Beiträge von Thorsten Hallscheidt im Thema „Wie ernst nehmt ihr die Wiedergeburtslehre im Pali Kanon?“

    Wenn man sich darin übt, beim Aufsteigen eines Gefühls bei der Feststellung angenehm, unangenehm oder neutral stehen zu bleiben

    Genau... und dieses Stehenbleiben ist eben dieses Nicht-Tun. Aber auch später, wenn schon Bilder und Vorstellungen, die ganze Skala der Gefühle (im westlichen Sinne verstanden) auftritt, so kann auch das vorbeiziehen, ohne dass ich eingreifen oder reagieren muss.


    Ich habe das in der Meditation oft gemerkt. Wenn sich zum Beispiel irgendwo ein körperlicher Schmerz manifestiert, muss ich nicht die Sitzposition ändern. Wenn ich den Schmerz anschaue, wird er stärker und vergeht dann vollständig. Wenn ich hingegen die Sitzposition verändere, wandert der Schmerz einfach in eine andere Region, sodass ich mich über kurz oder lang auf der Flucht vor dem Schmerz befinde (Ablehnung), ohne ihm entkommen zu können. Mit Gefühlen (Du sagst Emotionen) ist es ebenso. Ich habe in meinem Leben viele intensive Erfahrungen mit Angst erlebt. Sie verschwindet erst dann, wenn ich aufhöre sie zu bekämpfen, wenn ich ihr aufmerksam zuhöre, wenn ich aufgebe und mich verschlucken lasse. Dann zieht die Angst weiter und vergeht vollkommen.


    Stemme ich mich aber gegen die Angst, den Schmerz, gegen die Emotionen, indem ich Gegenmittel ergreifen möchte, mich also gegen den Strom des Werdens und Vergehen stemme, entsteht ein Strudel der Aktivität und des Wollens im Strom des Daseins. Dieser Strudel entsteht auf der Basis von Verlangen und bringt Dukkha hervor. Ñāṇananda geht in seinen Nibbana-Sermons sehr ausführlich auf diesen Aspekt ein:


    Zitat

    Stellen wir uns einen Fluss mit abwärtsfließender Strömung vor. Dem Gefälle folgend abwärts zu fließen, liegt in der Natur eines Flusses. Aber ein bestimmter Teil der Wasserströmung denkt sich: „Ich kann und muss stromaufwärts fließen.“ Und deswegen drückt er gegen den Hauptstrom. Aber ab einem gewissen Punkt gerät sein Fortschritt unter die Kontrolle des Hauptstroms und wird beiseite geschoben, nur um eine Runde zu drehen, und so versucht er es von neuem, wieder und wieder. Alle diese eigensinnigen und erfolglosen Versuche führen allmählich zu einem Wirbel. Mit der Zeit versteht diese abtrünnige Strömung gewissermaßen, dass sie sich auf diese Art nicht vorwärts bewegen kann. Aber sie gibt nicht auf. Sie findet ein alternatives Ziel, während sie sich in Richtung Grund bewegt. So kommt es zu einer spiralförmigen Abwärtswindung, einem Trichter ähnlich, der sich tiefer und tiefer zum Grund gräbt, bis sich ein Abgrund gebildet hat. Damit haben wir dann einen Wasserstrudel. Während all dies geschieht, entsteht eine dringende Notwendigkeit, diesen Hohlraum wieder aufzufüllen und der Strudel entwickelt die erforderliche Kraft der Anziehung, um diesem Bestreben nachzukommen. Alles, was in seine Reichweite kommt, zieht er an und ergreift es, um es herumwirbelnd hinab in den trichterförmigen Abgrund zu schicken. Das Wirbeln verläuft mit einer enormen Geschwindigkeit, während der umgebende Anziehungsbereich mehr und mehr anwächst. Schließlich wird der Strudel zu einem Zentrum ungeheuer starker Aktivität.


    Während dieser Vorgang in einem Fluss oder See stattfindet, eröffnet sich für uns die Möglichkeit, es als „diese Stelle“ oder „jene Stelle“ auszuweisen. Warum? Weil es eine anhaltende Aktivität gibt. Üblicherweise ist in der Welt der Ort, an dem eine Aktivität stattfindet, als eine „Einheit“, „ein Zentrum“ oder „eine Institution“ bekannt. Da der Strudel ebenfalls die Mitte einer Aktivität darstellt, können wir ihn durch ein „Hier“ oder „Dort“ bestimmen. Wir können ihn sogar personifizieren. In dieser Hinsicht öffnen sich uns damit weitere Bahnen für sprachlichen Ausdruck, Terminologie und Bestimmung. Aber wenn wir diese Art von Aktivität betrachten, die hier abläuft, was ist es schlussendlich? Es handelt sich nur um eine Pervertierung oder Verdrehung. Jene halsstarrige Strömung hat aus Verblendung und Unwissenheit bei sich gedacht: Ich kann und muss strom- aufwärts fließen. Darum hat sie es versucht und ist gescheitert. Sie hat sich lediglich im Kreis gedreht, nur um den gleichen vergeblichen Versuch wieder und wieder zu machen. Ironischerweise ist sogar ihr Vordringen zum Grund hin eine reine Stagnation. Somit haben wir hier Unwissenheit auf der einen Seite und Verlangen auf der anderen Seite als Resultat des Abgrunds, der durch den Strudel gebildet wird. Um dieses Verlangen zu befriedigen, entsteht jene Kraft der Anziehung: Ergreifen. Wo es Ergreifen gibt, da ist Existenz oder bhava. Der gesamte Strudel erscheint nun als ein Zentrum der Aktivität.


    Quelle (2. Vortrag S.45)

    Es gibt nichts zu üben, aber es gibt eine Übung?

    Wenn Du die Übung, nicht etwas zu üben als Übung begreifst (oder Aufgeben als Weiterkämpfen) dann ist da ein Widerspruch, stimmt.


    :tee:


    Ich muss aber sagen, ich habe Hendrik auch nichts anderes sagen hören.

    Von Kontrolle spricht er hier bezüglich der Entstehung von Emotionen:


    Geistestraining übt die Entstehung(!) dieser komplexen Emotionen zu beeinflussen, zu kontrollieren.

    Wie ist dann das folgende Zitat zu verstehen?:

    Was macht denn der Geist unablässig? Auf der Basis von Ich-Illusion und -Identifikation Anhaftung und Ablehnung folgen, mit der ständigen Motivation, das, was ist, diesen Parametern entsprechend zu verändern, zu kontrollieren und anzupassen.


    Willensregungen stehen nach Unwissenheit am Anfang der 12 Glieder des abhängigen Entstehens.


    Bitte melde dich an, um diesen Anhang zu sehen.


    Quelle (Seite 38)


    Den Geist zähmen heißt eben gerade nicht ständig etwas zu wollen (Kontrolle, Einfluss, Macht, gutes Karma, Erleuchtung, you name it).


    Was ist Unwissenheit, die zu Willensregungen führt? Identifikation. Dukkha. Das bin ich, das gehört mir, das ist mein Selbst.


    Wie zügle ich im Gegensatz dazu den Geist? Durch Kontrolle? Durch Optimierung? Einflussnahme?


    Zitat
    Zitat "Was es auch für ein Gefühl, was es auch für eine Wahrnehmung, was es auch für ein Geistobjekt, was es auch für ein Bewußtsein sei, vergangenes, zukünftiges, gegenwärtiges, eigenes oder fremdes, grobes oder feines, gemeines oder edles, fernes oder nahes: alles Gefühl, alle Wahrnehmung, alle Unterscheidung, alles Bewußtsein ist, der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit also angesehn: 'Das gehört mir nicht, das bin ich nicht, das ist nicht mein Selbst.'


    Quelle

    Zum Beispiel sprach ich an keiner Stelle davon, dass man Gefühle unterbinden oder kontrollieren solle. Buddhismus unterscheidet Gefühle von Emotionen. Gefühle können nur angenehm, unangenehm oder neutral sein. Auf die haben wir im Prinzip keinen Einfluss. Daraus erwachsen komplexe Emotionen. Geistestraining übt die Entstehung(!) dieser komplexen Emotionen zu beeinflussen, zu kontrollieren. Nicht die Emotionen selbst. Und auch unterbinden von Emotionen ist nicht das Ziel.

    Du sprachst davon, die Entstehung von Emotionen zu beeinflussen, zu kontrollieren und zu unterbinden. Gefühl und Emotion werden zuweilen genau umgekehrt zu Deiner Definition benutzt. Daher wahrscheinlich die Begriffsverwirrung.


    Zitat

    Antonio Damasio unterscheidet deutlich zwischen „Emotion“ und „Gefühl“. Er hat die beiden Schlüsselbegriffe vor dem Hintergrund der modernen Neurobiologie wie folgt definiert: "Emotionen sind komplexe, größtenteils automatisch ablaufende, von der Evolution gestaltete Programme für Handlungen. Ergänzt werden diese Handlungen durch ein kognitives Programm, zu dem bestimmte Gedanken und Kognitionsformen gehören; die Welt der Emotionen besteht aber vorwiegend aus Vorgängen, die in unserem Körper ablaufen, von Gesichtsausdruck und Körperhaltung bis zu Veränderungen in inneren Organen und innerem Milieu.

    Gefühle von Emotionen dagegen sind zusammengesetzte Wahrnehmung dessen, was in unserem Körper und unserem Geist abläuft, wenn wir Emotionen haben. Was den Körper betrifft, so sind Gefühle nicht die Abläufe selbst, sondern Bilder von Abläufen; die Welt der Gefühle ist eine Welt der Wahrnehmungen, die in den Gehirnkarten ausgedrückt werden.


    Quelle


    Aber das ist auch eigentlich nicht mein Punkt. Mir geht es eher darum, dass der Wunsch nach Kontrolle, Beeinflussung und Unterbinden von der Entstehung von Emotionen oder Gefühlen (Wie auch immer wir das jetzt definieren oder gewichten) die Dialektik von Ich und Welt verstärken. Der Wunsch nach Kontrolle und Beeinflussung ist ein vorzüglicher Ich-Macher. Aber Gefühle, Wahrnehmungen oder andere Geistesobjekte (Emotionen) wie auch deren Entstehung gehören mir nicht, sie geschehen, wie auch der Wind (ein Gedanke, der Körper, der Atem, die Vorstellung von Kontrolle, etc.) geschehen und mir nicht gehören.

    Zitat

    "Was es auch für ein Gefühl, was es auch für eine Wahrnehmung, was es auch für ein Geistobjekt, was es auch für ein Bewußtsein sei, vergangenes, zukünftiges, gegenwärtiges, eigenes oder fremdes, grobes oder feines, gemeines oder edles, fernes oder nahes: alles Gefühl, alle Wahrnehmung, alle Unterscheidung, alles Bewußtsein ist, der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit also angesehn: 'Das gehört mir nicht, das bin ich nicht, das ist nicht mein Selbst.'


    Quelle


    Mit anderen Worten: Es gibt nichts zu üben, nichts zu kontrollieren und nichts zu erreichen. Im Gegenteil. Die Übung ist ja gerade: Nicht besitzen oder kontrollieren wollen. In Ruhe lassen. In Frieden lassen. Fließen lassen. Die Identifikation aufgeben: Das gehört mir nicht, das bin ich nicht, das ist nicht mein Selbst.

    Geistestraining ermöglicht es uns, gleich zu Beginn zu erkennen, hier ist ein Gefühl, angenehm, unangenehm oder neutral, und das automatische Entstehen von Emotionen, die die Grundlage unseres Handelns bilden, zu unterbinden. Wenn wir das geübt haben, erhalten wir die Freiheit, bewusst zu agieren und uns diesem Automatismus zu entziehen. Das ist Frieden. Das ist Nirvana.

    Gefühle sollten sicher nicht unterbunden oder kontrolliert werden. Das wäre der völlig falsche Ansatz und führt nicht zu Nirvana, sondern zu einer neurotischen Erkrankung. Alle Gefühle, Träume, Gedanken, der gesamte "Fluss des Lebens" haben ihre Berechtigung. Sie sind schlicht Wirkungen der vielfältigen Ursachen in und um mich herum. Wenn ich Ursachen und Umstände ändern, ändern sich auch die Gefühle. Darum unter anderem hat Ethik im Buddhismus so einen hohen Stellenwert. Ethik verändert die Ursachen und Umstände, die dann wiederum meine Emotionen, Pläne, Hoffnungen und Vorstellungen hervorbringen.


    Im Zen gibt es den Satz: Keine Schneeflocke fällt an die falsche Stelle.


    Etwas anderes ist es, wenn die Gefühle als Motor durch den Keilriemen der Identifikation das Handeln bestimmen. In der Meditation kann ich lernen, diesen Verbindung zu sehen, zu verstehen und bei Bedarf zu trennen. Das Gefühl entfaltet trotzdem seine volle Kraft, ist aber nicht mehr in jedem Fall der Motor meiner Handlungen, und auch nicht mehr Ursache des Leidens an diesem Gefühl. Es ist da, wie auch das Geräusch des Windes in den Bäumen da ist. Ich kann den Wind nicht kontrollieren oder unterbinden... warum sollte ich auch?


    Auf der anderen Seite wäre mein Handeln völlig entmenschlicht, wenn nicht auch Gefühle dabei ein Rolle spielen würden. Liebe, Mitfreude, Tatkraft, aber auch Wut, Angst und Trauer können der Motor zu sehr positiven Veränderungen im Leben sein. Das ist wie bei einem Fluss, in dem ich entweder ertrinken kann oder dessen Kraft ich nutzen kann, um eine Mühle zu betreiben.

    Wiedergeburt ist ja keine buddhistische Erfindung. Buddha wuchs auf und lehrte in einer Kultur, in der die Vorstellung von Wiedergeburt allgemein akzeptiert und anerkannt war. Dabei versuchten die Menschen durch unterschiedliche Handlungs- und Verhaltensweisen Einfluss auf eine mögliche nächste Geburt zu nehmen. Im Hinduismus gibt es unzählige Rituale und Gebote, die eine gute Wiedergeburt ermöglichen sollen. Eine Lehre, die in einem solchen Umfeld entsteht, muss auf diese Vorstellungen reagieren. Also sind auch Wiedergeburt, ebenso wie andere frühe mythische Vorstellungen zur Entstehung von Welt und Menschen, in frühen buddhistischen Schriften anzutreffen. In Relation zu der Gesamtheit der Lehre kommen aber den damaligen Ideen zu Wiedergeburt und Kosmologie ein eher geringe Bedeutung zu. Ja, bei vielen Themen verweist der Buddha darauf, dass man sich der Spekulationen enthalten solle, wie in dem Sutra mit dem vergifteten Pfeil deutlich wird.

    Was ist die Ursache für Wissen? Paradoxer Weise Unwissenheit.

    Nein, es ist Erfahrung.


    Um Erfahrungen zu machen, brauche ich zunächst Vertrauen in die Methoden, die mich zu diesen Erfahrungen führen können. Dann brauche ich Disziplin und Tatkraft, die Methoden auch anwenden zu können. Gerade in der buddhistischen Praxis dauert das mitunter Jahre.


    Die alten Texte sind mit Landkarten vergleichbar. Die Praxis besteht nicht darin, an diese Karten und an das, was sie darstellen, zu glauben, sondern im Gegensatz dazu die wirklichen Landschaften des eigenen Geistes zu durchwandern und kennenzulernen.


    Zitat

    Den Weg geh'n müßt ihr selbst, ein Buddha zeigt ihn bloß;

    Vertieft ihr euch und ringt, kommt ihr von Māra los


    Quelle


    Alte Karten können gute Anhaltspunkte, Tipps und Hinweise zu Abkürzungen und Gefahren geben, vor allem dann, wenn es sich um Wege handelt, die nur wenig Menschen konsequent bis zum Ende verfolgt haben. Dann gibt es aber auch Dinge, Sichtweisen und Landmarken, die man heute anders darstellen oder werten würde. Darum ist es gut Menschen zu treffen, die heute noch diese Wege zu gehen imstande sind und davon berichten können.

    Solange wir nicht wissen, was "der Geist" ist, wie er entsteht und was nach dem Tode damit geschieht, ist jede Aussage dazu Spekulation, auch die, dass Wiedergeburt "natürlich Unsinn" sei, aus welcher Perspektive auch immer. Wir wissen es (noch immer) nicht, – auch wenn seit der letzten Diskussion über Karma und Wiedergeburt ein paar Wochen vergangen sind. ;)


    Wir wissen ja noch nicht einmal, wie so etwas Merkwürdiges wie subjektive Wahrnehmung überhaupt zustande kommen kann. Wir erleben und erklären uns die Welt aus dem unauflösbaren Dilemma der Ersten-Person-Perspektive und versuchen mit der Begrenztheit dieser Perspektive immer wieder endgültige Aussagen. Aber klar, warum auch nicht... so wird aus Theorien allmählich Wissen über die Beschaffenheit der relativen Existenzform der Dinge, die sind wie sie sind, weil sie eben auf diese Weise abhängig von unserem Geist entstehen und so ihre eigene Form und Wahrheit erhalten.


    Ein zweidimensionales Wesen hält eine Kugel für eine Ebene. Wer weiß, wie viele Dimensionen noch über der unseren liegen, in der die Zeit einem Fluss gleicht, der nur eine Richtung kennt, und damit meine ich nicht den halbgaren esoterischen Unsinn, mit dem Leichtgläubigen das Geld aus der Tasche fantasiert wird. Es gibt zum Beispiel in der Physik seit einiger Zeit die Theorie, dass die Zeit eine emergente Eigenschaft sein könnte, die aus der Dynamik einer höherdimensionalen Raumzeit resultiert. Das heißt, die Zeit entsteht aufgrund bestimmter Eigenschaften oder Muster in höherdimensionalen Raumzeitstrukturen.


    Ich denke, wir wissen bisher nicht einmal im Ansatz, wie in jedem Augenblick in den Milliarden Einzelwesen Geist und Welt entstehen. Das mag in ein paar hundert Jahren vielleicht anders sein, falls wir uns bis dahin vor lauter Dummheit nicht den Garaus gemacht haben.