Beiträge von Sudhana im Thema „Shinjinmei“

    Ich werde so handeln wie ich genau dann handel.

    So ist es. In Sōtō-Sprech: du handelst, wie du übst. Das spontane Handeln ist Ergebnis und Aktualisierung der Übung. Was vielleicht auch eine Antwort auf diese Frage ist:

    wie lebt ein Individuum in dieser Welt wenn es aufhört (so wie du das schreibst) jemanden zu sein?

    Wobei ich mal davon ausgehe, dass das eine rhetorische Frage ist; Dōgens Daishugyō kennst Du ja sicherlich und die Ähnlichkeit des bekannten ethischen Standard-Dilemmas mit Hyakujōs Fuchs ist nicht ganz zufällig. Die Ochsenbilder mit ihren poetischen 'Antworten' hast Du ja kürzlich selbst hier präsentiert.


    Meinen Senf (Wasabi ist aus) noch zu dem Maschinenmodell. Ich halte das aus zwei Gründen für untauglich. Zum einen verweist diese Metapher auf rein 'mechanische' Abläufe; anders gesagt: sie ist eine Reduktion auf Kausalität. Reduktion insofern dies die Komplexität einer tatsächlich konditional bedingten Kognition nur sehr unvollkommen abbildet. Zum anderen 'arbeitet' dieses Maschinenmodell implizit mit der Prämisse einer durch eine Kraft bewegten Substanz, die wiederum in direktem Widerspruch zur 'buddhistischen' Prämisse der Substanzlosigkeit (anātman, śūnyatā) steht.


    Wenn man ein technisches Modell vorzieht, wäre es mE vielleicht sinnvoller, von selbstlernenden Algorithmen zu sprechen statt von Maschinen.

    Morpho:

    Shinjinmei ist niemandem zu empfehlen, der die "Ebenen" von 'absolut und relativ' nicht "verstehen" kann.


    Also erst mal das Cāntóngqì? So als Vorschule? Spass beiseite - Ja. Deswegen ist es angebracht, sich öffentlicher Empfehlungen von Übersetzungen dieses Textes zu enthalten. Aber das hatten wir ja schon ...


    ()

    Sorry, hatte zu früh (vor Deiner letzten Editierung) geantwortet. Deshalb nachgeschoben:

    Morpho:

    Man kann es ja nicht oft genug wiederholen offensichtlich, aber 'Zazen' umfasst die drei Übungsgebiete. Stufen,-und Konzepteweise "Kultivierung" dagegen entspringt der Hinayana- Haltung.


    Nunja - das ist Wortklauberei oder noch schlimmer dogmatisches Gezänk. Zazen ist Kultivierung ist Übung ist Zazen ... umfassend, ununterbrochen, kontinuierlich. Wie könnte es da Stufen oder verschiedene Konzepte geben? Trotzdem hat die Übung ihre Tiefen und Untiefen.
    ()

    Morpho:

    Niemand kann nicht Nicht-Lieben, selbst wenn er unbedingt will.


    Ja. Um trotzdem mal auf die Ausgangsfrage dieses Threads zu verweisen:

    Jojo:

    kann jemand eine deutsche Übersetzung des Shinjinmei empfehlen?


    Wie empfehlenswert ist eine Übersetzung, in der man liest: "man muss frei sein von Liebe"?

    Morpho:

    Ja,Ja, aber GEFÜHLSKÄLTE kannst du nicht herstellen, nicht durch falsches Verständnis, nicht durch falsche Übung, nicht durch falsche Ansicht.


    Und was bedeutet das für jemanden, der glaubt, Zenpraxis laufe auf "Gefühlskälte" hinaus, weil immerhin der dritte Patriarch laut Übersetzung eines großen zeitgenössischen Meisters offensichtlich lehrt, man solle nicht lieben? Okay - Lichtenberg sagt, wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstoßen und es klingt hohl, dann liege dies nicht unbedingt am Buch. Trotzdem - ist er nicht am besten bedient, wenn er das Buch nach Lektüre der 4. Zeile in die Tonne tritt bzw. gar nicht erst solch einen Unsinn liest? Entweder geht er die große Sache von vornherein mit der Hypothek eines gravierenden Missverständnisses an und wundert sich dann irgendwann, dass es nicht klappt mit der Praxis. Oder er lässt lieber gleich ganz die Finger von diesem Zen-Unfug und kauft sich als nächstes lieber ein Buch von Thich Nhat Hanh oder vom Dalai Lama.


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    itune:

    Sudhana:

    Zitat

    Vielleicht lernst Du ja irgendwann auch einmal, Deshimaru zu misstrauen und stattdessen nur Dir selbst zu trauen. Ich wünsche es Dir.


    Interessant, wie du persönlich wirst.


    Unvermeidlich. Du hattest von der "Erfahrungstiefe" Deshimarus geschrieben und da stelle ich mir (und Dir) die Frage, wie Du etwas über die Erfahrungstiefe von Deshimaru oder sonst jemandem etwas wissen willst. Weswegen ich Deine Aussagen dazu - es ist vielleicht aufgefallen - in meinen Repliken unter Vorbehalt gestellt habe. Und - @Morphos - gerade dieser Zweifel, ob Deshimaru da richtig verstanden wurde, zeigt ja, dass von "Feindschaft" gegenüber Deshimaru gar nicht die Rede sein kann. Authentisch können wir nur aus unserer eigenen Erfahrung heraus sprechen oder schreiben. Wir sollten da für unsere persönliche Sichtweise keine Sockenpuppe als Popanz auftreten lassen - heiße sie nun Deshimaru oder sonstwie.


    In Deiner letzten Antwort zeigst Du etwas von Deiner eigenen Erfahrung, und das ist erfreulich.

    itune:

    Aber ich betrachte es mal als Retourkutsche.


    Betrachte es, wie Du willst. Ich habe da keinen Einfluss darauf und will auch keinen darauf nehmen.

    itune:

    Aber eine Umdeutung ist, den alten Texten zu unterstellen, die hätten das so gemeint, oder zu behaupten, wenn man eine Frau anderen vorzieht u.ä. würde man immer noch nicht anhaften.


    Zum ersten Teilsatz: dass ich es für angemessener halte, 憎愛 als buddhistischen terminus technicus im Sinn von "Hass und Anhaftung" / "hate and attachment" zu verstehen, statt umgangssprachlich mit "Hass und Liebe" zu übersetzen, ist keine "Umdeutung". Es ist ein philologisches Argument, das sich auf Hirakawas Buddhist Chinese-Sanskrit Dictionary und Soothills Dictionary of Chinese Buddhist Terms stützt. Ergänzend dazu kam von mir der Hinweis, dass 愛 für sich alleine stehend als buddhistischer terminus technicus für das 8. nidana von pratityasamutpada steht, also Begehren / Verlangen / 'Durst' als unmittelbare Voraussetzung des Ergreifens / Anhaftens (upadana) - findet sich a.a.O.. Keine der bislang vorgebrachten umgangssprachlichen Übersetzungen (Hass und Liebe) begründet in irgendeiner Weise, warum der Übersetzer hier eine umgangssprachliche Wiedergabe von 憎愛 der spezifisch buddhistischen vorzieht.


    Stattdessen wurde von Morphos und Dir argumentiert, Liebe sei zwangsläufig mit Begehren verbunden. Wie ich schon ziemlich zu Beginn der Diskussion schrieb, trifft das auf die umgangssprachliche Lesart von 愛 als 'Liebe' zu - nicht jedoch zwangsläufig auf den deutlich erweiterten abendländischen Begriff von Liebe, so weit dieser auf das paulinische Konzept universaler Liebe rekurriert. Die abendländische Literatur zu diesem erweiterten - neben dem Korintherbrief vor allem auf dem 1. Johannesbrief beruhenden - Liebesbegriff füllt ganze Bibliotheken. Dieser abendländische Liebesbegriff ist polysem, während es sich bei 愛 um ein Homonym eines monosemen terminus technicus einerseits und eines monosemen umgangssprachlichen Begriffs andererseits handelt. Um den semantischen Bereich des abendländischen Liebebegriffes in etwa abzudecken, braucht das Chinesische zusätzlich zumindest einen weiteren Begriff, nämlich 慈, das für Skrt. maitrī steht.


    itune:

    Du hast so getan, als würde man am Dharma UND an dieser Liebe - wie sie auch Ellviral vor den Texten verteidigen will - festhalten, indem man von sich behauptet, ohne Zu- oder Abneigung lieben zu können, also bedingungslos. Was stattdessen, darauf können wir wetten, eure Liebesbeziehungen kennzeichnet, ist, dass ihr den geliebten Wesen mehr Zeit und Aufmerksamkeit widmet als anderen, ihnen mehr Gefühle entgegenbringt, in irgendeiner Form an sie gebunden seid.


    Du bringst da verschiedene Dinge durcheinander. Wahrscheinlich liegt es an der Vielschichtigkeit des (abendländischen) Begriffs 'Liebe', wobei Du - den Vorwurf kann ich Dir nicht ersparen - ziemlich bedenkenlos die unterschiedlichsten Ebenen dieses Begriffs - von der vulgärsten Begierde über die Ebene alltäglicher Praxis eines Wegsuchers bis hin zur Realisierung von 'Liebe' (maitrī und karuṇā) als spirituelles Prinzip, als Ausdruck und soziale Gestalt des 'wahren Selbst' durcheinanderwürfelst.


    Wie schon wiederholt angeführt, halte ich es für ein krasses Missverständnis und auch philologisch nicht zu rechtfertigen, zu unterstellen, Sengcans Empfehlung, nicht "zu lieben" erstrecke sich auch auf 慈 maitrī, 悲 karuṇā usw. - kurz, auf die 四無量心 (brahmavihāra) und 波羅密(pāramitā). Zur Kultivierung dieser Geisteszustände (die man von mir aus gerne als 'Emotionen' bezeichnen kann) habe ich auf das Diamantsutra verwiesen, das lehrt, dass und wie diese Kultivierung ohne Anhaften an Objekten Bodhisattva-Praxis per se ist. Wobei sich überdies die Frage stellt (deren Beantwortung hier konsequent ausgewichen wurde), wie eine Bodhisattva-Praxis ohne Kultivierung der brahmavihāra und pāramitā überhaupt möglich sein soll. Da bleibt dann eben nur das kleine Fahrzeug als Alternative - und das ist sicher kein Zen. Ob und wie weit ich oder irgend jemand anderer nun in der Lage ist, die Lehre des Diamantsutra in alltäglicher Praxis zu verwirklichen, ist eine andere Frage. Sie zu stellen heisst, eine Diskussion über den Dharma zu einer Diskussion über Personen zu machen. Das ist nicht zielführend, weswegen ich mich solch einer Diskussion verweigere. Da haben wir dann wieder das schon angesprochene Problem mit dem "beweisen".


    Um auf den philologischen Hintergrund zurückzukommen, den Du kurzerhand zu einem "Umdeuten" eindampfen willst: soweit ich sehen kann, ist das einzige Argument, das Du zugunsten der Deutung "Liebe" anführst und weswegen Du die oben nochmals rekapitulierten philologischen Argumente als "Umdeutung" abtust, Deshimarus "Erfahrungstiefe", die seine Übersetzung rechtfertigen bzw. sogar als richtig erweisen soll. Dass es fraglich ist, wie weit Deine Vorstellung von Deshimarus Erfahrungstiefe korrekt ist, habe ich ja schon angedeutet. Deutlich sinnvoller wäre es, Du würdest zur Begründung Deine eigene Erfahrungstiefe anführen. Ich für meinen Teil tue das, um zu verdeutlichen, warum ich persönlich - von den philologischen Argumenten, die dafür sprechen, mal abgesehen - die Lesart des buddhistischen terminus technicus der umgangssprachlichen Lesart vorziehe. Dass dies - meine 'Erfahrungstiefe' - kein Argument ist, sondern ihren Ausdruck in einem subjektiven Zenverständnis findet, ist evident. Das gilt allerdings für Deine Erfahrungstiefe und die von Deshimaru in gleichem Maß. Jedenfalls käme ich aus eben diesem Grund nicht auf die Idee, denen, die es anders herum für sinnvoller halten, eine "Umdeutung" vorzuwerfen. Von einer "Umdeutung" ließe sich allenfalls sprechen, wenn es eine allgemein als Referenz anerkannte Deutung gäbe - was nicht der Fall ist. Auch und gerade die Deshimaru-Übersetzung ist da keine Referenz. Was noch bedenklicher ist: das Schwadronieren von einer "Umdeutung" unterstellt dem Xinxinming eine objektive Aussage - misser kann man einen Text wie diesen, der auf ein persönliches und subjektives Verständnis des Rezipienten zielt, gar nicht verstehen ...


    Noch eine Nebenbemerkung - versuche mal, die Sache mit den Frauen loszulassen. 'Liebe' im Sinn der paulinisch-johanneischen agápē hat damit genau so wenig am Hut wie maitrī oder karuṇā. Für theologisch nicht so sehr Beschlagene nur der kurze Hinweis, dass sich für Christen diese 'göttliche Liebe' exemplarisch nicht in der Schwängerung Marias, sondern im Opfertod des Rabbi Jeschua für die gesamte Menschheit manifestiert. Da kann man durchaus (begrenzt) Analogien oder Parallelen zur Bodhisattva-Praxis sehen. Kann, muss nicht.

    itune:

    Darum besteht der Fehler m.E. darin, diese Ideale immer wieder zu zitieren und gar so weit zu gehen, sein eigenes Leben als deckungsgleich damit deuten zu wollen.


    Ja - aber wer macht denn sowas? Ein wenig differenzierter ist das schon zu sehen. Es geht um eine zutiefst persönliche Auseinandersetzung mit der bemerkenswerten Hinterlassenschaft eines Patriarchen, mit seinem Weg. Dōgen drückt das so aus: "Wenn wir diesen Weg gesehen haben, sollten wir ihn als Standard nehmen, um unseren eigenen Weg daran zu messen. Ein Vergleich dieser Art eröffnet tieferes Verständnis der Zeichen, die von den Buddhas hinterlassen wurden ... Nur durch Klären der Zeichen, die von den Buddhas hinterlassen wurden, können wir Einblick in die Abdrücke unseres eigenen Weges gewinnen. Wenn wir sie erkannt und verstanden haben, sollten wir den Zeichen, die von den Buddhas hinterlassen wurden, mit unserem ganzen Körper und Geist folgen. Das ist das buddhistische Dharma."


    itune:

    Ich habe da nicht Deshimaru zitiert, sondern seine Aussage in den Kontext der Lehre gestellt. Liebe als Gegenteil von Hass - wie von manchen übersetzt - ist hier nicht christliche agape, sondern eine von vielen Formen der buddhistischen Anhaftung. Es wird nicht besser, wenn man dafür mögen (like) sagt, denn das ist lediglich eine schwächere Form der Zuneigung, also immer noch klesha. Das heißt im Mahayana so wie im Hinayana, es ist eine Geistestrübung.


    Ist doch meine Rede. Weil aber der abendländische Begriff 'Liebe' eben auch die christliche agápē umfasst, ist er hier unglücklich gewählt, weil er geeignet ist, bei westlichen Lesern das Missverständnis zu provozieren, Sengcan predige Lieblosigkeit. Deswegen ist hier Begierde / Verlangen o.ä. die geeignetere, weil weniger missverständliche und überdies auch philologisch korrekte Entsprechung. Der durch die abendländische Geistesgeschichte geprägte Leser einer solchen Übersetzung weiss doch in den allerwenigsten Fällen, dass z.B. Deshimarus oder Suzukis Verständnis von 'Liebe' kulturell bedingt semantisch sehr viel begrenzter ist, als das westliche, christlich geprägte. Schlimmstenfalls sein eigenes - dann versteht er wirklich nur Bahnhof.


    itune:

    Im Zen wurde dieses Problem m.E. so gelöst, dass man mit Liebe - und im Übrigen auch mit Hass und Gier - im Bewusstsein ihrer Leere lebt, also sie nicht mehr bekämpft oder auszuradieren sucht, sondern durchschaut hat - was ihnen ihre leidhafte Wirkung entziehen hilft.


    D'accord. Wobei ich hinzufügen möchte, dass die Bewusstheit der Leere dieser Empfindungen wie auch der Objekte, auf die sie gerichtet sind, die Empfindungen versiegen lässt und nicht etwa dazu dient, sie leidfrei auszuleben.

    itune:

    Das ist etwas, was hier gerne geleugnet wird, obwohl es sehr viele User immer wieder bestätigen, du zum Beispiel oben mit deinem persönlichen Anwurf:


    Mit Verlaub - Du überinterpretierst. Ich wollte Dir nur ein wenig auf den Zahn fühlen.

    itune:

    Der Hass und die Abneigung existieren weiterhin im Zenübenden, auch wenn er fortgeschritten ist, es ist nur die Frage, wie sehr sie noch in der Lage sind, ihn innerlich aufzuwühlen und sein Verhalten zu bestimmen.


    Es ist die bekannte Formel: plötzliches Erwachen, allmähliche Kultivierung

    itune:

    Sollte Sengcan tatächlich einsam in den Bergen gelebt haben, war das natürlich dafür ein denkbar schlechter Prüfstein, weil er die Reibung an anderen ja bloß mied.


    Der Rückzug unterstützt die Kultivierung - die wiederum sicher stellt, dass dann der Markt auch wirklich mit leeren Händen betreten wird.


    ()

    itune:
    Zitat

    Wenn man sie (die Leere) freilich erfährt, weiss man in der Tat, was Liebe ist - und dass sie weder mit Vorliebe etwas zu tun hat noch das Gegenteil von Abweisung ist - sie ist Abwesenheit von Vorliebe und Abweisung.


    Solchen Sätzen sollte man meines Erachtens zutiefst misstrauen.


    Ja. Mir zu misstrauen ist schon einmal ein guter Anfang. Vielleicht lernst Du ja irgendwann auch einmal, Deshimaru zu misstrauen und stattdessen nur Dir selbst zu trauen. Ich wünsche es Dir.

    itune:

    Dies ist ein weiteres Beispiel einer Umdeutung.


    Das hat weder mit Deutung noch mit Umdeutung etwas zu tun. Das ist schlicht Erfahrung - für mich gibt es da nichts zu "deuten". Allenfalls für Dich. Ich weiss nur nicht, was Du Dir davon versprichst.

    itune:

    Entscheidend ist aber, dass keiner, den ich kenne und der solche Reden schwingt, je selbst den Beweis erbracht hätte, dass er weiß, wovon er redet, also dies in die Tat umgesetzt hätte.


    Das ist nichts Entscheidendes. Das ist lediglich trivial, dass man derartige Erfahrungen nicht "beweisen" kann. Man kann sie lediglich wiedererkennen, wenn man sie selbst gemacht hat. Yui butsu yo butsu. "Beweisen" konnte auch Deshimaru nichts. Ich kann dazu nur sagen dass, wenn das, was Du dafür ausgibst, tatsächlich Deshimarus "Erfahrungstiefe" war, meine eine andere ist. Und wenn ich meine Erfahrung zum Maßstab für die Deines Deshimaru (wieviel Dein Deshimaru mit dem Deshimaru zu tun hat, will ich mal offen lassen) nehme - es ist die einzige, die mir dafür zur Verfügung steht - dann habe ich den Eindruck, dass in der 'Erfahrungstiefe' Deines Deshimaru noch eine ganze Menge Abweisung steckt. Liebe muss man erst einmal zulassen können. Sich davor zu verstecken, ist auf Dauer wohl nur noch im Suff zu ertragen. Armer Deshimaru. Hätten seine Schüler ihn doch nur weniger bewundert und dafür mehr geliebt ...

    itune:

    Des Autors Sengcans Chancen bei Frauen dürften sowieso schlecht gewesen sein, weswegen ihm die Aufgabe von Zuneigung leichter über die Lippen gekommen sein dürfte. Man sagt, er habe Lepra gehabt. Wie auch immer, er zog - angeblich - durch die Berge und machte damit ernst, keine Vor-Lieben zu Menschen zu pflegen.


    Ist jetzt Märchenstunde? Spass beiseite - er machte damit ernst, Liebe zu den Menschen zu pflegen. Oder welchen Grund sollte er sonst gehabt haben, ihnen das Xinxinming zu hinterlassen? Eitelkeit? Um sich einen großen Namen zu machen und Tantiemen zu kassieren?


    ()

    Morpho:

    Wie könnte ich mir denn Taizen Deshimaru s Sichtweise zu eigen machen ?


    Habe ich Dir das vorgeworfen? Es ging doch darum, dass Du Deshimarus Sichtweise, bei der es angeblich - Deine Aussage - "nichts zu meckern und zu kleckern" gibt, damit der Öffentlichkeit hier zur Aneignung empfohlen hast.


    Wenn es uns schon erlaubt ist, Buddha zu erschlagen, wieviel mehr dann erst Deshimaru ...


    ()

    Morpho:

    sudhana:

    Zitat

    wenn man an Objekten der Liebe haftet.


    Ohne Anhangen [ an Objekten ] keine "Liebe".


    Die Diskussion dreht sich im Kreis. Ohne Anhangen [ an Objekten ] keine "Begierde", keine "Vorliebe". Keine "wählerische Wahl".

    Morpho:

    Versuche weniger zu Denken


    Müssen wir uns tatsächlich über die Sinnhaftigkeitkeit dieses Vorschlags unterhalten? Es gibt - auch im Zen - schon genug Leute, die sich von toten oder lebenden Scharlatanen am Nasenring herumführen lassen, weil sie sich das Denken abgewöhnt haben. Ich habe keine Lust, mich da anzuschließen.

    Morpho:

    und mehr Vertrauen in die Leerheit. Dann weißt du was 'Liebe' ist.


    Unser Thema (bzw. Sengcans Thema) ist nicht "Vertrauen in die Leerheit" sondern "Vertrauen in den Herzgeist". Leerheit erfährt man oder man erfährt sie nicht - Vertrauen spielt dabei keine Rolle. Wenn man sie freilich erfährt, weiss man in der Tat, was Liebe ist - und dass sie weder mit Vorliebe etwas zu tun hat noch das Gegenteil von Abweisung ist - sie ist Abwesenheit von Vorliebe und Abweisung.


    ()

    Morpho:

    Du vertrittst hier vehement deine Meinung und versuchst dich selber in Teilübersetzungen. Was ja auch ok ist,...solange du mich nicht Kiel holen willst. :)


    Lassen wir die Frage der Vehemenz mal beiseite. Aber wenn man schon eine Meinung vertritt - was sich bei Diskussionen in einem Internetforum kaum vermeiden lässt - dann wohl doch besser die eigene als die Anderer. Ansonsten - ich versuche mich nicht in Teilübersetzungen. Ich habe eingangs dieses Threads ein paar Anmerkungen zur grundsätzlichen Problematik der Übersetzung solcher Texte gemacht und ansonsten Ellviral bei ein paar Klippen dieses Textes meine Sichtweise erläutert (nicht ungebeten, wie ich hinzufügen möchte) - wobei ich weiss, dass Ellviral damit umgehen kann und er sich nicht schlicht meine Sichtweise zu eigen und damit für sich zum Hindernis macht.


    ()

    itune:

    Vollkommen schleierhaft ist mir als Zenpraktizierenden die Diskussion um den Begriff "Liebe". Es handelt sich um einen illusionären Gedanken, der natürlich in diesem Sinne - und nicht im Sinne einer ethischen Abwertung wie bei Gier und Hass - ebenso zu überwinden ist wie jede andere Illusion. (Und Elviral, auch ihre "Bedingungslosigkeit" ist eine Illusion.) Wer sich da ein Hintertürchen aufhalten will, begreift natürlich auch nicht die Erkenntnistiefe von Deshimaru. Liebe fällt also wie andere Dinge unter "Verblendung" oder "Unwissenheit" als dritte Ursache des Leidens.


    Dass ich mit der "Erkenntnistiefe" von Deshimaru gerade in diesem Punkt so meine Probleme habe, habe ich ja schon durchblicken lassen. Also - in meiner Traditionslinie rezitieren wir die shi gu sei gan mon nicht nur, wir nehmen sie auch ernst. Wenn Deshimaru das, was Du da darlegst, tatsächlich so gelehrt hat, dann ist das mE ein schwerer Fall von Hinayana-Denke.


    Ansonsten - etwas differenzierter kann man das mit der 'Liebe' schon sehen. "Verblendung" oder "Unwissenheit" ist das nur, wenn man an Objekten der Liebe haftet. Wie man als Bodhisattva die paramitas und brahmaviharas verwirklicht, ohne anzuhaften, ist eines der Hauptthemen des Diamantsutra - kann man ruhig wieder mal wieder lesen. Ist mit seinen Verweisen auf den Mittleren Weg ein gutes Antidot gegen allzu krampfhaften Zen-Nihilismus - btw. eine typische Krankheit von Unausgereiften.


    Zitat

    Jeglicher, o Subhuti, der hier den Pfad der Bodhisattvas betreten hat, muss seine Gedanken so gestalten: So viel Wesen es in dieser Welt des Daseins gibt, zusammengefasst unter dem Begriff der Wesen - sie seien aus einem Ei geboren oder aus dem Mutterleib, aus Feuchtigkeit entstanden oder durch Verwandlung - geformt oder ohne Form, denkend oder nicht denkend, oder weder denkend noch nicht-denkend; soweit Welten von Dasein bekannt sind, alle diese müssen von mir in der vollkommenen Welt der Auslöschung erlöst werden. Und dennoch, wenn so unermesslich viele Wesen erlöst wurden, wurde doch kein einziges Wesen erlöst. Und warum? Wenn, o Subhuti, ein Bodhisattva dem Gedanken eines Wesens anhinge, könnte er nicht Bodhisattva genannt werden. Und warum? Weil, o Subhuti, niemand ein Bodhisattva genannt werden sollte, für den der Gedanke eines Wesens, der Gedanke des Lebens oder der Gedanke einer Person existiert.


    ()

    itune:

    Im besten Fall stünde da also eine Halbwahrheit gegen die andere.


    Wie eingangs des Threads sinngemäß (und völlig richtig) angemerkt wurde: es gibt keine gute, keine empfehlenswerte Übersetzung des Xinxinming. Du übersiehst den entscheidenden Punkt: im besten Fall steht meine Halbwahrheit gegen die eines Anderen. Was gehen mich Deshimarus Halbwahrheiten an? Es geht um meine Begegnung mit Sengcan, nicht darum, was ein Deshimaru oder Pajin oder Watson aus seiner Begegnung mit Sengcan gemacht hat. Ellviral hat das kapiert. Entweder man begegnet den Patriarchen selbst oder man lässt sich nur die Ohren vollblasen. Don't follow leaders, watch your parking meters.


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    P.S.: der love-and-hate-Fraktion kannst Du gerne noch D.T. Suzuki beifügen. Waley allerdings ist mit 'like' und 'dislike' schon weniger missverständlich, wie auch Lok Sang Ho ("like not, dislike not"). Den Unterschied zwischen 'love' und 'like' muss ich hier wohl nicht näher erläutern.


    P.P.S.: Vielleicht magst Du Dir noch einmal das Zitat von Prof. Pajin durchlesen, wo es darum geht, ob man Begriffe in solch einem Gedicht umgangssprachlich oder als buddhistische termini technici übersetzt. Die love-and-hate-Fraktion hat sich hier jedenfalls für die umgangssprachliche Variante entschieden - die meisten vermutlich deswegen, weil sie gar nicht erst erkannt haben, dass hier ein terminus technicus vorliegt.

    Morpho:
    Zitat

    Jedenfalls verkaufe ich keine Bücher.


    Aber du kaufst sie. Übersetzungen. Was läuft dabei ?


    Ich bezahle gelegentlich für Bücher - das ist etwas anderes, als das zu kaufen (sich zu eigen machen), was darin steht. Ich drechsle mir meine Halbwahrheiten lieber selbst - was nicht heisst, dass ich nicht gelegentlich in Werkzeug investiere. Werkzeuge sind nicht "richtig und falsch", sie sind lediglich für die ihnen zugedachte Aufgabe brauchbar oder unbrauchbar.

    Morpho:

    Und wenn es auch fehlerhaft ist, heißt es nicht: ' Fehler auf Fehler folgen lassen' ?


    Heisst es nicht vielmehr: tausend Fehler, zehntausend Irrtümer?


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    Morpho:

    sudhana:

    Zitat

    ... und man preist auch keine Übersetzungen von irgendwelchen Leuten an.


    Dann dürften auch kein Buchläden existieren. Bist du orthodox ?


    Ich weiss nicht, ob ich orthodox bin oder nicht, das hat mich nie sonderlich gekümmert. Jedenfalls verkaufe ich keine Bücher. Buchläden haben ihre Probleme, ich habe meine.


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    Entscheidend ist in diesen beiden Doppelversen, wie man 能 und 境 versteht. Prof. Pajin und auch Deshimaru liegen hier mE mit Subjekt und Objekt gar nicht so verkehrt, während Du Dich mit ‚Grenze‘ an einer etwas abgelegenen und mE hier irreführenden Nebenbedeutung von 境 festbeisst. 境 bezeichnet in seiner Grundbedeutung die Gegenstände (Objekte) sinnlicher und mentaler Wahrnehmung – also die uns gegebenen erfahrbaren Phänomene / Erscheinungen. Als solche werden sie als einzelne Erscheinungen von anderen abgegrenzt bzw. aus der Gesamtheit des Erscheinenden ausgegrenzt. Es geht also eher nicht um einen abstrakten Begriff ‚Grenze‘, sondern um das Abgegegrenzt-Sein der Objekte der Wahrnehmung voneinander, ihre Verdinglichung.
    Als ‚Gegenstück‘ zu 境 wäre eigentlich 根 zu erwarten – der Fachbegriff für die Sinnesfähigkeiten (Skrt. Indriya). Sengcan wählt jedoch 能, das allgemeiner als 根 für Fähigkeit, Aktivität, Funktion usw. steht. Bei tieferer Analyse der beiden Doppelverse zeichnet sich auch ein Grund dafür ab – es geht Sengcan nicht um die Beziehung zwischen Sinnesfähigkeiten und Sinnesobjekten (also eine Art Wahrnehmungspsychologie), sondern auf einer abstrakteren Ebene um die Beziehung von Subjekt und Objekt generell – um die grundlegende Dualität.
    Die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt drückt Sengcan nun auf vierfache Weise aus, wobei die Aussagen zwei und vier jeweils die Umkehrung der Aussagen eins und drei sind. Aussage eins: das Subjekt „folgt“ (隨) dem Objekt, wenn dieses verschwindet, ausgelöscht ist (滅). 隨 drückt als Nebenbedeutung von „folgen“ Abhängigkeit oder Verbundenheit aus, im Sinne einer zwangsläufigen, unvermeidlichen Folge. Umgekehrt: wird das Objekt 境 'verjagt', ausgetrieben (逐), geht das Subjekt unter (沈). Prof. Pajins "sinks" ist hier mE etwas schwach - es 'versinkt' vielmehr, es verschwindet. Die Aussage des Doppelverses ist klar: Subjekt und Objekt, Wahrnehmender und Wahrgenommenes sind untrennbar miteinander verbunden und voneinander jeweils abhängig, sie existieren nur aufeinander bezogen.
    Im folgenden Doppelvers wird - so zumindest meine Lesart - diese Einheit von Subjekt und Objekt mit dem Doppelzeichen 能境 (Subjekt-Objekt) bzw. 境能 (Objekt-Subjekt) ausgedrückt. Auf dieses vereinheitlichte Subjekt-Objekt bzw. Objekt-Subjekt wird zunächst das Objekt 境 bezogen, dann das Subjekt 能. Die Beziehung wird mit 由 ausgedrückt, was eine ablative Beziehung anzeigt: Objekt (境) kommt von / ist abhängig von / beruht auf (由) Subjekt-Objekt (能境); Subjekt (能) kommt von / ist abhängig von / beruht auf (由) Objekt-Subjekt (能境).
    In den folgenden Versen macht Sengcan deutlich, was Subjekt-Objekt bzw. Objekt-Subjekt ist: die "eine Leere" (一空); sie ist Ursprung (元) von beidem, Subjekt und Objekt. In der "einen Leere" sind sie identisch (同).


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    Morpho:

    Es erschließt sich also natürlich ausschließlich in 'formloser Übung' - und wenn man 'so versteht', studiert man nicht, rezensiert auch nicht


    ... und man preist auch keine Übersetzungen von irgendwelchen Leuten an. Für die eigene 'formlose Übung' ist eine Übersetzung wie von Deshimaru oder von Pajin allenfalls für den einen oder anderen Fingerzeig gut. Ansonsten ist das nichts, als die Schätze Anderer zu zählen.


    Wenn man sich den Beginn des Threads anschaut, so ist die dort deutlich gewordene Zurückhaltung in Bezug auf solche Empfehlungen (deren Schwächen aufzuzeigen man sich dann auch sparen konnte) durchaus kein Zufall.


    ()

    Morpho:

    und nun ? lieber Sudhana ?


    Was dazu zu sagen ist, habe ich in diesem Thread schon vor einem Monat geschrieben. Prof. Pajin schreibt zwar im Kommentar zu seiner Übersetzung (Journal of Oriental Studies Vol. XXVI, No.2):

    Zitat

    In translating ancient religious and philosophical texts, one of the major problems is to decide - in case it is not a terminus technicus per se - whether a certain word (in our case, a Chinese character) is used colloquially, or as a terminus technicus. On such a decision sometimes depends not only the appropriate translation of a particular word, but the proper understanding of the whole passage, as well.


    - doch wird er seinem eigenen Anspruch gerade hier nicht gerecht, weil ihm offensichtlich entgangen ist, dass es sich bei 愛 um genau das handelt, was er da anspricht - nämlich einen buddhistischen terminus technicus. Was übrigens schon daraus erhellt, dass 愛 im Kontext pratityasamutpada für das 8. nidana steht, also tṛṣṇā (Durst, Begierde, Verlagen) - man muss kein Sinologe sein (was Prof. Pajin übrigens auch nicht ist), um zu sehen, dass das etwas Anderes ist als "Liebe". Während Prof. Pajin seine Wiedergabe von 至道 (dem anderen terminus technicus in diesem Vers) ausführlich (und nachvollziehbar) begründet, verliert er bezeichnenderweise darüber, warum er 愛 bzw. 憎愛 "colloquial" statt als terminus technicus wiedergibt, nicht ein Wort.


    Zur Qualifikation von Prof. Pajin: er ist Philosoph (Diplom 1968 an der Universität Belgrad, Ph.D. 1978 in Sarajevo) mit Schwerpunkt Kunstgeschichte, tätig als Fernseh- und Radiokritiker sowie künstlerisch als Lyriker und Maler. 1973/73 absolvierte er einen Kurs für Chinesisch, 1976/77 einen für Sankrit. Außerdem findet er im Rahmen seiner Vita erwähnenswert, dass 1984 mit Philipp Kapleau gesessen hat. Weitere Zusatzqualifikationen, die er in Kursen erworben hat, sind Eurythmie, Moderner Tanz, Bogenschießen und Touristenführer. Eine unangreifbare Autorität in Sachen chinesischer buddhistischer Lehrgedichte der Sui-Dynastie ist er - bei aller Anerkennung, die seine Übersetzung verdient - mE nicht.


    ()

    Morpho:

    PS: Keine 'reine Liebe' im Dharma. Was also sollte er unberücksichtigt haben sollen ?


    Tatsächlich? Also - ich hatte in den letzten Jahren irgendwie den Eindruck, dass die Praxis des 'sitzenden Buddha' mit der Zeit die grundlegenden Geisteshaltungen des Bodhisattva zutage treten lässt. Dazu gehören nicht nur die pāramitā, sondern auch die brahmavihāra - zu denen neben karunā, muditā und upekṣā bekanntlich auch maitrī gehört. Nicht, dass das nun im Zen wie bei den Theravadin in speziellen Übungen (brahmavihāra-bhāvanā) entwickelt würde - wenn man aber Zen als vereinheitlichte Praxis des Weges versteht, dann umfasst die Vereinheitlichung der Praxis eben auch ganz natürlich das Hervortreten-lassen von maitrī.


    Wenn man sich auf das schmale Brett begibt, der sich in ununterbrochener Praxis aktualisierenden Buddhanatur Qualitäten zuzusprechen (was man selbstredend auch bleiben lassen kann, es macht keinen Unterschied), dann jedenfalls ist maitrī schon ein ziemlich offensichtlicher Kandidat. So jedenfalls mein Verständnis von Bodhisattva-Praxis. Zen ist doch auch *irgendwie* Mahāyāna, ist Bodhisattva-Praxis, oder? Dachte ich jedenfalls immer - sollte ich mich da geirrt haben? Dann ist das, was ich mache, wohl keine Zenpraxis - vielleicht liegt da ja auch die Wurzel des Problems, das ich persönlich mit Deshimarus Verständnis von Zen habe. Ist auch nicht weiter tragisch, da kann ich mit leben. Das Label 'Zen' brauche ich für meine Übung nicht.


    ()

    Morpho:
    Punk:


    Übersetzung von T.Deshimaru


    Ja ! - daran gibt s nun wirklich nix zu kleckern und zu meckern.


    Was nicht heisst, dass es da nichts zu kritisieren gäbe, im Gegentum. Ich kenne keine einzige Übersetzung eines klassischen Textes von Deshimaru, die wirklich etwas taugen würde. Schlicht, weil ihm die wichtigsten Voraussetzungen eines guten Übersetzers fehlten: gründliche Kenntnis des geistesgeschichtlichen Hintergrundes des übersetzten Textes und eine mindestens ebenso gründliche Kenntnis der Zielsprache, insbesondere ihrer Lexik.


    Deshimaru war ein Spät- und Seiteneinsteiger; ihm fehlte ein solides theoretisches Grundlagenstudium des Buddhismus, wie es im Regelfall ein in Japan ausgebildeter Zenpriester hat. Daher hat er wohl gar nicht erst erkannt, dass 憎愛 die chinesische Entsprechung von dosa und lobha ist, mithin 愛 nicht als 'Liebe' (amour) sondern als Begierde / Gier zu lesen ist. Wenn 愛 im Chinesischen als 'Liebe' gelesen wird, so immer mit der mitschwingenden Bedeutung 'Begierde'. Als jemand, dem tiefere Einsicht in die Subtilitäten der französischen Sprache fehlte, war ihm möglicherweise auch nicht bewusst, dass es eine solche zwangsläufige Assoziation mit 'Begehren' wie bei 愛 beim französischen 'amour' nicht gibt - dass 'amour' wie auch das deutsche 'Liebe' als Begriffe eben auch auf das christliche (paulinische) Konzept 'reiner' (d.h. von Begierden freier) Liebe (ἀγάπη / caritas) als höchster Form der Liebe rekurrieren. Die buddhistische Entsprechung dafür (wobei beide Begriffe keineswegs deckungsgleich sind, sich jedoch stark überlappen) wäre maitri - und damit sind wir schon sehr weit entfernt von lobha, das Sengcan mit 愛 wiedergegeben hat. Das ist nur ein Beispiel für Deshimarus inadäquaten Umgang mit dem Text.


    "Zu meckern" gibt es da nur insofern nichts, als sich Deshimaru - wohl mit deutlichem Bewusstsein seiner persönlichen Unzulänglichkeit - zum Nutzen seines französischen Publikums an die Übersetzung gemacht hat, um ihm überhaupt einen Zugang zu diesem Text zu bieten. Auch, wenn dieser Zugang ziemlich verschüttet ist. Aber - es gab nicht nur nichts Besseres, es gab nichts. Und Deshimaru konnte es nicht besser. Aber das war immer noch besser als nichts.


    ()

    Ellviral:

    Ja Ralf ich weiß: Ich verstoße gerade wider besseren Wissens gegen den letzten Satz des Sutra. :)


    Das ist schon in Ordnung. Auch Wissen kann täuschen. Wenn man dann mal auch über diese Klippe springt, dann merkt man zumindest, ob sich der Verdacht auf die Unzulänglichkeit von Wissen alleine bestätigt. Ansonsten passiert ja nix Schlimmes. Man macht dann schlimmstenfalls halt den Echternacher Pilgerschritt: zwei Schritte vor, einer zurück. Ist nix dabei. So oder so ist man um eine Erfahrung reicher.


    ()

    Zitat

    Die Rede über den Weg abschneiden, ohne Kommendes, Gehendes, Gegenwärtiges.


    --- snip ---


    Ich mag Dich auch immer noch :)


    () Ralf

    Ellviral:

    117非 思量 處  識情 難測
    nicht sich etw überlegen verurteilen Kenntnisse Gefühl schwierig ausloten
    Nicht sich irgendwas überlegen oder vorurteilen, Kennen oder Gefühl können es schwer ausloten.
    119 眞如 法界  無他無自
    wahre Soheit Dinge Welt ohne andere ohne Selbst
    Die wahre Soheit der Welt der Dinge ist ohne Anderes ohne Selbst.


    Was machst Du im ersten Halbvers aus 處? Es steht für einen Ort oder zeigt einen Lokativ an. Die ersten drei Zeichen 非思量 liest man japanisch übrigens "hishiryo" - ein zentraler Begriff bei Dogen. 思量 gehören zusammen, "Denken" - 非 ist die Verneinung. Im zweiten Halbvers gehören die ersten beiden Zeichen wieder (als buddhistischer terminus technicus) zusammen. Shiqing 識情 ist nicht (nur) "Kennen oder Gefühl", sondern das Erkenntnisvermögen unerleuchteter Menschen. Meine Lesung der beiden Zeilen: "Der Ort des Undenkens ist mit unterscheidendem Geist nicht zu ermessen. In der wahren Soheit der Welt der Dinge ist nicht Anderes, nicht Selbst." Mit Vorbehalt, weil 難測 eigentlich nur "schwierig zu berechnen / ermessen / ergründen" bedeutet - was hieße, dass die Sphäre des Undenkens (hishiryo, wunien, wuhsin ...) tatsächlich (wenn auch schwierig) mit unterscheidendem Geist zu ergründen wäre. Ich bezweifle allerdings, dass das Sengcans Auffassung war. Zweiter (ernsterer) Vorbehalt: 法界 steht nicht nur für "Welt der dharmas / Dinge", also die empirisch erfahrbare Welt, sondern kann auch für den Dharmadhatu stehen - die Manifestation wahrer Soheit (tathata) oder letzte Realität. In der "Vertrauenserweckung in das Mahayana" (Mahayana Shraddotpada Shastra) wird 法界 mit dem "einen Geist" identifiziert. Und da sind wir schon ziemlich nahe bei Sengcan. Ich lese je nach Laune mal "Welt der Dinge", mal "Dharmadhatu". Was solls, ist eh dasselbe. In wahrer Soheit ist die Welt der Dinge der Dharmadhatu und umgekehrt ...


    BTW: "Ort" ist natürlich nicht konkret, sondern im übertragenen Sinn zu verstehen. Dusan Pajin macht aus dem 處 ein "hier" - und muss daher aus dem "Undenken" (oder Nichtdenken) ein "nutzloses Denken" machen, damit sich da überhaupt noch irgendwie ein Sinn ergibt. Ist mE immerhin noch mehr daneben als Deine Lesart ... :D


    Ohne Anspruch auf philogische Korrektheit oder sprachliche Schönheit oder gar Zugewinn an Einsicht meinerseits ...


    ()

    Ellviral:


    145言語 道斷  來非去今
    Vortrag Weg sich abgewöhnen Kommen Fehler fortgehen jetzt
    145 Sich die Vorträge über den Weg abgewöhnen, es kommen Fehler und Jetzt geht weg.
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    Vielen Dank an Keks!


    Dem schließe ich mich an - ein echter Scherzkeks :lol: .


    Ellviral:


    145言語 道斷  來非去今


    言語 "Worte sprechen / Sprache" 道斷 "[dieser] Weg abschneidet" - Dao 道, "Weg" (vgl. auch meine andere Antwort) bezieht sich offensichtlich auf den vorangehenden Halbvers, 不二信心, "Nicht-Dualität [ist identisch mit] Vertrauen in den Herzgeist" - dieser "Weg", von dem ja das ganze Lied handelt, schneidet also Sprache ab (oder "vernichtet sie"). Meines Erachtens ist 言語 (das als buddhistischer terminus technicus u.a. Skt. Vāc, "Sprache" wiedergibt) im Sinne von "diskursivem Denken", "Denken in Begriffen" zu verstehen. Hier wird der Zusammenhang von (durch Vertrauen 信 beruhigtem) Citta (心, Shin - im vorangehenden Halbvers) und Vāc (Sprache, diskursives Denken) beleuchtet.


    Beim letzten Halbvers stimmt bei Dir die Stellung der Zeichen nicht; es muss 非去來今 heißen - "ohne Gegangenes, Kommendes, Gegenwärtiges". Es weist auf die Überzeitlichkeit oder Nicht-Zeitlichkeit dieses Zustandes hin.


    ()


    Um nur mal die ersten beiden Doppelverse aufzugreifen, um die Probleme bei Übersetzungen eines solchen Textes zu verdeutlichen: Zhidao 至道 kann man so ("der höchste Weg") übersetzen, wenn man 至 adjektivisch liest (der größte, beste, höchste). Liest man 至 als Verb (erreichen, erlangen), dann hat man statt "Der höchste Weg ist nicht schwierig" eine deutlich andere Aussage: "Das Erlangen des Weges ist nicht schwierig". "Erlangen des Weges" wurde aus der daoistischen Terminologie entnommen, es ist als Wechselbegriff für Erwachen, bodhi, zu verstehen. 'Dao' selbst steht im buddhistischen Kontext natürlich für den Dharma. Wobei nun nicht die eine Übersetzung richtig ist, die andere falsch - beide geben das Original mehr oder weniger unvollständig wieder. Die vier Schriftzeichen 至道無難 transportieren ungetrennt beide Bedeutungen - wobei allerdings nach meiner Auffassung "Erlangen des Weges" die Kernaussage und die Qualifizierung des Wegs / Dharma als "höchster" eine Nebenaussage bzw. mitschwingende Konnotation ist. Dieses vieldeutige des chinesischen Originals ist in westlichen Sprachen - also auch in Übersetzungen - schlicht nicht adäquat wiederzugeben. Schon gar nicht, wenn der poetische Charakter des Liedes (denn um ein solches handelt es sich von der Form her) wenigstens ein Stück weit in der Übersetzung erhalten bleiben soll.


    In der nächsten Doppelzeile stößt man auf ein ähnliches - allerdings offensichtlicheres - Problem. Zengai 憎愛 kann man mit "hassen/verabscheuen und begehren" übersetzen. "Sorgfältig hüten" für 愛 kann ich allerdings nicht nachvollziehen. In einer verbreiteten deutschen Übersetzung steht sogar hassen und lieben - was zumindest lexikalisch nicht einmal falsch ist, jedoch zu dem Fehlschluss verleiten kann, Sengcan würde der Lieblosigkeit das Wort reden, man solle sich also abgewöhnen, zu lieben. Tatsächlich gehören die beiden Schriftzeichen im buddhistischen Kontext zusammen, Zengai steht als buddhistischer terminus technicus für "Hass und Gier" (Skt. lobha und dosa), also die aus Unwissenheit (avidya) entstehenden Ursachen des Leidens (duhkha). Es wird hier (im 2. Halbvers der 1. Zeile und im 1. Halbvers der 2. Zeile) schlicht die zweite der vier edlen Wahrheiten (aryasatya) ausgedrückt.


    Die Übersetzung des 2. Halbverses dieser 2. Zeile kann ich nun überhaupt nicht nachvollziehen. Dong 洞 steht nämlich nicht für "Leere", sondern bedeutet schlicht "Höhle". Alternativ "Loch", woraus sich auch der übertragene Sinn "durchschauen" (was man mit einem Loch immerhin machen kann ...) ableitet. Ran 然 wiederum kann man mit "fehlerfrei" übersetzen, es dürfte hier allerdings eher für "so / auf diese Weise" (womit auf das Vorangegangene Bezug genommen wird) stehen. Das Zeichen min 明 steht nun primär für Licht - und im übertragenen Sinn kann es tatsächlich auch "verstehen, erkennen" bedeuten. Nur macht dann das darauf folgende bai 白 ("weiss, hell") keinen rechten Sinn mehr. Tatsächlich handelt es sich auch hier um ein Doppelzeichen, das zusammen gelesen werden muss. Minbai 明白 heisst keineswegs "erkennen", sondern vielmehr "leuchten / erleuchten / beleuchten" ("erleuchten" im konkreten Sinn, nicht in der Bedeutung "erwachen").


    Tatsächlich handelt es sich hier bei dem 2. Halbvers meines Erachtens um eine eigentlich gar nicht so schwer zu verstehende Metapher: "so / auf diese Weise wird die (dunkle) Höhle (von avidya) erleuchtet" - wiederum mit den mitschwingenden Konnotationen "unfehlbar" (然) und "durchschauen / erkennen / verstehen" (洞, 明).


    Der höchste Weg mag ja nicht schwierig sein - das Übersetzen eines 1400 Jahre alten chinesischen Textes ist es jedenfalls ...


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