"Gar kurz ist das Leben der Menschen, begrenzt und flüchtig, voller Leiden und Qualen. Weise sollte man dies erkennen, Gutes tun und den heiligen Wandel führen, denn kein Geborener entrinnt dem Tode.
Gleichwie der Tautropfen an der Spitze eines Grashalmes beim Aufgehen der Sonne gar schnell zergeht, nicht lange bleibt: so auch ist das dem Tautropfen vergleichbare Leben der Menschen gar begrenzt und flüchtig.
Oder gleichwie beim Herabgießen einer mächtig geballten Regenwolke die Blasen auf dem Wasser gar schnell zergehen, nicht lange bleiben: so auch ist das der Wasserblase vergleichbare Leben der Menschen gar begrenzt und flüchtig. Oder gleichwie die mit einem Stocke im Wasser gezogene Furche gar schnell verschwindet, nicht lange bleibt: so auch ist das der Wasserfurche vergleichbare Leben der Menschen gar begrenzt und flüchtig." (Ang. Nik.)
Diese Erkenntnis vom Leben als Leiden ist in der ersten edlen Wahrheit vom Leiden zusammengefasst:
"Das ist die edle Wahrheit vom Leiden: Geburt ist Leiden, Alter ist Leiden, Krankheit ist Leiden, Tod ist Leiden, von Lieben getrennt sein ist Leiden, mit Unlieben vereint sein ist Leiden, nicht erlangen, was man begehrt, ist Leiden, Kummer, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweiflung sind Leiden. Kurz, die fünf Gruppen des Anhaftens sind Leiden."
Wenn auf die Geburt als Leiden verwiesen wird, so ist darunter neben dem Leidvollen des gegenwärtigen Daseins der bereits erwähnte Kreislauf ständigen Lebens und Sterbens zu verstehen, wie er sich aus dem Gesetz des ewigen Werdens ergibt. In der Heilslehre des Buddha— wie im ganzen Osten—wird Leben nicht nur als an eine Geburt gebunden angesehen, sondern das Jetzt bildet nur ein Glied einer unendlichen Kette vorherigen und nachfolgenden Lebens. Leben hat nicht mit der Geburt begonnen und endet auch nicht mit dem Tode, sondern lebt sich fort und fort, solange Durst und Haften, Gier, Haß und Wahn vorhanden sind.
Diese Auffassung von der Wiedergeburt (nicht Seelenwanderung) ist von vielen Dichtern und Denkern des Abendlandes geteilt worden, von denen nur Empedokles und Goethe genannt seien. Der Gedanke des Vorher und Nachher klärt viele Zusammenhänge, die sonst nicht zu erklären wären. Hier, in der Lehre von der Wiedergeburt, lösen sich die vielen Fragen nach dem "Großen Warum", die gerade heute wieder Millionen Herzen bewegen. [67]