Beiträge von Sudhana im Thema „Über Viktor Frankl, Gedanken zur Zenpraxis, zum Thema „freier Wille“ und über die vier großen Gelübde“

    eine Essenzlehre

    Nur eine kurze Anmerkung bzw. Hinweis dazu - der aktuelle Diskurs zu dem Thema (soweit man bei 20. Jhdt. von 'aktuell' sprechen kann) hängt sich natürlich nicht an der Frage einer "Essenzlehre" auf - darauf kann man auch nur bei Unkenntnis des Yogācāra kommen. Es geht vielmehr darum, dass das Yogācāra angeblich eine auf Nichtunterscheidung beruhende Identitätstheorie voraussetzt, die wiederum insbesondere von Candrakīrti aus Madhyamika-Sicht kritisiert wurde (wo dann übrigens die für den tibetischen Buddhismus wichtige Debatte über extrinsische und intrinische Leere ansetzte). Das wurde kritisch erneut insbesondere von Matsumoto Shirõ und Hakamaya Noriaki ('Critical Buddhism') aufgegriffen.


    Okay, damit bin ich aus dem Thema raus. Sorry wegen der Unterbrechung.

    Mir fehlt jetzt ein bisschen der Bezug zum Text. Mag mir jemand helfen.

    Es war nach einer Definition von 'Soheit' gefragt; die habe ich gegeben.


    Ansonsten werde ich mit Sicherheit hier nicht weiter über Naiven Realismus diskutieren - das hat weder mit dem Thema des Threads noch mit Zen (oder Buddhismus) etwas zu tun. Wenn Ratio eine Kritik des Yogācāra aus Sicht des Realismus loswerden will, möchte ich ihm das Unterforum 'Dialog der Philosophien, Religionen und Freidenker' empfehlen (und vorsichtshalber schon mal mein Desinteresse anmelden). Und zunächst einmal eine eingehendere Auseinandersetzung mit dem Yogācāra. Einen kostenlosen 'Grundkurs' werde ich hier sicher nicht geben. Vielleicht zum Einstieg von William Waldron 'Buddhist Steps to an Ecology of Mind: Thinking about 'Thoughts without a Thinker' und von Dan Lusthaus 'What is and isn't Yogacara' lesen. Zur Vertiefung Stefan Anacker, Seven Works Of Vasubandhu, Motilal Banarsidas 2002 - Review hier.

    Es ist eben nicht geistig, denn wir sehen ja Buchstaben, Pixel, Bilder, wie immer man das auch nennen mag. Das Forum selbst gründet auf Programmierung.

    Das ist ein ziemlich unreflektierter Materialismus. Buchstaben, Pixel, Bilder (oder auch eine Programmierung) sind nichts per se Existierendes. Es sind Dinge, die mit den skandhas ergriffen werden und daher als Bewusstseinsobjekt auftreten - mithin rein geistig.

    was kann und soll man denn darunter verstehen?

    Soheit (Skt. tathatā oder bhūtatathatā, 真如 zhenru / shinnyo) ist im Mahāyāna ein zentraler Begriff. Die 'klassische' Definition stammt von Vasubandhu, Verse 21 bis 25 seiner Triṃśikā Vijñaptimātratāsiddhiḥ (30 Verse über Vijñaptimātra / 'Nur Bewusstsein').

    Daher wäre es auch nicht richtig vom Buddha als ein "Was" im Sinne eines Wesens zu sprechen. Das was irgendeine "Wesenartigkeit", die Persönlichkeit (sakkāya) ist, nämlich die pañcupādānakkhandhā, treffen nicht mehr zu. Da waren nur pañca`kkhandhā.

    Nun ja - grundsätzlich wäre es auch nicht richtig, vorn irgendetwas (beispielsweise Dir oder mir) "im Sinne eines Wesens zu sprechen".;) Nun könnte man bei Dir oder mir stattdessen von einer 'Funktion' sprechen, als Ausdruck wechselseitigen Beziehung der skandhas als 'Definitionsbereiche'.


    Natürlich kennt man auch im Mahāyāna das sopadhiśeṣa-nirvāṇa (有餘涅槃, uyo nehan), d.h. nirvāṇa mit [skandha-]Überresten. Im Mahāyāna wird das sopadhiśeṣa-nirvāṇa als Erlöschen aller Ursachen von Wieder-werden (also Versiegen des 'Durstes') verstanden; mit dem nirupadhiśeṣa-nirvāṇa (無餘涅槃, muyo nehan), d.h. nirvāṇa ohne körperliche (rupa) Überreste, versiegen auch die Folgen vollständig. Damit ließe sich zumindest eine Teilantwort auf die Frage, was den Dharma lehrt(e) geben: skandha-Überreste. Wobei die Präsenz eines rupaskandha evident ist und offensichtlich auch der saṃskāraskandha unter dem Willensimpuls (cetanā) funktioniert, einen Weg zur Überwindung von duḥkha aufzuzeigen. Was ja angeblich Verblendung sein soll ...


    Wichtige Ergänzung: im Yogācāra (konkret im Yogācārabhūmi-Śāstra und in Xuanzangs Cheng Weishi Lun) definiert man noch zwei weitere Formen von nirvāṇa, zum einen die ursprüngliche Soheit (tathatā) allen Seins sowie das apratiṣṭhita-nirvāna (無住涅槃, mujū nehan) d.h. 'nicht-fixiertes nirvāna'. Die Fixierung, von der hier die Rede ist, ist eine Fixierung entweder auf nirvāna oder auf saṃsāra. Das Nichtfixieren ermöglicht den Wandel in saṃsāra, ohne daran zu haften und so aus dem großen Mitgefühl (mahākaruṇa) heraus ohne Anhaftung zu handeln. Das ist das Bodhisattva-Ideal, das übend angestrebt wird.

    Der Pali-Kanon ist hingegen recht eindeutig, was das Ich oder Ego anbetrifft.

    Darf ich daran erinnern, dass wir hier im Forum 'Chan/Thien/Seon/Zen - Buddhismus' sind? Soll das hier eine Diskussion sein, ob das Bodhisattva-Ideal im Sinne theravadischer Dogmatik orthodox ist? Dann bitte ins Theravada-Forum verschieben.

    die Frage, was da einer 45 Jahre gelehrt hatte, oder was da den Dharma gelehrt hatte, beantwortet das Diamant-Sutra in Abschnitt 7

    Nun ja - genau genommen sagt das nur, was es nicht war. Aber sicher, wie ich ja bereits schrieb:


    Zitat

    Sicher gibt es kein Ego als ein Ding, eine Substanz. Es gibt Ego als 'Sicht' - ātmadṛṣṭi. Eine viparyāsa (kognitive Fehlhaltung). Die Überwindung dieser Sicht in der Bodhisattva-Übung weist das Kongō-kyō (Diamantsutra).

    Wobei ich jetzt mal vermute, Bosluk würde Abschnitt 7 nicht so einleuchtend finden. Aber okay, hängen wir es mal etwas tiefer: was spricht die shi gu sei gan? Die spielen im Thema des Threads ja irgendwie auch eine Rolle ... Stattdessen zanken wir um Begrifflichkeiten. Okay - 'Ego' ist bzw. war in unserem Kontext ein missverständlicher Begriff, den man besser meidet. Gut, dass wir darüber gesprochen haben ...


    Wobei ich selbst es auch weniger mit dem 'Abschneiden' (was sollte was wovon abschneiden?) als mit der Transformation habe. Aber wie das mit den Namen ist und da wir uns ja auch über den 'Diamantschneider' unterhalten noch ein Zitat aus dem Abschnitt, auf den Honin schon verwiesen hatte, dem sechsten:

    Zitat

    Sie werden nimmermehr die Vorstellung von einem ātman, einem sattva, einem jīva oder von einem pudgala haben. Sie werden weder die Vorstellung von einem dharma noch die Vorstellung von einem adharma haben. [...] Selbst wenn sie die Vorstellung von einem dharma ergreifen würden, würden sie ebenfalls einem ātman, einem sattva, einem jīva oder einem pudgala anhaften. [...] Selbst wenn sie die Vorstellung von einem adharma ergreifen würden, würden sie ebenfalls einem ātman, einem sattva, einem jīva oder einem pudgala anhaften. Deshalb solltest du weder einen dharma ergreifen, noch solltest du einen adharma ergreifen.

    Und ich bin skeptisch, dass jeglicher Versuch des Ich-Erleben (Asmimāna) nutzen zu Wollen zum Aufhören desselben führen kann.

    Das tut es auch nicht und das soll es ja auch nicht. Die Bodhisattvagelübde sind der (vorläufige) Verzicht auf das "Aufhören" und sie definieren auch das "nutzen". Aber warum beantwortest Du meine Frage nicht?

    Was lehrte da eigentlich 45 Jahre lang den Dharma?

    ... wo sich hinzufügen ließe 'wie' und 'warum' ...

    Das klingt für mich nach einer Empfehlung die Welle des Egos

    Vermutlich, weil Dir die shi gu sei gan nichts sagen. Es geht hier um eine altruistische Motivation der Praxis und deren entsprechende Ausrichtung. Das Bodhisattva-Modell. Die Motivation des Buddha, den Dharma zu lehren.


    Was das Reizwort 'Ego' angeht - ich habe das so 'unschuldig' aufgefasst, wie es von der Zitierten gemeint war (auch wenn ich sonst selbst eher ein Wortklauber bin) ...

    In meinem Text bezog ich mich auf den denkenden Geist, welchen ich mit Ego gleichgesetzt habe.

    Das Ego, dessen Quelle der Durst ist, versiegt mit diesem. Die empirische Person, der puggala, verschwindet nicht notwendig mit ihm - wenn seine Motivation nicht länger eine egoistische oder gemischte ist, sondern eine rein altruistische (selbst-lose). Ein nicht-egoistisches Ego mag ein Widerspruch in sich sein, doch für die Sinne eines gewöhnlichen Menschen ist da kein Unterschied. Das sieht aus wie ein Ego, hört und fühlt sich an wie eines, riecht und schmeckt wie eines. Was lehrte da eigentlich 45 Jahre lang den Dharma?

    Es gibt kein Ego. Aber es gibt die (falsche) Vorstellung von Ich, Mein und Selbst - und diese falsche Vorstellung wird genährt durch die fünf skandhas - Körper, Wahrnehmung, Gefühl, Bewusstsein, Geistobjekte (sankhara)

    Sicher gibt es kein Ego als ein Ding, eine Substanz. Es gibt Ego als 'Sicht' - ātmadṛṣṭi. Eine viparyāsa (kognitive Fehlhaltung). Die Überwindung dieser Sicht in der Bodhisattva-Übung weist das Kongō-kyō (Diamantsutra).

    In MN 9 wird gezeigt, dass Gier, Hass und Unwissenheit es sind, die diese Illusion am Leben erhalten und daher ist es Unsinn, wenn man meint, man könne die Illusion nutzen, um Illusion zu beenden. Unwissenheit wird dadurch nur aufrecht erhalten.

    Das "und daher ist es Unsinn usw ..." ist jetzt aber Deine Schlussfolgerung - oder steht das so im Sutra? Was ist dieses MN 9, das Du da ergreifst, um es zu zitieren, anderes als eine Illusion? Das heisst ja nicht, dass es nicht hilfreich ist, eben saṃvṛtti satya. Prapañca, die im diskursiven Denken entfaltete Vorstellung, weist selbst die Mittel und Wege zu ihrer Dekonstruktion.

    Zitat

    Im Allgemeinen studieren alle buddhistischen Weisen in ihrer Ausbildung zwar, wie man Verstrickungen (kattō) an ihrer Wurzel abschneidet, aber sie studieren nicht, wie man Verstrickungen abschneidet, indem man Verstrickungen benutzt. Sie erkennen nicht, dass Verstrickungen Verstrickungen verstricken. Wie wenig wissen sie, was es heißt, Verstrickungen in Form von Verstrickungen zu übertragen. Wie selten erkennen sie, dass die Übertragung des Dharma selbst eine Verstrickung ist.

    Dōgen Zenji, Shōbōgenzō Kattō

    Wir sind, was wir tun. Was wir tun, ist konditioniert. Mehr ist nicht dran am 'karma'.


    Konditionierung lässt sich überwinden, wenn sie erkannt wird. Also durch Wissen, jñāna (chi 智). Doch den unfreien Willen überwindet kein freier Wille - der ist ein Widerspruch in sich; cetanā lässt sich nicht "befreien", d.h. von seinen Bedingungen / Konditionen lösen. Es ist der freie Unwille, der sich der Konditionierung entziehen kann.


    Was an unfreiem Willen bleibt, lässt sich durch die Freiheit des Unwillens heilsam ausrichten - etwa durch die shigu seigan. "Das Ego nutzen, nicht abschneiden". :like: Diese Ausrichtung - eine Umkonditionierung - ist ein Aspekt von Freiheit: der Freiheit zu etwas. Ohne ihn ist die Freiheit von etwas bedeutungslos. Freiheit zu etwas zu nutzen heisst, sie für eine neue Bindung aufzugeben. Diese gilt es weise zu wählen.