Beiträge von Sudhana im Thema „zen + vier edle Wahrheiten/8fache Pfad“

    Hallo Elliot,

    Elliot:
    Sudhana:

    Bekanntlich führen die Theravadin die Kodifizierung ihres in Pali verfassten Kanon auf das Konzil von Pataliputra (um 245 v. Chr.) zurück. Dabei ist zu beachten, dass dies noch nicht mit Verschriftlichung gleichzusetzen ist - der angeblich dort fixierte Korpus wurde zunächst weiterhin nur mündlich tradiert.


    Anderen Quellen zufolge setzte die mündliche Tradition der Lehrreden schon deutlich früher ein:


    Das ist zwar richtig, ich schrieb jedoch von der Kodifizierung des Kanon - und der Palikanon enthält eben auch den Abhidhammapitaka, den es zur Zeit des ersten Konzils mit Sicherheit noch nicht gab. Wenig überraschend betreffen die größten Differenzen zwischen den verschiedenen "Hinayana"-Kanones eben die Abhidharma- bzw. Shastra-Textsammlungen, die erst verhältnismäßig spät entstanden. Die größte inhaltliche Nähe wiederum findet sich in den Vinayas, was des Schluss nahelegt, dass die Vinayas die älteste Textschicht der buddhistischen Überlieferungen darstellen.


    Kleine Anmerkung noch zu dem Wikipedia-Artikel: die Datierung von Buddhas Lebenszeit und damit auch die des ersten Konzils (falls dieses Ereignis tatsächlich historisch war und nicht nachträgliche Legendenbildung ist) ist nach wie vor ungesichert und wird es aller Wahrscheinlichkeit nach auch bleiben. Nur ein kleines Indiz, die Seriosität von Wikipedia-Artikeln betreffend ...


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    bel:

    Literaturempfehlung bezüglich "Tugend" usw: Shobogenzo Zuimonki.

    nibbuti:


    Meditation & Weisheit wird im Zen Buddhismus eifrig geübt


    inwieweit die Tugend im Zen geübt wird, bin ich mir nicht sicher


    Alternativ (kürzer und im Web greifbar): Dogens Kyo Jukai Mon http://zensplitter.blogspot.de/p/kyo-jukai-mon.html.


    Im Soto-Zen beginnt die formale Praxis mit dem Empfangen/Ablegen der Bodhisattva-Gelöbnisse (Jukai) nach dem Muster des oben verlinkten Textes. Das - also insbesondere und vorrangig die Selbstverpflichtung zu einer ethisch bestimmten Lebenspraxis - ist im Soto-Zen die Initiation in die Nachfolge der Buddhas und Patriarchen. Sie steht nicht zufällig am Beginn formaler Zenpraxis.


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    mindfullness:

    Im Netz findet man bei vielen Seiten von Zen Gemeinschaften die Nennung der vier edlen Wahrheiten. Zweifelsfrei ist dies absolut grundlegend fuer Buddhas Lehre.


    So ist es.

    mindfullness:

    Nur finde ich die vier edlen Wahrheiten nur im palikanon des Theravada.


    Das dürfte daran liegen, dass Du nicht weisst, wo Du zu suchen hast.

    mindfullness:

    Werden diese auch in den Mahayana-Sutras genannt


    Eher selten - sie werden vorausgesetzt.

    mindfullness:

    oder bezieht sich Zen auch auf den palikanon?


    Wieso ausgerechnet auf den Palikanon?


    Ich versuche mal, das etwas aufzudröseln. Wie hier schon richtig angemerkt wurde, heisst es nicht ganz zufällig "Zen-Buddhismus" und die Kenntnis grundlegender Lehren wie der Shitai 四諦 (vier edle Wahrheiten), des Hasshodo 八正道 (edlen achtfachen Pfades), der Samboin 三法印 (drei Seinsmerkmale) und des Juni-Engi 十二縁起 (der zwölfgliedrige Kausalnexus) usw. ist gewissermaßen buddhistische Vorschule. Ohne sich hier ein gewisses Grundverständnis erarbeitet zu haben, wird man auch kaum spezifisch mahayanische Lehren verstehen können, weil es an der notwendigen Grundlage fehlt.


    Ein Beispiel: die für das Zen typische Lehre der 'plötzlichen Erleuchtung' (Subitismus, Dongyo 頓教) wird im Platform-Sutra des 6. Patriarchen Huineng als Verwirklichung des 'formlosen dreifachen Studiums' (muso sangaku 無相三學) definiert. Dies wiederum ist eine spezielle Auffassung und Praxis-Verwirklichung des 'dreifachen Studiums', was wiederum nichts Anderes ist als der edle achtfache Pfad - also das 'Studium' (mit Geist und Körper) von Sila (rechte Rede, rechtes Handeln, rechter Lebenserwerb), Prajna (rechte Erkenntnis und rechtes Denken) und Samadhi (rechte Anstrengung, rechte Achtsamkeit und rechte geistige Sammlung). Anderes Beispiel: in Shobogenzo Bukkyo erläutert Dogen Zenji die drei Fahrzeuge der Sravakas, Pratyekabuddhas und Boddhisattvas und identifiziert sie mit verschiedenen Aspekten der Lehre Buddhas. Sravakas realisieren die Wahrheit über die vier edlen Wahrheiten, Pratyekabuddhas verwirklichen die Vollkommenheit des Nirvana durch die 12 Glieder der Kette bedingten Entstehens und Bodhisattvas verwirklichen vollkommene, höchste Erleuchtung indem sie die Lehre der Paramitas in Praxis umsetzen. Natürlich erläutert Dogen diese Aspekte von Bukkyo (Buddhas Lehre) vom mahayanischen Standpunkt her, doch würden diese Erläuterungen völlig unverständlich bleiben, wenn man mit den hier angesprochenen Konzepten nicht schon grundsätzlich vertraut wäre.


    Was nun das Verstehen dieser grundlegenden buddhistischen Konzepte angeht, so braucht man dazu wahrlich keinen Palikanon. Jedenfalls nicht, wenn man Chinesisch versteht. Zur textlichen Überlieferung dieser Lehren möchte ich etwas weiter ausholen, weil es da offensichtlich einige weit verbreitete Missverständnissse gibt.


    Bekanntlich führen die Theravadin die Kodifizierung ihres in Pali verfassten Kanon auf das Konzil von Pataliputra (um 245 v. Chr.) zurück. Dabei ist zu beachten, dass dies noch nicht mit Verschriftlichung gleichzusetzen ist - der angeblich dort fixierte Korpus wurde zunächst weiterhin nur mündlich tradiert. "Angeblich" schreibe ich, weil die Historizität dieser Entstehungsgeschichte durchaus nicht zweifelsfrei ist, denn merkwürdigerweise findet sich über dieses doch bedeutsame Ereignis nichts in den Edikten Ashokas (ca. 272-232 v.Chr.). Verschriftlicht wurde der Palikanon gemäß der Theravada-Überlieferung erst in Sri Lanka während der Regierungszeit Vattagamanòi Abhayas, die von 89-77 v.d.Z. datiert wird. Das widerspricht etwas anderen (ebenfalls theravadischen) Angaben, wonach die schriftliche Fixierung des Palikanon auf das Konzil von Tambapanni zurückgehen soll, das mit ca. 30 v.d.Z. datiert wird. Also - bei aller Unzuverlässigkeit der historischen Überlieferung - vermutlich im ersten Jahrhundert vor Christus.


    Die Behauptung, beim Suttapitaka und Vinayapitaka des Palikanon handle es sich um "verba ipsissima" (die eigenen Worte) Buddhas, ist ebenfalls zweifelhaft; solche dürften dort nur passagen- oder bruchstückhaft erhalten sein. Insbesondere die Behauptung, bei Pali handle es sich um Magadhi, also den 'Sanskrit-Dialekt' (Prakrit), den Buddha Shakyamuni gesprochen hat, gilt heute als wissenschaftlich unhaltbar. Entweder handelt es sich um ein deutlich späteres Prakrit als das Magadhi zu Buddhas Lebzeiten, um dessen genaue lokale Herkunft verschiedene Theorien kursieren oder sogar um eine rein literarische Kunstsprache, die nie tatsächlich Umgangssprache war.


    Ansonsten - das Konzil in Pataliputra zu Ashokas Zeiten wird lediglich in der Theravada-Tradition als "3. Konzil" gezählt. Wenn man der Theravada-Überlieferung Glauben schenken will, hatte dieses Konzil durchaus Ähnlichkeit mit dem christlichen Konzil von Nicäa, wie auch Ashoka durchaus mit Konstantin zu vergleichen ist. Der Herrscher drang jeweils auf eine dogmatisch und organisatorisch vereinheitlichte Religion seines blutig zusammengerafften Reichs, dessen Klerus dann williger Helfer bei Stabilisierung und Regierung seines Reiches sein sollte. Entsprechend die vergleichbare Verklärung Konstantins und Ashokas durch den jeweils begünstigten Klerus. Dazu mussten alle Abweichler (in Nicäa waren dies vor allem die Arianer, in Pataliputra diejenigen, die Tissa Moggaliputtas Lehrauslegung nicht folgen wollten) exkommuniziert bzw. aus der Bhikshu-Gemeinschaft ausgestoßen werden. In Pataliputra waren von dieser 'Säuberung' angeblich 60.000 Bhikshus (wohl kaum alles "Unwürdige", wie die Theravada-Tradition vermeldet) betroffen. Ich denke, es wird klar, dass diese "historische" Überlieferung extrem sektiererisch gefärbt ist.


    Übrigens ist auch völlig unklar, welche der damals existierenden Schulen dieses Konzil abhielt (die Bezeichnung Vibhajyavadin scheint zu Ashokas Zeiten erst entstanden zu sein) und dessen Ergebnisse anerkannte - so wie die Verbindung der Theravadin zu den frühen Hinayana-Schulen insgesamt ungeklärt ist. Dass die Theravadin sich selbst als direkte Nachfolger der Sthavira (der "Ur-Hinayanin") sehen, die als einzige die Lehre "rein" bewahrt haben, während die anderen Hinayana-Schulen (mindestens 17, von Mahayana-Schulen ganz zu schweigen) alles häretische Abweichler waren, ist natürlich nichts als mehr oder weniger fromme Legende. Auch da kann man durchaus eine Parallele zur Entstehungsgeschichte der katholischen Kirche feststellen.


    Die Sarvastivadin (bedeutendste Hinayana-Schule Nordindiens, also im Ursprungsgebiet von Buddhas Lehre) jedenfalls zählten nicht Pataliputra, sondern Jalandhar (unter dem Herrscher Kanishka um 100 n.d.Z.) als 3. Konzil - d.h. Pataliputra wurde von ihnen nicht als allgemeines Konzil anerkannt. Natürlich anerkannten bzw. anerkennen auch die Theravadin wiederum Jalandhar nicht als Konzil. Eine schriftliche Fassung des (nördlichen) Sanskritkanon erfolgte vermutlich kurz nach dem Konzil von Jalandhar - wahrscheinlich in Kaschmir. Beiden schriftlichen Fixierungen - der des Pali- und der des Sanskritkanon - war also eine jahrhundertelange Tradition mündlicher Überlieferung vorangegangen, die schon seit geraumer Zeit unabhängig voneinander war. Auch andere Hinayana-Schulen hatten ihre Sanskrit-Kanones, die untereinander allerdings ausweislich der erhaltenen Bruchstücke recht wenig differieren; man kann sie als unterschiedliche Redaktionen des Sanskritkanon auffassen. Bei diesem Sanskrit handelte es sich übrigens nicht um das nur einer elitären Priesterkaste verständliche vedische Sanskrit (eine Überlieferung seiner Lehrreden in dieser 'heiligen' Sprache hatte Buddha abgelehnt) sondern um ein sog. hybrides Sanskrit, das in Nordindien als Verkehrs- und Handelssprache (lingua franca) üblich war oder aber um lokale Prakrit-Varianten.


    Der Sanskritkanon ist im Original leider nur bruchstückhaft erhalten, dafür aber komplett in chinesischer Übersetzung im chinesischen Tripitaka. Er bestand wie der Palikanon aus drei Körben (Sutra, Vinaya und Shastra oder Abhidharma), wobei die Schule der Sautrantika den Abhidharma als nicht kanonisch ablehnte (also nur einen 'Zweikorb' anerkannte). Bei den Sutren gab es vier Sammlungen (Agamas), die ihre Entsprechungen in den Nikayas des Palikanon haben: Madhyamagama (entsprechend Majjhima Nikaya), Samyuktagama (entsprechend Samyutta Nikaya), Dirghagama (entsprechend Digha Nikaya) und Ekottaragama (entsprechend Anguttara Nikaya). Die chinesischen Übersetzungen von Madhyamagama und Samyuktagama stammen aus dem Kanon der Sarvastivadin, von Dirghagama und Ekottaragama vermutlich aus dem der Mahasanghika. Der Khuddaka Nikaya (eigentlich eine Sammlung von Fragmenten, die sonst nirgendwo 'passten') des Palikanon hat keine Entsprechung im Sanskritkanon, woraus geschlossen werden kann, dass diese Sammlung erst entstand, nachdem sich die Theravadin (genauer gesagt ihre Vorläufer) von den buddhistischen Schulen Nordindiens getrennt hatten - was jedoch nicht notwendig etwas über das Alter der dort gesammelten Bruchstücke aussagt. Hinzu kommen im chinesischen Tripitaka Übersetzungen der Vinayas der Mahisasaka, der Tamrasatiya, der Sarvastivadin, der Mulasarvastivadin sowie natürlich der in Ostasien gebräuchliche Vinaya der Dharmaguptaka (der sog. vierfache Vinaya). Außerdem der Pratimoksha der Mahadasyapiyah. Die Shastra- oder Abhidharma-Sektion enthält 15 umfangreiche Texte verschiedener Hinayana-Schulen, darunter auch eine Variante des Visuddhimagga.


    Trotz deutlicher inhaltlicher Parallelen weisen beide Sammlungen – der Pali- und der Sanskritkanon – ebenso deutliche Unterschiede auf. Es handelt sich also nicht um Übersetzungen oder unterschiedliche Redaktionen desselben Kanon, sondern jeweils um die schrifliche Fixierung zweier unterschiedlicher, schon längere Zeit getrennter Traditionen mündlicher Überlieferung. Zusammengefasst: der Palikanon ist in Sachen Buddhismus nicht das alleinige Maß aller Dinge, selbst wenn man die Mahayana-Sutren mal komplett außen vor lässt. Aus den Differenzen zwischen Sanskritkanon und Palikanon kann man nun eine historische Entwicklung ableiten - Parallelstellen gehen offensichtlich auf eine gemeinsame und damit alte Überlieferung zurück, während Unterschiede offensichtlich erst nach Aufspaltung in verschiedene Schulen in die Texte hineingekommen sind. Wobei in den seltensten Fällen festzustellen ist, welcher der Vergleichstexte nun revidiert wurde und welcher die ältere Form bewahrt hat. Die jeweiligen Korpora der Sutrenüberlieferungen haben sich ganz offensichtlich in der Zeit mündlicher Tradierung entwickelt und verändert. Diese Entwicklung kam erst durch die schriftliche Fixierung zu einem Stillstand.


    Um auf diese philologischen Anmerkungen auch noch eine eher praktische folgen zu lassen - was rein inhaltliche Aussagen angeht, so sind die Differenzen eher marginal. Sie betreffen eher Ausgestaltung und Komposition (allerdings auch Lehrintension) der Texte, die häufig die Interessen und Kontroversen späterer Lehr- und Schulbildungen erkennen lassen, während die grundlegenden Ideen und verwendeten Gleichnisse vermutlich tatsächlich auf den historischen Buddha zurückgehen. Gelegentlich lassen sich sogar Schichten von Umformungen ursprünglicher Inhalte erkennen, die eine relative Datierung einzelner Ueberlieferungsschichten ermoeglichen - übrigens auch, wenn man nur den Palikanon für sich betrachtet. In der Indologie ist das seit 1894 (Minayeff) bekannt und nachgewiesen, auch wenn manche Indologen (Schumann beispielsweise) solche Inkonsistenzen auf die langjährige Lehrtätigkeit Buddhas selbst zurückführen wollen, in der sich die Lehre entwickelt und systematisiert habe. Vermutlich spielt auch dies eine Rolle - doch diese Erklärung kann nicht die Unterschiede Palikanon / Sanskritkanon begründen. Auch hier gilt das oben Gesagte: die Annahme, alleine der Palikanon sei rein erhaltenes "Wort Buddhas", verba ipsissima, und alles Andere Abweichung wenn nicht gar Fälschung, ist wissenschaftlich in keiner Weise belegbar.


    Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: da der Palikanon in kompletter Übersetzung vorliegt, während von den Agamas des Sanskritkanon bzw. des chinesischen Tripitaka nur sehr wenig in westliche Sprachen übersetzt wurde, ist es für die, die auf Übersetzungen angewiesen sind, natürlich sinnvoll, den Palikanon zu studieren. Das ist keineswegs ein zweitrangiger 'Ersatz' oder Notbehelf, auch wenn die chinesische und japanische Tradition natürlich auf den Agama-Texten des chinesischen Tripitaka beruht. Selbstverständlich ist dieses Studium - auch für Zen-Schüler - nützlich und sinnvoll. Das Studium der Agamas ist eine notwendige Propädeutik zum korrekten Verständnis der Mahayana-Sutren, diese setzen deren Kenntnis (oder doch zumindest Kenntnis der durch sie vermittelten Lehrinhalte) voraus, sie vertiefen sie und deuten sie aus. Ohne Kenntnis dessen, was die Agamas z.B. über Anatman, Pratityasamutpada oder das Skandha-Modell lehren, ist z.B. das Rezitieren des Herzsutra nur geistloses Geplapper; da kann man genauso gut das Ave Maria aufsagen.


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