuen Thread aufmachen. Dort geht es "nur" darum, Persönlichkeitsglaube (Sakkāya-Ditthi), Zweifel (Vicikicchā) und Überbewerten von Regeln und Riten (Sīlabbata-Parāmāsa) abzulegen. Das ist so einfach, wie ein Kind eine Sprache lernt und so schwierig, wie wenn ein Erwachsener eine Sprache lernt :badgrin: .

    Chantasaro:


    Es gibt nur ein Mittel mit der Stimme umzugehen. Konsequent zu ignorieren. Ich habe lange gebraucht, dies zu merken. Ich möchte gar nicht wissen, wie viele Stunden ich mit der Stimme diskutiert und versucht habe, sie endlich mal zufrieden zu stellen. Aber im Endeffekt bin ich ihr dankbar war sie so ausdauernd und penetrant, sonst würde ich ihr heute noch auf den Leim gehen :D .


    Da fehlt ja noch ein wesentlicher Bestandteil. Denn so wie ich es gestern geschrieben habe, gehe ich davon aus, dass ich den Kritiker immer als Kritiker enttarne und ihm nie auf den Leim gehe. Da hat mir Avijjā auf dem linken Fuss erwischt.



    JazzOderNie:

    ich frage mich wo die grenze verläuft zwischen ich-dünkel/zweifel und angebrachtem abwägen, dh. wenn die innere stimme, besonders im sozialen kontext sagt, dass man es vielleicht hätte besser machen können,


    Ohne spirituelle Weisheit, kann man die beiden kaum oder gar nicht auseinander halten. Sonst wären wir ihnen nicht durch so viele Leben auf den Leim gegangen. Was wir halt zu Beginn des Dhammaweges haben ist die weltliche Weisheit. Mit der gilt es, das beste daraus zu machen.


    Jedes Mal, wenn ich eine der Stimmen einwandfrei als dies oder das erkennen konnte, entwickle ich in dem Bereich spirituelle Weisheit und ich wachse an den Situationen, wo ich den Kritiker als Kritiker erkenne. Aber ich wachse auch an den Situationen, wo ich den Kritiker erst im Nachhinein als Kritiker enttarnen kann, erst nachdem ich ihm auf den Leim gegangen bin. Deshalb kann es durchaus sein, dass eine falsche Entscheidung richtig war, weil sie mir dann durch die entstandenen Umstände weitergeholfen hat.


    Der buddhistische Weg besteht eben aus Entwicklung, Kultivierung, Wachstum und wir sollten uns auf die drei Hauptthemen im Edlen Achtfachen Pfad fokussieren. Paññā (Weisheit), Sīla (Moral, Ethik, Tugend) und Samādhi (Sammlung).




    JazzOderNie:

    ... aber in der "praxis" finde ich es unter umständen weniger eindeutig (im gegensatz zur theorie oder in der kontemplation).


    Ob es eine gute, weise Entscheidung war, oder nicht, kann man aber nur in der Praxis erfahren. Darum ziehe ich diese immer dem theoretischen Ansatz vor. Den Praxis ist schon recht eindeutig, wenn auch manchmal erst hinterher, wenn wir nachdenken.


    JazzOderNie:

    also: wo genau ist der unterschied zwischen "das hätte ich auch besser machen können." beim zweifel und bei der unterscheidungsfähigkeit und wie geht man damit am besten um?


    Für mich hat es sich bewährt, dass ich beim gegenwärtigen Tun, mit höchstmöglicher Achtsamkeit dabei bin. Dann tue ich doch das beste, was ich tun kann. So benötige ich weder die Stimme der Weisheit, noch die Stimme der Kritik. Etwas besseres habe ich persönlich im Moment nicht anzubieten.


    Wenn ich mich an Ajahn Chah erinnere, so hat der geraten, das beste zu tun und dann loszulassen. Ich verstehe seine Worte in zweierlei Hinsicht. Wenn ich dauernd meine vergangenen Taten analysiere, dann lebe ich ja nie im Augenblick. Und die zweite Bedeutung ist für mich, dass man es eben auch mal "gut sein lassen soll".