Beiträge von Bebop im Thema „Wiedergeburt“

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    Das ist dann kein grober Unfug, wenn man der Anleitung des Buddha folgt.

    Aber genau darin besteht doch der Glaube. Denn wenn ich den Anleitungen folge, sind sie in nullkommanichts widerlegt. Sinnenfreuden zum Beispiel sind nach meiner Erfahrung nicht die Ursache des Leidens, sondern sein Gegenteil. Sie werden nur dann zu Leiden, wenn man an ihnen haftet. Das hat der Buddha so aber nicht gesagt, sondern das stellte sich erst in den Schulen lange nach Buddhas Tod als mögliche Praxis heraus. Ein Religionswissenschaftler definierte dukkha in Buddhas Sinne mal als Leiden an den eigenen begrifflichen Projektionen. Allerdings gebe ich das an den Buddha zurück, denn seine Lehre leidet auch an ihren begrifflichen Projektionen.

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    Meine Aussage von dir zitierte Aussage hat nichts mit Glauben zu tun. Anhand der ersten beiden edlen Wahrheiten kann man ja selbst nachprüfen, ob man alle Leiden samt ihren Ursachen aufgegeben hat, Man kann ja selbst prüfen, ob im eigenen Bewusstseinskontinuum noch Leiden auftreten. Treten noch Leiden auf, so gibt es auch noch Leidensursachen im eigenen Bewusstseinskontinuum. Das ist eine rationale Untersuchung.

    Dazu muss man sich erst mal in die abhängig entstandene Gedankenwelt dieser Leidensauffassung begeben. Mir ist zum Beispiel Geburt nicht als Leiden erschienen, weswegen ich diese Wahrheit nicht logisch nachvollziehen kann und falsifizieren muss. Auch "Altern" ist ein viel zu schwammiger Begriff, um unter Leiden subsumiert zu werden, und "Tod" ist Leidfreiheit. Diese rein rationale Untersuchung würde also zu einem Falsifizieren führen. Da sie dies aber nicht bei allen Menschen tut, handelt es sich um eine Glaubensangelegenheit. Es gibt keine wissenschaftliche Übereinkunft im Sinne der ersten beiden "Wahrheiten". Das sind religionswissenschaftlich betrachtet Glaubenssätze.


    Dies gilt erst recht für die zweite Wahrheit, denn hier werden Verlangen, Begierde und Erfreuen als Ursache des Leidens benannt, obwohl leicht erkennbar ist, dass auch ohne jede Begierde und Verlangen Menschen den genannten Synonymen für Leiden (nämlich Altern und Tod) unterliegen - so auch der Buddha selbst, der diese Faktoren eliminiert haben soll. Das heißt, es wird behauptet, einer habe Leiden überwunden, das zuvor jedoch als Altern, Krankheit und Tod definiert wurde - also genau den Phasen, die der Buddha durchlebte.


    Da ist mit Rationalität nicht beizukommen, das ist eigentlich ziemlich grober Unfug.


    Und was ist nun mit der Geburt? Du wirst also wiedergeboren, aber wie? Als singuläres Wesen?

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    Deshalb wird bei mir im Todesprozess noch Ergreifen, Verlangen und Werden auftreten und es zu einer neuen Geburt, einer neuen Existenz mit neuen Skandhas kommen.

    Was soll das heißen? Es kommt ständig zu Geburten. Ist damit eine bestimmte Geburt gemeint? Oder eine beliebige? Oder nur die Geburt an sich, also nicht weiter definiert oder fassbar?

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    Im Gegensatz zu Buddha Sakyamuni habe ich allerdings noch nicht die dritte edle Wahrheit von der Beendigung des Leidens und seiner Ursachen verwirklicht.

    Diese Behauptung ist nach deiner eigenen Definition abhängig entstanden und von deiner Benennung - hier: deinem Glauben - abhängig. Sie hat also keinerlei objektiven Wert.

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    Die Person, die Skandhas, die Begierde, der Hass, die Objekte sind alles abhängige Phänomene. Dass heißt sie existieren, aber sie haben kein Eigenwesen, keinen substanziellen Wesenskern. Nur weil sie dieses Eigenwesen nicht haben, können sie existieren. Sie existieren aufgrund von Ursachen und Bedingungen, in Abhängigkeit von ihren Teilen und von unserer Benennung.

    Das gilt auch für die Person Shakyamuni. Darum ist alles, was sie sagte, in diesem Kontext zu verstehen.

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    Die Frage: Wer erkennt, erlebt das? Ich ganz einfach zu beantworten, Ich.

    Der Zweifel, der erscheint bei der Frage: Was erkennt, was wird wiedergeboren? Erscheint nur dann, wenn man dem Dogma der Ichlosigkeit , der Leere, des Nicht-Ich verfangen ist.

    Dem ersten Teil stimme ich zu.

    Der Zweifel am "Was (oder Wer) erkennt" ist für mich aber unabhängig von jeder Nicht-Ich-Leere erfahrbar. Ich hatte diesen Zweifel schon als Christ, als der ich zunächst groß wurde. Ich glaube, es ist ein unter Menschen sehr verbreiteter Zweifel.

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    Wenn gesagt wird(1),dass Ergreifen als solches nicht existiert, dann ist damit gemeint, dass es nicht ohne Ursache aus sich selbst heraus existiert.


    Aber (2) unter der Bedingung eines bedingten "Personenwahns", entsteht halt bedingtes Ergreifen zu einem bedingten Objekt.

    Das bedeutet im Umkehrschluss, dass ohne Personenwahn kein bedingtes Ergreifen entsteht. Doch WER stellt das denn fest, WER behauptet das, wenn kein Personenwahn mehr da ist? WER will das denn wissen? Antwort: Die/eine Person.

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    Dieses Ergreifen als solches gibt es nicht. Deshalb gibt es auch keine Person, die dieses Ergreifen als solches erfährt.

    (...)

    Das Ergreifen ist eine Handlung, die von Begierde motiviert ist, und von einer Person in Bezug auf ein Objekt durchgeführt wird. Ergreifen ist also abhängig davon, dass es eine Person gibt und ein Objekt.

    Es müsste eigentlich auffallen, dass dies ein völlig sinnloses rhetorisches Unterfangen ist.

    1) Es gäbe kein Ergreifen und keine Person, die es erfährt.

    2) Es gäbe ein Ergreifen, das von Begierde motiviert ist und von einer Person durchgeführt wird, also wenn es eine Person und ein Objekt gibt.


    Ich würde sagen, man sollte sich mal entscheiden. Wenn es keine Person und kein Ergreifen gibt, dann auch keine Begierde, keine Ursachenkette usw. All dies sind ja offensichtlich Ausflüsse einer Person und Gedanken einer Person, denn eine andere teilt sie nicht unbedingt.


    Ich sehe es so: Die Erfahrung, dass es keine Person und kein Ergreifen gibt, ist Erwachen. Die Erfahrung, dass es eine Person und ein Ergreifen gibt, ist Alltag. Einmal wird - mahayanistisch gesprochen - das Nicht-Ich verwirklicht (das Freisein von diesem Ich), beim anderen Mal ist eine klare Vorstellung eines Ich und einer Person vonnöten, um diesen Alltag zu bewältigen - selbst wenn diese Person dies auf dem Hintergrund ihrer Erfahrung der Ich-Losigkeit tut. Die Vorstellung, es gäbe letztlich kein Ergreifen und kein Ich, wo doch jeden Tag jeder Mensch genau das Gegenteil objektiv für alle sichtbar widerlegt, ist eine subjektive Erfahrung und Idee, der man sich in der Praxis entsprechend versucht anzunähern, indem man sein Verhalten und Denken altruistischer gestaltet. Tatsächlich ist das Leben auch eines Erwachten ein Wechselspiel aus seiner Einsicht/Erkenntnis/Erwachenserfahrung und den im Alltag notwendigen Manifestationen eines Ichs.

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    Hinter deinen Einwänden steht ja die Vorstellung - wenn auch unausgesprochen - Wiedergeburt bedeute, etwas substanziell Existierendes würde von Existenz zu Existenz weitergehen

    Nein, dahinter steht der Einwand, dass "Ergreifen" jemanden benötigt, der das Ergreifen als solches erfährt oder davon lässt. Siehe auch hier:

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    die neue Existenz in der man Name und Körper (namarupa) angenommen hat.

    Was ist "man"? Man muss zumindest ein zuordnungsbares Teilchen sein, ansonsten hat es nichts mit dem Ergreifen und der Begierde vor dem Tod zu tun, denn das ist ja einem bestimmten Lebewesen zuzuordnen. Das "man" muss zuordnungsfähig sein, sonst ist es beliebig und ein Ausdruck von Chaos und damit gegenstandslos für eine Wiedergeburtsdebatte, weil es den Lebenden jetzt nicht weiter betrifft.

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    Es gibt lediglich einen permanenten Wandlungsprozess - anitya / anicca. Einen leidhaften. Samsara oder Shōji, wie es im Zen genannt wird, Geburt-und-Tod. Und das hört mit der Auflösung einer Skandha-Kombination nicht auf, erst mit dem Ende von upādāna, 'Ergreifen'. Und es ist nun einmal kein 'Ich', das ergreift, sondern das Ergreifen selbst wird für ein 'Ich' gehalten.

    dukkha , hier steht das Wesentliche verständlich drin ;)

    Nein, das ist einfach ein rhetorisch mehr oder weniger geschickter Versuch der Erklärung.

    WAS wandelt sich denn? WAS ergreift denn? Diese Fragen sollte man für sich durchkauen.

    Oben wird versucht, aus den ganzen Konzepten eine sinnvolle Logik herzuleiten, was nicht möglich ist. Wenn die skandha nicht mehr seien, hörten Geburt und Tod nicht auf, sondern erst wenn "Ergreifen" nicht mehr sei, das aber unabhängig von "Ich" geschehe. Wenn "das Ergreifen Selbst für ein Ich gehalten" wird, WAS (oder WER) hält es denn für ein Ich? Wo ist dieses WAS oder WER nach dem Tod? Und noch einmal: WAS ergreift? In unserer Sprache ist dies die einzig logische Frage, die hier eben nicht beantwortet werden kann.

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    Das heißt Materie wäre unendlich Teilbar. Sprich es gäbe überhaupt keine Substanz . Würde das dem Konzept der Leerheit entsprechen. ?

    Das hieße doch nur: frei von materieller Substanz. Es soll ja auch frei von gedanklichen Konstrukten sein (falls man die nicht auch als materiell auffasst), frei von Illusionen. Aber die ungeklärte Frage ist: Was eigentlich erfährt dieses Freisein vom Ich und von den Dingen? Das bleibt paradox.


    Im Mahayana gibt es auch ein atman (in den Tathagatagarbha-Sutren), das kein "Splitter" ist, sondern etwas nicht groß Definiertes "Ewiges", ausdrücklich keine Substanz oder kein Subjekt, aber eine Zuschreibung von Eigenschaften wie "ewig" hat es. Damit sollte wohl dem Nihilismus vorgebeugt werden. In unserer Vorstellung denkt man natürlich leicht dann an "etwas", das da "ewig" ist, darum mögen einige Buddhisten diese Idee nicht. Entscheidend ist für mich, ob man so "etwas" oder "ewig" erfährt - und dann bleibt immer noch die obige Frage, ob man dieser Erfahrung denn trauen mag und was man daraus Konstruktives macht.

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    Das ist natürlich ein einfacher Ausweg, der Dich immun gegenüber einem Zerbrechen Deiner festgefügten Ordnung der Dinge macht. Im Buddhismus wird übrigens nicht, bezweifelt, dass es eine Ich-Illusion gibt,

    Da hast du mich falsch verstanden, die festgefügte Ordnung wird dann zerstört, wenn man die Leere dieses Ichs erkennt - was aber nicht bedeutet, dass man ohne dieses Ich leben wird. Die Ich-Illusion ist m.E. notwendiger Teil unseres Daseins, sie wird sich dann in ein Wechselspiel mit der eigentlichen Natur (das was ich als Nicht-Ich bezeichne oder was wahrscheinlich in deiner Tradition Nirwana heißt) begeben. Nirwana und Samsara sind nach diesem Verständnis koexistent und keine Gegensätze. Mehr ist nicht drin. Mehr war auch für den Buddha Genannten nicht drin.

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    Dein Satz oben zeigt aber das fundamentale Missverstehen der Lehre: Wie kannst Du etwas als Ich empfinden?

    Vielleicht zeigt der Satz auch einen Fehler in der Lehre oder vielmehr ihrer Interpretation auf: Wir brauchen eine Ich-Identität, und von der ausgehend entdecken wir die Illusion des Ichs. Was ohne diese Identität geschieht, kann man in Psychiatrien sehen oder bei der Demenz.

    Die Frage, wieso ich nur mich als Ich empfinde (und du und jeder andere genau so), ist Gegenstand der Philosophie und Hirnforschung. Vielleicht wird sie eines Tages geklärt. Aber niemand, auch keiner, der wörtlich dem Palikanon zu folgen versucht, tut dies ohne seine ganz eigene Sicht auf die Dinge. Allein die Ausformung der diversen frühen buddhistischen Schulen zeigt, dass es nicht einmal Einigkeit über das Verständnis der Überlieferung gab. Wie auch, immer blickte ein anderes Ich darauf (warum auch sollte sich ein Erwachter mit dem Palikanon beschäftigen?). Dieses Ich zu durchschauen und abzulegen versuchen ist eine lohnenswerte Aufgabe, aber es geschieht auf der Grundlage der jeweiligen individuellen psychophysischen Gegebenheiten und in deren Grenzen. Diejenigen, denen man nachsagt, die Lehre verstanden zu haben, haben teils widersprüchliche Dinge darüber gesagt. Das wird immer so bleiben.


    Ich habe deine übrigen Fragen nicht beantwortet, weil ich sie mir nicht stelle. Sie erledigen sich mit der Erkenntnis, dass es niemanden gibt, der ohne Ich lebt. Die Frage ist für mich, wie es sich lebt, wenn man auch das Nicht-Ich verwirklicht.

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    Was ist denn in diesem Bezug die Bedeutung des Wortes "eigene"?

    Eine Erfahrung, die von dem gemacht wird, was ich als ich empfinde, und was nicht du oder andere ist.

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    Das Nicht-Ich ist kein theoretisches, es ist ein empirisch in jedem Augenblick erfahrbares Daseinsmerkmal.

    Die meisten Menschen erfahren ihr Ich als kohärent, sonst hätte man eine solche Lehre ja auch nicht erfinden müssen, wenn das so selbstverständlich wäre. Für die meisten Menschen ist die Instabilität des Ichs eher eine Teilerfahrung in einer insgesamt als relative Konstanz erfahrenen Persönlichkeit. Leiden und Vergänglichkeit sind hingegen allgemein verbreitete Erfahrungen. Zu diesem Problem, dem Unterschied der Psychologie zum Buddhismus und dem Problem derer Ausdrucksweisen, fand ich kürzlich: Understanding of Self: Buddhism and Psychoanalysis - PubMed

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    Bevor du Bebop hier anderen Kategorienfehler vorwirfst, solltest du selbst erst einmal für Begriffsklarheit sorgen.

    Der Vorwurf geht eher an den Theravada bzw. die hier verlinkten Daseinsmerkmale, wie sie üblicherweise dort auch benannt werden, nicht an Personen.


    Du solltest aber doch bemerken, dass du dich mit deiner Gleichung "Es gibt kein Nicht-Ich, demnach auch kein wahres Selbst" innerhalb deiner Traditionslogik bewegst, nichts weiter. Die Negation ist im Zen oft nur ein Weg, das Unsagbare zu benennen. Ich setze tatsächlich voraus, dass man im Buddhaland in etwa weiß, wo sich die anderen Anschauungen von der eigenen unterscheiden, zumindest in diesem Forum und wenn man "Madhyamaka" als Tradition angibt. Im Mahayana sind diese Ausdrücke gängig. Das Nicht-Selbst ist hier als das verstanden, was nicht Ego ist, in einigen Sutren wird sogar stattdessen das wahre Selbst als Buddha-Natur bezeichnet, weil es Eigenschaften wie die der Ewigkeit hat. Da diese im Grunde unfassbar sind, meine ich, es ist verständlicher, wenn man das, was nicht Ego (bzw. die Vorstellung davon) ist, als Nicht-Selbst bezeichnet und äquivalent zur Buddha-Natur setzt. Im Mahayana-Kontext dürfte das einleuchten, ohne dass man dafür in die Details gehen muss, denn beides beschreibt das anderswo "wahre Natur" Genannte oder das Potential zum Erwachen oder das eigentlich erwachte Sein des Menschen. Erwachen ist die Verwirklichung der Buddha-Natur oder des Nicht-Selbst. Indem ich frei oder leer vom Selbst werde (also Nicht-Selbst), erwache ich.

    Ich möchte das im Mahayana-Sinne verstanden wissen: Nicht-Ich/Nicht-Selbst wird zuweilen "wahres Selbst" genannt - in Abgrenzung zum Ich/Ego, es "existiert" hier also sehr wohl als die eigentliche "Buddha-Natur" des Menschen. Es handelt sich nicht bloß um ein "Daseinsmerkmal" oder "Ansichten" zum Ich - denn im Gegensatz zu Leiden und Vergänglichkeit (den anderen genannten Daseinsmerkmalen) sind solche Ansichten nicht Allgemeingut der Menschen (d.h. nicht alle erfahren ein substantielles oder unwandelbares Ich). Von daher ist das ein (Kategorien-)Fehler in der Denkweise der Autoren des Palikanons, denn Leiden und Vergänglichkeit erfährt auch derjenige, der sein Ich für abhängig, substantiell und bedingt hält, also im Sinne von Helmuts/"Buddhas" Definition denkt. Erst wer diese Kategorien aufgegeben hat, erfährt Befreiung.

    Ja, weil du vom Text her denkst, nicht von deiner Erfahrung oder der der anderen. Darum habe ich oben am Beispiel Dogen aufgezeigt, dass es nur zusammen mit dem Ich geht. Das singuläre Ich bleibt. Auch bei Zen-Meistern kannst du dieses Ich stets erkennen, meist sogar vor jeder Manifestation des Nicht-Ichs. Weil das viele nicht wahrhaben wollen, stehen sie sich selbst im Weg.

    Es ist immer schwierig mit Menschen über Lehrinhalte zu sprechen, die sie womöglich nicht selbst erfahren haben (Nicht-Ich). Dann entstehen leicht erkennbar theoretische Diskussionen, in denen versucht wird, der Inhalt des Palikanon wiederzugeben bzw. das, was daraus als Dogma extrahiert wurde.


    Die anderswo im Buddhaland als Buchtipp erwähnten Antaiji-Mönche Fujita und Yamashita, die eine solche Erfahrung implizit m. E. in "Buddhism 3.0" von sich behaupten (das Bewusstsein als blauer Himmel), sprechen da mit dem Philosophen Nagai davon, dass das singuläre Ich (nur ich empfinde mich als dieses Ich) als das buddhistische Nicht-Selbst (muga) verstanden werden könne: "Ich kann nicht anders sein als Nicht-Selbst."


    Ich bin allerdings im Gegensatz zu Nagai ein Freund bestimmter Erkenntnisse der Hirnforschung, so dass ich selbst für die Erfahrung des Nicht-Selbst die personalen Bedingungen (wie ein individuell funktionierendes Gehirn) voraussetze (dazu empfehle ich die Arbeiten von James H. Austin). Mein Hang zum Mystizismus ist begrenzt. Nicht-Selbst hat darum nur als eigene Erfahrung einen Sinn, nicht als theoretisches Daseinsmerkmal. Von diesem "blauen (wolkenlosen) Himmel" aus - oder, wie es die Autoren auch sagen: nicht mehr einen Film sehen und ihn für wahr halten und gar darin leben, als sei er wahr - ist dann auch, und das sind nun meine Worte, die dualistische Sicht auf eine leidhafte und vergängliche Existenz aufgehoben. Das wäre ja gerade die Welt des (falschen) Filmes. Zwar versteht man mit seinem gewöhnlichen Ich, was das ist und dass dies so ist (alles vergeht und ist leidhaft), entscheidend ist aber, dass MAN (AUCH!) ZU NICHT-SELBST geworden ist oder dieses Nicht-Selbst verwirklicht hat. Denn das Leben wird fortan zu einem Wechselspiel und gegenseitigen Durchdringen des manifestierten Ichs und Nicht-Ichs. Aus diesem Nicht-Selbst heraus - der erwachten Sicht - ist die leidhafte Verstrickung in die Vergänglichkeit beendet. Das bedingte Daseinsmerkmal, auf das oben verwiesen wurde, ist das Ich/Selbst, nicht das Nicht-Selbst. Nirwana ist nicht bedingt (asankhata).


    Um diesen Schritt nachvollziehen zu können, stelle man sich einfach vor (so man nicht dort angekommen ist), wie das aussähe, wenn - wie der Buddha gelehrt haben soll - das Leiden überwindbar ist, genauer: wenn es überwunden ist. Ist die Welt dann noch die der Edlen Wahrheiten für den Erwachten (nicht: für die, zu denen er spricht und denen er dies gelehrt hat)? Sind Alter, Tod, Krankheit dann noch Leiden oder nIcht? Wenn ja, dann sind sie nicht überwunden. Wenn nein, dann ist - wie versprochen - das (geistige) Leiden beendet.

    Dogen ist ein gutes Beispiel für dieses weiter bestehende Ich, also ein klar von anderen abzugrenzendes individuelles Sein, das auch als solches wahrgenommen werden will ("Ich bin der autorisierte Meister von X, hier sind Brief und Siegel"). Diese "Persönlichkeit" führt dann ganz bestimmte Praktiken durch, die klar definiert sind (hier vor allem: Zazen und klösterliche Spielregeln) und in denen sie "das Hervortreten der unzähligen Dinge und ihr praktizierendes Verwirklichen des Selbst (als) Erleuchtung" sieht. All das spielt sich im Rahmen einer klar ersichtlichen Ich-Haftigkeit oder auch persönlichen Ansicht ab, wird dann aber durch Rhetorik in Frage gestellt. Doch unverkennbar glaubt Dogen, dass diese Praktiken "die Täuschung erleuchten", denn wenn die Täuschung sich selbst erleuchtete, müsste er nicht an seiner Praxis festhalten. Natürlich wäre das ein Widerspruch, darum wird so formuliert, dass die Praxis (das Sitzen) sich quasi selbst täte. Dies ist m.E. einer der größten Irrtümer über die (Nicht-)Beteiligung des Egos. Wenn man Dogen-Nachfolgern zuhört, nennen sie sich darum auch öfter mal "Zen-Meister". Da scheint dann das Ego nochmal durch, das man zuvor rhetorisch meinte kleingekriegt zu haben.


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    Das Leiden beginnt mit der Ignoranz des Ich's, das weiß, dass es ein Ich ist, die drei Daseinsmerkmale nicht auch für sich geltend anzuerkennen.

    Hier stellt sich die logische Frage, ob es nicht dieses Ich sein muss, das Nicht-Ich erkennt. Es wird doch hier gefordert dass dieses Ich sich zugleich definiert durch die Merkmale, dass es eigentlich Nicht-Ich ist und doch vergänglich und leidhaft.. Genau das bezeichne ich als Kategorienfehler, denn die Merkmale Vergänglichkeit und Leidhaftigkeit treffen auf das Ich zu, das sich (nur) als Ich begreift, jedoch nicht auf das Nicht-Ich, das als solches erkannt ist. Die Kategorien anicca und dukkha sind anatman fremd. Diese Ansicht ist zugegeben mahayanistisch, da der Seinsgrund als Nirwana verstanden wird, also dem Zustand der Aufhebung des Leidens (auch des Leidens an der Vergänglichkeit). Diese Erfahrung ist jedoch eine des Nicht-Selbst, des entgrenzten oder aufgelösten Ichs. Das Wesentliche hierbei ist also, dass anatman oder anatta nicht mehr als bedingtes Entstehen begriffen wird, weil es dann immer noch der Konzepthaftigkeit unterliegt. Das anatta, das erfahren werden soll, ist nicht - wie im obigen Link zu "Daseinsmerkmale" behauptet - "alles entsteht in Abhängigkeit von anderem" (dies ist pratitya samutpada), sondern es korrespondiert mit Nirwana. Nirwana ist sozusagen un-abhängig. Wenn Samsara und Nirwana eins sind, weiß das Ich um das Nicht-Ich.

    Mach doch nicht aus dem Nicht-Ich ein Ding, ein Wesen. Es meint doch nur, dass es kein Ich, kein Mein, keine Seele gibt. Modern gesprochen: Alles ist nur Prozess, Geschehen.
    Zudem kann man auch jede Erfahrung hinterfragen. Ich erfahre, dass die Sonne aufgeht und untergeht. Das heißt nicht, dass es so ist.

    Von dort ausgehend ist es m.E. entscheidend, den Kategorienfehler in einer verbreiteten Denkweise zu durchschauen.

    Die drei Kennzeichen unseres Daseins sollen laut Buddhismus anatman, anicca und dukkha sein.

    Im Grunde ist es recht einfach zu verstehen: Wenn es kein permanentes Selbst bzw. die Identifikation mit einem fixen Ich gibt (anatman), dann gibt es auch nichts, was (geistig) leiden kann.

    Beide Kennzeichen bestehen also nicht nebeneinander, sondern nacheinander. Die Verwirklichung von Nicht-Selbst heißt gerade nicht, dass da keine Person mit einem individuellen Charakter (oder psychologischem Ich-Bewusstsein) wäre, sondern dass diese Person nicht mehr an den Dingen haftet, die unbeständig (anicca) dieses Bewusstsein bilden. Der Psychologe wird auch in einem Erwachten noch immer ein Ich konstatieren, aber ggf. herausfinden, dass dieses sich aus einem Bewusstsein der Unabhängigkeit von den als leer durchschauten skandha speist. Dieser Erwachte leidet zwar durchaus noch (etwa körperlich als das Ich, die Person, die er in der Gesamtheit von Geist und Körper bildet), aber er leidet nicht mehr am Ich oder an der Vergänglichkeit (geistig). Es ist sozusagen das individuelle Ich (Selbst), dass das Nicht-Selbst verwirklicht, um das Leiden (an der Vergänglichkeit) aufzulösen.

    Selbst in der Theravada-Tradition gibt es die Ansicht, dass Nirwana das "wahre Selbst" sei. Eine Übersicht: Anattā - Wikipedia

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    Ich finde in jedem Augenblick die ganze Welt vor. Und nie ist ein Augenblick wie ein anderer.

    Die Vorstellung, es gäbe ein stetiges Sein außerhalb der Unbeständigkeit, ist Atman. Buddha lehrt aber Anatta. Es gibt kein inhärent existierendes ICH, das unabhängig von den sich stets wandelnden Skandha existierte. Und darum gibt es auch kein Ich unabhängig von der Zeit und der Unbeständigkeit.


    Man kann auch umgekehrt sagen: Es gibt keine Unbeständigkeit ohne ICH. Denn wenn da kein denkender Betrachter ist, der "Unbeständigkeit" als Kategorie über die Welt stülpt, wo ist dann diese Unbeständigkeit? Es braucht den Beobachter, der sie so empfindet.

    Ebenso ist nur dann ein Augenblick anders als ein anderer, wenn man zunächst die Einteilung in Augenblicke vornimmt, um sie vergleichen zu können. All dies ist ja ein normaler Vorgang unseres Erkenntniswillens.

    "Buddha lehrt" sollte nicht entscheidend sein, sondern ob ich erfahre, dass es so ist.

    Es gibt also "kein Ich unabhängig von der Zeit und der Unbeständigkeit", aber man kann erfahren (und auch das lehrte der Buddha, und dies gilt es zu verifizieren), dass es ein NICHT-ICH unabhängig von Zeit und Unbeständigkeit gibt. Das ist der nächste und entscheidende Schritt der Erkenntnis auf dem buddhistischen Weg.

    Veränderung/Vergänglichkeit soll ja gerade aufgehoben werden. Die Vergänglichkeit in der Zeit selbst, von der hier gesprochen wird, kann jedoch nicht aufgehoben werden, sondern das Leiden daran. Dies geschieht durch eine Verankerung in der Gegenwart (statt in der Vergänglichkeit). Wer an den geschickten (Lehr-)Mitteln haftet - also Konzepten wie Karma -, der hat sie noch nicht aufgelöst und leidet weiter darin und daran. Das ist m.E. ein grundlegend falsches Verständnis von Buddhismus bzw. seiner Praxis. Das Karma in der Zeit, von dem hier gesprochen wird (heute tue ich etwas, morgen erlebe ich die Folgen) beschäftigt dann den Übenden reziprok und schafft neues Leiden ("was habe ich da nur getan, das es mir nun so schlecht geht") und verhindert erneut ein Verankertsein in der aktuellen Gegenwart. Solche Fragen sind wichtig, um Ursachen von Krankheiten, Unfällen usw. auf den Grund zu gehen, und man befindet sich dann in Samsara. Wenn Samsara und Nirwana eins werden, ist der Blick des Nirwana entscheidend, in der die gegenwärtige Situation einfach ist, was sie ist ("suchness"). Es ist dann unerheblich, was die Ursache der Gegenwart sein könnte, wenn nichts als diese Gegenwart im Bewusstsein vorherrscht.


    Es gibt keine "Augenblicke", außer in der Poesie und der Vorstellung. Wenn da etwas von eben nach da wirkt, dann herrscht noch Karma und es fand kein Erwachen statt, das Leiden ist nicht aufgelöst. Diese Sicht ist also unerwacht. Man blickt so auf die Dinge, als seien sie noch immer leidhaft. Man sieht Ereignisfolgen und Vergänglichkeit wie jeder Nicht-Buddhist auch, statt sich am Zustand des Buddha zu orientieren und mit seinen Augen zu sehen: Die Dinge sind leer, das Leiden (an ihnen) ist überwunden.


    Aber ich vermute, da dies nicht das Zen-Forum ist, wird hier eher vom Theravada oder systematischen Schulen wie der tibetischen her argumentiert. Im Theravada hält man an Dogmen fest, die im Zen fallen müssen ("nichts von heilig"), man versucht die schriftlich überlieferten Lehrgebäude (Pfad, Kausalkette, anicca usw.) beizubehalten, selbst wenn man sich als erwacht oder auf dem Weg dorthin wähnt. Ein erwachter Theravadin wird darum wohl in etwa so sprechen wie der Palikanon, während ein Zen-Buddhist glaubt, dass der erwachte Buddha nur noch eine Blume hochhielt.

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    Nee, DAS, was Du da schreibst, ist ein theoretisches Hilfskonstrukt und Konzept.

    Woher könntest du das wohl wissen?

    Du meinst also offenbar, man könne dies nicht leben. Und ich meine, diverse alte Zen-Meister haben genau dies vorgelebt und gelehrt. Beispiel: "The present moment is the only existing time" (Nishijima mit Bezug auf Dogens Uji/Being-Time).


    Wo ist denn deine Vergangenheit vor deiner Geburt? Wo ist denn deine Zukunft nach deinem Tod?


    Es ist allein eine Frage deiner eigenen geistigen Einstellung, ob es nur Gegenwart gibt oder nicht.

    Die Vorstellung von "Zeit" und "Abhängigkeit von Phänomenen" ist ein theoretisches Hilfskonstrukt, mit dem wir die Anliegen unseres Alltags bewältigen. In der Zenübung geht es m.E. um die Verwirklichung, d.h. den Geisteszustand einer permanenten "zeit-losen" Gegenwart, aus der heraus man lebt. Die Zeit und ihr Ablauf werden nicht geleugnet, sondern als jenes illusorische Hilfskonstrukt durchschaut.

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    Es gibt Vergangenheit und Zukunft, weil wir Erinnerungen und Prognosen haben.

    Diese Erinnerungen und Prognosen (Gedanken) sind die Erzeuger der Illusion "Wiedergeburt".