Beiträge von Mabli im Thema „Aufarbeitung von Mißbrauch im Buddhismus“

    Das ist ein wichtiger Punkt! Und es sollten bei jedem die Alarmglocken schrillen, wenn das Wohl einer religiösen Institution, Gruppe oder eines Zentrums über die Unversehrtheit eines einzelnen Menschen gestellt wird.

    Ich glaube das ist nicht spezifisch für religiöse Organisationen. Das kann auch in Organisation XY passieren. Wenn dort ein Verdacht auf Missbrauch vorliegt und es keine externe oder unabhängige Stelle gibt, die sich damit befasst, dann steht die Geschäftsführung oder der Vorstand vor der Frage: Gehen wir dem Verdacht nach und klären das auf oder kehren wir das unter den Teppich. Ausschlaggebend dafür den zweiten Weg einzuschlagen können Erwägungen sein wie, "Wenn das an die Öffentlichkeit kommt, dann können wir den Laden hier dicht machen."

    Die zentrale Aussage ist für, dass die katholische Kirche offensichtlich einen Raum bietet, in dem Macht unkontrolliert ausgeübt werden kann. Bei sexuellem Missbrauch spielt meines Wissens der Aspekt der Ausübung von Macht über Andere eine zentrale Rolle. Solch ein Raum kann auch die Psychotherapie, die Fahrschule (siehe jüngste Sendung des ZDF Magazin Royale) oder die Familie sein.

    Das Problem beim Dalai Lama ist in meinen Augen, dass er sich als politische Führungsfigur und religiöse Führungsfigur - beziehungsweise nach tibetisch-buddhistischem Glauben als Wiedergeburt eines Boddhisattvas - in einem massiven Rollenkonflikt befindet.

    Im Christentum findet sich die Zwei-Reiche beziehungsweise Zwei-Schwerter-Lehre, die zwischen weltlichem und religiösem Reich bzw. Handeln unterscheidet.

    Nun folgert Martin Luther, dass wenn jemand der Meinung wäre, man könne in der Welt ein Evangelium haben ohne »Recht oder Schwert«, weil es nur »getaufte Christen«
    gäbe, so würde man schnell eines Besseren belehrt werden. Denn man würde dadurch »den wilden Tieren die Bande und Ketten auflösen […]« und »so würden die Bösen unter dem
    christlichen Namen die evangelische Freiheit mißbrauchen […]« Will man, dass Christen keinem Recht noch Schwert untertan sind, so Luther, müßte man zuerst dafür sorgen, dass aller Welt »voll rechter Christen« wäre. Ein »christliches Regiment« in einem Land zu führen würde einem Hirten gleichen, der »[…] in einem Stall Wölfe, Löwen, Adler und Schafe […]« halten würde, die frei miteinander leben.

    Hier würden »[…] die Schafe wohl Frieden halten […] aber sie würden nicht lange leben […]« Aus dieser genannten Problematik gibt es für Luther keine andere Möglichkeit als die, dass »[…] man die beiden Regimente sorgfältig voneinander unterscheiden und beide bleiben lassen muß; eins, das fromm macht, das andere, das äußerlich Frieden schafft und bösen Werken wehrt. Keins reicht ohne das andere aus in der Welt.«

    Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass der Dalai Lama als politischer Führer eines Landes, das unter einer Fremdherrschaft steht, politische Entscheidungen treffen - oder zumindest mittragen muss - die in Konflikt zu seiner Rolle als religiösem Oberhaupt stehen. Wenn es darum geht politische Allianzen für die "Sache" Tibets zu schmieden ist wahrscheinlich einiges in Kauf genommen worden. Die Solidarität mit Tibet seitens politischer Akteure von Links und Rechts schwankten in der Geschichte ja auch im Zuge von Sympathie mit dem kommunistischem China, antiimperialistischen und antikommunistischen Bestrebungen in der Politik sowie dem Taktieren gegenüber China als Wirtschaftsmacht. Da muss man das Fähnchen als Dalai Lama wahrscheinlich schon mal in den Wind hängen.

    Traurig macht, dass ich überzeugter denn je bin, dass es eine große Lüge ist, wenn Institutionen von Aufarbeitung sprechen, weil es geschieht genau JETZT und wird immer geschehen, massiver als es je war, unabhängig von der geographischen Lage des Platzes.

    Ein möglicher Ansatzpunkt ist es ja die Möglichkeiten, dass Missbrauch passieren kann, möglichst gering zu halten und die Möglichkeit für Betroffene, wenn Missbrauch passiert ist, Hilfe und Unterstützung zu erhalten auszubauen. Dafür ist es in meinen Augen sinnvoll sich Fälle aus der Vergangenheit anzuschauen und aus dem, was dort schief gelaufen ist für die Zukunft zu lernen.

    In pädagogischen Einrichtungen wird zum Beispiel die Sensibilisierung der Mitarbeitenden in Bezug auf das Thema angestrebt, um auffälliges Verhalten erkennen und angemessen reagieren zu können. Außerdem wird in Einrichtungen ein Beschwerdemanagement als besonders wichtig angesehen. Das heißt, es muss eine unabhängige Stelle geben, die Beschwerden unvoreingenommen entgegen nimmt. Das sollte auch auf religiöse Gemeinschaften übertragbar sein.

    Was ist OKC ?

    OKC oder Ogyen Kunzang Choling ist eine Gruppierung aus Frankreich, in der in den 80er Jahren systematischer Missbrauch von Kindern statt gefunden hat. Die Gruppierung wurde in der ARTE Dokumentation behandelt. Vergleiche hier: Missbrauch und Buddhismus: Hinter der lächelnden Fassade


    Ich finde diese Anekdote deswegen problematisch, weil dahinter eine fatale Logik steht: Wenn jemand eine posttraumatische Belastungsstörung (oder andere psychische Probleme) entwickelt, ist an seiner Dharma-Praxis etwas nicht in Ordnung.


    Man kann die Aussage natürlich auch so verstehen, dass dies nur auf besonders fortgeschrittene Praktizierende zutrifft. Oder eben auf alle Tibeter. Diese Aussage finde ich aber auch in gewisser Weise problematisch. Sie begegnete mir auch in Vorträgen, wenn etwa davon die Rede war, dass Menschen aus dem Westen einen besonders entwickelten Verstand hätten, aber die Herzensbildung dafür bei ihnen zu kurz käme und sie den Kontakt zu den Gefühlen verloren hätten. Spiegelbildlich wird Menschen aus Tibet oder Nepal dagegen ein besonders entwickeltes Herz und Gefühlsleben zugesprochen, dafür ein unterentwickelter Verstand. Das sind natürlich erstmal Pauschalisierungen und Klischees, die womöglich auch koloniale Erzählungen reproduzieren.

    Im "Westen" gibt es die entsprechende Erzählung von der aufgeklärten - im gewissem Sinne durch das Licht der Aufklärung erleuchteten - Gesellschaft gegenüber dem primitiven und rückständigen "Osten". Solche Polarisierungen sind in meinen Augen eher schädlich und hinderlich.

    Es gibt eine Anekdote, dass der Dalai Lama auf einer Konferenz mit Wissenschaftlern zu dem Thema Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) berichtet hat, dass Tibeter darunter nicht so sehr leiden würden.


    Thubten Chodron Lamrim Teachings - Foundations of the Path:


    At one science conference with His Holiness, His Holiness was astonished to learn that many Westerners had low self-esteem. We also talked about post-traumatic stress syndrome (PTS). His Holiness said that most Tibetans don’t suffer much from this. Some of them may have a few problems, but not to the extent of other people in similar situations who had been subjugated to torture and imprisonment. The scientists were completely shocked by this. There was one guy there whose whole profession was dealing with PTS. He could not believe it when he heard these stories about how the Tibetans survived these horrible atrocities in prison—being beaten, having electric cattle rods put on the body. Some of them might have a few problems, but they were not complete basket cases. I think this really comes through the force of their Dharma practice. By knowing how to put all these horrible things in perspective, and by being able to generate a positive attitude in spite of what’s going on around you.

    Ich frage mich nun, ob diese Wahrnehmung, dass Menschen in Tibet nicht in der Form unter PTBS leiden, wirklich nur mit deren Dharma Praxis zu tun hat oder nicht auch möglicherweise mit einer mangelnden Sensibilisierung in Bezug auf die Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung in der Gesellschaft?