Zunächst mal danke Hajobo für Deine Ausführungen. Es ist doch schön, das man hier sowas in gegenseitigem Respekt und aller Freundlichkeit diskutieren kann!
Existiert ein einziger wissenschaftlicher Beweis dafür, daß ausschließlich wissenschaftliche Beweisführung geeignet ist, die Wirklichkeit abzubilden? Mir ist jedenfalls keiner bekannt.
Das ist eine philosophische Frage. Als wahr gelten Aussagen (vereinfacht gesagt), wenn unter gleichen Bedingungen immer gleiche Ergebnissse erzielt werden und sie somit mit der widergespiegelten Realität übereinstimmen. Aussage: "Ein Stein fällt immer zu Boden" ist in diesem Sinne wahr. Ein wichtiges Kriterium für Wahrheit (oder Wirklichkeit) ist also die Objektivierbarkeit. Das sollte sich von selbst erschließen.
Ein Merkmal aktueller Wissenschaft ist die Trennung des Materiellen vom Psychischen und Metaphysischen, was dazu führt, daß sie sich auf quantitative und strukturelle Aspekte des Materiellen konzentriert. Das ist an sich nichts Schlechtes, engt aber die Sicht auf einen schmalen Bereich der Wirklichkeit ein. Auch das wäre noch keine Problem, würde man nicht diesen begrenzten Bereich für die ganze Wirklichkeit halten. Die Wissenschaft ist einstmals angetreten, um die existenziellen Fragen des Menschen, losgelöst von der durch die Theologie konstruierten- und der Kirche hart verteidigten Dogmen der letzten Jahrhunderte, zu beantworten.
Hier besteht ein Missverständnis. Wissenschaft trennt nicht zwischen "Materiellem, Psychischem und Metaphysischen", Wissenschaft trennt zwischen Objektivierbarem und Nicht-Objektivierbarem. Warum? Weil wir mit dem Nicht-Objektivierbaren das Feld der Beliebigkeit betreten. Es gibt keinen qualitativen Unterschied zwischen den Behauptungen eines Bardo, Valhalla oder der Zahnfee.
Die Wissenschaft ist auch nicht angetreten, um die "existenzellen Fragen der Menschen" zu beantworten. Das sind Fragen der Philosophie und der Religion. Sie liegen ausserhalb des Interesses von 'harter' Wissenschaft, weshalb man der Wissenschaft nicht vorwerfen kann, hier keine Antworten zu bieten.
Ein anschauliches Beispiel für die Problematik wissenschaftlichen Vorgehens, ist die Geschichte der Medizin. Aldous Huxley hat das Dilemma schon vor Jahrzehnten ironisch kommentiert, er schrieb: „Die medizinische Wissenschaft hat in den letzten Jahrzehnten so ungeheure Fortschritte gemacht, daß es heute praktisch keinen gesunden Menschen mehr gibt.“
Das ist zu unpräzise gedacht. Das genannte Beispiel ist kein Problem der Wissenschaft, sondern ein Problem des Umgangs mit dessen Erkenntnissen (auch der Hinweis auf Geldgier etc.). Wissenschaft schafft nur Wissen, Fakten. Die Deutung dieser und die Integrsation in unser Leben ist Aufgabe der Philosophie, der Gesellschaft etc.
Ich gehörte ebenfalls lange Zeit zu den Wissenschaftsgläubigen, in der Hoffnung, auf diesem Wege Antworten auf die Fragen nach dem Sinn und Zweck meines Daseins zu finden. Frustriert und ent-täuscht (im wahrsten Sinn des Wortes), wurde ich
Ja, das ist klar. Du hattest Ansprüche an die Wissenschaft, die sie nicht erfüllen kann. Für "Sinn und Zweck" ist sie schlicht nicht zuständig. Wie gesagt.
Womit wir bei der Frage nach der „wirklichen Einsicht“ sind. ... Ich habe erfahren, daß es einen Zustand des Geistes gibt, in dem kein Ich mehr existiert und sich die existenziellen Fragen in Gewißheiten auflösen.
Und selbst das, kann man heute messen. Diese Zustände unseres Gehirns sind durch bildgebende Verfahren visualisierbar. Das beschreibt natürlich noch nicht das ganze Phänomen, es zeigt aber eine materielle Voraussetzung für solches Erleben.
Zusammenfassend möchte ich sagen: Die Sphäre der Wissenschaft sind die Fakten. Diese anzuerkennen ist unumgänglich. Daran führt kein Weg vorbei, sonst landen wir bei den Querlatten, die meinen, wir leben auf einer Scheibe und werden von Reptilien regiert. Die Frage nach "Sinn und Zweck" ist Sphäre der Philosophie und Religion. Wissenschaft kann maximal beantworten unter welchen Bedingungen ein Leben in Zufriedenheit möglich ist (das ist schon relativ gut erforscht), was der Sinn des ganzen sein soll, bleibt hier aber unbeantwortet.
Da die Antworten aus der Philosophie und Religion – wie gesagt – laden dazu ein, sich alles mögliche auszudenken. Alles könnte irgendwie wahr sein. Deshalb ziehe ich es persönlich vor, mir diese Fragen erst gar nicht zu stellen (...Zen ist mir da sympatisch im Umgang mit existenziellen Fragen). Dazu benötigt man etwas, dass die Psychologie "Ambiguitätstoleranz" nennt (die Fähigkeit, Vieldeutigkeit und Unsicherheit zur Kenntnis zu nehmen und ertragen zu können“). Die kann man übrigens durch buddhistische Praxis trainieren.