Beiträge von diamant im Thema „Etikettieren im Zen“

    Hm, Jojo, ich sehe da eine gewisse Ansicht, die dir natürlich unbenommen ist und die natürlich so auch in Deutschland gelehrt wird. Sie spiegelt sich in (meines Erachtens) a) Irrglauben und b) Rhetorik.


    Irrglaube ist, dass Aufmerksamkeit Schmerzen per se auflöst. Ich habe das hier schon oft gesagt, die Menschen unterschätzen den Schmerz. Es gibt ja auch Leute, denen eine Paracetamol gegen Kopfschmerzen hilft. Ich kenne keine Kopfschmerzen, gegen die ich Paracetamol nehmen könnte. Aber etliche Zenlehrer, von Suzuki bis Deshimaru, die in ihrem Sterbeprozess über Schmerzen geklagt haben (laut Zeugen). Diese Rechnung wird nicht aufgehen. Vor allem steht da wohl ein Wunsch dahinter (warum würde es sonst erwähnt?), und darum lohnt es sich m.E. vor solchen zu hohen Erwartungen an die Meditation zu warnen.


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    wann immer sich etwas auflöst - dem eine bestimmte Art von Aufmerksamkeit voraus gegangen ist


    Ich glaube, du bist noch jung. Wenn man älter ist, stellt man fest, dass sich viele Dinge gerade dadurch auflösen, dass man ihnen KEINE Aufmerksamkeit (mehr) schenkt. Das beste Beispiel ist Liebeskummer. Den erwähne ich, weil er unter "Leiden" fallen würde und unter mentaler Anhaftung, also "Trübung".


    Nun zur Rhetorik:

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    einfach weil es einen in den eigenen Körper zwingt.


    Das Sitzen. Allerdings bist du sowieso in diesen Körper gezwungen, auch ohne Zazen. Um in dieser Rhetorik zu bleiben, die m.E. sinnlos ist.


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    wenn der Schmerz wegfällt, verschwindet auch die Aggression, da ist nichts mehr zu steuern.


    Ist das wünschenswert? Ich bin froh, dass gerade Rainald Goetz den Büchner-Preis bekommen hat, den wohl bestdotierten für Literaten in Deutschland. Goetz hat sich einst bei den Literaturtagen in Klagenfurt als junger Mann während einer Lesung die Stirn aufgeritzt und dann blutend weitergelesen. Er ist noch heute mit 60 Jahren ein neurotischer Zappelphilipp, dessen Antriebskraft nach eigener Aussage auch die Wut ist. Aber dieser Mann ist hochaufmerksam, ein sehr guter Beobachter. Außerdem nicht blöd, hat mehrere Doktortitel. Diese Idee, man müsse dies und das ausmerzen, was Menschen antreiben kann (und nicht nur unheilsame Folgen haben muss), ist mir suspekt.

    Jinen: Sicher ist "Akzeptieren" auch noch eine Ich-Handlung. Aber auch "da ist nur Nembutsu" ist eine persönliche Ansicht (woher sollte sonst Nembutsu kommen?). Für mich ist das eines der Probleme in der Art, wie über diese Dinge gesprochen wird. Da die meisten Buddhisten voraussetzen, es gäbe kein Selbst und ein Ich sei eine Täuschung, wird versucht, das Eigentliche so zu fassen, als sei es unabhängig von einer individuellen Sicht und Erfahrungsweise. Wenn dem so wäre, hätte es beispielsweise schon keine verschiedenen Zenschulen gegeben. Das, was davon unabhängig gedacht wird, geht natürlich über "Vernichten" oder "Akzeptieren" hinaus. Aber "Akzeptieren" ist ein praktischer Aspekt, der sich im Leben anders äußert als "Vernichten". Wenn es eine "Trübung" ist, sich gegen Angreifer zu wehren, dann mag ich zwar eine Trübung vernichten, werde dann aber ggf. selbst vernichtet. Wenn ich die Trübung "Aggression" annehme, kann ich damit aktiv arbeiten.


    Jojo:

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    und anschließend steht man vom Kissen auf und irgendwas ist weg


    Und möglicherweise kommt es wieder, weil man den Vorgang zu sehr ans Auf-dem-Kissen-sitzen bindet ...


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    Und meine Erfahrung ist: Vernichten ist genau das, was passiert, wenn die Aufmerksamkeit stimmt.


    Erst mal scheint hier ein Zirkelschluss verborgen: Wenn also nicht vernichtet wird, dann stimme die Aufmerksamkeit eben nicht.
    Das erinnert mich wieder an den Groucho Marx-Witz: "Mein Bruder Harpo hat jeden Tag mehrmals masturbiert. Nun war er beim Analytiker." - "Und, hat er aufgehört damit?" - "Nein, aber er weiß jetzt, warum er es macht."
    Meines Erachtens führt das bloße Gewahrsein nicht zum Vernichten. Beispielsweise kann ich mir eines Schmerzes sehr bewusst sein, aber er geht deshalb nicht weg. Auf der geistigen Ebene kann ich mir eines aggressiven Anliegens bewusst sein, aber es lässt sich dadurch ggf. einfach besser steuern, also kontrollierter. Ohne die Wertung - und das sehe ich als wesentlich im Gesamtkonzept Mahasi und Co. - gehen die Dinge, die als "unheilsam" betrachtet werden, nicht in jedem Fall weg. Das, was sie wegschaffen will, ist tatsächlich auch ein Ego. Darum macht Harpo Marx in obigem Beispiel weiter, weil es schlicht Spaß macht, aber er versteht nun etwas mehr den Grund seines Tuns. Hier im Forum gibt es Hardcore-Theravadin, die durch ihre Zitiererei den Eindruck erwecken, sie glaubten tatsächlich, ein Mensch, der keiner Gefühlsregungen mehr habe (und keinen solchen Spaß wie Harpo) sei ein Ideal. Und dahin denkt leider auch Mahasi. Er meint, man käme durch solche Vipassana-Übungen näher ans Menschenideal und endet bei einem, der sich bereitwilig zum Schlachtopfer anderer machen lässt. Dabei müsste er, wenn er bei solchen Gedanken und Gefühlen seine eigene Methode praktiziert, etwas anderes feststellen, meiner Ansicht nach: Dass nämlich "Absicht: Wehren/Selbsterhalt" und "Anwenden: Schlagen" an sich keine Trübung sind, sondern sein Menschsein mit ausmachen. Ich denke, man kann sich darüber nur täuschen, wenn man gleichzeitig während des Etikettierens etwas mitdenkt, und zwar wertend. Das, was Mahasi dann doch meinungsstark ablehnt, ist nämlich durch das reine Gewahrsein nicht ablehn-, sondern annehmbar.


    blue: Ich gebe dir einen Link, das nächste Mal google einfach selbst, indem du dir den Satz entsprechend in die Suchmaschine kopierst. Deine Zweifel sind dein Problem. http://www.accesstoinsight.org…hasi/wheel298.html#ethics (Eliminating the Unwanted)

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    Es geht beim Etikettieren / Noting nicht ums Funktionieren.


    Das denke ich jedoch schon. Denn Mahasi trifft die klassischen Wertungen in seinem "Gesamtwerk", nach denen es z.B. unmöglich ist, ein Stromeintreter zu sein, wenn man nicht bestimmten Geboten im Wortlaut folgt etc. Das Etikettieren ist also nur Teil eines Paketes, in dem der Sinn der Übung klarer wird - ein "Mustermensch" zu werden, wie ein Mustermensch zu funktionieren.


    Das Etikettieren und Bewusstmachen soll dazu dienen, etwas abzulegen und einem Ideal gerecht zu werden. "Jeder Moment der Achtsamkeit (awareness) bedeutet ein allmähliches Vernichten latenter Trübungen (defilements)", so hat er es mal ausgedrückt. Ich setze hier dagegen, was nach meiner Erfahrung im Zen geschieht (und für mich ist Zazen nicht korrektes Sitzen, sondern eben diese Form geistiger Wachsamkeit und das Beobachten innerer Vorgänge): "Jeder Moment der Achtsamkeit ist ein allmähliches Akzeptieren der Trübungen."

    Wie es hier gemeinhin verstanden wird, weiß ich nicht. Ich verstehe es so, wie es Mahasi lehrte:


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    If you intend to swallow saliva while thus engaged, make a mental note intending. While in the act of swallowing, swallowing. If you spit, spitting.


    Das heißt, es werden Gedanken bewusst gemacht und mit Namen versehen, die auch von selbst ablaufen, ohne dass dieses nötig wäre. Oft werden also vegetativ ablaufende Körpervorgänge als Beispiele gebracht. Daher sagte mir ein so trainierter Mönch auch, er sei sich stets aller seiner Körperbewegungen und -haltungen bewusst. Ich schlucke hingegen ständig Spucke, ohne es mir bewusst machen zu müssen. Genauso - um mein praktischeres Beispiel aus dem Alltag aufzugreifen - schnappe ich mir, wenn ich schwimmen will, recht mühelos (so wie ich normalerweise schlucke) ein Handtuch und die Badehose, vergesse aber vielleicht die Sonnenmilch. Ich mache mir dann also etwas bewusst, ich imaginiere und konzentriere mich auf die Absicht Schwimmen/Schwimmbedarf mitnehmen und dann greife ich nach den nötigen Dingen (im obigen Beispiel Absicht: Schlucken und dann Schlucken). Daher sage ich, das Prinzip dieses Bewusstmachens kennt jeder. Man schluckt z.B. ganz bewusst, wenn man Halsschmerzen hat.


    Entscheidend wäre aber dann, was ich vergesse. Das müsste beim Labeln dann so aussehen: "Geistige Notiz: Absicht. Geistige Notiz: Erinnern." Man erkennt hier, dass nicht der Prozess des Erinnerns entscheidet, sondern ob am Ende das Ergebnis Sonnenmilch als Gedanke auftaucht. Das wäre entscheidend, hat aber nichts mit der Tatsache zu tun, dass ich vorher eine geistige Notiz mache: Erinnern. Ich tue das ja sowieso - Erinnern.


    Ich würde sagen, Mahasis Methode ist gut umschrieben mit: Aus einer Mücke einen Elefanten machen.


    Ein gutes aktuelles Beispiel für die Begrenztheit dieser Methode ist der Verfall von Thich Nhat Hanh. Auf der Webseite von Plum Village tut man alles, das Gegenteil zu behaupten und weitere Heldengeschichten zu fabrizieren. So habe er kürzlich seinen Schlauch für die künstliche Ernährung (sie hatten die Art nicht spezifiziert, aber es dürfte ein Nasenschlauch gewesen sein) selbst mühelos herausgezogen, nachdem er verschiedene Gemüse und Obststücke gekaut und geschluckt hatte. Doch zuvor war schlicht der Teil seines Hirnes durch den Schlaganfall ausgefallen, der für die oben genannten vegetativen Vorgänge zuständig ist. Kein geistiges Training dieser Welt konnte dies ersetzen. Im Gegenteil - ohne jedes Vipassana-Training können diese Vorgänge funktionieren, weil der Körper dafür sorgt. In der Folgezeit wird es der Sangha um TNH also darum gehen zu beweisen, dass die Kraft des mentalen Trainings (das bei ihm ja stark an Theravada-Methoden angelegt war) zur Wundergenesung beiträgt. Ein weiterer Schlaganfall kann das jedoch kurz und bündig zunichte machen. Die Regeneration von Hirnarealen ist in erster Linie ein körperlicher Vorgang, und dann kann auch wieder bewusste Absicht Schlucken zu bewusstem Schlucken führen. Wenn der Körper nicht mehr mitspielt, ist diese geistige Anstrengung besonders vonnöten und kann die Genesung natürlich beschleunigen. Und so komme ich zu diesem Schluss: Was Mahasi lehrt, ähnelt im Grunde einem Programm für Menschen mit Schlaganfällen, also dem Ausfall von Hirnarealen, die sich ansonsten "von selbst" um den rechten Ablauf der Geschehnisse kümmern.

    Auch in Thailand machen immer mehr Buchhandlungen zu. Nun trifft es die 3. Filiale (von 5) in der Stadt, in der ich lebe. Bei der 4. dürfte es bald so weit sein. Denn zu meinem Erstaunen las ich, dass ich für umgerechnet 1,50 Euro zwei Bücher aus bestimmten Regalen mitnehmen könne. Darunter war der dicke 2666 von Roberto Bolano ebenso wie Michel Houllebecqs dünnes Bändchen Lanzarote (auf Englisch, ohne die belanglosen Fotos der deutschen Ausgabe). Auch andere meiner Lieblingsautoren wurden so verramscht, etwa Paul Theroux und Philip Roth. Allerdings kannte ich diese Titel schon. Ich nahm sie trotzdem mit, als Geschenk für die Bibliothek. Im Zimmer wollte ich dann natürlich die ETIKETTEN abkratzen. Dabei fiel mir auf, dass eines über dem anderen klebte. Wenn ich ganz vorsichtig war, konnte ich ein ETIKETT nach dem anderen ablösen. Von ETIKETT zu ETIKETT stieg der Preis. Als ich am untersten ETIKETT angelangt war, wusste ich endlich, was ich gespart hatte.


    Hah!

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    Aber diese Art von Benennen hat auch nichts damit zu tun, wie es in der Mahasi-Tradition gemacht wird. Was du da machst, ist für mich auch Blödsinn.


    Aha, da haben wir ja das Problem. Die natürlichsten Dinge der Welt - z.B. vor dem Weggehen nochmal zu rekapitulieren: "Habe ich alles? Handtuch, Schlüssel, Sonnenmilch ..." werden zu "Blödsinn".


    Wer Englisch kann, findet das Wesentliche von Mahasi online: http://www.buddhanet.net/pdf_file/mahasit1.pdf (auf Seite 11 liest man Hinweise auf eine mögliche psychische Erkrankung Mahasis, denn er sieht es als gewöhnlich an, dass man bei der Vipassana-Meditation z.B. Insekten über seinen Körper laufen sieht - man vergleiche hierzu den Alkoholikerwahn, etwa bei Kafka).


    Gut, dass blue auf das Umschreiben des Wiki-Eintrages hinwies. Nun wird also versucht zu behaupten, es handle sich bei "Flashes" nicht eigentlich um Gedanken (ja, um was denn sonst, bitteschön?) und es ginge um "wahllose Bewusstheit". In meinem Beispiel geht es nicht um wahllose Bewusstheit, sondern um konzentriertes Nachdenken. Ich habe es gebracht, um zu zeigen - im Anschluss an das hier gebrachte Beispiel Boden-Knie-Empfindung-Wertung - dass "Etikettieren" genau so funktioniert und nicht anders - es ist weder "wahllos" noch "gedankenlos". Du magst ja glauben, dass du dich bei dieser Methode dem Denken und Werten entziehst - und ich habe mit meiner einfachen Analogie darauf hinweisen wollen, dass ich dies für eine Illusion halte. Es ist ein typisches Beispiel, wie man mit Denken das Denken austricksen will. Dazu passt:


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    Aber manchmal ist halt der Umweg der schnellere Weg.


    Auf einem Stufenweg, um mal im Bild zu bleiben, kann einem schon mal die Puste ausgehen. Offenbar ist für dich der Weg zum Erwachen ein Hochgeschwindigkeitsrennen. Um zu sehen, wohin der Weg führte, sollte man sich genau anschauen, was Mahasi Sayadaw denn so an Einsichten gewonnen hat.
    Hier eine dieser Perlen (ich übersetze im Folgenden):


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    The very fact that one thinks one can and should retaliate if attacked proves that one is not a stream-enterer, for according to Buddhist tenets, the person entertaining such a notion is a mere puthujjana, an ordinary worldling, definitely not a stream-enterer.


    (Discourse on the Hemavata Sutta)


    Was der Mahasi hier sagt ist, wenn jemand einen töten will, dann ist es einem, der "in den Strom eingetreten ist", nicht möglich, sich dagegen zu verteidigen und den Angreifer seinerseits zu attackieren. Also, mit anderen Worten: Mönche - wenn euch die Militärdiktatur umbringen will, wehrt euch nicht! - Der Mahasi fährt dann fort, ein wahrer Nachfolger Buddhas würde nicht mal einen Floh oder einen Käfer töten. Gut zu wissen, dass der Mahasi dann keiner war, denn es ist ihm mit Sicherheit nicht gelungen.


    Mit diesem Unsinn bleibt er hinter den Werten zurück, die in den meisten Gesellschaften mühsam errungen wurden und die dafür sorgen, dass sich nicht nur der Abschaum durchsetzen kann. Bei den ganzen "Umwegen" kann man sich also schon mal mächtig verlaufen.


    Aber, und hier schließt sich der Kreis zu meinem Ausgangsargument, der Grund liegt natürlich darin, dass der Mahasi meint, es stünde so im Palikanon, und dass er natürlich als Buchstabengläubiger diesem folgen muss. Schon ist's vorbei mit intuitiven "Flashes" und "wahlloser Bewusstheit", im Gegenteil, die Wahl wurde getroffen, und sie steht ja da, in Stein gemeißelt oder vielmehr auf Papier gedruckt.

    mindfulness: Eben sagte doch jemand, dass selbst der Burmese meint, schon im 2. jhana würde das Labeln ein Ende haben. Es handelt sich also um einen "Stufenweg", bei dem Labeln nur upaya, Mittel zum Zweck, ist. Ich verstehe das nicht falsch. Ich bin, wie ich hier oft sagte, ein Gegner der Auffassung von "Stufen". Ich glaube nicht, dass man sich auf einem Stufenweg dem annähert, was im Zen mit Erwachen gemeint ist. Ich rate daher Übenden von Umwegen ab. Es geht nicht darum, dass es dem ein oder anderen helfen mag, es geht darum, dass es einen Irrtum bekräftigt, nämlich dem Namenlosen mit Namen zu begegnen.


    Ich setze manchmal voraus, was ich anderswo schrieb. Meine Skepsis auf Joko Beck bezog sich auf ihre seltsame Watschen gegen Joshu Sasaki, von dem sie sich lossagte, nachdem er sich ihrer Tochter genähert haben soll. Dann hat sie eine Ernennung in der Dharma-Nachfolge widerrufen. Bücher kann man natürlich lange umschreiben, bis sie ganz gut klingen, aber dann gibt es noch diese Verhaltensweisen, die mir recht seltsam erscheinen. Und ihre Bücher, das sagte ich schon, kenne ich nur vom Querlesen, etwas wie Labeln kann einem da schon mal durchrutschen, ich nehme also auch meine Leseempfehlung für Beck teils zurück und sage: "mit Einschränkung lesenswert".


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    , so kann ich keinen deiner Beiträge hier nachvollziehen. Auch bezüglich des erreichen wollen.


    Wenn du nicht nachvollziehen kannst, dass auch Dogen-Adepten etwas erreichen wollen, frage sie doch, warum sie dauernd Zazen machen oder Sesshin.

    Wenn Joko Beck auch Labeln empfahl, ist das ja ein Gegenbeweis für die These, nach Dogen Zenji Übende hätten damit besondere Probleme (denn sie war ja im Soto wie im Rinzai zuhause, so weit ich weiß). Aber ich danke für den Hinweis, ich sagte ja schon, dass ich ihr auch nicht recht übern Weg traute, trotz ganz gut lesbarer Texte.


    buddhaghosa:

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    Mein Eindruck hier im Thread ist: wer das Benennen selber für einige Zeit geübt hat, bewertet es eher positiv


    Nein, denn wir haben es ja ALLE für einige Zeit geübt. Ich mache das z.B. auch noch, wenn ich mich versuche zu erinnern, was ich morgens alles zum Schwimmen mitnehmen muss: Handtuch, Schließfachschlüssel, Kleingeld. Diese Art von Bennenen - noch ohne Wertung - gehört also zum Alltag. Aber auch diese Gewissheit - Handtuch ist Handtuch - soll ja in der Zenübung zunächst einmal erschüttert werden. Um dann am Ende das Handtuch wieder als solches anzunehmen, aber in seiner Leere erkannt zu haben.


    Wenn ich nach Ayya Khema gehe, wäre Boden also Boden. Nehmen wir nun mal Boden - Arsch - kalt. Diese führe dann zu einer Abneigung. Diese schützt mich davor, meinen Unterleib zu verkühlen. Diese Gedankenketten sich bewusst zu machen, ist zwar schön und gut, aber sie haben ja, wie man dabei erkennt, auch ihren Sinn. Khema setzt aber bei dem wertenden Gedanken eine eigene Wertung dagegen - so würde sie zum Beispiel nach dem Palikanon argumentieren, eine Abneigung gegen eine andere Person oder eine große erotische Zuneigung seien wertende Gedanken, die es loszuwerden gelte. Am Ende des Labelns steht also auch eine Wertung - eine Wertung der wertenden Gedanken. Das kann man auch in diesem Forum sehen, wenn immer wieder der Palikanon dahingehend zitiert wird, solcherlei Gefühlsaufwallungen seien kein Zeichen des Erwachens usf.


    Stattdessen geht es im Zen darum, den Dingen ihre Existenzberechtigung zu lassen. Dass ich lieber auf einem beheizten Fußboden sitze ist dann nicht dümmer als der ebenfalls leere Anspruch, ich möge doch bitte hinnehmen, wie kalt und unbequem es um mich herum auch sei. Sicher ist eine solche Flexibilität als Abfallprodukt dieser allgemeinen Erkenntnis der Leere zu erwarten und von Vorteil. Die eine Ansicht ("wie kalt es meinem Arsch auch wird, ich hege keine Abneigung") hat keinen höheren Rang als die andere ("ach, wie unbequem, ich gehe lieber dahin, wo es angenehmer ist"). Der menschliche Fortschritt beruht eben auch darauf, dass wir diese Zu- und Abneigungen entwickeln. Allerdings sollen die genauso wenig auf ein Podest gestellt werden wie die Freiheit davon. Letzteres ist unrealistisch. Es wird sich auch immer wieder zeigen, wenn man sich die Leute, die so üben, genauer anschaut.


    Deshalb macht auch diese typische Argumentation aus dem Soto-Zen keinen Sinn, die Jinen zitierte. Wer behauptet, er würde Buddhismus praktizieren, ohne damit etwas erreichen zu wollen, täuscht sich selbst und andere. Ein guter Hinweis ist, zu schauen, ob denn die, die das behaupten, dann auch wirklich alles ablehnen, was sie "erreichen": Kesa, Rang, Titel, Tempel etc. pp. Nun? Das mag im Shin so sein (dazu kenne ich es zu wenig), im Zen ist es oft nicht so.


    Etwas anderes ist, zu sagen, das, was zu erreichen sei, ist im Grunde erreicht - da wir alle von Natur aus erleuchtet sind. Was dann zu erreichen wäre, ist das Ablegen der Zweifel daran und die Hemmungen, dieses erleuchtete Dasein auszuleben. Und das ist, wie bei allen anderen Wegen, wo man etwas übt, praktiziert und ändert, dann mit einem Ziel verbunden, genau wie Diäten, Sport oder Therapien - nämlich dem, weniger verschleiert zu denken und weniger gehemmt zu leben. In der Geschichte des Zen wurden (siehe Koan-Sammlungen) diese Stadien in der Entwicklung eines Menschen recht klar voneinander unterschieden - der unerleuchtete und der erleuchtete. Auch Dogen Zenji selbst legte Wert darauf, von einem Chinesen authorisiert worden zu sein (und niemand weiß, ob er es wirklich war). Wieso - wenn es nichts zu erreichen gibt - musste er nach China gehen und sich seinen Segen holen?


    Zitat

    Übung ist Erleuchtung, Erleuchtung ist Übung.


    Das bezieht sich lediglich auf die Tatsache, dass Erleuchtung in unserem Wesen angelegt ist. Wenn wir im buddhistischen Sinne üben (meditieren, freigebig sind, wohl reden etc.), dann drückt sich diese unsere Natur aus. Ansonsten ist es ein rhetorischer Trick, mit dem die Gleichsetzung Übung = Zazen = Erleuchtung insbesondere von Dogen propagiert wurde. Diese Rhetorik diente also der Stärkung der eigenen Lehrposition.


    Es bedeutet nicht, dass es darüber hinaus nichts gäbe. Diät ist auch nicht Gewichtsverlust. Es ist nur der Weg, auf dem er geschieht. Wenn man mit 100 Kilo anfängt und auf 80 runter will, dann ist der Tag, an dem man fastet, noch nicht das Idealgewicht. Die obige Rhetorik will lediglich davor schützen, sich an "Erleuchtung" als etwas Hab-bares (nicht-leeres) zu klammern, dass man "willentlich" (per "Ich") sich aneignet. Um in meinem Beispiel zu bleiben: Sind die 80 Kilo erreicht, ist zu erwarten, dass man sich um ihren Erhalt bemühen muss. Indem man so lebt, wie es die 80 Kilo erfordern. Der Erleuchtete - wir haben hier oft diskutiert, dass einmal Erwachte offenbar wieder in unerwachte Denk- und Handelsweisen verfallen können - bekräftigt seine Erleuchtung, indem er immer wieder das praktiziert, was sie kennzeichnet - etwa die Fähigkeit zum Loslassenkönnen.

    Ich war einmal dabei, wie ein Theravada-Mönch ein paar Meditationsanfängern Ratschläge in Richtung Labeln gab. Danach hab ich mir genauer angeschaut, ob das damit zu tun haben könnte, dass er ein Schriftgläubiger ist - und finde mich darin bestätigt. Das Labeln geht Hand in Hand mit dem Buchstabenglauben.


    Um es zu durchschauen, empfehle ich mal Folgendes: Statt "Sorge, Sorge" soll man einfach "Freude, Freude" labeln. Statt "Angst vor Jobverlust" einfach "Jabberwocky". Dann dürfte sich das bald erledigt haben.