Milchkühe
Zurückdrängung der Grundbedürfnisse der Milchkühe
Zu den Grundbedürfnissen von Kühen gehört das Erkunden, Gehen, Galoppieren, Grasen, Ruhen, die eigene Körperpflege und vielfältige soziale Verhaltensweisen. Hierzu zählen etwa das »Hornen« (das Gegeneinanderstemmen der Hörner), das Aufreiten sowie gegenseitiges Belecken und Äußerungen einer intensiven Mutter-Kind-Bindung. Viele Bedürfnisse können die Tiere in der Intensivtierhaltung nicht mehr ausleben. Doch insbesondere die Anbindehaltung schränkt die Verhaltensweisen der Kühe erheblich ein oder verhindert sie völlig.
a) Nahrungssuche und -aufnahme
Unter naturnahen Bedingungen grasen Rinder bis zu 12 Stunden täglich im langsamen Vorwärtsschritt. In der Milchproduktion leben die Tiere jedoch in Stallgebäuden mit harten Betonböden und erhalten als Hauptenergiequelle verarbeitetes Getreide und Körnerleguminosen wie Soja. Die Zeit der Futteraufnahme ist also im Gegensatz zur Weidehaltung um mehrere Stunden verkürzt.
Gräser, Pflanzenstängel und Blätter sind ursprünglich die Hauptnahrungsquelle für Kühe. Wenn die Tiere gemächlich auf der Weide fressen, stehen ihre Vorderbeine versetzt zueinander, auch Weideschritt genannt. Nur so gelangen sie mit ihrem Maul nahe genug an den Boden heran und können ihre Nahrung erreichen. Im Stall sind die Kühe dagegen gezwungen stehend – nicht wie in freier Natur gehend – zu fressen. Außerdem ist der Futterbereich zusätzlich mit Fressgittern versehen. Die Metallrohre können neben Druckstellen sogar Verletzungen verursachen. Die Fressgitter sollen verhindern, dass rangniedere Tiere vom Futter verdrängt werden und so für Ruhe während der Futteraufnahme sorgen. Der Hauptzweck für die Gitter ist also letztlich, dass die Tiere ausreichend fressen, um eine hohe Milchproduktion zu gewährleisten.
b) Fortbewegung

© Knarrhultpia – Pixabay
Rinder legen unter naturnahen Bedingungen täglich bis zu 40 km zurück. Sie sind an weiche Weideböden angepasst, die nachgiebig sind und die Klauen entlasten. Doch Rinder gehen nicht nur im Weideschritt, sie können auch traben und sogar galoppieren. Die Bewegung fördert ihre Gesundheit. Vergleicht man das Verhalten von Kühen im Laufstall mit dem Verhalten auf der Weide, zeigt sich, dass Kühe draußen deutlich aktiver sind. Im Laufstall sind die meisten Tiere eher passiv. Sie bewegen sich kaum und legen täglich gerade einmal 500 – 700 m zurück.
Angebundene Milchkühe, die zu fast völliger Bewegungslosigkeit gezwungen sind, wollen sich vermehrt bewegen. Doch der andauernde Bewegungsmangel ist auch körperlich belastend. So ist insbesondere der erforderliche Klauenabrieb unzureichend. Die Kühe entwickeln überlange Klauen (sogenannte Stallklauen), die Fehlbelastungen in den Gliedmaßen sowie schwerwiegende Klauen- und Gelenkerkrankungen verursachen.
c) Körperpflege
Kühe betreiben eine intensive Körperpflege, die dem Wohlbefinden und der Gesundheit dient, aber auch belohnend auf das Tier wirkt. Die Körperpflege hat zudem eine soziale Komponente. Das gegenseitige Umsorgen fördert Beziehungen zwischen den Tieren und wirkt entspannend. Rinder lecken, kratzen und scheuern sich nach Belieben und nutzen dafür ihre Zunge, Klauen und Hörner (wenn sie nicht im Kälberalter enthornt wurden). Während Kühe im Sommer Schatten bevorzugen, suchen sie in den Wintermonaten gern helle Plätze zum Sonnenbaden auf. Das erhöht nicht nur das Wohlbefinden, sondern dient auch der Abwehr von Parasiten und Pilzen.
Während die Kühe in der Laufstallhaltung die gegenseitige Körperpflege ausführen können, macht die Anbindehaltung jegliche – also die eigene und die gegenseitige – Körperpflege fast unmöglich. Durch die Fixierung des Kopfes und die Enge der Gittervorrichtung können die Kühe beispielsweise das typische Schleudern des Kopfes, um schlecht erreichbare Stellen zu lecken, nicht mehr ausführen. Gegen den Juckreiz versuchen die Kühe stattdessen, sich Futter auf den Rücken zu werfen.
Kühe bevorzugen trockene und bequeme Liegeplätze. Sowohl in der Anbinde- als auch in der Laufstallhaltung werden die Ställe jedoch teilweise nur unzulänglich gereinigt und neu eingestreut. In diesem Fall müssen die Milchkühe in ihrem eigenen Kot stehen und liegen. Beim Liegen sind ihre Euter dann von Exkrementen umgeben – das Risiko für schmerzhafte Euterentzündungen steigt.
d) Ruheverhalten
Anders als auf der Weide, wo Rinder auch beim Ruhen Individualdistanzen von bis zu mehreren Metern einhalten können, befinden sich im Stall die Liegeboxen direkt nebeneinander. Diese Anordnung widerspricht dem Platz- und Raumanspruch der Rinder. Darüber hinaus engen die Metallstangen der Liegeboxen, die als Begrenzungen dienen, die Bewegungsabläufe und die Liegeposition der Tiere ein. Nicht selten stoßen sich die Kühe und erleiden Verletzungen. Auf lange Sicht entwickeln sich haarlose Körperstellen, Borken und Schwielen in den beanspruchten Hautarealen.
Die Anbindehaltung schränkt das artgemäße und ungestörte Ruhen mitsamt des großräumigen Abliege- und Aufstehverhaltens besonders stark ein. Das Zusammenspiel aus engen und kurzen Liegeboxen sowie zu knappen Anbindungen zwingt die Kühe zu Verrenkungen und unvollständigen Bewegungsabläufen beim Aufstehen und Ablegen. Die Kühe können kaum noch ihre normalen Liegepositionen einnehmen. Sogar das Ablegen des Kopfes auf dem eigenen Körper – eine für Rinder typische Schlafposition – ist unmöglich.
Freie Liegeflächen im Laufstall und ein Verzicht auf die Anbindehaltung würden dagegen ein störungsfreies Ablegen und Aufstehen sowie natürliche Liegepositionen ohne Verletzungen ermöglichen.
e) Sozialverhalten
In der Milchproduktion können Kühe ihr umfangreiches Sozialverhalten nicht ausleben. Die komplexe Sozialstruktur innerhalb der Herde wird beständig gestört: Kühe mit nachlassenden Leistungen oder Gesundheitsproblemen werden aussortiert und geschlachtet. Junge Kühe nehmen ihre Plätze ein und müssen sich in der neuen Herde zurechtfinden. Diese ständigen Umgruppierungen rufen immer wieder Stress und Unruhen hervor und belasten die Tiere.
Ferner schränken die fehlende Ausweichmöglichkeiten, bauliche Sackgassen und Platzmangel die Tiere im Laufstall ein. Die Umstände begünstigen vielmehr Auseinandersetzungen und sind insbesondere für die rangniederen Tiere mit Stress verbunden. Um unter diesen Haltungsbedingungen Verletzungen zu vermeiden, werden den Tieren bereits im Kälberalter die Hornanlagen entfernt (s. u.). Im Anbindestand kann praktisch gar kein Sozialverhalten stattfinden, da sich die Kühe nicht aus ihren Einzelboxen hinausbewegen können. Höchstens ansatzweise ist es mit den benachbarten Artgenossinnen möglich. Bei Auseinandersetzungen verhindert die Anbindung jedoch jegliches Ausweichen.
f) Mutter-Kind-Verhalten

© JoAnne McArthur
Unter naturnahen Bedingungen kümmert sich die Mutterkuh nach der Geburt intensiv um ihr neugeborenes Kalb. In den ersten Tagen verbleibt der Nachwuchs dann am Geburtsort. Die Mutter sucht es regelmäßig zum Säugen auf. Schon bald schließen sich Mutter und Kind wieder dem Familienverband an. In der industriellen Milchkuhhaltung werden Mutterkuh und Kalb dagegen nach der Geburt voneinander getrennt. Das Kälbchen wird ohne jeglichen Kontakt zur Mutter untergebracht und erhält seine Nahrung nicht aus dem mütterlichen Euter, sondern aus Eimern oder Tränkeautomaten.
Als Folge der Isolierung nach der Geburt, entwickeln die Kälber ihr Sozialverhalten nur dürftig und sind weniger lernfähig. Hinzu kommen Verhaltensstörungen wie gegenseitiges Besaugen und Zungenrollen bis ins Erwachsenenalter, eine höhere Krankheitsanfälligkeit (bspw. Kälberdurchfall) und eine höhere Kälbersterblichkeit. Unter dem Trennungsschmerz leidet insbesondere die Mutter. Obwohl diese negativen Auswirkungen seit Jahren erforscht und bekannt sind, bleibt die Trennung weiterhin gängige Praxis.