Beiträge von Thorsten Hallscheidt im Thema „Untrennbarkeit von Samsara und Nirvana“

    Gibt es eine Untrennbarkeit von Nirvana und Samsara?

    Das habe ich versucht zu beschreiben. Nirvana ist eine Daseinssphäre, die eintritt, wenn die Ursachen für Dukkha überwunden sind. Die Daseinssphäre ist die Wirklichkeit, die jemandem erscheint, der in einem speziellen Geisteszustand ist. So ist die Wirklichkeit, die einem Betrunkenen erscheint, untrennbar mit der Wirklichkeit verbunden, die jemandem erscheint, der nüchtern ist. Für beide sind Schwerkraft, Alter und Tod, Hunger, Durst, Sonnenschein, etc. vorhanden, haben aber in der jeweiligen Daseinssphäre (nüchtern oder besoffen) eine andere Bedeutung.

    Es geht darum, dass es keine Untrennbarkeit von Nirvana und Samsara geben kann, weil diese beiden Zustände in einem direkten Widerspruch zueinander stehen.

    Das Problem besteht darin, dass Zustand und Wirkung des Zustandes auf Wahrgenommenes durchmischt werden.


    Beispiel: Eine Kinoleinwand ist weiß, egal welcher Film darauf projiziert wird. Wird der Nirvana-Film projiziert ist die Leinwand weiß, wird der Samsara-Film projiziert ist die Leinwand noch immer weiß. Dennoch erscheinen verschiedene Wirklichkeiten auf der Leinwand und scheinen sie einzufärben. Die Leinwand ist aber absolut gesehen noch immer die unverändert selbe.

    wenn man die dritte edle Wahrheit verwirklicht hat, ist man immer noch im Samsara und man hätte somit die Leidensursachen nicht vollständig überwunden.

    Nirvana ist doch kein Land oder Ort, in dem man sich befindet oder nicht. Es ist ein Zustand, der eintritt, wenn die Ursachen für Dukkha überwunden sind. Als Buddha in Indien Nirvana verwirklichte, lebte er noch immer in Indien und nicht im Nirvana. Indien liegt auch nicht im Samsara. Aber die Wesen leiden am Zustand des Samsara.

    Was versteht man den unter Unwissenheit eigentlich ???

    Unwissenheit hinsichtlich des abhängigen Entstehens -> pratītyasamutpāda


    Beispiele:

    Mit dem Anhaften am Leben ist zugleich die Angst vor dem Tod und das Leiden daran verbunden.

    Mit dem Anhaften am Werden ist zugleich auch die Angst vor dem Vergehen und das Leiden daran verbunden.

    Mit dem Anhaften an der Jugend ist die Angst vor dem Alter und das Leiden daran verbunden.


    Unwissenheit darüber, dass Leben und Tod, Werden und Vergehen, Alter und Jugend, reich und arm, erfolgreich und erfolglos, etc. Polaritäten, Vorstellungen sind, die für sich genommen keine eigenständige Existenz haben, sondern nur in Abhängigkeit zueinander Wirklichkeit entfalten. Unwissenheit darüber, dass diese Kategorien und Vorstellungen Leiden schaffen.


    Unwissenheit darüber, dass Dukkha entsteht, wenn wir uns gegen die Wirklichkeit versuchen zu stämmen, indem wir nur die eine Seite begrüßen und halten wollen, zugleich aber die Augen vor der anderen Seite verschließen, oder das Andere verhindern wollen.


    Unwissenheit darüber, dass dieser Unterteilung der Wirklichkeit in diese Begrifflichkeiten und Polaritäten nur die Bedeutung einer relativen Wahrheit zukommt.

    Nirvana ist das Ergebnis des 8-fachen Pfades. Was hat dieser Pfad zur Grundlage? Die dritte edle Wahrheit über die Möglichkeit der Beendigung von Dukkha. Wie entsteht Dukkha? Das macht die zweite edle Wahrheit deutlich: Durch Anhaftung, durch Ablehnung und durch Unwissenheit. Diese drei Begriffe haben eines gemeinsam: Sie formulieren verschiedene, Dukkha-erzeugende Arten, durch die der Mensch mit der Welt in eine Beziehung tritt. Durch den 8-fachen Pfad wird diese Beziehung zur Welt nach und nach völlig umgewandelt. Wenn Anhaftung, Ablehnung und Unwissenheit verschwinden, verschwindet auch Dukkha. Die Welt bleibt die gleiche, die Art der Beziehung ändert sich. Allerdings wird zugleich die Wahrnehmung der Wirklichkeit durch die Beziehung zu ihr bestimmt, wodurch sie zwar die gleiche bleibt, zugleich aber eine völlig andere wird.


    Beispiel: Eine wunderschöne Blume auf dem Tisch eines Restaurants. Ich bewundere ihre beeindruckende Schönheit und Farbigkeit. Dann fasse ich sie an und bemerke, dass sie künstlich ist. Schlagartig verändert sich meine Beziehung zu dieser Blume, obwohl das, was ich rein faktisch über die Sinnesorgane wahrnehme, sich nicht verändert hat. Sie bleibt also gleich und wird doch völlig anders, weil sich meine Beziehung zu ihr grundlegend verändert.

    Das gibt es für mich in der Philosophie gar nicht. Die Frage nach richtig oder falsch kann ich mir mit einiger Berechtigung stellen, wenn es darum geht, ob die Erde eine Scheibe ist. Oder ob eine Flüssigkeit andere Eigenschaften hat als ein Gas.

    In diesem Sinne sind große Teile der buddhistischen Lehre keine Philosophie sondern Beschreibungen empirischer Forschung die in eine Soterologie münden. Richtig und falsch gibt es da nicht (Erfahrungen oder Beobachtungen sind schlicht der Fall oder eben nicht). Aber es gibt eine Eindeutigkeit zwischen Ursache und Wirkung: Wenn ich den 8-fachen Pfad verwirkliche, verlieren die Geistesgifte ihre Wirkung. Wenn ich Geistesgifte für mich ihre Wirkung verlieren, endet Dukkha.


    Insofern gibt es natürlich im Buddhismus richtige und falsche Aussagen, sofern sie sich auf Erfahrungen und darauf basierende Ursache-Wirkungs-Beziehungen beziehen, die potenziell jeder nachvollziehen kann. Daher ähnelt der Buddhismus auch eher einer Natur- als einer Geisteswissenschaft – nur eben aus der 1.-Person-Perspektive. So übrigens auch eine Definition der Buddhistischen Lehre von Alan Wallace.

    Ich rate ja immer davon ab, abendländische Philosophen mit der Buddhalehre zu vergleichen und Gemeinsamkeiten zu suchen, aber auf mich hört ja keiner! :grinsen:


    Und sei es auch Schopenhauer. Oder, oder, oder. Die Buddhalehre traf und trifft im Westen auf ein Denken, das sich grundlegend unterscheidet. Ein "Sowohl / als auch" wie wir es im Osten finden, existiert in unseren Breitengraden nicht. Unser Denken ist geprägt von "entweder / oder", "ja oder nein".

    Darauf hört keiner, lieber Schmu, weil es Unsinn ist. :P


    Sowohl im Westen als auch im Osten leben Menschen, mit menschlicher Physiologie, Psychologie, menschlicher Freude und menschlichem Leiden. Es ist sehr kurzsichtig anzunehmen, dass die Menschen auf Basis der für alle gleichen conditio humana im Laufe der Jahrtausende nicht zu ähnlichen Analysen und Lösungsansätzen gekommen wären, zumal sich die Kulturen immer wieder gegenseitig befruchtet haben. Es gibt unzählige Parallelen zwischen Buddhismus und Christentum. Auch die Philosophien kommen zu sehr ähnlichen Ergebnissen. Warum auch nicht? Immerhin gibt es letztlich nur eine Wahrheit, der sich alle von verschiedenen Seiten nähern.


    Ließ mal Hajime Nakamura – In deutscher Übersetzung hier: -> Klick


    Oder das hier: -> Klick


    Oder David Hume mit seiner Definition vom Nicht-Ich:


    Zitat

    Wenn ich am engsten in das eintrete, was ich mich selbst nenne, stolpere ich immer über die eine oder andere Wahrnehmung von Hitze oder Kälte, Licht oder Schatten, Liebe oder Hass, Schmerz oder Vergnügen. Ich fange mich zu keiner Zeit ohne Wahrnehmung ein. und kann nie etwas anderes als die Wahrnehmung beobachten


    Nach Hume gibt es nichts, was ständig stabil ist, was wir als das Selbst identifizieren könnten, nur einen Fluss unterschiedlicher Erfahrungen. Unsere Ansicht, dass es etwas Wesentliches gibt, das all diese Erfahrungen zusammenhält, ist für Hume nur imaginär.


    Zitat

    Das Selbst ist eine Fiktion, die dem gesamten Erfahrungsfluss zugeschrieben wird. Schmerz und Vergnügen, Trauer und Freude, Leidenschaften und Empfindungen folgen aufeinander und existieren nie alle gleichzeitig. Es kann daher nicht aus irgendeinem dieser Eindrücke oder aus irgendeinem anderen sein, dass die Idee des Selbst abgeleitet wird; und folglich gibt es keine solche Idee ... Ich darf es wagen, gegenüber dem Rest der Menschheit zu behaupten, dass sie nichts anderes als ein Bündel oder eine Sammlung verschiedener Wahrnehmungen sind, die mit einer unvorstellbaren Schnelligkeit aufeinander folgen und sich in ständigem Wandel befinden und Bewegung.


    Quelle: Die No-Self-Theorie: Hume, Buddhismus und persönliche Identität, Philosophie Ost und West, Vol. 43


    Oder Heraklit: Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen.


    oder, oder, oder...


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