Beiträge von Elliot im Thema „Was versteht man im Buddhismus unter Unwissenheit“

    Es könnte durchaus sein, dass avijja und moha zwei parallel ablaufende Prozesse sind, aber trotzdem auch nicht gänzlich voneinander getrennt. [...]


    Aber auch in der Version müßte es verschiedene Stärkegrade oder Grobheits- und Feinheitsgrade von moha geben.

    Vielleicht kann ich mein Verständnis des Verhältnisses von avijja und moha so veranschaulichen:


    avijja ist ein Eiszapfen, der in der Sonne steht und moha der Schatten, den er wirft. In dem Maße, wie der Zapfen schmilzt, wird auch sein Schatten kleiner, bis er ganz zum Schluss zusammen mit dem letzten Rest des Zapfens verschwindet.


    (Gut, vielleicht bleibt vom Zapfen zuerst noch eine kleine Pfütze ohne Schatten, insofern passt der Vergleich nicht ganz genau...)


    Viele Grüße

    Elliot

    Wenn die Buddhisten wüßten, was Unwissenheit ist, müssten sie "Wissenheit" kennen. Wenn die Buddhisten aber "Wissenheit" kennen würden, wären sie keine Buddhisten, warum? Der Buddhismus lehrt (vermeintlich) die Überwindung der Unwissenheit. Wer aber weiß, was Unwissenheit ist, weil sie/er "Wissenheit" kennt, muss Unwissenheit nicht überwinden, weil sie/er "Wissenheit" kennt und braucht also keinen Buddhismus und muss also auch kein Buddhist sein.

    Ich bin mir nicht sicher, ob ich Dich richtig verstehe.


    Meinst Du, es gibt so eine Art allgemeine "Wissenheit", zu der viele verschiedene Wege führen? Und wer diese Wissenheit auf dem "buddhistischen" Weg kennengelernt hat (oder meint, kennengelernt zu haben), der braucht dann nicht mehr "buddhistisch" zu sein? Weil es sich erübrigt hat, weil es auf diese "Wissenheit" ankommt, und nicht auf den Weg dahin?


    Viele Grüße

    Elliot

    Mit dieser Klassifikation habe ich mich bisher nicht eingehender beschäftigt. Aber jetzt habe ich nochmal nachgelesen und es sieht so aus, dass Stromeintritt und sogar Einmalwiederkehr nicht gänzlich vor Verblendung schützen:


    "Sollte ein Bhikkhu wünschen: 'Möge ich mit der Vernichtung von drei Fesseln ein Stromeingetretener werden, dem Verderben nicht länger unterworfen, (des Weges) gewiß, auf das Erwachen zugehend', dann soll er die Sittlichkeit erfüllen, sich der inneren Herzensruhe widmen, die Meditation nicht vernachlässigen, Einsicht pflegen und in leeren Hütten wohnen."


    "Sollte ein Bhikkhu wünschen: 'Möge ich mit der Vernichtung von drei Fesseln und mit der Abschwächung von Begierde, Haß und Verblendung ( moha ) ein Einmalwiederkehrer werden, der einmal in diese Welt zurückkehrt, um Dukkha ein Ende zu bereiten', dann soll er die Sittlichkeit erfüllen, sich der inneren Herzensruhe widmen, die Meditation nicht vernachlässigen, Einsicht pflegen und in leeren Hütten wohnen."

    Nichtwiederkehr bedeutet offenbar, sowohl sinnliches Begehren, als auch Übelwollen vollständig und nachhaltig überwunden zu haben:

    "Sollte ein Bhikkhu wünschen: 'Möge ich mit der Vernichtung der fünf niedrigeren Fesseln dazu bestimmt sein, spontan (in den Reinen Bereichen) wiederzuerschienen und dort Nibbāna zu erlangen, ohne je von jener Welt zurückzukehren', dann soll er die Sittlichkeit erfüllen, sich der inneren Herzensruhe widmen, die Meditation nicht vernachlässigen, Einsicht pflegen und in leeren Hütten wohnen."

    Das ist natürlich schon sehr bemerkenswert. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand gänzlich ohne Übelwollen noch zu Hass fähig ist. Aber Freiheit von sinnlichem Begehren schließt ja Verlangen oder gar Gier nach zum Beispiel nach Anerkennung nicht aus und dann wäre Verblendung auch nicht weit...


    Also, ich bleibe dabei: Das gänzliche Verschwinden von moha liegt sehr dicht beim gänzlichen Verschwinden vom avijja.


    Viele Grüße

    Elliot

    Auf jeden Fall. Genau das versuche ich die ganze Zeit darzulegen. Da habe ich mich wohl mißverständlich ausgedrückt. Sehe es wie du.

    Ich hatte Dich so verstanden, dass Du meinst, mit Stromeintritt wäre moha bereits vollständig und nachhaltig gebannt. Diesen Optimismus würde ich dann jedenfalls/gegebenenfalls nicht teilen.


    Danke für die Zitate!


    Viele Grüße

    Elliot

    So optimistisch sehe ich das nicht. Ich glaube, solange Unwissenheit ( avijja ) nicht überwunden ist, kann auch immer noch etwas Verblendung ( moha ) aufflackern.


    Noch ein weiterer Gedanke: Die Erkenntnis, dass es lobha-moha, dosa-moha und moha gibt, vermittelt vielleicht den Eindruck, moha sei die Ursache für lobha und dosa. Aber sagt man nicht auch "blind vor Gier" und "blind vor Hass", was doch verdeutlicht, da ist Verblendung verursacht durch starke Erregung und Emotion.


    Gern würde ich dies nun verwenden, um wiederum moha von avijja zu unterscheiden, da avijja nicht wie moha eine Verursachung haben kann, sondern am Anfang aller Ursachen steht. Aber das wäre natürlich zu einfach. avijja gründet sich auf drei "Triebe" (Einflüsse): kāmāsavo, bhavāsavo, avijjāsavo. Und diese drei wiederum gründen sich auf: avijja.


    Viele Grüße

    Elliot

    Elliot

    So gesehen könnte es die Kombination amoha-avijja geben, nämlich wenn jemand auf dem Pfad die grobe Unwissenheit schon überwunden hat, also moha überwunden hat.

    Beziehungsweise durch amoha ersetzt hat, also Nicht-Verblendung erreicht zumindest bzgl. ethischer Fragen, was richtig (heilsam) ist und was falsch (unheilsam).


    Und es bei dieser Nicht-Verblendung zusammen mit Nicht-Gier (Mäßigung) und Nicht-Hass (Toleranz) belässt, womöglich glaubend, damit auch die Unwissenheit hinter sich gelassen zu haben. Und das wäre halt ein Irrtum.


    "Was sind heilsame Angewohnheiten? Es sind heilsame körperliche Handlungen, heilsame sprachliche Handlungen und die Läuterung der Lebensweise. Diese werden heilsame Angewohnheiten genannt."

    "Und wo entspringen diese heilsamen Angewohnheiten? Ihr Entspringen ist dargelegt: man sollte sagen, sie entspringen im Geist. In welchem Geist? Obwohl der Geist vielfältig ist, verschiedenartig und mit unterschiedlichen Aspekten, gibt es Geist, der nicht von Begierde beeinflußt ist, nicht von Haß oder Verblendung ( moha ). Heilsame Angewohnheiten haben ihren Ursprung in diesem."

    "Und wo hören diese heilsamen Angewohnheiten ohne Überbleibsel auf? Ihr Aufhören ist dargelegt: da ist ein Bhikkhu sittsam, aber er identifiziert sich nicht mit seiner Sittlichkeit, und er versteht jene Herzensbefreiung, die Befreiung durch Weisheit, in der jene heilsamen Angewohnheiten ohne Überbleibsel aufhören, der Wirklichkeit entsprechend."

    Ich reite noch immer darauf rum, dass sich avijja und moha nicht beliebig gegeneinander austauschen lassen.


    Es wurde ja schon mehrmals angesprochen, dass Unwissenheit sich so gut wie am Anfang der Kette des bedingten Ent- und Bestehens befindet, so dass beinahe alle Konstrukte der Form Irgendwas-avijja einen Sinn machen. Unsinnig wäre aber zum Beispiel vijja-avijja. Trotzdem meine ich, es gibt amoha-avijja, weil amoha eben nicht vijja ist und moha nicht avijja.


    amoha ist eine Wurzel des Heilsamen, das hatten wir weiter oben schon gesehen. Aber das Festhalten an heilsamen Absichten und Angewohnheiten ist ein Ausdruck von Unwissenheit (siehe zum Beispiel Samanamandika Sutta). Das meint meine Abkürzung amoha-avijja.


    Viele Grüße

    Elliot

    Kann man sich nicht jemanden vorstellen, der das Geistesgift moha überwunden hat, nicht aber Gier und Hass?

    Das hatte ich schon mehrmals versucht, aber es ist mir bisher nicht gelungen. Gier und/oder Hass, ohne dass auch ein wenig Verblendung dabei ist, kann ich mir nicht vostellen.


    Aber jemand könnte zum Beispiel Gier zu Vorliebe abmildern und Hass zu Abneigung, aber weiterhin Tiere töten, um sie zu verspeisen, also unheilsam handeln, eben weil noch Verblendung da ist.


    In keinem dieser Fälle würde ich aber davon ausgehen, dass Unwissenheit überwunden ist. Selbst wenn er sich auf Vorliebe, Abneigung und Nicht-Töten beschränkt. Da Durst/Verlangen ( tanha ) auch ohne Hass und Gier weiterexistieren kann, ist da auch Unwissenheit und vielleicht auch Verblendung.


    Viele Grüße

    Elliot

    Doch, ich glaube schon zu verstehen, was Du meinst.


    Aber ich meine halt, wenn es schon für jemanden mit 'gewöhnlichem Wahn' nicht immer einfach ist, auf dem achtfachen Pfad zu bleiben, um wie viel schwieriger muss es dann für einen mit zum Beispiel einer bipolaren Störung sein?


    Und es ist nunmal der achtfache Pfad, der zur Überwindung von Unwissenheit führt.


    Viele Grüße

    Elliot

    Wobei wir da ja sogar (mit 'Nichtwissen') eine Triade haben und mir jetzt auf Anhieb der Unterschied zwischen 'Unwissen' und 'Nichtwissen' im Theravada-Kontext nicht auf Anhieb klar ist.

    Vielleicht hilft es weiter, sich anzuschauen, an wen sich diese Lehrrede richtet.


    Vordergründig natürlich an die Bhikkhus, aber sicher auch an die Nigaṇṭhas, die Anhänger des Nataputta, von seinen Anhängern Mahavira genannt. Er war Zeitgenosse des Buddha und vertrat auch eine asketische Lehre, die noch deutlich stärker von Skeptizismus geprägt war, als die des Buddha. Während letzterer es mit der Catuskoti genug sein ließ (siehe zum Beispiel Aggivacchagotta Sutta), entwickelten die Nigaṇṭhas sogar den Syadvada.


    Ein anderer Zeitgenosse des Buddha und berühmter Skeptizist war Sanjaya Belatthiputta. Sariputta und Moggallana waren seine Anhänger, bevor sie sich dem Buddha anschließen. Der Skeptizismus des Sanjaya Belatthiputta wurde/wird als Ajñana ( aññāṇā ) bezeichnet und in dieser Lehrrede ganz offenbar auch kritisiert.


    Viele Grüße

    Elliot

    Aber wenn man denke, ach, ich bin doch der Kanzler, aber niemand sieht das, das es wäre

    so wie die "Ausuferung" der ursprünglichen reiner Unwissenheit, die und allen eigen ist.

    Ja, genau. Was Du da beschreibst klingt für mich nach Größenwahn, vielleicht Ausdruck einer sogenannten bipolaren Störung. Und das wäre eine ernsthafte psychische Erkrankung, die es schwer bis unmöglich macht, dem achtfachen Pfad zu folgen.


    Viele Grüße

    Elliot

    Dabei wird auch Verblendung ( moha ) irgendwo auf der Strecke bleiben.

    Warum bist du so sicher?

    Weil der achtfache Pfad die Verwirklichung des Heilsamen beinhaltet.

    Wenn man über den Wahn redet, das ist schon , denke ich, zu viel.

    Klingt doch logisch. Scheint mir, echt viele Levels höher als nur eine pure Unwissenheit...

    Das stimmt natürlich. Wenn jemand körperlich oder psychisch schwer erkrankt ist, also mindestens eins der fünf Kampfesglieder ernsthaft beeinträchtigt ist, dann ist es womöglich schwierig, Aufmerksamkeit und Sammlung zu verwirklichen.


    Viele Grüße

    Elliot

    Angenommen, jemand würde sich der Verwirklichung des Heilsamen widmen:

    "Und was ist das Heilsame? Enthaltung vom Töten von Lebewesen ist heilsam; Enthaltung vom Nehmen, was nicht gegeben wurde, ist heilsam; Enthaltung vom Fehlverhalten bei Sinnesvergnügen ist heilsam; Enthaltung von unwahrer Rede ist heilsam; Enthaltung von böswilliger Rede ist heilsam; Enthaltung vom Gebrauch grober Worte ist heilsam; Enthaltung von Geschwätz ist heilsam; Nicht-Habgier ist heilsam; Nicht-Übelwollen ist heilsam; Richtige Ansicht ist heilsam. Dies nennt man das Heilsame." "Und was ist die Wurzel des Heilsamen? Nicht-Gier ist eine Wurzel des Heilsamen; Nicht-Haß ist eine Wurzel des Heilsamen; Nicht-Verblendung ( a-moha ) ist eine Wurzel des Heilsamen. Dies nennt man die Wurzel des Heilsamen."

    Und er würde für sich in Anspruch nehmen, dadurch also frei von Gier und Hass und auch Verblendung ( moha ) zu sein. Und somit, da moha und avijja gleichbedeutend sind, auch frei von Unwissenheit ( avijja ).


    Wäre dem Zuzustimmen? Ich meine, nein.


    Viele Grüße

    Elliot

    Aber die "Verblendung" wiegt doch viel mehr...

    Du meinst, eine Verblendung ( moha ) aufzulösen ist viel schwieriger und anstrengender, als sich Wissen anzueignen?


    Jedenfalls ist die Überwindung der hier gemeinten Unwissenheit ( avijja ) nicht gerade ein Spaziergang:


    Der Weg, der zum Aufhören von Unwissenheit ( avijja ) führt, ist eben dieser Edle Achtfache Pfad; nämlich Richtige Ansicht, Richtige Absicht, Richtige Rede, Richtiges Handeln, Richtige Lebensweise, Richtige Anstrengung, Richtige Achtsamkeit, Richtige Konzentration.

    Dabei wird auch Verblendung ( moha ) irgendwo auf der Strecke bleiben.


    Viele Grüße

    Elliot

    Mir kommt es so vor, als würde

    avijā die grundlegende Unwissenheit nüchtern und neutral ausdrücken, während mohā dies mit einem emotionalen Unterton ( Verblendung, Umnachtung, Narrheit , Dunkelheit) tut.


    Was da für ihre Verwendung als buddhistisches Fachwort tut ist natürlich es anderes. Mohā ist vielleicht ein Korrektiv dagegen sich dazu verleiten zu lassen, es rein auf der kognitiven Ebene zu betrachten Unwissenheit als Mangel an Wissen aufzufassen.

    Tatsächlich kann ich mir weder vorstellen, noch irgendwo ableiten, dass Unwissenheit ( avijja ) vergeht, sich also Wissen wirklich einstellt, ohne dass Verblendung ( mohā ) überwunden wurde. Umgekehrt ist es offenbar noch ein vielleicht kleiner, aber nicht unbedeutender Schritt, der vom Überwinden von Mohā zum wirklichen Wissen führt:

    Da also offenbar das Überwinden von Unwissenheit ( avijja ) auf jeden Fall auch das Überwinden von Verblendung ( moha ) inkludiert, ist es vielleicht nicht weiter tragisch, dass sich die Lehrreden fast ausschließlich mit der Anleitung zur Überwindung von Unwissenheit ( avijja ) beschäftigen, und der Überwindung von Verblendung ( moha ) kaum eigenständige Beachtung schenken.


    Viele Grüße

    Elliot

    Da bin ich mir nicht sicher, ob das der Zweck der Aneinanderreihung ist.

    Gilt deine Ablehnung allgemein oder nur für das vorliegende Beispiel?

    Ja, schon eher allgemein. Andererseits ging es ja um diese Behauptung:

    Moha als eines der drei Geistesgifte (das ich mit der Übersetzung 'Verblendung' kenne) wird manchmal auch mit 'Unwissenheit' übersetzt. Laut des englischen Wikipedia-Eintrags zu 'Avidya (Buddhism)', den es leider nicht auf deutsch gibt, wird (im Theravada) moha und avidya gleichgesetzt, wobei avidya auch noch in anderen Zusammenhängen als bei den drei Geistesgiften auftauchen kann. Vielleicht sollte man also den Zusammenhang angeben, in der 'Unwissenheit' auftaucht.

    Wenn man nun unter Theravada nicht nur die Lehrreden versteht, sondern auch die ganzen Kommentarwerke dazu bis in die jüngste Zeit hinein, dann gibt es dort ganz offenbar eine Tendenz zur Gleichsetzung, wie Deine Zitat ja veranschaulichen.


    Aber was wäre damit gewonnen?


    Beispielweise steht in einer Lehrrede:

    "Und was, Freunde, ist das Unheilsame, was ist die Wurzel des Unheilsamen, was ist das Heilsame, was ist die Wurzel des Heilsamen? Töten von Lebewesen ist unheilsam; nehmen, was nicht gegeben wurde, ist unheilsam; Fehlverhalten bei Sinnesvergnügen ist unheilsam; unwahre Rede ist unheilsam; gehässige Rede ist unheilsam; der Gebrauch grober Worte ist unheilsam; Geschwätz ist unheilsam; Habgier ist unheilsam; Übelwollen ist unheilsam; falsche Ansicht ist unheilsam. Dies nennt man das Unheilsame." "Und was ist die Wurzel des Unheilsamen? Gier ist eine Wurzel des Unheilsamen; Haß ist eine Wurzel des Unheilsamen; Verblendung ( moha ) ist eine Wurzel des Unheilsamen. Dies nennt man die Wurzel des Unheilsamen."


    [...]


    "Und was ist Unwissenheit ( avijja ), was ist der Ursprung von Unwissenheit, was ist das Aufhören von Unwissenheit, was ist der Weg, der zum Aufhören von Unwissenheit führt? Dukkha nicht zu kennen, den Ursprung von Dukkha nicht zu kennen, das Aufhören von Dukkha nicht zu kennen, und den Weg, der zum Aufhören von Dukkha führt nicht zu kennen - dies wird Unwissenheit genannt."

    Käme nun jemand auf die Idee, die Lehrrede zu 'vereinfachen', indem er zum Beispiel schreibt "Und was ist die Wurzel des Unheilsamen? Gier ist eine Wurzel des Unheilsamen; Haß ist eine Wurzel des Unheilsamen; Unwissenheit ist eine Wurzel des Unheilsamen. Dies nennt man die Wurzel des Unheilsamen" oder auch "Und was ist Verblendung, was ist der Ursprung von Verblendung, was ist das Aufhören von Verblendung, was ist der Weg, der zum Aufhören von Verblendung führt? Dukkha nicht zu kennen, den Ursprung von Dukkha nicht zu kennen, das Aufhören von Dukkha nicht zu kennen, und den Weg, der zum Aufhören von Dukkha führt nicht zu kennen - dies wird Verblendung genannt", dann würde er meiner Meinung nach den Sinn der Lehrrede etwas entstellen.


    Viele Grüße

    Elliot

    Das und deutet für mich eher darauf hin, dass im Theravada moha und avijja nicht gleichgesetzt werden.

    Eine schwer zu widerlegende Deutung...


    Ein Merkmal der Palitexte ist Begriffsredundanz. Dies soll verhindern, dass Textkorruption zwingend zur Aussagekorruption führt. Falls während der Überlieferung - sei es mündlich oder schriftlich - die Begriffe avijjā und sammohā verloren gehen, dann bleibt immer noch aññāṇā übrig und die Textaussage bleibt identisch erhalten, obwohl der Text selbst korrupt ist. [...]

    Da bin ich mir nicht sicher, ob das der Zweck der Aneinanderreihung ist. Mir scheint ein anderer Grund plausibler: Oft hat ein und dasselbe Wort mehrere Bedeutungen. Taucht so ein Wort in einer Kette auf, dann bestimmen die anderen Wörter, welche Bedeutung des Wortes in diesem Zusammenhang gemeint ist. Gleichzeitig "ziehen" die anderen Bedeutungen des Wortes die Gesamtaussage der Kette in eine bestimmte Richtung. Würde dieses Wort verlorengehen, dann würde dieses "Ziehen" auch entfallen. Die anderen Wörter können die Lücke nicht kompensieren, die Komposition ist beschädigt, so als wenn in einem Akkord ein Ton ausgelassen wird.


    Das lässt sich anhand der Beispiele, die Anālayo selbst gibt, gut nachvollziehen (meine Hervorhebung):


    old = jinno vuddho mahallako addhagato vayo-anuppatto

    growth = vuddhim virūlhim vepullam

    In beiden Ketten taucht die Form "vuddh" auf, von vaḍḍhati "(aus)gewachsen, gediehen".


    Die zweite Kette steht in diesem Zusammenhang:

    Der Erhabene sprach zum ehrwürdigen Ānanda also: »Nicht möglich, Ānanda, ist es für einen Mönch, in dieser Lehre und Zucht Fortschritt ( vuddhiṃ ), Entfaltung ( virūḷhiṃ ) und Größe ( vepullaṃ ) zu erzielen, wenn er ohne Vertrauen ist - sittenlos - unwissend - unbelehrbar - schlechten Umgang pflegt - träge ist - unachtsam - unzufrieden - üblen Ehrgeiz besitzt - falsche Ansichten hat. Daß, Ānanda, ein Mönch, der diese zehn Eigenschaften besitzt, in dieser Lehre und Zucht Fortschritt, Entfaltung und Größe erzielen kann, das ist unmöglich. Daß aber, Ānanda, ein Mönch, der Vertrauen besitzt - Sittlichkeit - großes Wissen - Belehrbarkeit - edlen Umgang - Willenskraft - Achtsamkeit - der keinen üblen Ehrgeiz hat, Zufriedenheit und rechte Erkenntnis besitzt, daß ein solcher in dieser Lehre und Zucht Fortschritt, Entfaltung und Größe erzielen kann, das ist wohl möglich.«

    Die erste Kette dagegen steht in diesem Zusammenhang:

    Da nun begab sich der Ehrwürdige Mālunkyaputto zum Erhabenen, begrüßte ihn ehrfurchtsvoll und setzte sich zur Seite nieder. Zur Seite sitzend, wandte sich nun der Ehrwürdige Mālunkyaputto also an den Erhabenen: "Gut wäre es, o Herr, wenn mir der Erhabene in Kürze die Lehre darlegte, damit ich, nachdem ich des Erhabenen Lehre vernommen, einsam, abgesondert, unermüdlich, in heißem, innigem Ernst verweilen kann". "Was sollen wir, Mālunkyaputto, denn den jungen Mönchen sagen, daß du als alter ( jiṇṇo ), bejahrter ( vuddho ), ergrauter ( mahallako ), betagter Mönch, der ein hohes Alter erreicht hat ( addhagato vayoanuppatto ), um eine Belehrung in Kürze bittest?" "Obwohl ich, o Herr, ein alter, bejahrter, ergrauter, betagter Mönch bin, der ein hohes Alter erreicht hat, möchte mir doch der Erhabene, der Willkommene in Kürze die Lehre zeigen, damit ich ein wenig den Sinn des vom Erhabenen Gesagten verstehen und Erbe des vom Erhabenen Gesagten würde".

    Das vuddho in dieser Kette ist sozusagen das "Augenzwinkern": 'Du bist doch schon alt, ergraut und gereift, Mālunkyaputta, wozu brauchst brauchst Du also noch Belehrungen?'


    In analoger Weise verstehe ich die Kombination von Unwissenheit ( avijjā ), Nicht-Wissen ( aññāṇā ) und Verblendung ( sam-mohā ) also nicht als redundate Verkettung von Synonymen. Vielmehr kann jeder der drei Begriffe in seiner Bedeutung variieren, verschiedene Hörer verbinden mit jedem Begriff, wenn er allein steht, womöglich verschiedene Hauptbedeutungen. Aber in dieser Dreier-Kette bilden sie einen bestimmten Sinnzusammenhang, eine Betonung, einen "Akkord", der die Bedeutung des Gesagten - der Lehrrede - an der Stelle möglichst gut wiedergibt. (An vielen anderen Stellen in den Texten taucht avijja auch ohne aññāṇā und sam-mohā auf und umgekehrt auch.)

    Moha als eines der drei Geistesgifte (das ich mit der Übersetzung 'Verblendung' kenne) wird manchmal auch mit 'Unwissenheit' übersetzt. Laut des englischen Wikipedia-Eintrags zu 'Avidya (Buddhism)', den es leider nicht auf deutsch gibt, wird (im Theravada) moha und avidya gleichgesetzt, wobei avidya auch noch in anderen Zusammenhängen als bei den drei Geistesgiften auftauchen kann. Vielleicht sollte man also den Zusammenhang angeben, in der 'Unwissenheit' auftaucht.

    Im Palikanon steht:


    ..."'Aber, werte Nigaṇṭhas, nachdem ihr, wenn intensives Streben, intensives Bemühen vorhanden ist, schmerzhafte, quälende, bohrende Gefühle aufgrund intensiven Strebens fühlt, aber wenn kein intensives Streben, kein intensives Bemühen vorhanden ist, ihr keinerlei schmerzhafte, quälende, bohrende Gefühle aufgrund intensiven Strebens fühlt, fühlt ihr daher lediglich die schmerzhaften, quälenden, bohrenden Gefühle eures selbst-auferlegten Strebens, und es geschieht aufgrund von Unwissenheit ( avijjā ), Nicht-Wissen ( aññāṇā ) und Verblendung ( sam-mohā ), daß ihr irrtümlicherweise die Ansicht vertretet: >Was diese Person auch immer fühlt, ob Angenehmes oder Schmerz oder Weder-Schmerz-noch-Angenehmes, all jenes wird durch das, was in der Vergangenheit getan wurde, verursacht. Indem man also durch Askese vergangene Handlungen vernichtet und indem man keine neuen Handlungen begeht, wird es künftig keine Folgen mehr geben. Mit Abwesenheit künftiger Folgen ist die Vernichtung von Handlung gegeben. Mit Vernichtung von Handlung ist die Vernichtung des Leidens gegeben. Mit der Vernichtung des Leidens ist die Vernichtung von Gefühl gegeben. Mit der Vernichtung von Gefühl wird sich jegliches Leid erschöpfen.<' Während ich so sprach, ihr Bhikkhus, sah ich keinerlei zulässige Verteidigung ihres Standpunktes seitens der Nigaṇṭhas."

    Das und deutet für mich eher darauf hin, dass im Theravada moha und avijja nicht gleichgesetzt werden.


    Viele Grüße

    Elliot