Beiträge von diamant im Thema „Carl Bielefeldt zu Dôgen und Hui-neng“

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    Ein Beispiel ist, dass du Yampolsky (1967) zitierst, ohne seine wesentliche Ansicht zu erwähnen: Dass Dôgen Yampolskys Meinung nach das Plattformsutra nie in den Händen hatte!


    Dein Englisch ist noch ausbaufähig. Dass Dōgen das Plattform-Sutra nicht gekannt haben soll, ist natürlich Unsinn


    Das ist nicht Englisch. Ich schreibe in Deutsch. Und in Deutsch steht da nicht, "dass Dogen das Plattformsutra nicht gekannt haben soll", sondern dass er es nie in den Händen hatte. Dogen hat das Plattformsutra offenbar nur aus zweiter Hand - oder nur bruchstückhaft - gekannt, und deshalb seine Fehldeutungen geleistet. Hätte er es vorgeliegen gehabt und wäre zu seinen Schlüssen gekommen, müsste man an seinem Verstand zweifeln.


    Zitat

    Richtig ist daran, dass Dōgen in Shōbōgenzō Shizen Biku die Authentizität des Plattform-Sutra bestreitet, im Sinne einer Autorschaft Huinengs.


    Nein, er bestreitet in erster Linie den Inhalt, das steht ja da in dieser Reihenfolge:

    Zitat

    ... enthält die Worte "die Natur erkennen" ... Es handelt sich nicht um die Worte eines Mannes, dem der Schatz des Dharmas übertragen wurde.

    Von dem Inhalt schließt er auf eine Fälschung. Wie dann auch deine weiteren Zitate belegen.


    Weiter stellt sich natürlich die Frage, warum er an anderer Stelle im Shobogenzo den Hui-neng so gar nicht anzweifelt, etwa in Gyoji und Inmo, und dabei auf autobiografische Teile des Plattformsutras zurückgreift. Dies bestätigt einmal mehr meine obige These, dass Dogen mit dem Sutra und seinem Huineng-Verständnis nach eigenem Belieben verfuhr. Was ihm inhaltlich nicht passte, wurde in Abrede gestellt. Dass Dogen die von dir zitierte Frage nicht beantworten konnte, wer von den Ahnen lehrte, dass Buddha-Dharma "nur" bedeute, die eigene Natur zu erkennen, könnte wiederum seine eigene begrenzte Kenntnis dieser Vorfahren belegen. Es stinkt freilich nach einer rhetorischen Frage.


    Im Eihei Koroku rät Dogen indirekt sogar zur Lektüre des Plattformsutras, und seine Zweifel an diesem und an Hui-neng sind wie weggeblasen: (V, 37):

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    Wenn ihr Sutren lesen wollt, solltet ihr jene anschauen, die von Hui-neng dargelegt wurden: das Saddharmapundarîka- , das Mahâparinirvâna- und das Prajnâpâramitâ-Sûtra.

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    Das entspricht exakt dem, was in der Soto-Tradition als Zazen gelehrt und geübt wird. Von besonderem Interesse ist dieses Zitat auch hinsichtlich dieser Aussage: "If, for one thought-moment, there is a break, the dharma-body separates from the physical body, and in the midst of successive thoughts there will be no attachment to any kind of matter." Das ist Dōgens 'shinjin datsuraku' (身心脱落), das Abfallen von Körper-und-Geist.


    Diese Aussage ist falsch, wenn man einen Essay von Seijun Ishii, Professor an der Komazawa-Universität, zu Rate zieht, den die Sôtô-Schule veröffentlicht hat. Hier wird genau erläutert, wie Shinjin datsuraku zu verstehen ist: http://global.sotozen-net.or.j…terms/pdf/key_terms03.pdf


    Die Unterschiede zu Hui-neng demnach im Einzelnen:


    1) Shinjin datsuraku steht in Verbindung mit Shikantaza (das Hui-neng nicht propagierte - Dogen führt diese Lehre ausdrücklich auf seinen Lehrer Ju-ching zurück).


    2) Shinjin datsuraku wird von Dogen statt "satori" benutzt: "Er argumentiert, dass das Erkennen der Realität des Selbst nur durch kontinuierliches Praktizieren möglich ist." Bei Hui-neng hingegen gibt es einen Schlüsselmoment, der sich in dem Vers verdichtet, der dazu führt, dass sein Meister ihn zum Nachfolger macht, also ein zeitlich verankertes Geschehen des Erwachens.


    3) Dogen hat offenbar den Ausdruck Shinjin datsuraku uminterpretiert: "Nun ist wohl beim gegenwärtigen Stand die beste Erklärung, dass Dogen Zenji Nyojos Ausdruck Shinjin datsuraku (Abwerfen der Geist-Verschmutzungen) umfassend und kreativ als Shinjin datsuraku (Abwerfen von Körper und Geist) interpretiert hat." Bei Hui-neng geht es jedoch um den Geist, nicht um den Körper. Im obigen Zitat aus A.C. Muellers Übersetzung ist "dharma body" das eigentliche Erkennen: "seeing is the dharma-body" (Jorgensen: Inventing Hui-neng. Leiden 2005, S. 320). Um das Abfallen des Körpers geht es da nicht. Darum schließt der Autor dieses Essays auch:


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    Wir können keine Quelle für Shinjin Datsuraku in irgendeinem chinesischen Zentext finden.

    Nachtrag: A.C. Mueller irrt, wenn er meint, dass im Zen Nicht-Denken nur so verstanden würde, wie von ihm beschrieben (als nicht-anhaftendes Denken). Ein Zeitgenosse des (legendären) Bodhidharma, Zhiyi (https://en.wikipedia.org/wiki/Zhiyi) schrieb ein Werk mit dem Titel "Anhalten und Sehen" und ging dort bereits weiter. Gemeint ist das Erkennen der Wirklichkeit, wenn die Gedanken tatsächlich aufhören.


    Zhiyi gilt den Tendai als ihr Begründer und hatte bedeutenden Einfluss aufs Zen, er propagierte unter anderem, dass es besser sei, "die Wahrheit inmitten von Beschmutzungen zu verwirklichen als durch deren Tilgung". (Aus einer Doktorarbeit zu Chih-i und Madyamika: https://macsphere.mcmaster.ca/…1375/13647/1/fulltext.pdf)


    Folglich sagte er auch:

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    "Menschen, die das Anhalten und Sehen nicht kultivieren können, empfiehlt der Buddha Tugenden als den Weg."

    [siehe Thomas Cleary: Stopping and Seeing. A Comprehensive Course in Buddhist Meditation. (Boston 1997)] Hier haben wir also bereits im 6. Jahrhundert einen Hinweis auf den von mir beschriebenen Unterschied einer Zen-Geistesübung zu einer Tugendübung. Chih-i sieht letztere offensichtlich als minderwertig an.


    In Chih-is Auflistung der vier Samadhi-Arten findet sich eine, die "weder Gehen noch Sitzen" ist. Dazu werden die Gedankenstufen erläutert, und die erste ist: noch nicht denken (also ohne Gedanken sein; siehe u.a. http://www.kamalashila.co.uk/page27/styled-34/)


    Aus der Unkenntnis solcher Meister wurde hier nicht nur schon in Abrede gestellt, wie zweitrangig die Tugendübung im Buddhismus sein kann, sondern auch, dass es im frühen Mahayana-Buddhismus bereits die Erkenntnis gab, auch Nicht-Denken im Sinne einer völligen Gedankenfreiheit sei möglich, ja nötig! Dies ist m. E. wichtig, wenn man die Erfahrung des Erwachens vieler Meister begreifen will, die ja regelmäßig erst danach versuchten, diese in Worte zu kleiden.

    Danke, Jojo. Aber bei mir heißt es "Wortglaubereien". Im Sinne von Schrift- und Buchstabengläubigkeit. Ich melde aber kein Patent drauf an. Ich habe kürzlich auch das Wort "chrungte" für den Charakter einer bestimmten südostasiatischen Musik erfunden.

    Sudhana: So sieht also "EOD" aus.


    Zitat

    das sei eine Erfindung von mir


    Klar, deine Formulierungen und Übersetzungen sind deine. Und vor allem nicht die Huinengs. Ich habe ja schon gezeigt, dass man selbst Bielefeldt anders übersetzen kann, nämlich nicht so tendenziös.


    Ein Beispiel ist, dass du Yampolsky (1967) zitierst, ohne seine wesentliche Ansicht zu erwähnen: Dass Dôgen Yampolskys Meinung nach das Plattformsutra nie in den Händen hatte!


    Als Dôgen in seinem Essay "Shizen biku" (im Shobogenzo) das "Erkennen der Natur" beschreibt, sagt er: "Das Plattformsutra des sechsten Patriarchen enthält die Worte "die Natur erkennen", doch dieser Text ist eine Fälschung. Es handelt sich nicht um die Worte eines Mannes, dem der Schatz des Dharmas übertragen wurde ... Es ist ein Text, auf den sich Nachfolger der buddhistischen Patriarchen niemals verlassen." (übersetzt nach Nishijima & Cross).


    Demnach hat man zwei Möglichkeiten: a) Schon Dôgen hat sich was über dieses Plattformsutra zurechtgefaselt, und es ist kein Wunder, dass es nicht besser wird, wenn man ihm da versucht zu folgen; b) Dôgen kannte das Sutra tatsächlich und hat hiermit klar gemacht, dass im Gegensatz zu Sudhanas Behauptung seine Zenlehre in wesentlichen Teilen von der Hui-nengs abweicht. Was sie ja tatsächlich tut. Weswegen ich mich weder an a) noch b) reiben muss.


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    Dass es da auch keinen Bedarf nach Religion oder sonst etwas gibt, ist fast zu trivial, um es noch anzuführen.


    Nein, ist es nicht, denn Dôgen hat nicht nur eine errichtet, er hat ja das damit verbundene Klosterleben sogar in seiner Spätphase als das einzig wahre angesehen. Und darum geht es. Im Umkehrschluss zu verstehen, dass Dôgen diesen Pfad der "trivialen" Erkenntnisse seiner Vorgänger verließ.


    Die Versuche, die Zeremonien, die im Plattformsutra im Rahmen des später klösterlichen Leben Hui-nengs eine Rolle spielten, in den Mittelpunkt seiner Lehre zu stellen, statt seine "Geistesübung" und seinen Verriss des stillen Sitzens (Ta-hui bezeichnet Shikantaza später, mit Berufung auf Huineng, als "Polieren des Geist-Spiegels", als allmähliches Erwachen, zengo - siehe Heine, Dogen and Zen, S. 25), sind natürlich die ewig zu erwartenden Rettungsversuche, mit denen Dôgen in Einklang mit Hui-neng gebracht werden soll. Dabei ist klar, dass Huineng genau das Gegenteil von Dôgen behauptete: Er räumte Laien die gleiche Chance wie Mönchen ein. Schon von daher ist es absurd, darauf zu verweisen, dass er sich im Kloster klösterlich verhielt.


    Weil Huineng Geistesübung betrieb, perlte das Klosterleben an ihm ab. Weil Dôgen vor allem Körper- und Klosterübung betrieb, veränderte das jedoch entscheidend seine Ansichten.


    Eine der zentralen Lehren Hui-nengs ist die vom plötzlichen Erwachen. Hier sollte man zunächst genauer in die Sôtô-Geschichte schauen, ehe man denen glaubt, die als nach eigenem Bekunden Nicht-Erwachte möglicherweise ein solches plötzliches Erwachen in Frage stellen. Was aber, wenn sie das shusho itto (Praxis als Erleuchtung) von Dogen als solches verstehen ? Was meinen sie dann mit Praxis (eine Frage, die ich immer wieder hier stellte)? Wie erwacht also ein Dôgen-Anhänger plötzlich?


    (Bei mir bitte möglichst keine Nachfragen per PM. Ich mache das alles öffentlich.)


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    Ethische Indifferenz


    Davon sprechen nur die, die nicht verstehen, welche Ethik aus Erwachen erwächst. Diejenigen also, die ein Korsett brauchen, weil sie sonst selbst ins Schwimmen (Indifferenz) geraten.


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    was Huineng im Plattform-Sutra zu den 'formlosen Gelöbnissen' zu sagen hat


    Er sagte: "If you think ..." Ich übersetze: Wenn du denkst ... Alles im Sinne der Geistesübung. Er sprach in der zitierten Stelle eben nicht von sila. Sondern schlicht vom Guten und Bösen. Der wichtigste Satz ist: "Wenn du von intuitiver Weisheit denkst, wirst du die höchsten Gefilde erreichen." Er sagte also genau das, was ich hier immer wieder betone: Die höchsten Gefilde sind die intuitiver Weisheit (nicht die der sila oder fest umrissener Ethik).

    void:

    Zitat

    düften sie jetzt so die Sau rauslassen, sich schamlos bereichern und extrem seltsame Dinge tun.


    Das wäre ein Unterscheidungsmerkmal. Ich habe nicht den Eindruck, dass dies für Huineng, Linji, Huangpo und Co. galt.


    Ellviral: Das hast Du schön gesagt. Meinen letzten Schrei habe ich ein paar Stunden später erklärt, um den Zuhörern etwas plausibler zu machen. Es wird dich nicht überraschen, dass Kinder intuitiv verstehen und eher die Erwachsenen verwirrt sind. Ob sich die anderen nun an dem eigenen "Speicher", den man frei gibt, bereichern oder nicht, ist einem selbst auch nicht mehr wichtig. Aber auch das kann der Intuitive eher. Es ist wie ein permanentes Angebot.


    Was verändert sich? Das ist im achtfachen Pfad beschrieben, den so viele ja leider entweder als Weg von a nach b oder als einen Weg sehen, der einen dauerhaft in einer bestimmten Definition beschäftigt ("Wortglaubereien"). NACH (!) der Erkenntnis (1. Glied) verändert sich das Denken, die Rede (man sagt, wie es ist, und das stößt Leuten auf, siehe hier die Beispiele aus dem Bereich Sexualität), das Handeln (es wird furchtloser, und zwar gegenüber Menschen, nicht gemeint ist, dass man sich in Extremsportarten betätigt - man greift öfter ein, packt öfter an), der Lebenserwerb (er enthält ein dienendes oder dharmaverbreitendes Element), die Anstrengung (Beispiel: Übersetzen von Fachliteratur statt plakativer Sprüche in einem buddhistischen Forum), die Achtsamkeit, die Versenkung.


    Nach meinem Eindruck verändern sich die Denkstrukturen derart, dass man schneller das eigentliche Problem erkennt und intuitiver eine Lösung entwickelt - und sie sofort angeht. Ich bekam heute z.B. eine email, in der mir jemand schrieb, er habe einen dringenden Brief nicht aufgeben können, weil seine Post am Ort zu habe. Als ob es nur eine gäbe ... Diese Einstellung findet man auch hier oft. Sich nicht der nötigen Einsicht und Tat stellen, sondern einen bequemeren Ausweg suchen.

    Ich stimme zu, void. Was dann auch erklärt, warum hier immer wieder unnötige Diskussionen versucht werden. Wenn man dort angekommen ist (die Buddha-Natur verwirklicht hat), stellt es sich so dar und soll auch so vermittelt werden. Und genau von diesem Standpunkt aus haben es die alten Zenmeister vermittelt, da sie ebenfalls dort angekommen waren. Wenn man nicht dort angekommen ist, sagt man: "Du solltest dich mal mit dem Pfadglied der rechten Gesinnung beschäftigen" - bleibt also in der Mathematik der Ethik stecken und erweist sich gerade so als nicht angekommen.


    (gelöscht, hatte Dich falsch verstanden)

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    Ganz bestimmt nicht


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    das bekommst du eh nicht auf die Reihe


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    Blödsinn.


    (und das alles offenbar während eines Aufenthaltes in Antaiji und ausgedehnter Zazenübung ...)

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    Du verstehst diese Art "ideal-typische" Sprache des Zen nicht


    Ihr beide, bel und blue, seid mir zu niveaulos. Ich tue euch jetzt mal auf die Ignorierliste.


    In der nächsten Zeit fasse ich nach Möglichkeit noch den einen oder anderen akademischen Beitrag zusammen. Man möge dies als Denkanstoß verstehen, und ich möchte denen eine Hilfe geben, die nicht genügend Englisch können oder nicht die Zeit für solche Lektüre finden.


    Ich prophezeie auch da solche Abwehrreflexe. Es lohnt nicht, damit jeden Thread vollzumüllen.


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    Das Fazit ziehst du ganz alleine


    Ich bin dazu zwar in der Lage, maße mir das aber nicht mal an. Das glaubt man nur a) aus rhetorischen Gründen, b) aus Faulheit (zur Recherche), c) mangels hinreichender Lektüre. Die Nordschule des Zen wurde in eben dem Tendai (Dainichi Nônin) am Leben erhalten, dem sich Dôgen zunächst aussetzte (Heine, Did Dogen go to China, S. 98).


    Dazu dann sukzessive mehr.

    Carl Bielefeldt ist ein Dôgen-Experte, der einige der Ansichten vertritt, die ich hier schon äußerte. Zum Beispiel die, dass Dôgen ein "politcal manqué" gewesen sei, ein "verhinderter Politiker" (eigentlich ist manqué ja jemand, der eine bestimmte Erwartung oder Ambition nicht erfüllt). Er sagt das im Band "Dogen Studies" von William LaFleur (S. 41).


    In seinem Buch "Dogen's Manuals of Zen Meditation" (Berkeley, London 1988) schreibt Bielefeldt über Hui-neng und die drei attributlosen Schulungen ("three attributeless disciplines", wu hsiang san hsüeh):


    Zitat

    Der Unterschied, sagt Huineng, zwischen seiner eigenen Lehre von der spontanen Erleuchtung und der des graduellen Erwachens seines Rivalen aus der Nördlichen Schule, Shen-hsiu, sei der, dass Letzterer noch dem konventionellen Verständnis anhafte und Ethik, Meditation und Weisheit als etwas präsentiere, dass in die Praxis umzusetzen sei. Hui-neng sagt: "Die Tatsache, dass der Grund des Geistes (hsin li) ohne Falsch ist, stellt die Ethik der eigenen Natur dar ... Wenn wir unsere eigene Natur verstehen, errichten wir keine Ehtik, Meditation und Weisheit ..." In der erleuchteten Weisheit unserer eigenen wahren Natur tauche kein Bedarf nach Religion auf.

    (S. 90)


    Weiter heißt es bei Bielefeldt über Hui-nengs Dharma-Nachfolger:


    Zitat

    Shen-hui liefert eine Definition der drei "natürlichen" Schulungen (wu-tso) im Sinne Hui-nengs. ... In seiner Schrift Ting shih-fei lun unterscheidet er den Buddhismus Hui-nengs von dem Shen-hsius (!) aus der Nordschule damit, dass Letztgenannter die Menschen zur Praxis der Meditation ermutige und sie lehre, "den Geist erstarren zu lassen und in Samadhi einzutreten, den Geist zu richten und Reinheit zu bewahren, den Geist zu erregen und äußerlich zu erleuchten, den Geist zu konzentrieren und innerlich zu bestätigen."[In einer Fußnote wird noch kritisiert: "Verweilen mit gesenktem Blick"] ... Meditation sei karmische Aktivität, die nur zur Wiedergeburt führe. Sie würde eine spirituell impotente Leere erzeugen (wu-chi k'ung). ... Shen-hui nennt die künstliche Stille durch Meditation "Karma-Fessel", das einzig wahre Samadhi sei die natürliche Stille des ursprünglichen nicht-verweilenden Geistes eines Menschen.

    (S. 91)


    Im von Sudhana verlinkten Artikel von Professor Bielefeldt (http://www.jsri.jp/English/BukkyoSymp/Papers/bielefeldt.html ) geht es vor allem um eine Auseinandersetzung mit Prof. Ishigami, der über den Zusammenhang von Nembutsu und der "dreifachen Schulung" (meine Übersetzung) in sila (Regeln), Meditation und Weisheit schrieb. Der Name Hui-neng fällt genau einmal, als Beispiel für einen, der den allmählichen Zugang an diese dreifache Schulung ablehne und stattdessen für den plötzlichen Zugang sei, dass der eigenen Natur entspräche. Die Schulung der Gebote solle ethische Irrtümer einer Person ausmerzen, doch der eigene Geist sei von Natur aus nicht im Irrtum. Meditation bedeute, dass der eigene Geist von Natur aus nicht verstört sei. Weisheit bedeute, dass der eigene Geist von Natur aus nicht unwissend sei. Daraus folgt, dass wir die "dreifache Schulung" auf natürliche Weise inmitten unserer Irrtümer, Verstörungen und Unwissenheit praktizieren.


    Fazit: Es finden sich in der Kritik Hui-nengs und seines Nachfolgers Shen-hui so viele Kennzeichen des Zens von Dôgen und der Sôtô-Schule, dass der Verdacht nahe liegt, Dôgen habe sich eher an der nördlichen (Shen-hsiu) als der südlichen Schule (Shen-hui) orientiert. Dies zeigt sich auch an den Argumenten derjenigen User hier, die z.B. am Dreiklang von Regeln, Meditation und Weisheit festhalten. Das entspricht eben nicht der Auffassung Hui-nengs. Von daher war Sudhanas Versuch, Dôgen mithilfe des Akademikers Bielefeldt zwischen den Zeilen als in einer Linie mit Hui-neng zu legitimieren, eine Farce.


    Natürlich gibt es aber auch Gemeinsamkeiten, dazu müsste man Dôgen aber anders - und umfassender - verstehen, um dies wie Bielefeldt, Heine u.a. differenzieren zu können. Eine Gemeinsamkeit, die Bielefeldt in dem Artikel einräumt: Dôgen habe ebenfalls abgelehnt, dass die Meditation der dreifachen Schulung entspräche, sie sei vielmehr "die Praxis des Buddha" (butsugyo). Mit anderen Worten, man kann auch Dôgen so verstehen, wie ich es sagte, nämlich in seiner Ablehnung des Gleichklangs von Regeln, Meditation und Weisheit. Jedoch schreibt Bielefeldt davor auch, dass andere sich nicht wie Dôgen mit Zazen identifizierten:


    Zitat

    Der plötzliche Zugang zu den drei Schulungen, der manchmal als "formlose Schulung" (muso sangaku) beschrieben wird, taucht immer wieder in Texten der Zentradition auf und wird oft von einer scharfen Kritik an der Meditation begleitet und an der Auffassung, Zazen sei die traditionelle Übung des dhyana (Zen). Das Lin-chien lu, eine wichtige Abhandlung des Sung-Meisters Hui-hung beispielsweise, leugnet, dass das neunjährige Sitzen Bodhidharmas vor einer Wand die Praxis des Zen gewesen sei.


    Leider kann man bei Anhängern des Sôtô-Zen in Foren seit Langem beobachten, dass sie diese Unterschiede verwischen, krampfhaft an der Deckungsgleichheit von Hui-nengs Lehre mit der Dôgens festhalten wollen und dabei auch leugnen, dass Ethik im Sinne der chinesischen Südschule einen anderen Stellenwert einnimmt, als von ihnen (bel, Sudhana, Thursday usw.) behauptet.


    Ich denke, Sherab, du wirst nun erkennen, dass die Unterschiede doch deutlich und nicht marginal sind.


    [Es werden folgen: Einige Wortglaubereien und weiteres Verwischen der Unterschiede, vor allem der Versuch, dass Hui-neng und Shen-hui mit ihrer Kritik gar nicht das zazen von Dôgen gemeint hätten - was ja eigentlich logisch ist, da er noch nicht lebte, aber auch wieder falsch, weil sie ja die Kennzeichen auflisteten, die man dort wiederfinden kann.]