Beiträge von Thorsten Hallscheidt im Thema „Aufarbeitung von Mißbrauch im Buddhismus“

    Alle Religionsgemeinschaften. ob groß oder klein zeichnen sich durch nicht-demokratische Strukturen aus. Es gibt höchstens neben der Spirituellen Leitung eine Vereinsstruktur, die aber vor allem den Sinn hat, Mitgliedsbeiträge und Steuervorteile nach dem deutschen Vereinsrecht zu erhalten.

    Dann gibt es das Problem der Schüler-Lehrer-Beziehung, die die Quelle von Missbrauch ist und die m.E. vollständig fallen gelassen werden kann und sollte.

    Es gibt viele Systeme, die nicht demokratisch sind und auch nicht vollkommen demokratisch sein können. Das ist bei allen Systemen so, bei denen es ein Gefälle an Wissen und Erfahrung gibt, oder wo die einen den Zugang zu etwas ermöglichen können, was die anderen gerne hätten. Schulen und Universitäten können beispielsweise nicht demokratisch organisiert sein. Es ist sinnlos, demokratisch zu entscheiden, was und wie gelernt wird. Im besten Falle profitieren die Schüler vom Wissen und der Erfahrung der Lehrerenden. Das kann eine Quelle von Missbrauch sein, muss aber nicht. Jedenfalls würde es bedeuten, das Kind mit dem Bade auszuschütten, würde man die Universitäten oder Schulen oder Theater oder die Filmindustrie oder Turnvereine abschaffen wollen, weil es dort zu Missbrauchsfällen kommt.

    Da liegt die Wurzel des Missbrauchs bereits und daraus folgt dann alles andere - denn Gier, Hass und Verblendung sind nicht überwunden, sondern werden als und mit der Weltanschauung weiter gepflegt.

    Das läuft bei allen Religionen so: anfangs steht eine Einsicht, ein Erwachen und dann kommen die Anhänger, die das zum Überleben gebrauchen wollen und sich als die Einsichtigen über die anderen erheben wollen.

    Ja, da ist leider einiges dran.

    Davor bewahrt die Übung von upekṣā - und genau dies unterscheidet diese parami von bequemer Gleichgültigkeit. Upekṣā setzt einen ebenfalls möglichst emotionsfreien Blick auf das Selbst voraus. Mit diesem Selbst und mir bin ich im Reinen. Das mag "maßlos überheblich" finden, wer immer will.

    Auch schön. :)

    So kann man auch eine falsche Fährte legen.

    Der emotionsfreie, gleichmütige Blick ist es nicht, der mir überheblich schien, sondern das arrogante Urteil über Leute (hier Fische genannt), die nur "Nektar und Ambrosia" wollen. Diese Arroganz gegenüber Menschen, die sich einer Religion zugehörig und tief verbunden fühlen, die (trotz aller Probleme) Hoffnung und Vertrauen in ein Lehr-System legen, zeugt nicht von Upekṣā sondern von Dünkel, Stolz und Überheblichkeit. Upekṣā ist unvollkommen, wenn Mettā Pāramī fehlt.


    Es ist ohne weiteres möglich, sich trotz aller Skandale, Probleme, und Missstände einer Weltanschauung und ihren Vertretern verbunden zu fühlen, ohne blind, taub oder naiv zu sein. Das geht, indem man sich der Missstände bewusst ist, und diese benennt und versucht von innen zu verändern.


    Der arrogante, zynische, herabwürdigende Blick von außen bekommt schnell leicht verdienten Applaus, dient aber weder der Aufklärung noch der Besserung der Situation.

    Wo ist das Problem? Baden im Mittelmeer ist nicht lebensnotwendig.

    Nein, aber es ein wunderschönes Erlebnis im Meer zu schwimmen und zu tauchen.


    Warnungen können zu einer verzerrten Wahrnehmung führen. Es gibt Feuerquellen im Mittelmeer. Allerdings ist ein Kontakt mit diesen Tieren selten und die allergischen Reaktionen schmerzhaft, aber zumeist harmlos. Die Warnung vor Feuerquellen übertreibt die Gefahr und behindert die Möglichkeit, schöne Erfahrungen zu machen.

    In Sachen Klimawandel sind mein Umfeld und ich direkt beteiligt und unmittelbar mitverantwortlich. Mein Argumentieren und Tun kann direkt etwas verändern. Alle Menschen, unabhängig von Religion, Herkunft oder Weltanschauung sind für den Klimawandel mitverantwortlich, ebenso wie in allen zwischenmenschlichen Beziehungen, in denen Macht eine Rolle spielt, Missbrauch entstehen kann.

    Diese Argumente hört man bei der Aufklärungsarbeit zu Missbrauch in der bud. Community häufiger:

    Was geht es mich an?
    Die meisten bud. Gruppen sind doch okay, leisten eine gute Arbeit, darüber spricht dann aber keiner.
    Wenn man über das Missbrauchsthema spricht, sich empört, was falsch läuft, dann erzeugt das eine negative Dynamik. Es hinterlässt den Eindruck, alles wäre schlecht.

    Zunächst einmal waren das nicht meine Argumente. Zum anderen sind Argumente nicht deshalb falsch, weil es sie gibt.


    Ich habe geschrieben, dass es mich etwas angeht, wenn ich mittelbar oder unmittelbar beteiligt oder verantwortlich bin. Wenn es einen Missbrauchsfall in einem tibetischen Kloster in den 90er Jahren gab, bin ich als Zen-Praktizierender in Maulbronn weder verantwortlich noch beteiligt. Es berührt meine Lebenswirklichkeit nur als Nachricht, und all meine Aufregung wird in Tibet weder etwas zum Positiven noch zum Negativen verändern.


    Ich hatte gefragt, was es meiner unmittelbaren Praxis, der Sangha in meiner Stadt oder meinem Verständnis der Lehre dient, wenn ich das Thema Missbrauch zu "meinem" Thema mache. Es kann ja sein, dass es allen dreien dient. Aber inwiefern?


    Was die negative Dynamik angeht, so kommt es bei einem bekannt gewordenen Missbrauchsfall z.B. in der katholischen Kirche gerne einmal zu tausenden von Kirchenaustritten. Wenn eine Nonne in einer Stadt regelmäßig Alte und Sterbende besucht und ihnen hilft, mit dem Leiden fertig zu werden, wird das meist weder bekannt noch führt das zu tausendfachen Kircheneintritten. Es wird nicht alles schlecht gemacht. Was aber schlecht gemacht wurde, kann nur schwer wieder gutgemacht werden.

    Nein, es macht Dir nur ein schlechtes Gefühl. In Wahrheit schafft es Bewusstsein für ein Problem. Dieses Bewusstsein hilft, zukünftig Missbrauch zu verhindern und schützt so Menschen.

    Ich habe kein schlechtes Gefühl dabei. Allerdings bemerke ich beim Gespräch mit vielen Menschen meines Umfeldes, dass oft nur noch ein Zerrbild von Kirchen und allgemein Religion existiert, das mit der gelebten Wirklichkeit vor Ort nicht viel zu tun hat. Das liegt aber allgemein daran, dass oft Teile der Wirklichkeit nur noch über Medien wahrgenommen werden, die diese Wirklichkeit so abbilden, dass es Aufmerksamkeit und somit Geld generiert. Und das geht – wie ich oben bereits schrieb – am besten über Darstellungen, die Menschen negativ triggern (Wut, Angst, Neid, Verachtung, Empörung, etc.).


    Als Beispiel folgendes:

    Nehmen wir statt des Missbrauchs in buddhistischen Gemeinschaften Banden-Kriminalität in muslimischen Parallelgesellschaften. Beides existiert. Bei dem Beispiel mit den Muslimen haben wir aber zum einen mittlerweile gelernt, dass man von Phänomenen, die zu bestimmten Zeiten, in bestimmten kulturellen Kontexten oder unter spezifischen sozialen Bedingungen auftreten, nicht auf die Communitys als ganze schließen darf. Zum andern haben wir gelernt, dass die mediale Ventilation von negativen Ereignissen der ganzen Community enormen Schaden zufügen, Vorurteile nähren und (im Falle der Muslime) Ausländerfeindlichkeit den Boden bereiten kann.


    Sobald z.B. ein Syrer in der S-Bahn aufgrund von Kriegstraumata oder psychischen Problemen oder sonstigen Gründen gewalttätig wird, fällt das auf die gesamte muslimische Community zurück. Fragen kommen auf, ob nicht der Islam insgesamt schon strukturell solche Gewalt nähren würde, etc.. Man kennt das alles. Dabei werden auch alle Differenzierungen aufgegeben. Plötzlich gibt es nur noch "den Islam", "den tibetischen Buddhismus", "den Zen".


    Was dabei geschieht, ist, dass vom Islam – um zum Beispiel zurückzukehren – irgendwann nur ein Zerrbild in der öffentlichen Wahrnehmung bleibt, dass Muslime, egal ob gläubig, gewalttätig, radikal oder nicht, unter Generalverdacht gestellt werden. Zudem wird oft genug die Religion als Grund für Auffälligkeit herangezogen. Soziale Verwerfungen, Bildungsdefizite, kulturelle oder psychische Dispositionen, strukturelle Gewalt gegen Ausländer, werden dabei geflissentlich übersehen, weil die Religion scheinbar offensichtliche Gründe genug bereitstellt, um asoziales Verhalten, Gewalt oder Missbrauch zu rechtfertigen. Dabei ist sind es oft genug andere Gründe, die nicht unmittelbar etwas mit der Religion zu tun haben. So wird aus: "Jemand ist gewalttätig und ist Moslem" schnell "Jemand ist gewalttätig, weil er oder sie Moslem ist".


    Missbrauch entsteht wahrscheinlich in allen menschlichen Kontexten, in den es ein Machtgefälle gibt. Es ist sicher sehr gut, sich darüber Gedanken zu machen und über Gefahren aufzuklären. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um buddhistische, islamische oder katholische Glaubensgemeinschaften, Unternehmen, Schulen, Familien oder Sportvereine handelt. Das Problem ist Machtmissbrauch, nicht grundsätzlich das System Schule, Familie, Verein oder Religion.

    Was dient es meiner Praxis, wenn ich Missbrauch, der weder mich noch mein Umfeld betrifft, zu meinem Thema mache? Was dient es der Lehre, was der Sangha, der ich mich zugehörig fühle?


    Natürlich: wenn ich Missbrauch sehe, mittelbar oder unmittelbar beteiligt oder sogar verantwortlich dafür bin, dann ist es meine Pflicht, dagegen vorzugehen. Aber welche Wirkungen bringt das Lamento hervor, wenn ich unbeteiligt bin?


    Es gibt Missbrauch in Religionsgemeinschaften. Es gibt auch das Gegenteil. Wenn etwas gut läuft, ist es keine Schlagzeile wert. Darum wird die Welt immer verkommener – scheinbar. Die kirchliche Gemeinde hier vor Ort macht einen sehr guten Job. Interessiert das jemanden? Mich nicht, wenn ich meinen Medienkonsum betrachte. Fehlt der Trigger, werde ich nicht getriggert.


    Die schlechten Nachrichten färben weit stärker und tiefer als die guten. Dennoch wäre das Verhältnis von schlechten zu guten Nachrichten sehr eindeutig zum Positiven geneigt, wenn auch gute Nachrichten solchen einen Impact hätten wie die schlechten. Das führt aber dazu, dass viele Menschen schon von vornherein den Kontakt zu Religion ablehnen (und so auch zum Dharma), weil gleich Missbrauch, Heuchelei und Korruption im Vordergrund stehen.


    Da aber schlechte Nachrichten und Skandale eh sich verbreiten wie ein Strohfeuer, erscheint es mir sinnvoller, die guten Aspekte in den Vordergrund zu stellen – als Gegengewicht. Damit verhindere ich vielleicht, dass andere Leute aus Vorbehalt erst gar keinen Kontakt zur Lehre bekommen können.


    Ich denke, es gibt Prioritäten. Zu bestimmten Zeiten sind bestimmte Dinge wichtig. So ist es leichter, eine Fliege aus der Milch als einen Elefanten aus dem Sumpf zu retten. Wohlfeil, sich zu empören, wenn es keine Konsequenzen fordert.


    Am Ende muss sich wahrscheinlich jeder/jede selbst fragen, welche Motivation hinter Furor, Urteil und Emotion liegt.


    Wenn ich selbst wütend bin wegen eines Missstandes, brauche ich selbst oft die Wut. Es geht weniger um den Missstand als um mich und meine Bedeutung. Ich profiliere damit mich vor mir, vor anderen. Auch das ist eine Sucht.


    Ich kann den Finger in die Wunde legen, weil ich aufmerksam machen möchte – oder weil ich meinen eigenen Schmerz gespiegelt sehen will, sodass auch andere ihn fühlen.