Beiträge von Sudhana im Thema „Nicht töten - Probleme in der Praxis“

    Morpho:

    andererseits auch eine Madhyamaka "Sichtweise", die da meint, das ein Bruch kein Karma erzeugt.


    Hyakujōs Fuchs. Eine Antwort Dōgens darauf ist 'jinshin inga' ("Es ist unabdingbar, dass Übende das Kausalitätsprinzip zuerst klären, sonst werden sie für falsche Ansichten anfällig bleiben, ihre Übung wird sich verringern und schließlich werden sie überhaupt nichts Gutes mehr tun können") - eine andere 'daishugyō' ("Dem Buddha-Dharma gemäß besitzt der Fuchs die Erleuchtung angeboren. Wenn du die Große Erleuchtung hast, wird sich der Fuchs niemals von dir trennen; wenn du ihn jedoch wegwirfst, wirst du seine Erleuchtung niemals erleben. Dann hat der Fuchs keine Beziehung zum Buddha-Dharma – er ist nur ein einfacher Fuchs. Im wahren Buddhismus ist das nicht möglich").


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    Morpho:

    Man muss vorsichtig sein, wem man von Non-Dualismus spricht


    Das ist sicher richtig - Verständnis von rikai kann sehr unterschiedlich entwickelt sein. Im Zweifelsfall ist es dann sicher ebenfalls richtig, auf der dualistischen Antonymie Einhaltung oder Bruch der Gelübde in Form ihrer konventionellen Formulierung (jikai) zu bestehen. Wenn man Mañjuśrīs Schwert schwingen will, muss man es am Griff und nicht an der Klinge packen oder man verletzt. Das gilt vor allem für Menschen, die als 'role model' bzw. kalyāṇamitra fungieren - wobei deren Verhalten als ihr 'sichtbar werden' das 'modellhafte' ist (und kalyāṇa nicht zufällig u.a. auch 'moralisch gut' bedeutet). Bei deren Prüfung ist der angemessene Maßstab, ihr Verhalten zu messen, jikai und nicht ein gemutmaßter Grad der Erleuchtung des zu Ermessenden.


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    Tychiades:

    Hauptsache Humor. Ich fand es auch interessant, ich hatte nur noch was zu erledigen und musste mich aus der Debatte lösen. :)


    In dem Fall doch noch ein paar Erläuterungen nachgetragen. Fühle Dich bitte nicht zu einer Erwiderung (womoglich gar einer kurzfristigen) verpflichtet. Das Herzsutra verweist auf die Leere, was nicht dasselbe ist wie 'nichts' (aber das weisst Du natürlich). 'Leere' ist ein Werkzeug - eine 'Sicht'. Auch in Huinengs berühmter gātha heisst es nicht "ursprünglich ist da nichts" sondern "ursprünglich nicht ein Ding" (本来無一物). Interessant wird es dann natürlich mit dem folgenden, abschließenden Vers der gātha: woher fängt sich der "leuchtende Spiegel" den Staub ein? In diese Richtung geht auch meine Frage "ob das Denken der Sicht entspringt oder die Sicht dem Denken". Jedenfalls - Huineng spricht von einem "leuchtenden Spiegel" (wobei er Yogācāra-Terminologie aufgreift). Bodhidharma spricht in den isshinkaimon von der Selbst-Natur (自性) und bezeichnet sie als 'unfasslich [und] mysteriös' (sehr grobe Übersetzung der schillernden Begriffe 靈 und 妙). Natürlich heisst das nicht, dass es 'etwas zu sehen' gibt. Etwas 'unfasslich mysteriöses' oder das 'klare weiße Licht' (SCNR :) ). Natürlich kann man so etwas sehen - makyō. Aber das Auge sieht nicht sich selbst, der Spiegel spiegelt nicht sich selbst. 'Auge' und 'Spiegel' sind nicht 'Dinge', die es 'zu sehen gibt' - es sind Metaphern, bildliche Verdinglichung von 'Sicht' und von 'Spiegelung'.


    Um die Brücke zum 'Staub' und den Gedanken zu schlagen - es gibt im Plattform-Sutra ein weiteres Paar von gāthas:


    Natürlich ist es nicht ohne Belang, wie der Geist aufgerührt wird, welche mannigfaltigen Gedanken entstehen - was der Spiegel spiegelt. Huineng spricht in der Darlegung seines Verständnisses des achtfachen Pfades gegenüber Shenxius Schüler Zhicheng von einer Lehre, die nicht getrennt von der 'Selbst-Natur' ist (die uns schon oben bei Bodhidharma begegnete) - eine weitere Metapher. Metapher wofür? Z.B. für die 'Spiegelung' śīla. Huineng legt dar, śīla ist diese Selbstnatur, ist ihr 'Geistgrund' ohne Irrtum (prajñā und samādhi sind die anderen Aspekte dieses Geistgrundes). Spiegelung ohne Staub, um seine gātha aufzugreifen. Da entspringt das Denken der Sicht dieser Selbstnatur (was etwas anderes ist als eine Sicht von der Selbstnatur) und diesem Denken entspringt adäquates Handeln. Da braucht es keine Regeln und Gebote, keine 'formale Lehre', die einen laut Huineng nur die Selbstnatur aus den Augen verlieren lässt - anders gesagt: die rechte Sicht verlieren lässt.


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    Frieden-und-Freude:

    Du warst ja außer mir der einzige, der ausführlich von eigenen Erfahrungen und Gefühlen in konkreten Situationen gesprochen hat.


    Nur mal so angemerkt - das ist nicht *ganz* richtig. Ich hatte zu Beginn dieses Threads auf einen älteren mit verwandter Thematik verwiesen und ihn verlinkt. Man muss ja die alten Geschichten nicht wieder und wieder erzählen, dadurch werden sie nicht besser ... :)


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    Tychiades:

    Ich lass den Sophisten jetzt mit seinen Gedanken allein.


    Du wirkst heute ein wenig dünnhäutig. Erst die süffisante Empfehlung mit den Disney-Filmen, jetzt der Sophist ... Wie auch immer, ich fand den Austausch ... interessant. Wenn das nicht auf Gegenseitigkeit beruht, lasse ich Dich gerne in Ruhe.


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    Vorab:

    Tychiades:

    aber dem geht ja bereits der Wille voraus, ein Tier zu halten.


    Ich würde hier eher von einer Bereitschaft sprechen. Ist aber auch nicht weiter wichtig.


    Ansonsten - es ist auch mir trotz Deiner nachgeschobenen Erläuterung völlig unverständlich, warum Du darauf beharrst, die Beziehung zwischen Mensch und Tier auf ihren juristischen Aspekt zu reduzieren, wo es hier doch um ethische Fragen geht. Die Rechtslage ist hier doch überhaupt nicht Thema. Gesetze sind willkürliche, zeitgebundene Regelungen von Machtverhältnissen. Ich weiss zwar nicht, wie die Rechtslage zu Buddhas Zeiten in Indien aussah, in Rom jedenfalls war sie so, dass der pater familias neugeborene Kinder aussetzen konnte, sie später in die Sklaverei verkaufen konnte und sie ggf. auch mit dem Tod bestrafen durfte. Auch, wenn sie schon volljährig waren. Die sich verändernde Rechtslage ändert zwar neben der juristischen zumeist auch etwas an der moralischen Bewertung solchen Tuns - nicht jedoch an der ethischen. Auctoritas, non veritas facit legem.


    Ginge es hier um eine juristische Diskussion, wäre der 'Fall' in eins, zwei Sätzen durch Darstellung der aktuellen Rechtslage, auf die Du mit Rechtsbegriffen wie 'Eigentum', 'Besitz' oder 'Haftungspflicht' beharrlich rekurrierst, zu klären gewesen, ohne jeden weiteren Diskussionsbedarf. Dazu bedarf es nicht einmal eines juristischen Erstsemesters.

    Tychiades:

    Offenbar ist dir der entscheidenden Unterschied zwischen Personen und Sachen nicht klar.


    Der Unterschied zwischen Sachen und fühlenden Wesen ist mir durchaus bekannt. Und ich denke eigentlich, den meisten hier, Dich eingeschlossen. "Offenbar" war dem Gesetzgeber der entscheidende Unterschied zwischen fühlenden Wesen und Sachen nicht klar oder er hielt ihn für irrelevant, so lange es sich bei den fühlenden Wesen nicht um "Personen" handelt. Der einschlägige Begriff ist 'Speziesismus', der hier (wie auch der Name Peter Singer) schon in die Diskussion geworfen wurde.

    Tychiades:

    Das mit dem Verhältnis Eltern-Kind zu vergleichen ist abwegig.


    Meine Analogie zum Rechtsbegriff der Garantenpflicht (mit der ich Dir, zur Erinnerung, lediglich auf Deine Argumentationsebene gefolgt bin, als Du den Eigentumsbegriff hier in die Diskussion eingeführt hast) beschränkte sich zum einen nicht speziell auf das Verhältnis Eltern-Kind. Dafür beschränkte sie sich zum anderen auf einen bestimmten Aspekt dieses Verhältnisses - konkret den durch Verantwortung bestimmten. Das Zitat ist nach meinem Empfinden eine ungerechtfertigte Verabsolutierung meiner Analogie Deinerseits, mit Appell an die Gefühlsebene verbunden. Was ausgerechnet Dein als Beleg angeführtes, auf diesen Satz folgendes Zitat aus dem Lorenz angeht, so ist der Unterschied zur Haftungspflicht bei Kindern übrigens so groß und "abwegig" durchaus nicht. Rechtsgrundlage ist hierzulande übrigens der Paragraph unmittelbar vor dem, den Lorenz da kommentiert.


    Komen wir zu etwas Wesentlicherem.

    Tychiades:

    Die drei Geistesfaktoren bedingen dukkha und alle unsere Handlungen sind davon gefärbt, auch wenn wir sie als heilsam oder unheilsam wahrnehmen. Der Wille erzeugt also die Illusion einer Wirkung, die als heilsam betrachtet wird. Ansonsten erzeugt er nichts.


    Warum dann dies:

    Tychiades:

    Aber mit dem Gehen des Pfades löscht der Pfad dann diesen Willen und die Geistesfaktoren wieder aus


    Dass es nur dieses Gehen gibt und niemanden, der geht, ist wohl unstrittig. Aber gibt es denn einen Pfad ohne 'Gehen des Pfads'? Also löscht wohl nicht "der Pfad", sondern das Gehen des Pfades den Willen zum Gehen des Pfades aus. Zumindest stellt sich da mir die Frage: ist nicht auch dies durch den Willen erzeugte "Illusion einer Wirkung, die als heilsam betrachtet wird"? Wird denn tatsächlich etwas ausgelöscht?

    Tychiades:

    Soweit ich das isshinkaimon verstehe, geht es beim ersten Gebot darum, dass überhaupt kein Gedanke von Auslöschung, von Töten erscheint. Da ist keine Handlung, kein Wille, kein dukkha ...kein Streit.
    Das Gebot ist aber für den Fall, dass ein Gedanke aufkommt - und das ist bereits die Unterscheidung von Leben und Tod, von ich und mein, usw.


    Hmm. Ich weiss nicht, ob 'Gebot' hier wirklich am Platz ist - für mich wird da einfach etwas konstatiert. Sind wir "inmitten des unauslöschlichen Dharma" nur, wenn kein Gedanke aufkommt? Ist der unauslöschliche Dharma vom Vorhandensein oder Nichtvorvorhandensein unserer Gedanken abhängig?


    Um nicht nur zu kritisieren - Ich verstehe hier "Sicht" (見, ken) als das Schlüsselwort. Wenn der Dharma unauslöschlich ist, ist "Sicht von Auslöschung" falsche Sicht und nicht rechte Sicht (正見, shōken) oder rechtes Sehen (kenshō, 見正) - und dieses rechte Sehen wiederum ist das Sehen der 'Natur' (kenshō, 見性), von der in der ersten Zeile des mon die Rede ist. In jeder ersten Zeile aller zehn mon.


    Handeln - mit oder gegen die die Gelübde - entspringt dem Denken. Bleibt nur die Frage, ob das Denken der Sicht entspringt oder die Sicht dem Denken.


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    Nachtrag Schroedinger - ich hatte im Verlauf der Diskussion übersehen, dass ich auf diese Erläuterung von Dir nicht eingegangen war:

    Tychiades:

    Mit Besitz ist letztlich die Verantwortung gemeint, die jemand übernimmt, wenn er ein Tier bei sich aufnimmt. Verantwortung hinsichtlich "artgerechter" Haltung. Diese Verwantwortung macht Besitz aus. Und daraus folgt auch die Unfreiheit des Tieres, das bei uns ja als Sache angesehen wird.


    Verantwortung ist schon der Punkt, um den es geht - aber Besitz oder Eigentum ist nicht zwangsläufig die angemessene Beschreibung für dieses Verhältnis, auch wenn es vielleicht der Normalfall ist. Deswegen hatte ich von der Übernahme einer Garantenpflicht geschrieben. Eltern haben eine solche gegenüber ihren Kindern, Lehrer gegenüber ihren (minderjährigen) Schülern, Vormünder gegenüber ihren Mündeln usw.. In keinem dieser Fälle impliziert dies 'Besitz' - im Gegenteil.


    Mit dieser nachgeholten Anwort wird vielleicht / hoffentlich diese kleine Korrektur:

    Sudhana:

    Wenn es da ein Verlangen gibt, dann das nach dem Besitz von "irgendeinem Vogel, einem Hund oder einem Papagei". Ja, das hört wohl auf.

    verständlicher.


    Da ich gerade dabei bin, nochmals dazu (Zitate gekürzt):

    pamokkha:

    Der Wille zu Töten steigt zwingend mit dem Geistesfaktor Hass auf. Und ohne diesen Willen kann man nicht Töten.

    Sudhana:

    Der Wille, den edlen achtfachen Pfad zu gehen, steigt zwingend mit dem Geistesfaktor Hass auf

    Tychiades:

    Ja natürlich


    Mal abgesehen davon, ob auch @pamokkha dem zustimmen würde - offensichtlich ist dann die an Duhkha orientierte Heilsamkeit oder Unheilsamkeit einer Handlung (was für mich gleichbedeutend mit ihrer ethischen Bewertung ist) nicht abhängig davon, ob der Geistesfaktor "Hass" mit ihr verbunden ist - wenn wir mal unterstellen, dass der Wille, den edlen achtfachen Pfad zu gehen, eine heilsame Wirkung erzeugt. Also muss eine Unheilsamkeit des Tötens von etwas anderem abhängen. Bodhidharmas erste isshinkai würde sich hier zumindest im Kontext unserer Tradition anbieten: "Sicht von Auslöschung zu nähren". Wobei diese Sichtweise hinsichtlich des Tötens sicher nicht leichter zu überwinden ist als hinsichtlich des edlen achtfachen Pfades.


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    Tychiades:

    Und deshalb braucht auch niemand seine Tierhaltung zu rechtfertigen.


    Da hast Du womöglich etwas missverstanden. Da gibt es nichts zu rechtfertigen und das habe ich auch nicht getan. Ich habe lediglich darauf verwiesen, dass man die Beziehung zwischen Mensch und Haustier nicht nur aus der Perspektive 'Eigentum' sehen kann - selbst wenn man auf der Ebene von Rechtsbegriffen bleibt.

    Tychiades:

    Wenn ich die Sache dann etwas tiefer betrachte, sehe ich keinen Grund für Tiere in meinem Haus.


    Das ist in Ordnung. Als ich das letzte Mal die Sache tiefer betrachtet habe, sah ich keinen Grund dafür, nicht wenigstens einem einzelnen Hund ein besseres Leben zu bieten, als er es im Tierheim hatte, indem ich mein Haus mit ihm teile.

    Tychiades:

    In einem Kommentar zu Nansen "Cut the cat" las ich eben auch dieses Argument, dass Tiere grundsätzlich frei sind. Im Prinzip wird ein Tier ja durch regelmäßige Fütterung zum Beleiben bestochen


    Nun, die Katze, die mit uns lebt, musste nicht angefüttert oder "bestochen" werden. Sie war offensichtlich in einem Haushalt groß geworden und wurde dann ausgesetzt - vermutlich, weil sie da schon verhaltensgestört war, hyperaggressiv. Keine 'Schmusekatze', noch heute, nach Jahren nicht ... aber offensichtlich froh, bei Kälte und Nässe wieder ein Dach überm Kopf zu haben.

    Tychiades:

    Diese ganzen Gedanken über das Töten in diesem Thread kommen doch genau deshalb auf - als Folge der Haltung und Bindung an ein Tier.


    Ja, sicher. An 'Bindung' ist mE auch nichts auszusetzen, wenn man sie frei eingeht. Als Menschen können wir ohne Bindung zumindest mit anderen Menschen nicht 'artgerecht' leben. Selbst der Bhikshu ist an Menschen gebunden, die ihn durchfüttern. Haustiere sind in einem generationenlangen Prozess auf 'Bindung' an Menschen gezüchtet, auf ein symbiotisches Zusammenleben. Das muss man nicht gut finden - und schon gar nicht muss man gut finden, dass Tiere als Ware gezüchtet werden. Aber die Existenz von Tieren, die auf Menschen, die sich an sie binden, angewiesen sind, ist ein Faktum, mit dem man umgehen muss. Und sei es durch Ignorieren.

    Tychiades:

    Wäre es ein Mensch würden wir doch sofort den zynischen Zusammenhang sehen und wir sind ja auch auf dem Weg dahin, wir nennen es "Sterbehilfe".


    Natürlich gibt es da einen Zusammenhang und gesehen wurde der in dieser Diskussion schon sehr früh. Die hier diskutierte Übungsregel unterscheidet nicht zwischen Menschen und Tieren und dementsprechend sollten wir das auch nicht tun. Ich weiss nicht, was an diesem Zusammenhang "zynisch" sein soll. Einen wesentlichen Unterschied gibt es da allerdings - die Frage, wer jeweils die Entscheidung trifft, den Sterbeprozess zu verkürzen. Bei einem Menschen ist es das sterbende Wesen selbst, das autonom entscheidet. Bei einem Tier trägt ein anderes Wesen, ein Mensch, die Verantwortung und nimmt das karma des Tötens auf sich. Er nimmt sich das Recht, im Namen des Tiers über dessen Tod zu entscheiden, zwischen einem langsamen, qualvollen Sterben und einem kurzen, weitestgehend schmerzfreien. Und ist in aller Regel überzeugt, damit im wohlverstandenen Interesse des Tieres zu handeln.

    Tychiades:

    Und da finden sich auch Experten, Ärzte, die das dann machen. Die gleichen Argumente - man will das Leiden beenden. Wessen Leiden? Wo kein Leidender ist, gibt es dennoch Leiden. Es hat keinen Anfang und kein Ende.


    Das ist - sorry - dieselbe intellektuelle Unredlichkeit, die ich hier an anderer Stelle schon gerügt habe. Es geht nicht um 'das' Leiden, um Duhkha. Es geht um einen konkreten, mit starken Schmerzen verbundenen, langsamen Sterbeprozess - eine extreme Form von Duhkha in individuellen Fällen. Ein Dammbruchargument könnte ich hier noch verstehen und halte es auch durchaus für bedenkenswert. Bedenkenswert halte ich aber auch die Überlegung, ob es in Ordnung ist, die Erfüllung des Wunsches eines Sterbenden nach dem, was er unter 'in Würde sterben' versteht, zu verbieten. Welche Umstände dann einen solchen Wunsch bzw. dessen Erfüllung rechtfertigen, muss sicher Gegenstand gründlicher Erwägungen sein - aber den Verweis, dass Leiden ohnehin ohne Anfang und Ende sei, würde ich einem Sterbenden, der einen solchen Wunsch äußert, jedenfalls nicht geben. Das könnte dann mE zu recht als zynisch empfunden werden.

    Tychiades:
    Sudhana:

    Lässt sich da nicht sagen: Der Wille, den edlen achtfachen Pfad zu gehen, steigt zwingend mit dem Geistesfaktor Hass auf?


    Ja natürlich - ohne die Geistesfaktoren Gier, Hass, Verblendung würde dieser Wille den Pfad zu gehen nicht aufsteigen. Aber mit dem Gehen des Pfades löscht der Pfad dann diesen Willen und die Geistesfaktoren wieder aus - und es gibt kein Verlangen nach irgendeinem Vogel, einem Hund oder einem Papagei.


    Wenn es da ein Verlangen gibt, dann das nach dem Besitz von "irgendeinem Vogel, einem Hund oder einem Papagei". Ja, das hört wohl auf.


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    Tychiades:

    Generell ist die Haltung von Tieren als "Eigentum" mit einer buddhistischen Haltung gar nicht vereinbar.


    Ist ja richtig – aber warum führst Du das jetzt ohne Notwendigkeit in die Diskussion ein? Ist ja nicht so, dass hier jemand daraus ein Tötungsrecht (das es so bei Wirbeltieren auch gar nicht gibt) abgeleitet hätte. Nicht, dass ich das jetzt als Unterstellung auf mich beziehen würde. Trotzdem mal erläutert: ich sehe die anderen Mitglieder meiner kleinen Hund-und-Katze-Sangha nicht als mein Eigentum. Auch, wenn ich für die Hündin ein als Unkostenerstattung deklariertes Lösegeld an das Tierheim gezahlt habe und die Katze als 'herrenlose Sache' von der Straße ins Haus geholt habe (wo sie kommen und gehen darf wie sie will) und damit gem. § 929 bzw. § 958 Abs. 1 BGB ihr rechtlicher Eigentümer bin. Ich sehe mich vielmehr als jemand, der freiwillig eine Garantenpflicht gegenüber den beiden übernommen hat, auch wenn es sich (weil Tiere anders als z.B. menschliche Kinder und Jugendliche rechtlich Sachen sind) dabei strenggenommen nicht um eine Rechtspflicht handelt, sondern um eine moralische Pflicht. Wenn wir hier schon mit juristischen Begriffen hantieren ... :)

    Tychiades:
    pamokkha:

    So ist es. Und es ist für jeden mit genügend Meditationserfahrung selber nachvollziehbar. Der Wille zu Töten steigt zwingend mit dem Geistesfaktor Hass auf. Und ohne diesen Willen kann man nicht Töten.


    Das ist völlig korrekt.


    Wenn einer also sein Haustier durch einen anderen töten lässt, so deshalb, weil man nicht zusammen mit dem Tier leiden will.


    Ja. Noch hassen es die Menschen, dass Blumen welken und Unkraut wächst. Und es gibt Menschen, die es hassen, wenn ein anderes Wesen stirbt. Und es gibt Menschen, die es noch mehr hassen, wenn dieser Tod ein langsamer, qualvoller ist – und die schnellere, schmerzlose Variante vorziehen. Gerade, wenn sie sich mit diesem Wesen mitleidend verbunden fühlen - und aus diesem Empfinden heraus urteilen, was sie selbst sich wünschen würden, wären sie an der Stelle des Tieres.


    Es gibt Menschen, die es hassen, Leiden ausgesetzt zu sein. Es gibt Menschen, die es hassen, dass alle fühlenden Wesen Leiden ausgesetzt sind. Gerade, wenn sie sich mit diesen Wesen mitleidend verbunden fühlen. Wenn sie etwas dagegen tun, indem sie den von Buddha gelehrten Weg praktizieren, dann nennt man sie Buddhisten.


    Lässt sich da nicht sagen: Der Wille, den edlen achtfachen Pfad zu gehen, steigt zwingend mit dem Geistesfaktor Hass auf?


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    @451:
    Um einem möglichen Missverständnis vorzubeugen, das diese Gegenüberstellung von Positionen hervorrufen könnte: zumindest ich plädiere keineswegs für 'Ausnahmeregelungen' oder eine Relativierung der śikṣāpada in dem Sinn, wie es Useless durchaus treffend charakterisiert hat. Also nach dem Modell einer juristischen Kasuistik - wenn das Motiv Mitgefühl ist, wenn diese und jene Tatumstände als entlastend vorgebracht werden können usw. usf., dann ist Töten erlaubt. Mir geht es bei ethisch relevanten Handlungsoptionen darum, intuitiv eine situative Entscheidung auf Grundlage von Übung und Praxis zu treffen, nicht aber eine strategische (oder meinetwegen moralisch rigoristische) Entscheidung auf Grundlage von Regeln, die jemand Anderes aufgestellt hat - und sei es Buddha. Genau das Treffen solcher Entscheidungen - wobei es irrelevant ist, ob sie nun 'richtig' oder 'falsch' sind - ist Ergebnis der Übung und Ausdruck der Praxis des Entscheiders und genau da liegt der entscheidende Unterschied zur blinden Befolgung von einmal aufgestellten Regeln. Letzteres habe ich "Konditionierung" genannt - das ist kein Weg zur Befreiung, im Gegenteil. Es geht vor allem darum, verantwortlich zu entscheiden und nicht die Verantwortung auf heilige Schriften, tatsächlich oder vermeintlich erleuchtete Lehrer oder Buddha selbst abzuschieben.


    Dazu:

    451:

    Verwirklichte Ich-Losigkeit entfernt mich aus Beziehungskonstellationen, das Mitgefühl verliert dadurch die Anhaftung an das "Persönliche".
    Folglich müsste das "Nicht-Töten-Gebot" für den Zustand der erreichten "Ich-Losigkeit" gelten. Die "Entwicklungsstufen" darunter könnten von "auf-Ich-Bewusstsein-basierendem-Mitgefühl" im Sinne von Sudhanas "Übungsregel" abgedeckt sein.


    - möchte ich Folgendes anmerken. Da sind wir auf einer etwas anderen Ebene - der, auf der in der Zen-Tradition Erwachen übertragen wird, und zwar in der Form des Empfangens/Weitergebens der Gelübde (kai). Auf dieser Ebene gibt es niemanden, der entscheidet - und daher auch keine Entscheidung. Es gibt keinen Übenden, aber es gibt das Ausüben. Zu den Gelöbnissen gibt es einen Kommentar, der Bodhidharma zugeschrieben wird - und der Abschnitt zum ersten Gelöbnis, dem Fusesshokai, lässt sich so übersetzen:

    Zitat

    Die ursprüngliche Natur ist unfassliches Leuchten
    inmitten des unauslöschlichen Dharma
    keine Sicht von Auslöschung zu nähren
    nennt man das Gelübde, vom Töten abzustehen


    Meine Argumentation in dieser Diskussion hier beruht natürlich ganz wesentlich auf der Tradition, in der ich mich übe. In dieser Tradition versteht man die kai / Gelübde sowohl in Form konventioneller Formulierung (jikai) wie auch in einer von Konventionen freien, idealen Form (rikai) - wobei beide jedoch nicht voneinander getrennt oder verschieden sind, das wäre eine dualistische Sichtweise. Entsprechend spricht man in Bezug auf Bodhidharmas Kommentar auch von den Ein-Geist-Gelübden (isshinkai). Dazu ein weiteres Zitat:

    Zitat

    In Begriffen der sprituellen Essenz der Gelübde (kaitai) sind sowohl Beachtung wie Übertretung das eine Fahrzeug ultimativer Natur, die Nichtdualität von Ideal (ri) und Praxis (ji). Jemand, der 'Sehen der [eigenen] Natur' (kensho) noch nicht erfahren hat, ertrinkt jedoch im Ozean von Leidenschaft und Intellekt und tötet damit den Buddha, der sein eigener Geist ist. Von allen Arten des Tötens ist dies die schlimmste. Daher ist die wahre Beachtung der Gelübde das Sehen der [eigenen] Natur und zum Weg erweckt werden.
    Bassui Tokushō (1327–1387)


    Wie auch immer - eine Diskussion auf dieser Ebene ist mE traditionsübergreifend kaum zu führen.


    ()

    Wie schon gehabt - du legst Dir die Sachen zurecht, wie es Dir gerade passt. Du argumentierst mit dem Karma der Katze und einem möglichen Wiedererscheinen in einem Höllenbereich. Ich lasse mich auf diese Argumentationsebene ein (obwohl ich sie grundsätzlich für unsinnig halte, schau Dir meinen Vorbehalt ruhig noch einmal an) und zeige auf, dass Deine Argumentation auch auf dieser Ebene nicht schlüssig ist. Daraufhin verwirfst Du die Argumentationsebene, die Du selbst eingeführt hast, mit Verweis auf ein Suttenzitat:

    Zitat

    Die Wirkung der Taten, ihr Mönche, ist etwas Unerfaßbares, über das man nicht nachdenken sollte und über das nachdenkend man dem Wahnsinn oder der Verstörung anheimfallen möchte.


    Weist man Dir anhand Deiner eigenen Aussage nach, dass gerade Du entgegen der Empfehlung in exakt diesem Zitat gehandelt hast - wobei ich Dir noch die Hintertür offenlasse, dass Du dies ja möglicherweise ohne Nachdenken, vor dem in dem Zitat gewarnt wird, getan hast - dann ist das Zitat gleich wieder vergessen bzw. ins Gegenteil verkehrt. Dann wird aus im Sinne des Zitats nicht über "die Wirkung der Taten nachdenken" flugs ein Widerspruch zur 2. edlen Wahrheit gemacht. Da hat Buddha sich dann wohl selbst widersprochen. Hinzu kommt dann noch Dein genauso billiger Taschenspielertrick mit der Erweiterung. Was du da aufführst, ist keine Diskussion, das ist Kasperletheater. Lerne erst einmal, vernünftig und konsistent zu argumentieren. Bis dahin, was Dich angeht, EOD.


    ()

    Yeshe:

    Wie ich vorhin schon schrieb wäre nach dieser Logik ja das reine Töten möglichst aller fühlenenden Wesen eine Methode, Samsara zu beenden.


    Glaubst Du wirklich, dass sich jemand von solch einem Scheinargument beeindrucken lässt? Übrigens in Schopenhauers lesenswerter Aufstellung der Kunstgriffe der eristischen Dialektik der erste, die Erweiterung. Es ging nicht um "eine Methode Samsara zu beenden" sondern darum, einen mit starken Schmerzen verbundenen Sterbevorgang aus Mitgefühl mit dem leidenden Wesen abzukürzen.

    Yeshe:

    Die Wirkung der Taten, ihr Mönche, ist etwas Unerfaßbares, über das man nicht nachdenken sollte und über das nachdenkend man dem Wahnsinn oder der Verstörung anheimfallen möchte."
    (Anguttara Nikaya IV, 77)


    Schönes Zitat. Da stellt sich mir allerdings die Frage, ob Du Dich nur danach richtest, wenn es Dir gerade in den Kram passt. Und zum Beispiel nicht hier:

    Yeshe:

    Die Katze leidet aufgrund der Früchte ihres vergangenen Karmas.


    Aber vielleicht hast Du das ja auch geschrieben, ohne darüber nachzudenken.


    Andererseits - wenn ich einen Menschen oder ein Tier leiden sehe, dann memoriere ich auch keine Suttenzitate. Ich sage mir dann allerdings auch nicht, dass das "Früchte ihres vergangenen Karmas" sind.


    ()

    451:

    Vorab: Je aufgeklärter ich bin, um so mehr bin ich Karma-Stress ausgesetzt.


    Gegen Karma-Stress gibt es ein Rezept. Auch, wenn das gerade von mir jetzt vielleicht unerwartet kommt: sich beim Handeln vom Herz leiten lassen, nicht vom hier - wie Du sinngemäß richtig anmerkst - völlig überforderten Verstand. Was nun wiederum auch keine Empfehlung zum unreflektierten Handeln ist.


    Auf die Übung vertrauen. Ich hatte heute schon geschrieben, dass die Übungspraxis der Brahmavihāra ein zuverlässigerer Führer auf dem Weg ist, als die schematische Anwendung toter Regeln - und das gilt nach meiner Erfahrung gleichermaßen für rationale Erwägungen. Fehl- und Rückschläge einstecken und unter 'lehrreiche Erfahrung' verbuchen. Buddha sagte, der Wille / die Absicht sei das, was er karma nenne. Also richte Dein Augenmerk bei der Prüfung Deiner Handlungsoptionen vordringlich auf die Absicht, auf deren Reinheit. Die Folgen kannst Du nur unzureichend überblicken - da kommst Du ohne Vertrauen nicht aus. Was wiederum nicht bedeutet, dass man das gar nicht erst versuchen wollte. Täuschungen (und insbesondere Selbsttäuschungen) sind zahllos - und da ist nicht zuletzt Verstand hilfreich.


    Was die Komplexität angeht, so gilt: nicht bange machen lassen. Eine Kerze entzünden, um die Ecke der Welt, wo Du gerade stehst, zu erhellen. Mehr kann niemand verlangen - und schon das ist schwierig genug, wenn der Wind bläst.


    ()

    Yeshe:

    Ich argumentierte hier auf der Ebene der Silas, oder wie die Tibeter es nennen, des "Hinayana".


    Argumentieren wir nicht alle hier auf der Ebene der Śīla? Für mich möchte ich das jedenfalls schon in Anspruch nehmen. Mal grundsätzlich (und vom 'normalen' Sprachgebrauch unter Buddhisten abgesehen) ist Śīla Ethik, Sittlichkeit. Ich nehme an, Du meinst hier die śikṣāpada (Pali sikkhāpada) - also die in konkrete Verhaltensregeln gefasste Śīla. śikṣāpada wird recht treffend mit 'Übungsregeln' übersetzt (wörtlich übersetzt sind es 'Schritte [in] der Übung') - was deutlich etwas Anderes ist als 'Gebote'. Dass man auch Übungsregeln nicht leichtfertig bricht, versteht sich von selbst. Der Punkt ist, ob man eine Übungsregel ausnahmsweise bricht, wenn die Übung (z.B. die in Mitgefühl, karuṇā) es erfordert. Sich da auf wörtliche Befolgung einer Regel zurückzuziehen und dies womöglich auch noch allgemeinverbindlich für die einzig richtige Konsequenz zu halten, würde ich ebenfalls als "Hinayana" bezeichnen.

    Yeshe:

    Persönlich habe ich Tötungshemmungen, da ich mir nicht sicher bin, ob es den Wesen nach der Tötung besser geht oder nicht.


    Nun - wenn das Wesen tot ist, geht es ihm überhaupt nicht irgendwie. Das ist ja das Motiv der Tötung - das Ergehen, dass sich hier auf Duhkha in einem extremen Maß reduziert hat, zu beenden.

    Yeshe:

    Kommt es zum Beispiel nach dem Tod zur Wiederkehr in einem der Höllenbereiche, hat man gar kein Leid beendet, sondern ein ungleich größeres Leid früher zugelassen.


    Ich will mich mal auf diese Argumentationsebene einlassen - nicht, dass ich ihre stillschweigenden Voraussetzungen ohne weiteres teilen würde. Nun, ich habe ja von einem konkretem Leiden geschrieben, das beendet wird - dem an starken Schmerzen, die das Leben zur Qual machen. Ansonsten hat Deine Tötung sicherlich keinen Einfluss darauf, ob es zu einer Wiederkehr in einem Höllenbereich kommt. Das hängt von den saṃskāra der Katze ab, nicht von Deinen. Wenn nun ein Wesen aufgrund Deiner Beendung seines Leidens früher in einem Höllenbereich wiederkehrt, so ändert das ja nichts an der Zeit, die zur Auflösung dieses zur Hölle führenden Karma erforderlich ist. Je früher das Wesen dort hineinkommt, um so früher kommt es auch wieder heraus. Wieso sollte es auf Grund einer von Dir ausgeführten Handlung dort länger verbleiben? Ansonsten - was ist, wenn das Wesen nun nicht in der Hölle wiederkehrt, sondern im Bereich der Menschen oder gar Devas? Eine genauso spekulative aber auch genauso plausible Annahme. Dann hältst Du gerade das auf und lässt das Wesen dafür in einem leidhafteren Existenzbereich länger Leid und Schmerzen erdulden.


    ()

    @Morpho: Danke für die Blumen. Mal grundsätzlich: die mit meiner Schreibe verbundenen Probleme sind mir bewusst. Ich habe das auch schon anders versucht (quasi eine Art Leichte Dharma-Sprache :) ), aber mich damit nicht wohlgefühlt, sondern unauthentisch. Es gibt Leute, die können das ganz wunderbar, aber ich gehöre (leider) nicht dazu. Mittlerweile sorge ich mich einfach nicht mehr darum, ob meine Schreibe auf Andere prätentiös, intellektuell kalt oder schlicht überkandidelt wirkt. So ist mir der Schnabel gewachsen oder meinetwegen auch gewuchert. Um so mehr freut es mich, wenn ich gelegentlich positives Feedback bekomme und daran merke, dass ich nicht einfach nur Monologe halte, sondern dass es Resonanz gibt ...
    :warn: no fishing for compliments, ich bitte von weiteren Beifallsbekundungen zumindest in diesem Thread Abstand zu nehmen :P

    Yeshe:

    Und nein, ich bin nicht für das Leiden von Tieren verantwortlich, weil ich sie nicht töte(n) (lasse).


    Wenn Du die Möglichkeit hast, ein konkretes Leiden an Schmerzen zu beenden und Du das nicht tust, dann bist Du für das fortgesetzte Leiden an diesen Schmerzen verantwortlich. Die fortbestehenden Schmerzen nicht beendet zu haben, ist dann Dein Karma - so wie im anderen Fall die Tötung des Tieres Dein Karma ist.


    Nicht, dass ich das kritisieren würde. Jeder handelt nur aus den ihn bestimmenden Ursachen und Bedingungen heraus und damit sind die Handlungen und die Bewertungen, die wir ihnen zuweisen, notwendig unterschiedlich. Trotzdem würde ich mich fragen, wie genau das Motiv dieser 'Tötungshemmung' aussieht. An welchem Wohl ist es orientiert?


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    Ich würde gerne eine Sache, die hier angesprochen wurde, etwas genauer auf den Punkt bringen. Es gibt mE einen deutlichen Unterschied zwischen monastischer (durch Vinaya gebundener) und Haushälterpraxis - und, verkomplizierend, einer Haushälterpraxis, die versucht, die monastische möglichst ohne Abstriche zu emulieren. Das bezeichnende Stichwort wurde schon genannt: Verantwortung. Der Vinaya-Ordinierte gibt die Verantwortung für sein Handeln an einen Regelkanon ab - er ist damit frei von jeder Verantwortung außer der gegenüber dem Vinaya. In diesem Sinn handelt er auch verantwortungslos. Und gelegentlich tun dies auch die, die sein Handeln emulieren, ohne die Verantwortung für ihr Handeln an den Vinaya abgegeben zu haben. Nicht ganz zufällig ist Ordination ein formaler und vor allem öffentlicher Schritt).


    Das kann schon ein 'Geschmäckle' vermeintlicher moralischer Überlegenheit haben - wenn etwa in Tibet Mönche und fromme Laien keine Tiere schlachten, aber keine Bedenken haben, Fleisch zu essen - vorzugsweise von muslimischen Schlachtern, weil man sich als Buddhist ja nicht die Hände schmutzig macht. Dass schon die Nachfrage nach Fleisch Tiere tötet und überdies Andere im Karma des Tötens bestärkt, spielt da keine Rolle - man tötet ja nicht direkt und unmittelbar und sieht sich daher nicht verantwortlich. Dieses Argument ist (in etwas anderer Form natürlich) auch hier in der Diskussion aufgetaucht - ich halte es für heuchlerisch (zur Klarstellung: das Argument, nicht den, der es vorgebracht hat).


    Ein Haushälter hat Verantwortung nicht nur für sich selbst, sondern auch für die, mit denen er seinen Haushalt teilt - ob Menschen oder Tiere. Das bedeutet, dass er sich bemüht, in deren bestem Interesse zu handeln - was natürlich impliziert, dass er selbst auch beurteilen muss, was im besten Interesse seiner Haushaltsgenossen ist. Wobei man 'Haushaltsgenossen' sehr weit fassen kann - man kann darunter durchaus auch 'alle Wesen' verstehen. Doch dies nur nebenbei. Jedenfalls ist genau diese Verantwortung und das ihr-gerecht-werden Kern der Haushälterpraxis.


    Selbstverständlich (es wurde zu Recht angemerkt) führt das zu Dilemmata - solche zu vermeiden ist ja gerade der Grund dafür, in die Haushaltslosigkeit zu gehen. In dieser Hinsicht wählt der Vinaya-Ordinierte den einfacheren Weg - um nicht zu sagen, er macht es sich einfach. Ich habe es in diesem Thread schon früher angesprochen: an den Dilemmata, die sich aus der Bemühung der Befolgung der pañcaśīla ergeben, wächst die Übung des Praktizierenden - gerade durch diese Dilemmata und die Auseinandersetzung mit ihnen werden die śikṣāpada tatsächlich zu Wegen oder Feldern der Übung. Was sie, wenn man ihnen 'verantwortunglos' einfach buchstabengetreu folgt, allenfalls in sehr viel geringerem Maße sind. Das eine ist Optimierung des Handelns durch Übung und Einsicht, das andere schlicht Konditionierung.


    Es ist, denke ich, kein Zufall, dass Buddha etwa den Kālāmern nicht empfohlen hat, den pañcaśīla als Geboten oder Gesetzen zu folgen, sondern dass er ihnen empfohlen hat, ihre Entscheidungen hinsichtlich ihrer Folgen gründlich zu überprüfen - und (was bei Verweisen auf das ‎Kālāmasutta leider häufig übersehen wird) sich in den brahmavihāra zu üben. In liebender Güte, Mitgefühl, Mitfreude und Gleichmut. Diese Übung ist, so denke ich, ein besserer Führer auf dem Weg als das sture, unhinterfragte Befolgen von Regeln und Geboten.


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    Sherab Yönten:

    Unter bestimmten Voraussetzungen ist auch der "assistierte Suizid" legal


    Besser: unter bestimmten Voraussetzungen ist die Beihilfe zu Suizid straffrei. Ist aber mE eher Augenwischerei. Entscheidend ist: auch hier ist die Hilfe durch einen Arzt verboten - ob strafrechtlich oder standesrechtlich, ist nicht der entscheidende Punkt. Das heisst, es ist reine Glückssache, ob man einen Helfer findet - einen (dann auch hoffentlich halbwegs sachkundigen) Amateur, der "die Giftspritze präpariert". Vom Problem einer legalen Beschaffung des Mittels einmal ganz abgesehen.

    Deswegen sind bei solchen Amateur-Beihilfen auch eher Tabletten üblich, da ist das einfacher - 'gängig' ist Metoclopramid als Antiemetikum (um Erbrechen zu verhindern), mindestens 500 mg Diazepam (besser 750 mg) zur Herbeiführung von Tiefschlaf, mindestens 20 g Chloroquin (ein Antimalariamittel, das auch zur Rheumabehandlung eingesetzt wird). Alle drei natürlich rezeptpflichtig. Also Schmarzmarkt oder doch wieder ein Arzt, der dann ggf. der Kammer erklären muss, für welche medizinische Indikation er so etwas in solchen Mengen verschreibt. Kosten ca. 500 € - am teuersten (400 €) das Chloroquin, von dem man 5 OP braucht. Die Krankenkasse zahlt sowas garantiert nicht - und es empfiehlt sich, die Beschaffung auf mehrere Apotheken zu verteilen, sonst riskiert man, dass die Polizei mal vorbeischaut. Der Sterbende muss beim Sterben alleine gelassen werden, wenn der Helfer nicht einer möglichen Strafverfolgung wegen § 323c StGB ausgesetzt werden soll.


    Ein Arzt wird hingegen, wo er das darf (z.B. in den Niederlanden oder in Belgien) am ehesten Midazolam und dann Thiopental oder Propofol iv spritzen (beides wird in der Anästhesie eingesetzt), was in entsprechend hoher Dosierung zum Atemstillstand führt. Kosten der Medikamente ca. 50 €. Neben dem Arzt können natürlich auch Partner, Verwandte, Freunde beim Sterben zugegen sein.


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    Es ist richtig und begrüßenswert, dass in der medizinischen Forschung und Aus- bzw. Weiterbildung palliative Therapie mittlerweile einen höheren Stellenwert hat, während früher (nahezu) allein die kurative Therapie das Maß aller Dinge war. Glücklicherweise hat sich da bei den 'Halbgöttern in Weiß' die Einsicht gebildet, dass die Medizin ihre Grenzen hat. Dass nicht Alles heilbar ist und dass dem Patienten auch nicht jede Heilbehandlung zumutbar ist. So ganz neu ist das allerdings nicht - die Menschen, von denen @mkha´ geschrieben hat, dürften palliativ behandelt worden sein. Palliative Therapie ist die 'Rückfalloption', a) wenn kurative Therapie (d.h. die Heilung) fehlgeschlagen ist (der Patient ist dann 'austherapiert'), b) wenn es für die spezielle Erkrankung keine kurative Therapie gibt oder c) wenn die kurative Therapie mit untragbaren Risiken verbunden ist.


    Für die letzte Möglichkeit zur Erläuterung ein konkretes Beispiel: die Krankheit ist eine progressive, also zunehmend kritischer werdende und schließlich zum Tod führende. Entsprechend dem Risikoscore des Patienten (da spielt vor allem das Alter und die konkrete Symptomatik zum Zeitpunkt der Prognose eine Rolle) wird der Median der Lebenserwartung (das ist der Zeitraum, in dem 50% der Patienten mit vergleichbarer Diagnose sterben) mit 4,5-7 Jahre veranschlagt (bei selteneren Erkrankungen ist da die statistische Streuung recht groß). Einzige bislang bekannte kurative Therapie wäre eine Stammzellentransplantation. Beim Alter des Patienten und seinem allgemeinen Gesundheitszustand wird das Risiko, an Komplikationen dieser Therapie (vor allem auf Grund der dafür erforderlichen radikalen Chemo, um zunächst die eigenen Stammzellen komplett zu zerstören) zu sterben, mit 40-45% eingeschätzt. In einem solchen Fall wird der Arzt in aller Regel bei einem Patienten, der älter als 40 ist, keine kurative, sondern palliative Therapie vorschlagen.


    Die Mehrzahl palliativ behandelter Menschen wartet nicht in einem Sterbehospiz auf den Tod - sie lebt unter uns, ohne dass wir es in der Regel bemerken. Bis dass das dann irgendwann nicht mehr geht. Man sollte sich aber nicht der Illusion hingeben, palliative Therapie ermögliche ein beschwerdefreies Leben bzw. Sterben. Je nach Art der Erkrankung und der Therapie ist die Lebensqualität trotz Ausschöpfung aller palliativen Möglichkeiten z.T. erheblich gemindert. Da kommt man dann irgendwann an die Grenzscheide, wo man beginnt, über den Freitod nachzudenken. Legal ist hierzulande da lediglich eine Option: Behandlungsverweigerung. Das ist das Ende mit Schrecken anstelle des Schreckens ohne Ende (natürlich kommt auch da das Ende - verkürzt wird nur das Warten darauf).


    Wenn man großes Glück, hat man dann einen Arzt oder eine Ärztin, die einen auch dann nicht alleine lässt und hilft, so weit er oder sie es vor sich verantworten kann - statt sich zu fragen, ob er oder sie es vor dem Gesetz verantworten kann. Solche Menschen riskieren ihre berufliche Existenz - und sie gewinnen nichts dadurch außer dem Bewusstsein, einem Sterbenden nicht die Hilfe versagt zu haben, die dieser gewünscht hat. Und wenn da jetzt ein Abhidhamma-Theoretiker daherkommt und meint, in diesen Menschen sei spätestens im Moment, wo sie einem Leidenden geholfen haben, "Hass" aufgestiegen - dann kan ich nur sagen: selbst, wenn das so sein sollte - wen interessiert's?


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    pamokkha:

    Der Wille zu Töten steigt zwingend mit dem Geistesfaktor Hass auf.


    Das wurde doch gar nicht in Zweifel gezogen. Die Frage ist doch vielmehr, ob der Wille zu Töten auch mit anderen Geistesfaktoren aufsteigen kann. Hat Angulimala aus Hass getötet oder aus (spriritueller) Gier, verbunden mit Verblendung?


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    Zunächst einmal grundsätzlich: die sikkhapada oder kai "umzuformulieren" halte ich für den falschen Ansatz. Sinnvoller ist es, sich darum zu bemühen, sie zu verstehen. Und da helfen keine Umformulierungen, sondern nur die konkrete Übung. Auch und gerade da, wo die an ihre Grenzen stößt. "Umformulierungen" sind nichts anderes als der Versuch, dieser Konfrontation auszuweichen, statt an ihr zu wachsen und durch sie Rechte Sicht zu vertiefen.

    Frieden-und-Freude:

    Man könnte die buddhistische Ethik natürlich so umformulieren, dass daraus ein "negativer konsequentialistischer Handlungsutilitarismus" wird.


    Das ist keine Umformulierung, sondern die buddhistische Ethik schlicht auf einen kurzen Nenner gebracht.


    Frieden-und-Freude:

    Was er gelehrt hat, ist eine Heilstechnik, also ein Weg zur Überwindung von dukkha.


    Genau das, eine 'Technik' um damit zu einem Ergebnis zu kommen, also die Orientierung / Bewertung des Handelns anhand seiner Eignung, zu einem Ziel (hier: Überwindung von Duhkha) zu führen ist - bezogen auf die Handlungsempfehlungen der sikkhapada - Utilitarismus. Da dies nicht auf ein positives Ziel gerichtet ist (etwa Erlangung von Glück), sondern auf ein negatives (Überwindung von Duhkha), handelt es sich um einen negativen Utilitarismus. Da dabei die Handlungen an ihren Folgen gemessen werden (führen sie zu einer Vertiefung / Perpetuierung von Duhkha oder zur Überwindung / Minderung) ist dieser Utilitarismus konsequentialistisch.

    Frieden-und-Freude:

    Wenn man das mit der Terminologie von Kant beschreiben möchte, handelt es sich dabei um hypothetische Imperative, nicht um kategorische.


    Seit Kant hat sich in der Ethik als philosophischer Disziplin einiges getan. Brauchbarere Ansätze hinsichtlich unserer Problemstellung hier findest Du z.B. bei John Stuart Mill oder (um auch einen Zeitgenossen zu nennen) Peter Singer.

    Frieden-und-Freude:

    Die Silas werden traditionell aufgefasst als "Reinigung" des Geistes. Es geht nicht primär darum, in der Außenwelt etwas zu bewirken mit seinen Handlungen.
    Insofern ist es verfehlt, die Silas konsequentialistisch bzw. utilitaristisch aufzufassen


    Was traditionelle Auffassungen angeht, so ist "Reinigung des Geistes" nur einer von drei Aspekten. Locus classicus dieser traditionellen Auffassung ist übrigens Śloka 183 des Dhammapada. Sodann ist konsequentialistischer Utilitarismus keineswegs notwendig darauf gerichtet "in der Außenwelt etwas zu bewirken mit seinen Handlungen". Gerade seine bekannteste Form, der hedonistische Utilitarismus (Jeremy Bentham) zielt auf Lustgewinn - nicht darauf, "primär [...] in der Außenwelt etwas zu bewirken". Noch deutlicher ist Mills idealistischer(sic!) Utilitarismus nicht ausschließlich an sinnlichem "pleasure" orientiert (dem man zugute halten könnte, dass es von der "Außenwelt" abhängt), sondern an pleasures “of the intellect, of the feelings and imagination, and of the moral sentiments” als höherwertigen. Auch in George Edward Moores utilitaristischer Ethik werden neben Lusterfahrung vor allem Erkenntnis, Weisheit, Liebe und Selbstentwicklung zu Werten erklärt, an denen ethisches Handeln ausgerichtet werden kann. Die genannten sind nun Formen eines positiven Utilitarismus, während negativer Utilitarismus in seiner zeitgenössischen westlichen Form zunächst ganz wesentlich von Karl Popper inspiriert wurde - wobei man da, bei Poppers "minimize suffering" als politischer Agenda, durchaus nicht stehen bleiben muss. Zur Einführung dieser Link.


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    Frieden-und-Freude:

    1. Wenn man normalerweise von "Übung" spricht, meint man damit eine Aufgabe, die zumindest theoretisch erfüllt werden kann. Das ist bei der "Übung" der ersten Sila nicht der Fall, wie Du zurecht schreibst. (Auch der Veganer muss Leben nehmen, weil im Zusammenhang mit der Produktion der Nahrung Lebewesen getötet werden. Etc. Etc.)
    Wie kann man etwas als "Übung" ansehen, was nicht erfüllbar ist?


    Die Antwort, die ich darauf geben kann, ist notwendig von meiner Praxis - und damit von der Praxisgemeinschaft, der ich angehöre - geprägt. Ohne da jetzt allzu tief einsteigen zu wollen, ist der Kern dieser Praxis, die Übung von einem Ziel abzulösen, dessen Erreichung die Übung überflüssig macht. Natürlich bewirkt die Übung etwas - wenn Du z.B. beständig und intensiv Bogenschießen übst, wirst Du irgendwann ganz gut Deine Ziele treffen. Hörst Du dann auf zu üben, ist es damit auch bald wieder vorbei.

    Frieden-und-Freude:

    2. Anscheinend hast Du einen Lehrer, der diese Probleme mit der ersten Sila thematisiert. Ich frage mich, warum in allen Unterweisungen, an denen ich teilnehmen durfte, niemals auf diese wirklich grundlegenden Probleme eingegangen wurde. Mein Gefühl ist, dass das auch für buddhistische Lehrer sehr heikle und kontroverse Fragen sind.


    Es ist vor allem heikel, da allgemeingültige Grundsätze zu formulieren. Jeder muss (und soll) mit diesem Übungsfeld selbst zurechtkommen, es sich erarbeiten. Stur Regeln zu folgen, die ein Lehrer aufgestellt hat, ist eher kontraproduktiv. Das heisst nicht, dass ein Lehrer einem bei dieser Übung nicht helfen kann - aber dafür ist mE eher ein privater Austausch angemessen als ein öffentlicher Vortrag.

    Frieden-und-Freude:

    3. Als Begründung für die erste Sila wird häufig angegeben, dass es bei der Übung darum geht, sich von Hass freizumachen. Denn mit dem Töten sei Hass verbunden. Und außerdem produziere das Töten Leiden. Was ist aber nun mit all den Fällen, in denen das Töten weder mit Hass verbunden ist noch Leiden produziert. In der aktiven Sterbehilfe ist das Töten mit Liebe verbunden und reduziert Leiden!


    Auch Liebe kann da ein Fallstrick sein - das hatte ich schon versucht, anzudeuten.

    Frieden-und-Freude:

    Müsste man dann nicht sagen, dass die "Übung" hier ganz anders formuliert werden müsste? Nicht "davon abzustehen, Leben zu nehmen", sondern eben "verantwortlich mit Leben umgehen". (Was dann doch eine andere Übung ist, auch wenn jemand in seiner Praxis vielleicht beides miteinander vereinen kann.)


    Ich denke, das Wesentliche ist, zu wissen was man tut, warum man es tut und was es für Folgen hat. Da gerade der letzte Punkt häufig schwer zu erkennen ist, ist allgemein große Vorsicht, Wachheit und Achtsamkeit beim Tun ratsam.

    Frieden-und-Freude:

    4. In meiner eigenen Wahrnehmung habe ich verantwortlich gehandelt. Im Sinne der Übung, "verantwortlich mit Leben umzugehen". Aber kann man wirklich sagen, dass ich im Sinne der ersten Sila gehandelt habe?


    Was "man" da sagt, ist völlig unerheblich. Was sagst Du Dir? Was ist denn der Sinn von Sila (auch und gerade der ersten) und damit in ihrem Sinn? Duhkha mindern, an der Überwindung von Duhkha arbeiten.

    Frieden-und-Freude:

    Anders formuliert: Die buddhistische Ethik ist - zumindest im Ursprung - eine reine Gesinnungsethik, keine Verantwortungsethik.


    Nein. Buddhistische Ethik passt nach meinem Dafürhalten überhaupt nicht in Max Webers Schema. In westlichen Termen ausgedrückt, ist buddhistische Ethik eine teleologische oder Zweckethik. Sie ist, wie ich schon oben angerissen habe, an der Überwindung von Duhkha orientiert. Enger gefasst (für diejenigen, die sich schon eingehender mit westlichen Ethikkonzepten beschäftigt haben) würde ich buddhistische Ethik als negativen konsequentialistischen Handlungsutilitarismus charakterisieren. Das geht - wegen des Gewichts, das da auf Bewertung der Handlungsfolgen gerichtet ist - schon eher in Richtung Verantwortungs- als Gesinnungsethik. Die Entwicklung einer Gesinnung, aus der sich ein entsprechendes Handeln natürlich entwickelt, ist Mittel zum Zweck (dem Telos) - und Gegenstand beständiger Übung. Und in diesem Sinn des Sich-Einübens in 'Rechte Gesinnung' - als tägliche Aufgabe - ist sie auch eine Gesinnungsethik.


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    Frieden-und-Freude:

    Habe ich nun ein "Gelübde" gebrochen?


    Ein von mir hoch geschätzter Lehrer hat das grundsätzliche Problem mit der ersten Śīla einmal so auf den Punkt gebracht: Leben heisst Leben nehmen. D.h. man nimmt sich sein Leben und dabei ist es gar nicht zu vermeiden, dass man tötet (es anderen wegnimmt). Selbst als Veganer kann ich nicht vermeiden, dass bei der Produktion meiner Lebensmittel Lebewesen getötet werden - dass ich dies dann nur mittelbar tue (töten lasse) spielt dabei keine Rolle. Wenn ich eine Infektion habe und ein Antibiotikum nehme, töte ich damit Bakterien - also Lebewesen. Es lassen sich problemlos weitere Beispiele finden; ich denke, es ist klar, worauf ich hinauswill.


    Natürlich bedeutet das nicht, dass es egal ist, wie wir mit Leben - eigenem und anderem (falls wir das denn trennen wollen) umgehen. Aber es zeigt, dass die erste Śīla als Verbot aufzufassen uns vor eine Aufgabe stellt, an der wir scheitern müssen. Man kann sich - wie es das Ideal der Jaina ist - selbst zu Tode hungern, um zu vermeiden, anderes Leben zu nehmen - doch nimmt man damit sein eigenes. Anders gesagt: man unterscheidet zwischen anderem und eigenem Leben, wie der, der bedenkenlos anderes Leben tötet.


    Die Regel lautet: "ich nehme die Übung auf mich, davon abzustehen, Leben zu nehmen". Die Betonung liegt auf 'Übung'. Das heisst, sich darin zu üben, bewusst mit Leben umzugehen. 'Bewusst' heisst wiederum, diesen Umgang vom Einfluss der Geistesgifte Gier, Hass und Verblendung zu lösen. Der Umgang mit Tieren ist da ein guter Anlass, diese Praxis zu üben und genau das hast Du offensichtlich getan - wobei bei Haustieren häufig Gier (in Form besitzergreifender Liebe, die nicht loslassen will/kann) das Problem ist, was die Sache nicht einfacher macht als z.B. Ungezieferbekämpfung. Wie auch immer - Du scheinst mir da auf einem guten Weg zu sein.


    Eine Anmerkung noch zu dieser Geschichte:

    Frieden-und-Freude:

    Ich muss bei solchen Sachen immer gleich an die Geschichte mit dem Zen-Kloster denken, in dem ein Hund für das Töten zuständig ist, damit die Mönche friedlich und vermeintlich im Einklang mit allen Tugendregeln meditieren können.


    Katzen stellen für japanische Tempel - insbesondere in Städten - häufig ein echtes Problem dar. Und zwar, weil viele Japaner, die ihrer Hauskatze überdrüssig sind, sie dort aussetzen und sich damit beruhigen, dass die Mönche sich ihrer aus Mitgefühl annehmen. Wenn die Zahl der Katzen zu sehr zunimmt, steht man dann irgendwann vor der Entscheidung, ob man aus dem Tempel ein Tierasyl macht. Oder, ob man statt 20 oder 30 Katzen einen Hund mit durchfüttert. Nicht unbedingt, dass der dafür die Katzen tötet, sondern dass er sie fern bzw. 'Tierfreunde' davon abhält, dort Katzen auszusetzen. Sicher kann man geteilter Meinung darüber sein, ob das eine angemessene Lösung ist und ich weiss natürlich auch nicht, ob das in dem von Dir beschrieben Fall so ablief. Aber häufig stellen sich die Dinge bei näherer Betrachtung etwas anders dar als auf den ersten Blick.


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