Beiträge von Der Unbuddhist im Thema „Fundamentalkritik“

    jianwang:

    Hmmm Unbuddhist


    Ich kann mich nicht entsinnen, nach meinen Schriftstudien ohne Wissen je auf einem Teppich Platz genommen oder Sicherheit gesucht zu haben.


    _()_


    Take it easy. Ich meinte damit nicht, ich könne beurteilen wie es ist in deinen Schuhen zu laufen.


    Danke, danke, danke. Dass ich das noch erleben darf. Man darf im Buddhaland inzwischen offen sowas schreiben. Das wäre vor einiger Zeit noch nicht möglich gewesen, ohne dass es sofort massive Angriffe gegeben hätte.


    Es ändert sich was. Die Skandale zeigen, was des Kaisers neue Kleider wirklich sind.


    Ich hoffe, dass viel mehr solche Diskussionen entstehen.


    Sudhana:
    Ayudha:

    Es stellt sich für mich die Frage, ob es denn einen "authentischen Buddhismus so wie Buddha Shakyamuni" ihn lehrte überhaupt geben kann.

    Das hängt davon ab, was man unter "authentisch" versteht bzw. verstehen möchte. Da macht es Sinn, sich zunächst zu verdeutlichen, was Buddhismus eigentlich ist.


    Und natürlich kann es in einem bestimmten Sinn keinen authentischen Buddhismus geben. In dem Sinne nämlich, wie man sich ihn und seine Traditionen als Baumstruktur denkt. Dieses Muster liegt dem Authentizitätsdenken fast überall zu Grunde: Es gibt eine Wurzel und aus ihr entfaltet sich dann der ganze Rest. Das ist falsch. Also Buddhismus kann sich zu allererst in dem was er "eigentlich" ist, nicht auf die eine Wurzel, den einen Impuls usw. beziehen.


    Diese Gedanken sind auch in der Geschichtsforschung, so weit ich weiss, überholt, in der Evolutionstheorie ebenso, selbst in der Genetik. Man merkt wie weit das Denken im Buddhismus hinten dran ist, wenn man ihn so mit anderen Bereichen vergleicht.


    K-Dorje:

    Niemand würde heute die Meinung vertreten, bezüglich der Mathematik sei alles das, was nicht von Adam Ries gelehrt wurde, keine authentische Mathematik. Nach Ries kamen viele große Mathematiker. Manche Weiterentwicklung hätte Adam Ries vielleicht selbst abgelehnt. Ob das später Beigesteuerte tatsächlich 'reine' Mathematik ist, entscheidet die Gemeinschaft der Mathematiker heute anhand fachspezifischer Vereinbarkeitskriterien und nicht nach der Rückführbarkeit auf den Gründer.


    Danke, schönes Beispiel für das was ich gerade meinte.


    K-Dorje:

    Ebenso sollte der Buddhismus von uns Westlern nicht mit Authentizitätszuschreibungen begrenzt werden, sondern damit, ob Aussagen/Praktiken vereinbar sind mit einem akzeptierten Kanon von Aussagen, wie z.B. dem Buddhistischen Bekenntnis der DBU.


    Oh je, das Buddhistischen Bekenntnis der DBU. Das Fass machen wir in diesem Thread lieber nicht auf. Aber gut auch das mal anzusprechen und evtl. anderswo einer kritischen Würdigung zu unterziehen.


    Morpho:

    'Bodenlosigkeit' jedenfalls ist nur ein Gedanke und es macht nun gar keinen Sinn, eine Ethik auf derartige Gedanken oder Gefühle zu gründe. Das ist ganz realitätsfern. Das wäre so eine konstruierte Ethik, abhängig davon, dass potent. Annehmer und Prediger selbige Gefühle und Gedanken hegen.


    Lies die entsprechenden Passagen bei Garfield auf die ich mich beziehe. Und dann versuch's noch mal.


    K-Dorje:

    Der Autor des Threads argumentierte ja, dass der Dharma keine reine, authentische, originale, von Einflüssen unberührte Lehre mehr sei.
    Ich stimme ihm weitgehend zu und argumentiere, dass das nicht zwangsläufig negativ sei.


    Das ist ein kaum tot zu kriegendes Missverständnis, dass der Verzicht auf den Gedanken vom einen Schönen Wahren Guten Original negativ sei. Im Gegenteil. Es ist eine Befreiung. Aber leider wird dieser Gedanke, dass sich da etwas Neues öffnet, übersehen. Man könnte das Prozessdenken anführen, dass das dann zum tragen käme. Aber leider ist auch hier die Diskussion im Buddhismus häufig soooo rückständig.


    K-Dorje:

    Gerade wir als westliche Buddhisten könnten einen Beitrag zu dieser Weiterentwicklung leisten, indem wir Buddhismus und Dharma eben nicht mehr abgrenzen mit überkommenen Werten wie Authentizität, Originalität und Unberührter Reinheit. Sondern dass wir mit moderneren Begriffen und Kriterien arbeiten.


    Ja, bitte, mehr davon.


    fotost:

    Über die Problematik, diese erste Lehre herauszuarbeiten haben wir mehr als genug Threads im Forum gehabt.


    Gut, aber gab es Threads in denen diskutiert wurde, dass nicht nur die Lehre sich anpasst, verändert, dass hinzugefügt und weggelassen wird, sondern dass etwas geschieht was McMahan diskutiert: dass die Lehre in einem anderen Kulturkreis unter Umständen auf Strukturen stößt, die sie völlig verkehrt. Ein Beispiel ist der christliche Erlösungsgedanke bzw. die Geschichte von der Ursprünglichen Reinheit (Paradies), vom Fall in die Verwirrung namens Samsara (Sündenfall) und schliesslich die Erleuchtung (3. Einsicht derjenigen die was davon verstehen). Wenn man buddhistisches Denken im Westen untersucht, findet man oft, dass das christliche Schema vom Paradies, dem Sündenfall und der Erlösung unbewusst buddhistischen Begriffen unterlegt wird. Ich habe das in einem englischsprachigen Buchbeitrag am Beispiel Chogyam Trungpa heraus gearbeitet.


    Das betrifft wieder auch den Begriff von der Episteme....


    Also, falls sowas hier schon mal diskutiert wurde, bitte ich um Hinweise.


    K-Dorje:

    Da wäre z.B. aktuelle Diskussion in einem anderen Thread um die Forderung im tib. Buddhismus, bei bestimmten Tantras alles, was der Lehrer tut, als rein anzusehen.


    Ja, und hier wäre eben, wie Ayudha anmahnt, Quellenstudium angesagt. Und zwar ein solches, dass sich auch damit befasst, wie Begriffe bzw. Konzepte aus einer anderen Kultur zu übersetzen sind, für die es in unserer evtl. überhaupt kein semantisches Equivalent gibt. Tibetisch kadag z.B. einfach mit deutsch rein zu übersetzen und dann darüber zu diskutieren, ob nun der Guru so oder so zu sehen sei, geht an der Sache völlig vorbei.


    Genau diese furchtbaren Vereinfachungen – sprich Verzerrungen – geschehen aber und werden dann zu allem Überfluss, wie z.B. bei Rigpa, als "authentische Lehre" verkauft.


    Da sind wir wieder an der 'Wurzel' des Problems angelangt, dass die Inkulturation des Buddhismus die bei uns passiert, die Verzerrungen die sie selbst verursacht, nicht sieht. Da wäre eine gehörige Portion Epistemologie angesagt, um das Problem zu beheben.


    jianwang:

    und dieser Thread ist hier im BL?


    Erstaunlich, nicht wahr. Es geschehen noch Zeichen und Wunder.


    Morpho:
    Zitat

    Da wäre z.B. aktuelle Diskussion in einem anderen Thread um die Forderung im tib. Buddhismus, bei bestimmten Tantras alles, was der Lehrer tut, als rein anzusehen.


    Und warum ist das so? Weil es auf Deutsch z.B. keine Bücher zu lesen gibt, die sich mit dem hier jetzt mehrfach und in verschiedenen Schattierungen skizzierten Übersetzungsproblem befassen. Es gibt keinen Markt dafür. Interessiert zu wenig Leute. Wohl dem, der Englisch kann.


    K-Dorje:

    Der Autor des Threads hat zu Fundamentalkritik aufgerufen, da können wir ihm den Thread nicht mit
    Detailfragen zukleistern. Also bitte wieder die Flughöhe vergrößern und hier die ganz großen Fragen stellen. Auch wenn sie vage erscheinen.



    Vielleicht wäre eine Zusammenfassung der Ergebnisse angesagt, um festzuhalten, wohin wir gekommen sind...


    Dann schliessen wir den Thread, meditieren ein wenig, lernen Englisch um die wirklich wichtigen Sachen zu lesen (oder gründen einen Klub in dem die wirklich wichtigen Sachen wenigstens auszugsweise übersetzt werden) und machen uns Gedanken darüber, wie es nun weiter gehen soll, nachdem klar ist, dass uns der Teppich des Originals unter den Füssen weggezogen ist.

    Ellviral:

    Nagarjuna 24.18
    Alle formalen (begrifflichen) Ursachen erzeugen (jedoch) Erscheinungen, von denen ich erkläre, daß sie leer sind, auch daß sie künstliche Beziehungen (der begrifflich-formalen Ursachen) sind, und daß dies auch der Sinn des mittleren Wegs ist.


    Hi, die Übersetzung die du bringst ist von Lutz Geldsetzer. Habe ihn erst neulich zum ersten mal gelesen. Damit wir über das Selbe reden, müssten wir über Garfields Nagarjuna reden. Deswegen habe ich das betont, "in der Interpretation von Garfield". Geldsetzer geht ganz anders vor als Garfield. Insbesondere die "formale Ursache" scheint da sehr wichtig. Habe aber seinen Kommentar erst nur einmal überflogen. Interessant aber nur alleine schon, dass er meint Nagarjuna beziehe sich auf Aristoteles (in puncto Ursache(n)).


    Was ich ihn Bez. auf Ethik meinte ist, dass von Garfields Nagarjuna ausgehend man eine Ethik aufbauend auf einer Bodenlosigkeit entwickeln kann. Bei Geldsetzer geht das glaub ich nicht. Aber wie man sieht, da sind wir schon im Irrgarten der Nagarjuna-Interpretationen angekommen...

    Sudhana:

    Was Du mit der "klare(n) ethische Haltung, die sich auf MMK 24:18 gründet" meinst, ist mir nicht ganz klar.


    Sorry dass es gelegentlich so lange dauert, bis ich reagiere. Habe nicht die Zeit.


    Zu dem obigen Punkt nur. Ich hab mich da nicht sehr klar ausgedrückt. Was ich meinte ist, dass Nagarjuna, in der Interpretation von Garfield, z.B. die 4 Wahrheiten der Edlen für gültig erklärt eben weil sie im Bedingten Entstehen, in der Leerheit und in der sprachlichen Konvention begründet werden können – und dass nicht stimmt was Nagarjunas Opponent erklärt, dass sie vor diesem Hintergrund nicht gültig seien.


    Das würde sicher mehr als ein paar Sätze dieser Art in diesem Forum erfordern... Vielleicht müsste man nur mal Auszüge aus den entsprechende Passagen übersetzen um einem weiteren Publikum klarzumachen, um was es hier geht....

    Sudhana:
    Der Unbuddhist:

    Wenn man an dem Punktangelangt ist, an dem sogar eine Fundamentalkritik der Fundamentalkritik denkbar wird, was soll man dann tun?

    Nun - wenn man schon dahin gelangt ist, sollte man eine solche Kritik auch leisten.


    Wurde und wird sie ja vielfach. Das Problem scheint mir doch eher, dass viele sie nicht wollen. Man verwechselt sie regelmässig mit Ablehnung von irgendwas. Abgelehnt wird aber von Seiten der Kritik lediglich das Naiv-Unkritische, das einfach so Gegebenes akzeptiert und womöglich noch, wenn mit dem Segen eines Heiligen aufgeblasen, diesem wie dem goldenen Kalb frönt.


    Sudhana:
    Der Unbuddhist:

    Die Hände in den Schoß legen und seufzen?

    Das interpretiere ich jetzt mal als Metapher für Resignation. Wobei das Versagen von Fundamentalkritik, das Problem der Leidhaftigkeit der Existenz des Kritikers zu lösen, ja nicht unbedingt in eine fundamentale Resignation führen muss, sondern lediglich in eine hinsichtlich der begrenzten Tauglichkeit von Kritik.


    Ja Resignation. Wobei vielleicht eine aufgeklärte "fundamentale" Resignation nicht die schlechteste Möglichkeit ist. Wobei die intellektuelle Fundamentalkritik allein, wie sie jetzt in diesem Thread angeklungen ist, nicht zu einem Ende von dukkha führen kann. Nicht jedenfalls in einem ernsthaft buddhistischem Sinn. Ein solches Ende steht aber hier nicht zur Diskussion, jedenfalls nicht meinerseits.


    Sudhana:
    Der Unbuddhist:

    Eine halbe Stunde die Wand ansehen?

    Auch dies ist eine Metapher (jedenfalls habe ich sie in diesem Sinn eingeführt). Sie steht für ein zeitweiliges Einstellen diskursiven Denkens, das an seine Grenzen gestoßen ist. Das wiederum ist nun keine Resignation, sondern ein anderer Modus mentaler Aktivität. Dazu muss man nun nicht einmal unbedingt auf wu nian / mushin (無念) oder fei si liang / hishiryō (非思量) verweisen, man kann hier auch etwa auf Sartres nicht-thetisches Bewusstsein zurückgreifen. Wobei Sartres "conscience (de) soi" sich natürlich von beispielsweise Dōgens hishiryō insofern unterscheidet, als er dieses nur als Komplement thetischen Bewusstseins, genauer: dessen Existenzweise (mode d'existence) begriff. Schlicht, weil ihm die Möglichkeit einer Reduktion des Bewusstseins auf das präreflexive Cogito des nicht-thetischen Bewusstseins bzw. das dazu führende mentale Training nicht bekannt war.


    Heikles Terrain hier. Ich würde zustimmen wenn du sagst, es gibt Möglichkeiten zur Ruhe zu kommen. Völlig entspannt und völlig wach. Und ich würde auch sagen, dass es sich dabei um eine Art Aufhebung des Urteilens, Bewertens, Folgerns usw. handelt. Dass es sich dabei um eine 'gereinigte' Form der Beobachtung handelt, in der vielleicht sogar die die Dichotomie zwischen Wahrgenommenen und Wahrnehmenden zusammen bricht.


    In wie weit jedoch das nicht-thetisch ist, prä-reflexiv, vor-sprachlich, evtl. sogar unverwässertes und reines Bewusstsein und dergleichen mehr ist, das ist die Frage. Das Begriffspaar reflexiv/prä-reflexiv wirft z.B. Probleme auf. Man muss zunächst "reflexiv" genau beschreiben. Nehmen wir reflexiv als Nachdenken über das Nachdenken – als das Philosophische überhaupt –, als Nachdenken überhaupt über Fragen wie: was macht mein Denken aus, was bestimmt es, welche Voraussetzungen hat es usw.? Das Prä, das Vor also, würde dann das bedeuten, um was es gerade diesem Denken geht: seine eigenen Grundlagen zu bestimmen. Wie aber weiter oben anklang, führt das in einen endlosen Regress – in eine wichtige Erkenntnis also.


    Wenn das Präreflexiv aber die Ruhe sein soll, die diesen endlosen Regress unterbricht, um auf ihm auf einer Art Floss sich treiben zu lassen, dann ist es, wenn man vom Reflexiven her kommt, nur eine Art künstliche (wenn auch evtl. hilfreiche) Position.


    Man könnte auch einwenden, dass man individuell nicht weiss, was eigentlich an kognitiven Prozessen dieser scheinbaren präreflexiven Haltung vorausgeht. Wir wissen nämlich – und Yogacaradenker hatten da auch schon Einwände in der Richtung –, dass unseren bewussten Kognitionen unbewusste vorausgehen müssen. Ein so einfacher Prozess wie das Aufwachen, macht das klar. Was sorgt dafür, dass, nach Tiefschlaf und Traumphase, sich unser übliches Tagesbewusstsein wieder konfiguriert? Das passiert gewiss nicht, indem wie uns bewusst darum bemühen.


    Man muss also skeptisch sein beim Präreflektiven. Auch wenn es, wie auch immer man es versteht, hilfreich sein mag – davon abgesehen, dass ich mich mit ihm auch in eine Art Stupor bewegen kann, in dem ich stundenlang halbbewusst vor mich hin meditiere. Soll's ja auch geben.


    Sudhana:
    Der Unbuddhist:

    Solche Kritik zum Firlefanz erklären?

    Das ist sie sicher nicht. Sie ist notwendig im Hinblick auf ihre Funktion der Desillusionierung.


    Da wären wir uns also einig.


    Sudhana:
    Der Unbuddhist:

    Der Einfachheit halber eine Erleuchtung postulieren, die schlicht jenseits allen menschlichen Denkens liegt?

    Nun - bevor man dies tut, sollte man sich zunächst einmal klar sein, was man da eigentlich postuliert. Was also "Erleuchtung" ist. Im Kontext buddhistischen Denkens ist dies nur eines, nämlich der Status, in dem das existentielle Problem der Leidhaftigkeit bewältigt ist. Dieses Postulat verweist auf eine Bewusstseinsebene, die thetisches Bewusstsein ("menschliches Denken") und damit auch die personale Ebene transzendiert. Insofern ist es ein Remedium gegen das, was ich oben im Zusammenhang mit dem Scheitern des (kritischen) Denkens an seinen Grenzen "fundamentale Resignation" genannt habe und was Du selbst in Deinem vorletzten Posting ja auch angesprochen hattest. Mehr würde zumindest ich da nicht hineingeheimnissen....


    Da stimme ich dir wieder zu. Ich meinte damit aber die Haltung, die eine übermenschliches, jenseitiges, transzendentes Bewusstsein postuliert. Eines jenseits allen menschlichen Denkens, wie es, so oder so ähnlich, in diesem Thread genant wurde. Im buddhistischen Kontext aber, den wir vermutlich meinen, ist "der Status, in dem das existentielle Problem der Leidhaftigkeit bewältigt ist" nicht übermenschlich. Er ist gerade, würde ich sagen, die Erkenntnis zu der wir fähig sind, weil wir Menschen sind und denken können. Er bedeutet eben nicht eine, wie auch immer geartete, Abkehr vom, wie auch immer gedachten, Menschlichen.


    Die Probleme die der Vajrayana z.T. hat, die die dir wir gerade sehen, kommen aus einer Verübermenschlichung des Gedankens des Erwachens. Oder anders ausgedrückt: Es wird nicht verstanden was die Grundlage des Mahayana ausmacht, dass Bedingtes Entstehen, Leerheit und sprachliche Konvention alles ist was Existenz ausmacht (MMK 24:18) und nicht etwa verdinglichte, essentialisierte Phantasmen.


    Sudhana:

    Der kapitalistische Weltuntergang ist mE nicht aufzuhalten. […] Trotzdem sollte man nicht darauf verzichten, eine Kerze zu entzünden, um wenigstens die Ecke der Welt, in der man steht, ein wenig zu erhellen. Wem es hilft, der mag sich im Sinne Hölderlins ("Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch") mit Hoffnung behelfen - wenn man denn nicht Nietzsches Diagnose zustimmt, Hoffnung sei "in Wahrheit das übelste der Übel, weil sie die Qual der Menschen verlängert". […] Ansonsten - so wild wird das mit dem Weltuntergang schon nicht werden. Zumindest die Kakerlaken werden ihn als Spezies überleben.


    Begriffe wie Weltuntergang, Katastrophe etc. sind mir da zu viel. Es ist aber gewiss, wenn man sich z.B. die Zahlen zum CO2-Ausstoß anschaut: Eine Änderung ist nicht in Sicht und ein Ende des Zeitalters der fossilen Brennstoffe bis 2050 oder so ist eine idiotische, politisch motivierte Infantilität.


    Ich denke, dass grosse Veränderungen auf uns zu kommen. Dass aber gleichzeitig der Kapitalismus in der einen oder anderen Form global weiter bestehen wird. Es wird immer mehr Verteilungskämpfe geben. Die so genante strukturelle Gewalt wird zunehmen usw. Der Begriff Katastrophe ist für das aber mAn nicht zutreffend. Das wäre ein plötzlicher Schlag. Meteorit, Atombomben, Magnetsturm ungeheuren Ausmasses, Vulkan etc. Alles möglich. Das Zuschlittern auf die physischen Grenzen des Planeten im Kapitalismus ist eher Evolution, die zwar im Vergleich rasant verläuft, den Planeten und seine Biossphäre aber schlussendlich nicht umbringen wird.


    Im Zusammenhang diese Threads hätte ich da aber noch zwei Punkte.


    Erstens wie verhält man sich, welche Position nimmt man ein, wenn man sich als ernsthafter Buddhist begreift? D.h. wenn man vom Mahayana à la Nagarjuna ff. ausgeht? (Für die Älteren kann ich nicht sprechen.) Zum einen ist da nämlich diese in Bezug auf den Buddhismus völlig neue Situation, die angesprochene der globalen Miesere. Zum anderen ist da die klare ethische Haltung, die sich auf MMK 24:18 gründet (beziehe mich auf Jay Garfield). Welche politische Haltung kann man daraus ableiten, wenn überhaupt eine – inklusive derjenigen, die dem Staat und dem Politischen mit Nichtbeachtung begegnet?


    Zweitens, und das steht im Zusammenhang mit dem Glauben an das Original (egal ob das Wort des Buddha oder original schweizer Käse): Bei vielen Menschen, die Natur schützen wollen, gibt es den Gedanken von der Natur als einer vom Menschen getrennten Spähre, die irgendwie in einen originalen Zustand (zurück)versetzt werden müsse. Dabei muss man sich aber klar machen, dass Natur als der Begriff wie wir ihn heute verwenden, so auch erst in der Neuzeit entstanden ist. In Abgrenzung vom Menschen und seiner Welt ist er ein Kunstbegriff in den vieles hinein projiziert wird – z.B. ein Heilsversprechen, dass z.B. suggeriert der Klimawandel sei noch aufzuhalten, das Artensterben sei noch einzudämmen, der Kipppunkt des Säurebasen-Verhältnisses in den Ozeanen sei noch zu vermeiden, das Plastik sei aus den Ozeanen wieder rauszukriegen, der CO2-Gehalt in der Atmosphäre, den wir seit nur Mitte des 19. Jdht verursachen, hätte keine Auswirkungen über Jahrhunderte oder Jahrtausende hinweg. Der Naturbegriff suggeriert, dass das alles nicht so schlimm sein wird, da doch die Natur, wenn sie nur wieder zu ihrem Recht käme, schon alles regeln würde. Das ist ein schöner Glaube. Tatsächlich, wenn schon "Natur" sind wir Teil einer im christlichen Sinne gnadenlosen Natur, die sich, um das mal so zu sagen, in uns ausprobiert, und die sich, wenn die evolutionäre Sackgasse offensichtliche Wirkungen zeitigt, sich unserer Machenschaften auch wieder entledigen wird. Für Umkehr, Rettung, radikale Aktion sowieso, ist es längst zu spät.


    Wobei das aber, mit Hölderlin, gerade der Witz an der Sache sein könnte: das Rettende ist nicht das Zurück, es ist das Hindurch. Da muss man hindurch. Und was wird, wird sich zeigen. Ein Licht zu sein, in seinem lokalen Umfeld, kann man dabei allemal versuchen.


    Sudhana:
    Der Unbuddhist:

    Die Frage ist auch, ob der infinite Regress, wirklich ein solcher ist, oder ob dieser nicht vielleicht auf einer kulturspezifischen Syntax des Denkens aufbaut? Vielleicht hat diese Syntax sogar mit dem zu tun was Magaret Thatcher mal sagte, und was alle Kapitalisten heute sowieso sagen: There is no alternative?! Ach wirklich?

    Nun - die "Syntax des Denkens" ist die Logik, und die wiederum halte ich nicht für "kulturspezifisch" (wenn man auch nichtklassische logische Systeme einbezieht), sondern für eine evolutionär stabile Strategie der Gattung Homo - also gattungsspezifisch...


    Einspruch Euer Ehren. Man muss da wieder auf z.B. die Foucault'sche Episteme zurück... aber für heute ist's genug.


    Auf ein ander Mal.

    Wenn man an dem Punktangelangt ist, an dem sogar eine Fundamentalkritik der Fundamentalkritik denkbar wird, was soll man dann tun?


    Die Hände in den Schoß legen und seufzen? Eine halbe Stunde die Wand ansehen? Solche Kritik zum Firlefanz erklären? Der Einfachheit halber eine Erleuchtung postulieren, die schlicht jenseits allen menschlichen Denkens liegt? Einfach behaupten, wer den kapitalistischen Weltuntergang nicht aufhalten kann, soll den Mund auch bei jedem anderen Problem halten?


    Die Frage ist auch, ob der infinite Regress, wirklich ein solcher ist, oder ob dieser nicht vielleicht auf einer kulturspezifischen Syntax des Denkens aufbaut? Vielleicht hat diese Syntax sogar mit dem zu tun was Magaret Thatcher mal sagte, und was alle Kapitalisten heute sowieso sagen: There is no alternative?! Ach wirklich?


    Ich denken, hier trennen sich Wege. Wer hier nicht weiter denkt, bleibt zurück. Im Reaktionären womöglich, das im Bestehenden resigniert, weil das Nachdenken keinen wohlfeilen Ausweg weisst.

    Sudhana:

    Der spezielle Ausdruck von Tradition, der uns hier interessiert ist einer, der geltend macht, dass Bedürfnisbefriedigung allenfalls momentan möglich ist und selbst diese momentane Bedürfnisbefriedigung wegen ihrer ephemeren Natur zwangsläufig eine Bedürftigkeit nach Dauer erzeugt und gleichzeitig frustiert...


    ... was z.B. auch die Psychoanalyse erkannt hat – womit gesagt sein soll, dass es in der Entwicklung unseres Denkens ergänzendes Material gibt, das weiter helfen könnte.


    Sudhana:

    ...was bedeutet, dass Bedürftigkeit (deren Ausdruck Leid ist) lediglich durch Aufhebung der Bedürfnisse abzuhelfen ist. Soweit gelangt, stösst man auf den infiniten Regress, dass Aufhebung der Bedürfnisse selbst zu einem Bedürfnis geworden ist. Damit ist man am Punkt einer fundamentalen Kritik von Tradition überhaupt und natürlich insbesondere ihrer Sinn konstruierenden Aspekte - Religionen, Philosophien, Ideologien usw.. Wobei der buddhistische Denkansatz also nicht nur zu Fundamentalkritik führt, sondern notwendig zur Fundamentalkritik auch seiner selbst wird - also einer Fundamentalkritik der Fundamentalkritik.


    Schön zusammen gefasst. Danke.


    Das interessante an diesem Thread ist u.a., dass er auf diesen Gedanken kommt – aus einer Interaktion heraus.


    Dieser Gedanke betrifft auch Doris' Frage:


    Doris Rasevic-Benz:

    Was versprichst Du Dir davon, wenn alle Buddhisten Deine Gedanken verstehen und teilen würden? Was würde sich ändern, Deiner Meinung nach?


    Es sind ja nicht meine Gedanken.


    Konkret aber, als Gedankenexperiment, glaube ich nicht, dass es wünschenswert ist, dass plötzlich alle Buddhisten oder gar alle Menschen auf diese Gedanken kämen. Aus diesen Gedanken heraus eröffnet sich eine Bodenlosigkeit der Existenz, die einer 'Grundlage' bedarf um sie auszuhalten, bzw. um gelegentlich in schallendes Gelächter auszubrechen – wenn man für eine Moment vergisst, mit welcher Willkür ansonsten Gewalt ausgeübt wird.


    Psychisch labile Menschen würden dem Wahnsinn verfallen wie z.B. Georg Büchners "Lenz", der ein Beispiel aus der Literatur des 19. Jhdt. davon ist, welche Konsequenzen eine derartige Entgötterung haben kann.


    Am anderen Ende der Extreme stehen diejenigen, die aus dem (evtl. auch nur geahnten) Bewusstsein heraus, dass alles 'Konstruktion' ist, die gnadenlosesten Ideologien entwerfen. Das 20. Jhdt. hat das gezeigt.


    Damit ist auch schon gesagt, dass es ein Wissen um diese Bodenlosigkeit gibt, das unsere offene Gesellschaft durchdringt. Der Versuch der Demokratie nach dem 2. Weltkrieg ist ein Versuch, in diesem Offenen zu leben. Dieses Offene befindet sich aber in der Krise – unter anderem, da es in seiner kapitalistischen Ausprägung seine globalen physischen Grenzen nicht anerkennt (wie Axel anmerkte).


    Ein Teil der Antwort wäre auch, dass es notwendig gewisse, vielleicht neuartige, Hierarchien geben muss. Die Neue Rechte z.B. reagiert auf die Bodenlosigkeit damit, dass sie einfach zurückgeht auf überholte Begriffe wie Heimat, Vaterland etc. Kurz: Identität (daher Identitär).


    Der Aufbau einer Ethik aber kann nur auf dem Boden der Bodenlosigkeit per Übereinkunft entstehen und nicht auf Basis überholter (z.B. völkischer) Ideen. Der Buddhismus zeigt das meiner Ansicht z.T. Mit der Prajnaparamita-Literatur beginnt doch eine 'Dekonstruktion' selbst z.B. der 4 edlen Weisheiten, oder später des Boddhisattva-Eides. Die Bumis z.B. stellen doch, in heute möglicher Sicht, eine Art Hierarchie dar, die sich in eine Erkenntnis der Bodenlosigkeit hinein entwickelt und begreift, dass einerseits jede Regel und jedes Gesetz 'konstruiert' ist, andererseits aber Regeln und Gesetzte notwendig sind.


    Die Antwort meinerseits ist also, dass es nicht wünschenswert sein kann, alle in dieses Wissen womöglich sogar hineinzuzwingen.


    Voraussetzung wäre, dass Menschen diese Gedanken wirklich "verstehen", wie du sagst, und nicht als Angriff auffassen.

    Axel:

    Ich stimme immer wieder einigen Einschätzungen Matthias' zu. Das bedeutet aber nicht, dass ich seiner Philosophie des 'Un-Buddhismus' zustimme.[…]


    Hallo Axel, auch du entwirfst ein Bild von mir, vor dessen Hintergrund zu interpretieren sei, um was es hier geht: Hidden Agenda, Fleisch- bzw Geistwolf, Köder, Nebelkerze, Gehirn im Tank, gefährlicher als alles, was irgendwelche Trottel-(X)-Buddhisten anstellen können, McMahan als nützlicher Idiot, genauso hilfreich wie Donald Trump...


    Ein sachliche Darstellung sähe anders aus. Das ist stattdessen wieder das ad hominem, mit dem versucht wird, vom konkreten Thema abzulenken – welches Ich gestern früh noch mal skizziert hatte.


    Weiter benutzt du eine zweite rethorische Strategie der Ablenkung. “Meine” Philosophie würde nichts an der “ökologischen Katastrophe” ändern. Und da die Philosophie der anderen hier daran auch nichts ändern würde, wäre das um was es in diesem Thread geht, auch zu verwerfen. Diese Konklusion beruht jedoch auf einem Syllogismus, bei dem du erklären müsstest, warum du seine zwei Prämissen zusammenfügen kannst.


    Zu “meinen” Quellen, ein paar Stichworte: Meine erste Quelle bzw. Inspiration ist Foucault und sein Begriff von der Episteme bzw. dem historischen Apriori. Das hat direkt mit dem zu tun, um was es hier geht. Mit dem gestern gebrachten Begriff der Prozesshaftigkeit verbindet sich praktischerseits z.B. der Name Gene Gendlin, genauso wie bestimmte Praktiken aus den Traditionen des Mahamudra und des Ati-Yoga.


    Mit Laruelle befasse ich mich seit ca. drei Jahren nicht mehr. Das hat Gründe, die hier zu weit führen. Man kann aber sagen, lies “Was ist Philosophie?” von Deleuze/Guattari, das ist vielfach klarer, viel besser zu verstehen und schliesst an Foucault an.


    Bzgl. Glenn Wallis: Das Projekt Spekulativer Non-Buddhismus (SNB) ist spätestens seit Ende 2014 tot. Ich betrachte heute seine Idee zwar z.T. als wichtigen Impulsgeber aber andererseits auch als seine persönliche Auseinandersetzung mit seiner Buddhismusbiografie. Was bei Wallis insbesondere fehlt, ist eigentlich genau die historische Betrachtungsweise, wie sie z.B. McMahan vorführt. Wallis ist ahistorisch indem er den Status Quo des Buddhist Modernism als statischen Ausgangspunkt nimmt, ohne ihn diachron oder synchron zu differenzieren, um daran seine Kritik aufzubauen. Weiter ist die Idee des Non und diejenige eines spielerischen Umgangs mit Ideen im SNB-Projekt von einem sehr autoritären Gestus überlagert und verdrängt worden, der schlussendlich zum Tod des Projektes führte.


    Dass bei Dir der Eindruck des Flunkerns entsteht ist allerdings evtl. nachvollziehbar. “Das Ende des Buddhismus wie wir ihn kennen” ist aber keine Frage “meiner Ideengeber”, sondern eine Folge der Anwendung eines bestimmten Verständnisses des Mulamadhymakakakarika auf ihn selbst. Sein Ende ist gewissermaßen in ihm selber angelegt – ich denke in bestimmten Traditionen des Buddhismus wird das auch sehr deutlich.


    Das allerdings ist nicht Thema dieses Threads. Ich verspüre auch kein Bedürfnis, das öffentlich weiterzuführen.


    Es stimmt aber: Meine Kritik ist in dieser Hinsicht weitaus fundamentaler “als die meisten es hier verstehen können”, wie Du sagst. Es ist dennoch kein Geflunker oder gar Heuchelei, wenn man, wie in diesem Thread, ‘nur’ einen Aspekt dieser Kritik bringt – der, wenn man weiter geht, genau in das führt, um was es bei der fundamentalsten Kritik geht...


    Tja, was noch... und ich werde es nicht noch einmal unternehmen, “die Non-Philosophie von Laruelle” zu erklären. Ich werde aber natürlich auch nicht die Klappe halten. Warum sollte ich das?


    Eher würde ich erwarten, dass Du, in einem dazu eröffneten Thread, etwas dazu sagst, was Dein Verständnis gewisser “grundlegender Texte” ist von denen Du sprichst. Ich würde mich über eine entsprechende Auseinandersetzung freuen.


    ... Sunu, Holtzklotz, u.a. danke für einige Beiträge. Das an Axel reicht erstmal für heute.


    morpho: Ich bin nur ich, kein weiteres Nick.

    Morpho:

    Das geht gar nicht anders, als dass man erst mal dieses Buch lesen müsste, um zu prüfen welche Thesen, Erklärungen, Begründungen und Nachweise der Autor anführt; bis auf zwei, drei kurz umrissene Thesen fehlen ja Erklärungen, Begründungen und Nachweise durch den Threadersteller.


    Es ging mir darum zu zeigen, welche Form von Kritik ich meine, wenn ich ernsthaft diskutiere – damit das nicht immer hinter Streitereien verschwindet. Natürlich sind das nur ein paar angerissen Stichpunkte. Und das Buch liegt auch nicht auf Deutsch vor. Lassen wir auch einfach mal meine Hypothese bzgl. dessen beiseite, was ich für gewisse Auswüchse halte.


    Wenn es, wie hier jetzt auch, um den Begriff Erleuchtung geht, sage ich für mich, ich halte Erwachen für besser und dieses Erwachen ist Teil einer Erkenntnis auf welcher Basis sich meine Bewusstseinsstrukturen aufbauen, ("Basis" wieder nicht als Entität mit inhärentem Sein verstanden). Die Kenntnis, wie der Buddhismus den wir erfahren, entsteht, auf Grund eines Texte wie z.B. dem von McMahan, ist für mich Teil dieser Erkenntnis bzw. Erfahrung. Ich hatte selbst zum Teil ein idealisiertes Bild vom Buddhismus, derartige Erkenntnisse empfand ich als befreiend (wenn auch nicht immer leicht (erinnere mich, am Anfang mit Kagyü-Leuten zusammen gewesen zu sein, um dann mit den Karmapaschisma konfrontiert zu werden....)).


    Void hat übrigens Recht, wenn er sagt, das sei eher Links was ich mache – nämlich zu fragen, wie entsteht Bewusstsein auf Grund seiner materiellen Strukturen? (materiell, radikal gedacht, übrigens ein ebenso transzendenter Begriff wie Gott. Materiell hierbei nicht nur physisch, als Substanz, sondern als alles was Kultur betrifft – vom Gesetz, über Kunst bis zur Ökonomie (und die ganz besonders))


    Wenn man bei Erleuchtung auf Erfahrungen pocht, die jenseits des Verstandes angesiedelt sind, mag das in eine richtige Richtung gehen. Ästhetische Erfahrung z.B. – das Singen eines gregorianischen Kirchenchorals in einer Kathedrale oder das Erleben eines tibetisch-buddhistischen Rituals – ist logischer Erklärung auch nicht ohne weiteres zugänglich. Man spricht ja dann auch eher von Evidenz als von Beweis.


    Zum "reine Dharma" noch. Doris. Darum geht es gewiss nicht. Wenn, wie geschrieben, der "Übersetzungsprozess" unweigerlich eine Veränderung des Ausgangsmaterials zur Folge hat (nehmen wir das auch mal als Hypothese), dann kann ein "rein" (wie auch ein "unrein") nicht mehr zu finden sein. Das Problem ist wieder, das ich z.B. immer noch von "Ausgangsmaterial" schreibe. Ich befinde mich immer noch in dem (grammatischen) Zirkel vom Subjekt, das ein Objekt untersucht. Bei dem auf was wir uns hier aber zubewegen, geht es eher um die Prozesshaftigkeit dieser Entwicklungen. Natürlich kann ich mich dem Material auf vielfältige Art annähern (philologisch möglichst exakt z.B.), aber es bleibt ein Prozess. Das Bild vom Ausgangsmaterial ist überholt.


    Übrigens apropos Prozesshaftigkeit. Bestimmte Meditationsformen erlauben es, mAn, sich ihr anzunähern oder sie gar zu erfahren. Und das mag dann auch so eine Art Erwachen sein. Etwas was in der einzelnen Person sich auf unterschiedlichste Weise zeigen kann. Ich gehe jedoch davon aus, dass es sich hier nicht um die Erfahrung einer wie auch immer gearteten jenseitigen, transzendenten Entität handelt, sondern um die verblüffende Erfahrung, dass Bewusstsein in einen bis dahin unbekannten, vielleicht völlig anderen Zustand versetzt zu haben. Zu Recht wird allerdings häufig darauf verwiesen, dass diese Verblüffung lediglich ein Zeichen ist, auf dem richtigen Weg zu sein. Die Verblüffung an sich ist es nicht, um was es geht.


    Ich verbleibe, für heute, bei gefühlten 45° im Schatten.

    kilaya:

    als wolle man bei einem Aufenthalt in der Antarktis untersuchen, ob es Tomaten gibt, unter der Prämisse, dass diese nur existieren dürfen, wenn sie in der Antarktis im Schnee wachsen. Verändert man aber die Rahmenbedingungen, kommt man zu ganz anderen Ergebnissen.


    Ich fürchte deine Analogie hinkt etwas. Wer würde eine solche 'Prämisse' bilden? (Natur)Wissenschaft ist besteht darin, vernünftige, testbare Hypothesen zu bilden.


    Etwas anderes geht aber in die richtige Richtung. Die "Rahmenbedingungen". Genau um die geht es im erwähnten Buch und im Eingangszitat. McMahan macht klar, dass der Übersetzungsprozess – sprachlich, begrifflich und kulturell – unweigerlich eine Veränderung des bearbeiteten Materials zur Folge hat. Das ist, wie auch anderswo in diesem Forum ohne grosses Wenn-und-Aber diskutiert, seit mindestens 50 Jahren Voraussetzung des Denkens über das Andere. Was bedeutet also bodhi?


    Das kann es nicht sein:


    kilaya:

    Schwierig wird es da, wo aus dem menschlichen Blickwinkel entschieden werden soll, wer ein solcher Buddha ist und wer nicht. Denn da beisst sich die Katze in den Schwanz, genau die Unzugänglichkeit der Erfahrungsebene macht es auch schwierig bis unmöglich, sie bei jemand anders sicher zu erkennen.


    Solange ich aus der "Unzugänglichkeit der Erfahrungsebene" heraus nicht entscheiden kann, was erleuchtet ist, also ein "Buddha hier im Sinne eines voll erleuchteten Wesens im Sinne des Mahayana", und was nicht, solange bleibt diese Erleuchtung eine Voraussetzung, von der ich nicht entscheiden kann, ob sie nichtexistent ist wie ein Kaninchen mit Hörnern oder ob sie existiert, ich aber von ihr lediglich nicht weiss.


    Eine derartige Voraussetzung ist eine willkürliche Setzung. Sie ist nicht schlüssig. Erfüllt also nicht, was Morpho dankenswerter Weise zitiert, dass nämlich


    Morpho:

    wesentliches Merkmal einer Weltanschauung sei, ein in sich schlüssiges Gedankensystem [entwickelt zu haben].


    Eine Erleuchtung die ich behaupten muss, ohne sie in irgendeiner Form belegen zu können, kann nicht Teil eines "schlüssigen Gedankensystems" sein.


    Übrigens weisst aber die durchaus feinsinnige Unterscheidung, dass


    Morpho:

    es nämlich so ist, dass der Buddhismus sich wohl mit dem "Wesen der Welt" befasst, nicht aber mit dem "Sinn der Welt"


    durchaus auch in die richtige Richtung.


    Der Punkt ist jedoch, dass zeitgenössischer Buddhismus sich in einem ganz bestimmten Sinn entwickelt hat (wie sprechen also von Sinn in verschiedenen Bedeutungen), also unter ganz bestimmten Einflüssen. Das ist es um was es hier geht. Wie McMahan sagt, dass es essentiell ist zu begreifen, dass Buddhismus weltweit zu verstehen ist, als eine Entwicklung unter dem Einfluss der drei "Diskurse der Moderne": Monotheismus, Rationalismus und wissenschaftlicher Naturalismus, bzw. romantische Expressivität und deren Nachfolger.


    Wenn auch das mit dem Wesen stimmt, so ist in vielen Fällen unübersehbar, dass Buddhisten ihrem Leben Sinn geben, indem sie einen Buddhismus praktizieren, der sich unter dem Einfluss der drei Diskurse der Moderne entwickelt hat – wobei ihnen das Wesen dessen was sie tun entgeht: dass nämlich das Wesen der Welt schwerlich in irgendwelchen zusammengesetzten Dingen (wie dem Buddhismus) zu finden ist: dass aber diese Aussage selbst als Zusammengesetztes in Bezug auf dieses abwesende Wesen keine Sinn macht: man also doch wieder willkürlich setzen muss: womit wir wieder bei der Frage wären, welche Setzungen denn nun sein sollen?: wobei sich das Leben des Menschen selbst als Paradox entpuppt, ohne Nase, ohne Auge, ohne Mund usw., ohne vier Wahrheiten, ohne fünf Haufen etc.


    Man sieht also bei genauerem Hinsehen, dass ein schlüssiges Gedankensystem gar nicht möglich ist (siehe z.B. auch Goedel). Allerdings hat das nichts mit dem Thema zu tun. Das ist eher Ideengeschichte. Darum geht es. Das Ich selbst, das in unserem Buddhismus so eine wichtige Rolle spielt, ist nichts Naturgegebenes (siehe Tayler, den es übrigens, anders als McMahan, auf Deutsch gibt). Es wandelt sich unter dem Einfluss verschiedener Kulturen (wobei das "es" in diesem Satz natürlich nicht auf eine zu Grunde liegende Entität verweisen kann). Wir können also nicht ohne Weiteres sagen, dass wir heute verstehen, was die damals gesagt haben. Das ist das Thema. Und das zu sehen, wäre Teil des Erwachens.

    kilaya:

    Erst das Thema mit der Kritik an Dir zu beginnen, dann Deinen Kritikansatz zu erklären, dann zu erklären, dass Du es gar nicht diskutieren willst.


    Das stimmt nicht. Ich habe lediglich erklärt, dass ich eine bestimmte Folgerung, die ich als Hypothese bezeichnet habe, nicht weiter diskutieren wolle.


    Aber so viel stimmt, wenn jetzt hier diskutiert, behauptet und darüber geredet wird, dass oder ob es eine "reine Erfahrung" gibt, oder eine solche die "dem menschlichen Verstand nicht zugänglich" ist, oder ob es die nicht gibt, dann ist das das Thema. Bzw. das Thema ist, woher kommen diese Ideen? Das ist These des erwähnten Buches und Thema vielfältiger Untersuchung.

    In den kürzlich hier geführten 'Diskussionen' vermuten einige in dem was ich sage und schreibe eine Fundamentalkritik des Buddhismus.


    Das ist nicht ganz falsch. Allerdings ist diese "Fundamentalkritik" keine der Art, den Buddhismus in Bausch und Bogen zu verteufeln. Bei dieser Kritik geht es darum, zu zeigen, dass Buddhismus heute weltweit eine Mischung aus vielerlei Einflüssen ist. Folge dieser Kritik ist es, dass die Auffassung vieler Buddhisten im Westen, dass der Dharma eine reine, authentische, originale, von Einflüssen unberührte Lehre sei, sich als falsch erweist.


    Die Auffassung erweist sich vielfach als unreflektierte Grundlage der Rezeption des aktuellen Buddhismus. Die teils harschen und reflexhaften Reaktionen mancher gegen die Relativierung einer reinen Lehre, erklärt sich vermutlich daraus, dass diese Reine Lehre unreflektiert als ein allgemeines Heilmittel gesehen wird. Diese Heilmittel soll helfen, sich gegen eine Welt der Moderne zu wappnen, die alles relativiert und keinen grundlegenden Sinn mehr erlaubt. In diesem sind diese Reaktionen verständlich.


    David McMahan hat mit The Making of Buddhist Modernism ein eindrucksvolles Buch darüber geschrieben, welche Einflüssen der Buddhismus weltweit in den letzten 100 bis 150 Jahren ausgesetzt war und wie es dadurch zu seiner tiefgreifenden Veränderung und Weiterentwicklung kam. Dies ist in gewissem Sinne eine Fundamentalkritik, da sie die Auffassung von einer reine Lehre unhaltbar macht. In diesem Sinne verstehe ich auch meine Kritik, die ich vielfach thematisiert habe – wenn auch häufig mit viel Ironie und Polemik.


    In dem Zitat unten aus dem ersten Kapitel ist kurz umrissen, um welche Einflüsse es geht.


    Zitat

    I begin here by adopting [Charles Taylor’s] distillations [in his Sources of the Self: The Making of Modern Identity] of the key elements of modernity into three broad domains of modern self-identity and morality: western monotheism; rationalism and scientific naturalism; and Romantic expressivism, along with their successors. Although these three frameworks, which I will refer to as the “discourses of modernity,” are rooted in western historical periods and forms of life, they are essential to understanding the development of Buddhism modernism not only in the West but across the globe.


    McMahan, David L.. The Making of Buddhist Modernism (S.10). Oxford University Press. Kindle-Version.


    Der Anschluss an Ereignisse die mit Namen wie Sogyal, Nydahl, Döring, Shimano usw. usv. verbunden sind, ist, und das ist zunächst eine Hypothese, folgender: Das Missverständnis, dass es sich beim Dharma um eine reine unberührte Lehre handelt, deren ursprüngliche Wahrheit man nur richtig verstehen müsse, ist mitverantwortlich dafür, dass das reale Tun der genannten als "erleuchtet" durchgehen kann.


    Ich habe nicht vor diese Hypothese hier breit zu diskutieren. Ich möchte eher anregen, Bücher wie das genannte zu lesen, um eine andere und wie ich meine bessere Auffassung vom Buddhismus zu ermöglichen.