Beiträge von Sudhana im Thema „Soto Zen ohne Lehrer reine Zeitverschwendung?“

    Wenn man eine Woche gemeinsam in Stille sitzt, ein Sesshin, dann ändern sich die Begegnungsebene.

    Ich würde vor dem Punkt noch ein "n" setzen (statt das zweite in "ändern" mit einem "t" zu tauschen :) ). Es ändert sich nicht nur die "Begegnungsbene" mit dem Lehrer sondern auch die mit den Mitübenden, die eine andere ist. Wenn du mal mit Jemandem ein Rohatsu gesessen hast, dann 'kennst' du ihn, auch wenn ihr kaum ein paar Worte gewechselt habt. Um das "gemeinsam" nochmals aufzugreifen ...

    Nach meinen Erfahrungen ist der beste Korrekturfaktor das tätige Vorbild des Lehrers

    Natürlich. Das Verhältnis Lehrer-Schüler ist ein Rollenspiel mit der impliziten Voraussetzung, dass der Lehrer 'role model' ist. Deswegen empfiehlt es sich dringend, bei der Prüfung des Lehrers auch sein 'Privatleben' etwas im Auge zu haben, ob einem dies wirklich modellhaft erscheint. Von einem Lehrer darf man erwarten, dass den Weg nicht nur kennt, sondern auch geht.


    Womit sich die Frage stellt, wie es mit Erwartungen an das 'role model' seitens des Schülers aussieht. Das sind nicht notwendig bei allen dieselben. Da gibt es viele Modelle von Töpfen und nicht auf jeden passt derselbe Deckel.


    Nun, wir haben halt alle so unsere 'Modelle'. WYSIWYG ist mein bevorzugtes. Trotzdem ist es zweifellos auch ratsam, Modell und reale Person nicht zu verwechseln. Auch Lehrer sind nur Menschen - und Buddhas sind wir selbst, ob wir es nun wissen oder nicht.

    Aus diesem Gesichtspunkt heraus, zweifle ich dann aber die Behauptung an, die man in vielen Internet-Foren findet, dass ein Praktizieren von Zen (speziell die formale Praxis des Zazens) ohne Sangha und Lehrer komplett fruchtlos bleibt und es quasi zur gar keiner Weiterentwicklung auf dem Weg kommt.

    Das halte ich auch für nicht richtig. Es gibt Menschen, die sich - aus welchen Gründen auch immer - mit nur wenig Hilfe und Unterstützung begnügen müssen. Selbststudium klassischer Literatur - da mag jetzt die Nase rümpfen, wer will - ist da oft eine große Hilfe und kann bei ernsthafter Übung auch einiges ersetzen.


    So oder so ist es ohnehin sinnvoll, erst mal alleine anzufangen - vor allem mit dem Sitzen. Da ist auch ein guter Yogalehrer eine Hilfe, auf die man vielleicht zurückgreifen kann (VHS evt.). Wenn man dann täglich ein Weilchen still sitzen kann, erwacht erfahrungsgemäß auch der Wunsch, mal einen ganzen Tag (oder zwei, drei ...) dem Sitzen zu widmen - mit Pausen natürlich, die man dem Schweigen widmet. Und, wenn man das Sitzen gemeinsam mit Anderen tut, dem Dienst an diesen Anderen. Wozu etwa auch Rezitationen gehören und das Anhören von teisho, den Dharma - Darlegungen von Lehrern. Das 'Gemeinsame' ist nun einmal geregelt, ohne Regeln keine Gemeinsamkeit im Handeln und Nicht-Handeln. In vielen Übungsgemeinschaften stark kultisch / liturgisch geregelt, was nicht jedermanns Sache ist. Aber da gibt es auch 'säkulare' Alternativen, wenn man etwas sucht.


    Wobei das ohnehin nur Angelegenheiten der Form sind, nichts Heiliges oder Wichtiges. Grundsätzlich geht es um die Übereinstimmung in der Übung und dabei hilft die Form (die zunächst unnötig kompliziert erscheinen mag) als Objekt der Achtsamkeit. Das man dann im Wechsel zum Zazen bis zum Klang der Glocke wieder loslässt.


    Wenn man das einige Male mitgemacht hat, dann sitzt man auch zu Hause gemeinsam - mit allen Wesen. Ohne die konkrete Erfahrung in der Übungsgemeinschaft ist dieses 'gemeinsam Sitzen' schwer zu aktualisieren, stelle ich mir vor. Aber auch da kann Textstudium eine Hilfe sein, insbesondere unter Orientierung an Kannon Bosatsu. Vielleicht das kanromon aus dem Lotossutra, das ja auch zur klassischen Sōtō-Liturgie gehört (also regelmäßig rezitiert wird). Oder der Abschnitt über die Praxis des Lauschens auf das Schreien der Welt - also Kannons Praxis - im Shuryōgon kyō (Śūraṃgama-sūtra), das auch einen hilfreichen Abschnitt über bonnō (kleśa) enthält, wenn ein Lehrer als Korrektiv fehlt.

    Wobei das wiederum der nötigen Distanz in einem solchen Verhältnis schaden könnte.

    Es dient dem wechselseitigen Kennenlernen - mithin schon vom Ansatz her dem Aufheben von Distanz. Das Kennenlernen ist wichtig wegen der genannten Verpflichtungen. Es ermöglicht Vertrauen als deren Voraussetzung. Ist Vertrauen nicht gegeben bzw. entsteht es durch die Nähe nicht, so ist in dieser Phase des Kennenlernens ein Wieder - Distanzieren für keine Seite ein Problem. Das ist das wechselseitige Prüfen von Lehrer und Schüler.


    Ansonsten - um einem möglichen Missverständnis vorzubeugen: dieses Kennenlernen hat eine Form. Diese Form ist zunächst das gemeinsame Sitzen - und zwar nicht am Kaffeetisch, sondern in der Zendo. Es zeigt beiden, wie sich das Zazen des potentiellen Bewerbers in das Zazen der Übungsgemeinschaft einfügt. Auch, an welchen Defiziten da noch gearbeitet werden muss.


    Sodann ist diese Form das vertrauliche Einzelgespräch, dokusan, wobei einige Verhaltensregeln zu beachten sind. Kein Kaffekränzchen, Dinner beim Japaner oder Betriebsausflug. Es geht nicht um Kumpanei, sondern um eine Arbeitsbeziehung. Dass sich aus letzterer auch eine 'private' Freundschaft entwickeln kann - insbesondere wenn Dankbarkeit ins Spiel kommt - steht auf einem anderen Blatt. Wobei die nach wie vor bestehende Arbeitsbeziehung der Freundschaft Form und damit Grenzen vorgibt. Die leider manchmal auch überschritten werden, wenn ein Lehrer seiner Verantwortung nicht gerecht wird und sich damit selbst disqualifiziert. Auch das ist wechselseitiges Prüfen.

    Mit einem Lehrer gibt es dann auch Verpflichtungen und die Annahme der Bodhisattva-Gelübde gehören da im Soto dazu.

    Danke. Nur hierzu noch eine Anmerkung. Vorsorglich die Warnung: sie wird etwas länger.


    Ein Lehrer-Schülerverhältnis ist eine wechselseitig mit Verpflichtungen eingegangene Beziehung. Wobei der Lehrer seiner Verpflichtung nicht entbunden ist, wenn der Schüler seinen nicht nachkommt. Die Annahme eines Schülers muss daher auch von Seite des Lehrers gut bedacht sein und nicht jede Anfrage wird gleich positiv beschieden. Da sollte man schon ein paar mal miteinander gesessen und gesprochen haben. Zumindest kann man dann auf die Anfrage hin einen wohlgemeinten Rat erwarten, was oder wer besser zu einem passen würde.


    Nun, die Gelübde ... "Verpflichtung" ist da vielleicht zu viel gesagt. Aber in der Regel ist zumeist dem Schüler aus eigener Sicht klar, dass die kai der auf die Annahme als Schüler logisch folgende nächste Schritt sind. Es geht ja nicht nur darum, das Sitzen zu üben. Das ist dann auch die Zeit, wo häufiges dokusan insbesondere hilfreich beim Erfassen der Bedeutung der kai ist. Auf deren Empfang man sich vielleicht auch durch das eigenhändige Nähen des rakusu vorbereitet, von 'Buddhas Gewand'. Das dauert schon mal eine Weile, auch und gerade, wenn man als Schüler da drängelt. Wer dann andererseits Probleme wegen der religiösen und rituellen Formen hat, wird sicher nicht zur Annahme der Gelübde gedrängt, er sollte nur offen mit seinem Lehrer darüber sprechen. Die, die ich kenne, haben mit Säkularisten kein Problem, so lange die kein Problem mit den Übungsformen der Gemeinschaft haben.


    Die Gelübde jedenfalls sind es dann, die unser alltägliches soziales Verhalten zuverlässig leiten und so den Lehrer ein Stück weit entlasten können. Sie sind die Form des Zazen und seine Leere. Da fängt man dann an, die ersten Schritte auf dem Weg zu gehen, ohne sich an eine andere Hand zu klammern. Als 'Gehhilfe', wie es im Sanitätsjargon heisst, bewahren die kai vorm Stolpern. Mit der Zeit wird ein flotter Spazierstock oder robuster Wanderstab daraus ...


    Im Unterschied zur persönlichen Beziehung, die die Aufnahme einer Lehrer-Schüler-Beziehung darstellt, stellt der Empfang der Gelübde eine Beziehung zur Sangha und zur Tradition des Sōtō her, durch einen öffentlichen Initiationsritus. Die Initiation kann als Laie oder als Priester (trifft es besser als 'Mönch') empfangen werden - die Gelübde unterscheiden sich dabei nicht.


    Die eingangs dieses Threads vorgestellten shi gu sei gan, die vier 'großen Gelübde', sind mit keiner Initiationszeremonie verbunden, sie gehören zu den täglichen Rezitationen in den Ausbildungstempeln und ihre Rezitation ist auch bei Sesshin häufig Teil des Tagesablaufs.

    Ist dies (temporär oder noch nicht) nicht gegeben, dann gehe ich aufgrund Indizien aber auch logischem Verstand davon aus, dass das Praktizieren auf "eigene Faust" ohne Lehrer und Sangha zwar zu Limitierungen führt (wie schnell geht es voran, wie weit geht es voran...), aber nicht gänzlich ohne Entwicklung bleibt.

    Das sehe ich auch so. Zazen - egal unter welchen Bedingungen man es übt - ist nie Zeitverschwendung. Sieht nur so aus ... :)

    Um mit dem 'Betreff' zu beginnen - es ist stark von den Ausgangsbedingungen abhängig (den 'Fähigkeiten', und Erfahrungen, die jemand mitbringt), ob bzw. wie sehr man für Sōtō-Zen, also die von Dōgen übermittelte Übung des Weges, einen Lehrer braucht. Theoretisch ist es sicher möglich, das alles aus den Schriften Dōgens zu lernen, wenn man sie (und das ist der entscheidende Punkt) übend liest - d.h. umsetzt / aktualisiert. Zentral im Zazen. Das dürfte nur äußerst selten gelingen, in der Regel bleibt man da stecken und gibt früher oder später frustriert auf. "Zen bringt nix? Haha - verarschen kann ich mich selbst ..."


    Erfahrungsgemäß tauchen beim Einüben des Zazen in der formlosen Form des shikantaza verschiedene Probleme auf - mentaler und somatischer Art. Evt. auch schlicht praktischer Art oder gar sozialer Art. Die Beratung durch kalyāṇamitras - wenn man sie denn annehmen kann - kann da eine große Hilfe sein. Kalyāṇamitra ('guter und tugendhafter Freund') ist die ursprüngliche Bezeichnung für 善知識, zen chishiku, was auch dasselbe bedeutet. Das, was bei uns so gerne mit "Meister" übersetzt wird. Das muss nicht laufen wie eine Handwerkslehre nach japanischer Zunftordnung, das ist eher etwas für Geschäftsleute. 'Lehrer' (bzw. 'Lehrerin') passt eigentlich ganz gut, wenn man da auch pädagogischen (und nur den) Eros mitdenkt. Und - es ist durchaus sinnvoll, sich verschiedene Lehrer/innen und ihren Lehrstil anzuschauen, bevor man sich für jemanden entscheidet und ihn dann fragt. Am besten für solch ein 'Testen' eignet sich ein Sesshin oder Zazenkai - da lernt man auch die Übungsgemeinschaft kennen. Nichts sagt zuverlässiger etwas über einen Lehrer / eine Lehrerin aus als die unter seiner/ihrer Betreuung übende Gemeinschaft.



    Was man nicht erwarten sollte, ist, dass man dann ständig am Händchen genommen und herumgeführt wird. Wenn einem einer so kommt, verdrückt man sich am besten schnell. Du musst deinen Weg schon selbst suchen und finden. Du bekommst dabei Unterstützung und Beratung - von jemandem, der auf seinem Weg schon etwas länger unterwegs ist. Ruckzuck geht das alles nicht, das Einüben braucht seine Zeit. Da kann es durchaus ausreichend sein, zwei- bis dreimal im Jahr um ein (oder mehrere, im Rahmen eines sesshin) dokusan zu bitten. Der Bedarf nach Unterstüzung und Hilfestellung reduziert sich ja auch mit der Zeit - was ja schließlich Sinn der Sache ist.


    Den wichtigsten Punkt habe ich noch gar nicht angesprochen. Ohne Lehrer hat man kein Korrektiv, wenn man auf den Holzweg gerät, ohne es zu merken. Der hört dann irgendwann auf und man meint, man sei am Ziel, während man nur irgendwo knöcheltief im Dreck steckt.

    Also erste Frage, ab wann gilt ein Lehrer eigentlich als "wirklicher" Lehrer?

    [Ich bitte um Nachsicht, wenn ich mir fortan das etwas umständliche Gendern spare]

    Der Schüler macht den Lehrer und der Lehrer den Schüler. Anders gesagt - da findet eine Übertragung statt. Und zwar primär eine Übertragung von Herz/Geist zu Herz/Geist. Das setzt eine große Offenheit des Schülers voraus - und eine solche Offenheit kann auch missbraucht werden und zu Verletzungen führen.


    Es gibt wegen dieses Missbrauchspotentials auch eine sekundäre, formale Übertragung. So 'ne Art Waffenschein. Diese formale Übertragung definiert den Kreis derer, die von ihren Lehrern als befähigt beurteilt wurden, das Erlernte und Erfahrene selbst zu lehren - es weiter zu übertragen. Das ist so etwas wie eine wechselseitige Bürgschaft.


    Okay, der Haken an der Sache ist klar - eine Garantie, nicht an den Falschen zu geraten, sind auch saubere Papiere nicht immer, wie man weiß. Ein eigenes Urteil bleibt einem da nicht erspart. Deswegen sollte es wohl abgewogen sein.


    Dazu ein weiterer Punkt. Wie oben schon angedeutet, spielt Sangha, die konkrete Übungsgemeinschaft, eine wichtige Rolle. Das 'dritte Juwel' ist ebenso Lehrer wie ihr Leiter. Wer nie in und als Gemeinschaft geatmet und Zazen geübt hat, hat etwas verpasst.

    Viele historische Zen-Praktizierende habe ja großteils recht einsiedlerisch gelebt und ohne Lehrer in Abgeschiedenheit praktiziert - ich denke, dass diese trotzdem Entwicklung auf dem Weg erfahren haben.

    Ja und ja. Wobei sie sich auf diese Weise zurückgezogen haben, nachdem sie keinen Lehrer mehr brauchten. Oder sogar erst (wie Jōshu), nachdem ihr Lehrer, den sie bei seinen Aufgaben unterstützten, verstorben war. Es ist die Phase der Übung, den die klassischen 'Ochsenbilder' 7 -9 beschreiben. Dabei kann und braucht auch kein Lehrer mehr helfen. Aber zunächst ist es erst einmal sinnvoller, am 4. Bild zu arbeiten. Dann kann man weiter sehen ...