Diese Argumente hört man bei der Aufklärungsarbeit zu Missbrauch in der bud. Community häufiger:
Was geht es mich an?
Die meisten bud. Gruppen sind doch okay, leisten eine gute Arbeit, darüber spricht dann aber keiner.
Wenn man über das Missbrauchsthema spricht, sich empört, was falsch läuft, dann erzeugt das eine negative Dynamik. Es hinterlässt den Eindruck, alles wäre schlecht.
Zunächst einmal waren das nicht meine Argumente. Zum anderen sind Argumente nicht deshalb falsch, weil es sie gibt.
Ich habe geschrieben, dass es mich etwas angeht, wenn ich mittelbar oder unmittelbar beteiligt oder verantwortlich bin. Wenn es einen Missbrauchsfall in einem tibetischen Kloster in den 90er Jahren gab, bin ich als Zen-Praktizierender in Maulbronn weder verantwortlich noch beteiligt. Es berührt meine Lebenswirklichkeit nur als Nachricht, und all meine Aufregung wird in Tibet weder etwas zum Positiven noch zum Negativen verändern.
Ich hatte gefragt, was es meiner unmittelbaren Praxis, der Sangha in meiner Stadt oder meinem Verständnis der Lehre dient, wenn ich das Thema Missbrauch zu "meinem" Thema mache. Es kann ja sein, dass es allen dreien dient. Aber inwiefern?
Was die negative Dynamik angeht, so kommt es bei einem bekannt gewordenen Missbrauchsfall z.B. in der katholischen Kirche gerne einmal zu tausenden von Kirchenaustritten. Wenn eine Nonne in einer Stadt regelmäßig Alte und Sterbende besucht und ihnen hilft, mit dem Leiden fertig zu werden, wird das meist weder bekannt noch führt das zu tausendfachen Kircheneintritten. Es wird nicht alles schlecht gemacht. Was aber schlecht gemacht wurde, kann nur schwer wieder gutgemacht werden.
Nein, es macht Dir nur ein schlechtes Gefühl. In Wahrheit schafft es Bewusstsein für ein Problem. Dieses Bewusstsein hilft, zukünftig Missbrauch zu verhindern und schützt so Menschen.
Ich habe kein schlechtes Gefühl dabei. Allerdings bemerke ich beim Gespräch mit vielen Menschen meines Umfeldes, dass oft nur noch ein Zerrbild von Kirchen und allgemein Religion existiert, das mit der gelebten Wirklichkeit vor Ort nicht viel zu tun hat. Das liegt aber allgemein daran, dass oft Teile der Wirklichkeit nur noch über Medien wahrgenommen werden, die diese Wirklichkeit so abbilden, dass es Aufmerksamkeit und somit Geld generiert. Und das geht – wie ich oben bereits schrieb – am besten über Darstellungen, die Menschen negativ triggern (Wut, Angst, Neid, Verachtung, Empörung, etc.).
Als Beispiel folgendes:
Nehmen wir statt des Missbrauchs in buddhistischen Gemeinschaften Banden-Kriminalität in muslimischen Parallelgesellschaften. Beides existiert. Bei dem Beispiel mit den Muslimen haben wir aber zum einen mittlerweile gelernt, dass man von Phänomenen, die zu bestimmten Zeiten, in bestimmten kulturellen Kontexten oder unter spezifischen sozialen Bedingungen auftreten, nicht auf die Communitys als ganze schließen darf. Zum andern haben wir gelernt, dass die mediale Ventilation von negativen Ereignissen der ganzen Community enormen Schaden zufügen, Vorurteile nähren und (im Falle der Muslime) Ausländerfeindlichkeit den Boden bereiten kann.
Sobald z.B. ein Syrer in der S-Bahn aufgrund von Kriegstraumata oder psychischen Problemen oder sonstigen Gründen gewalttätig wird, fällt das auf die gesamte muslimische Community zurück. Fragen kommen auf, ob nicht der Islam insgesamt schon strukturell solche Gewalt nähren würde, etc.. Man kennt das alles. Dabei werden auch alle Differenzierungen aufgegeben. Plötzlich gibt es nur noch "den Islam", "den tibetischen Buddhismus", "den Zen".
Was dabei geschieht, ist, dass vom Islam – um zum Beispiel zurückzukehren – irgendwann nur ein Zerrbild in der öffentlichen Wahrnehmung bleibt, dass Muslime, egal ob gläubig, gewalttätig, radikal oder nicht, unter Generalverdacht gestellt werden. Zudem wird oft genug die Religion als Grund für Auffälligkeit herangezogen. Soziale Verwerfungen, Bildungsdefizite, kulturelle oder psychische Dispositionen, strukturelle Gewalt gegen Ausländer, werden dabei geflissentlich übersehen, weil die Religion scheinbar offensichtliche Gründe genug bereitstellt, um asoziales Verhalten, Gewalt oder Missbrauch zu rechtfertigen. Dabei ist sind es oft genug andere Gründe, die nicht unmittelbar etwas mit der Religion zu tun haben. So wird aus: "Jemand ist gewalttätig und ist Moslem" schnell "Jemand ist gewalttätig, weil er oder sie Moslem ist".
Missbrauch entsteht wahrscheinlich in allen menschlichen Kontexten, in den es ein Machtgefälle gibt. Es ist sicher sehr gut, sich darüber Gedanken zu machen und über Gefahren aufzuklären. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um buddhistische, islamische oder katholische Glaubensgemeinschaften, Unternehmen, Schulen, Familien oder Sportvereine handelt. Das Problem ist Machtmissbrauch, nicht grundsätzlich das System Schule, Familie, Verein oder Religion.