Wie geht das, etwas absichtslos zu tun?
Das musst Du schon selbst herausfinden. Und es hat keiner behauptet, es wäre einfach.
Aber ich will Deiner Frage nicht ausweichen. Ich habe hier vor einer Weile ein längeres Zitat aus dem Śataśāstra Kānadevas eingestellt, des 15. Patriarchen des Chan / Zen. Ich will es hier nicht komplett wiederholen - im Zweifel lässt es sich durch die Suchfunktion sicher irgendwie auffinden. Also nur den ersten und den letzten Satz davon:
Zitat Der Buddha, in Kürze (saṅkṣepeṇa), lehrte, dass der gute Dharma von zweierlei Art ist: er hat die Charakteristik des 'Anhaltens' und die Charakteristik der 'Praxis'. Allen Übeln (pāpa) ein Ende setzen wird, die Charakteristik des 'Anhaltens' genannt. Alles Heilsame (kuśala) ausüben nennt man die Charakteristik der Praxis.
[...]
Die Charakteristik des Anhaltens ist Ruhe, die Charakteristik der Praxis ist Aktion. Weil ihre Charakteristiken widersprüchlich (viruddha) sind, sagen wir, dass die Praxis des Heilsamen nicht das Anhalten des Unheilsamen mit einschließt.
Weggelassen habe ich die dazwischen liegenden Begriffsklärungen. Nur mal zum Vergleich ein kurzes Zitat, wie Bodhidharma im Erru Sixing (二入四行, 'Abhandlung über die zwei Zugänge und die vier Praktiken') das angeht:
Zitat Es gibt viele Arten, den Pfad zu betreten, doch zusammengefaßt gibt es nur zwei. Die eine ist ‘Zugang durch Erkenntnis’ und die andere ‘Zugang durch Praxis’.
Der erkenntnistheoretische Ansatz weist Bodhidharma als Yogācārin aus - wobei eben dieser von Bodhidharma äußerst knapp in einem Absatz umrissen wird, worauf er sich extensiv den vier Aspekten von Praxis widmet. Der Ansatz Kānadevas ist gar nicht grundlegend anders - aber er spezifiziert die Ausrichtung von Bodhidharmas ‘Zugang durch Erkenntnis’ - das, wohin der 'Zugang' führt: 'Anhalten'.
Nun geht es selbstredend beiden nicht darum, das Eine zu tun und das Andere zu lassen. Zen zu üben, heisst diese Dualität von 'Anhalten' und Praxis in eins zu verschmelzen. Nicht nur auf dem Sitzkissen - auch und gerade wenn man davon wieder aufsteht. Das nennt sich gyōjūzaga - Zen im Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen. Da gibt es keine 'Absichten' - die sind angehalten.
Zurück zum Thema. Das mit den Lehrern jedenfalls ist eine Interpretation - im Text steht kein Wort davon, obwohl selbst Garfield, den ich durchaus schätze, da was von Lehrern schreibt. Ich will diese Lesart Niemandem ausreden, aber ich für meinen Teil traue Nagārjuna schon etwas mehr Tiefe zu. Eine simple Aussage 'wenn kein Lehrer da ist, geht's auch ohne' als Höhepunkt und Abschluss des ātma-dharma Kapitels?
Wenn man bei solchen Stellen in die Verlegenheit eines Zweifels kommen sollte, ist es sicher sinnvoll, sich von Kommentaren auf die Sprünge helfen zu lassen. Aber man sollte da nicht zu vertrauensselig sein, womöglich ist der Kommentator auch nicht schlauer als man selbst und rät nur wild drauflos. Auf jeden Fall ist es, wenn man herausfinden will, was Nagārjuna mit dem Vers eigentlich sagen wollte, sinnvoll, sich anzuschauen, wie Nagārjuna seine MMK selbst kommentierte - also mal einen Blick in den Akutobhayā zu werfen. Glücklicherweise gibt es da sogar eine deutsche Übersetzung von Max Walleser, den ich als Übersetzer sehr schätze, weil er sehr 'wortnah' übersetzt und sich kaum interpretative Freiheiten bei der Übersetzung herausnimmt bzw. dabei auch das Original angibt. Daher hier nicht nur die Übersetzung des Kommentars sondern auch die des Verses:
Zitat Wenn vollendete Buddhas (sambuddha) nicht erstehen, die Hörer (śrāvaka) auch schwinden,
Dann tritt aus Beziehungslosigkeit (asaṃsarga) die Kenntnis (jñana) der Einzelbuddhas (pratyeka-buddha) hervor. (XVIII.12.)
Wenn die Hörer (śrāvaka) sich nicht bemühen (abhyasta), so ist entweder Nicht-Entstehen von vollendeten Buddhas (sambuddha), oder ein Schwinden der Hörer (śrāvaka); wenn dann auch Beziehungslosigkeit vorhanden ist, so entsteht infolge von deren vorangehenden[sic] Bemühung der Einzelbuddhas Wissen (pratyekabuddha-jñana), von anderem unabhängig (a-para-pratyaya, eig. von anderem aus nicht zu erkennen), lediglich aus Abhängigkeit von Nicht-Beachten (anupāsanā-mātra-pratyayāt).
'Akausal' bedeutet nicht notwendig 'Nichtbedingt'. Ohne hetu (unmittelbare Ursache), aber nicht ohne Bedingung (pratyaya). Der wichtigsten Bedingung ist übrigens der Vers 18.11 gewidmet. Eine nicht näher spezifizierte 'Bemühung' wird von Nagārjuna im Kommentar als weitere Bedingung genannt sowie das 'Nicht-Beachten'. Letzteres, das anupāsanā-mātra-pratyayāt, kennt jeder, der Zen übt. Und auch, dass die Herstellung der Bedingungen nicht notwendig zu Erwachen führt, also nicht ursächlich dafür ist. Sie erhöht lediglich die Anfälligkeit dafür.
