Wenn Joko Beck auch Labeln empfahl, ist das ja ein Gegenbeweis für die These, nach Dogen Zenji Übende hätten damit besondere Probleme (denn sie war ja im Soto wie im Rinzai zuhause, so weit ich weiß). Aber ich danke für den Hinweis, ich sagte ja schon, dass ich ihr auch nicht recht übern Weg traute, trotz ganz gut lesbarer Texte.
buddhaghosa:
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Mein Eindruck hier im Thread ist: wer das Benennen selber für einige Zeit geübt hat, bewertet es eher positiv
Nein, denn wir haben es ja ALLE für einige Zeit geübt. Ich mache das z.B. auch noch, wenn ich mich versuche zu erinnern, was ich morgens alles zum Schwimmen mitnehmen muss: Handtuch, Schließfachschlüssel, Kleingeld. Diese Art von Bennenen - noch ohne Wertung - gehört also zum Alltag. Aber auch diese Gewissheit - Handtuch ist Handtuch - soll ja in der Zenübung zunächst einmal erschüttert werden. Um dann am Ende das Handtuch wieder als solches anzunehmen, aber in seiner Leere erkannt zu haben.
Wenn ich nach Ayya Khema gehe, wäre Boden also Boden. Nehmen wir nun mal Boden - Arsch - kalt. Diese führe dann zu einer Abneigung. Diese schützt mich davor, meinen Unterleib zu verkühlen. Diese Gedankenketten sich bewusst zu machen, ist zwar schön und gut, aber sie haben ja, wie man dabei erkennt, auch ihren Sinn. Khema setzt aber bei dem wertenden Gedanken eine eigene Wertung dagegen - so würde sie zum Beispiel nach dem Palikanon argumentieren, eine Abneigung gegen eine andere Person oder eine große erotische Zuneigung seien wertende Gedanken, die es loszuwerden gelte. Am Ende des Labelns steht also auch eine Wertung - eine Wertung der wertenden Gedanken. Das kann man auch in diesem Forum sehen, wenn immer wieder der Palikanon dahingehend zitiert wird, solcherlei Gefühlsaufwallungen seien kein Zeichen des Erwachens usf.
Stattdessen geht es im Zen darum, den Dingen ihre Existenzberechtigung zu lassen. Dass ich lieber auf einem beheizten Fußboden sitze ist dann nicht dümmer als der ebenfalls leere Anspruch, ich möge doch bitte hinnehmen, wie kalt und unbequem es um mich herum auch sei. Sicher ist eine solche Flexibilität als Abfallprodukt dieser allgemeinen Erkenntnis der Leere zu erwarten und von Vorteil. Die eine Ansicht ("wie kalt es meinem Arsch auch wird, ich hege keine Abneigung") hat keinen höheren Rang als die andere ("ach, wie unbequem, ich gehe lieber dahin, wo es angenehmer ist"). Der menschliche Fortschritt beruht eben auch darauf, dass wir diese Zu- und Abneigungen entwickeln. Allerdings sollen die genauso wenig auf ein Podest gestellt werden wie die Freiheit davon. Letzteres ist unrealistisch. Es wird sich auch immer wieder zeigen, wenn man sich die Leute, die so üben, genauer anschaut.
Deshalb macht auch diese typische Argumentation aus dem Soto-Zen keinen Sinn, die Jinen zitierte. Wer behauptet, er würde Buddhismus praktizieren, ohne damit etwas erreichen zu wollen, täuscht sich selbst und andere. Ein guter Hinweis ist, zu schauen, ob denn die, die das behaupten, dann auch wirklich alles ablehnen, was sie "erreichen": Kesa, Rang, Titel, Tempel etc. pp. Nun? Das mag im Shin so sein (dazu kenne ich es zu wenig), im Zen ist es oft nicht so.
Etwas anderes ist, zu sagen, das, was zu erreichen sei, ist im Grunde erreicht - da wir alle von Natur aus erleuchtet sind. Was dann zu erreichen wäre, ist das Ablegen der Zweifel daran und die Hemmungen, dieses erleuchtete Dasein auszuleben. Und das ist, wie bei allen anderen Wegen, wo man etwas übt, praktiziert und ändert, dann mit einem Ziel verbunden, genau wie Diäten, Sport oder Therapien - nämlich dem, weniger verschleiert zu denken und weniger gehemmt zu leben. In der Geschichte des Zen wurden (siehe Koan-Sammlungen) diese Stadien in der Entwicklung eines Menschen recht klar voneinander unterschieden - der unerleuchtete und der erleuchtete. Auch Dogen Zenji selbst legte Wert darauf, von einem Chinesen authorisiert worden zu sein (und niemand weiß, ob er es wirklich war). Wieso - wenn es nichts zu erreichen gibt - musste er nach China gehen und sich seinen Segen holen?
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Übung ist Erleuchtung, Erleuchtung ist Übung.
Das bezieht sich lediglich auf die Tatsache, dass Erleuchtung in unserem Wesen angelegt ist. Wenn wir im buddhistischen Sinne üben (meditieren, freigebig sind, wohl reden etc.), dann drückt sich diese unsere Natur aus. Ansonsten ist es ein rhetorischer Trick, mit dem die Gleichsetzung Übung = Zazen = Erleuchtung insbesondere von Dogen propagiert wurde. Diese Rhetorik diente also der Stärkung der eigenen Lehrposition.
Es bedeutet nicht, dass es darüber hinaus nichts gäbe. Diät ist auch nicht Gewichtsverlust. Es ist nur der Weg, auf dem er geschieht. Wenn man mit 100 Kilo anfängt und auf 80 runter will, dann ist der Tag, an dem man fastet, noch nicht das Idealgewicht. Die obige Rhetorik will lediglich davor schützen, sich an "Erleuchtung" als etwas Hab-bares (nicht-leeres) zu klammern, dass man "willentlich" (per "Ich") sich aneignet. Um in meinem Beispiel zu bleiben: Sind die 80 Kilo erreicht, ist zu erwarten, dass man sich um ihren Erhalt bemühen muss. Indem man so lebt, wie es die 80 Kilo erfordern. Der Erleuchtete - wir haben hier oft diskutiert, dass einmal Erwachte offenbar wieder in unerwachte Denk- und Handelsweisen verfallen können - bekräftigt seine Erleuchtung, indem er immer wieder das praktiziert, was sie kennzeichnet - etwa die Fähigkeit zum Loslassenkönnen.