Beiträge von Maha im Thema „Tagesschau.de: Krank durch Meditation?“

    Ich hatte selbst in belastenden Stresssituationen schon Erfahrungen von Depersonalisation / Derealisation, d.h. dass ich mich von mir selbst und von meiner Umfeld entfremdet gefühlt habe, so als ob ich mir selbst zuschaue beim Handeln ohne wirklich involviert zu sein und mich wie in einem Film fühlte. Das kann beängstigend sein, ist aber wohl ein häufiges Stresssymptom.


    Bei bestimmten Meditationsformen, die besonders forciert problematische Gefühle und Erfahrungen in den Mittelpunkt stellen, habe ich eine zeitlich darauffolgende Phase milder Depersonalisation / Derealisation erlebt. Diese Meditationsformen zielen insbesondere auf eine Toleranz gegenüber schwierigen Gefühlen und Erfahrungen durch eine vorherige oder parallele Distanzierung in einer Beobachterrolle. Ich glaube für mich ist diese forcierte Betrachtung von Problemen manchmal zu viel (kommt natürlich auch auf die Größe des Problems an). Ich bevorzuge daher offenes Gewahrsein, bei dem Probleme von selbst auftauchen und sich soweit öffnen können wie ich es auch verarbeiten kann. Von der gezielten Herbeiführung oder Erinnerung an Probleme in der Meditation habe ich daher Abstand genommen.

    Ich habe nochmal die hier schon häufiger erwähnte Dr. Willoughby Britton zu dem Thema gehört. Mit ihrer auch schon von Igor07 hier zitierten Studie"The varieties of contemplative experience: A mixed-methods study of meditation-related challenges in Western Buddhists" hat sie unerwünschte Nebenwirkungen von Meditation erforscht.


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    Bei der Suche nach Interviewpartner*innen haben sie Dharma-Center kontaktiert und mit Dharma_Lehrer*innen darüber gesprochen welche Schwierigkeiten sie in ihrer langjährigen Praxis als Retreatbegleiter*innen gesehen haben. Interessanterweise berichteten viele der Lehrenden von eigenen schwierigen und belastenden Erfahrungen in ihrer Praxis. Das zeigte, dass falsche Praxis nicht immer ausschlaggebend für solche Erfahrungen ist. Und auch eine Vorgeschichte von psychiatrischer Erkrankung und Psychotrauma erwiesen sich nicht als alleiniger Erklärungsfaktor für solche herausfordernden Erfahrungen in Zusammenhang mit Meditation.


    Ein weiterer wichtiger Punkt war, dass die negativen Folgen von Meditation bisher unter dem Radar liefen, weil bisher auch niemand danach gesucht oder gefragt hat. In Dharma-Centern oder Achtsamkeitskursen werden häufig von den Teilnehmenden eher positive Erfahrungen geteilt und viele möchten den Lehrenden gefallen. Einige Lehrende haben auch kein wirkliches Ohr für negative Erfahrungen und erklären diese weg oder ignorieren sie. Und die Scham oder Beschämung, die mit solchen Erfahrungen verbunden ist, führt dazu, dass solche Erfahrungen weniger thematisiert werden.


    Es gibt auch neurobiologische Modelle und Erklärungen, warum Meditation z.B. zu Dissoziationen / Verlust von Selbstgefühl führen kann. Und hier ist wahrscheinlich das Maß entscheidend. Wie in einer Normalverteilung gibt es ein zu wenig und ein zu viel an Aktivität im präfrontalen Kortex und einer Hemmung des limbischen Systems. Je nach individueller Konstitution kann der optimale Bereich in der Mitte unterschiedlich sein.

    Was eine wirklich spannende Frage in dem Zusammenhang ist: Kann man unterscheiden zwischen herausfordernden Erfahrungen, die auf dem spirituellen Weg hilfreich sind, und krankhaften Symptomen? Und wenn ja worin genau besteht der Unterschied?

    So wie ich das verstehe, gibt es auch je nach kulturellem Kontext unterschiedliche Interpretationen solcher herausfordernder Erfahrungen im Rahmen der Meditationspraxis. Wenn ein entsprechender Interpretationsrahmen und eine kulturelle Einbettung der Praktiken fehlt werden die Erfahrungen womöglich verstörender, beängstigender oder irritierender wahrgenommen könnte ich mir vorstellen. Wenn Meditation als Entspannungstechnik und gesundheitsorientierte Praxis angepriesen wird, ohne den kulturellen und religiösen Kontext, erzeugt das ja auch sicher ganz andere Erwartungen.


    Dazu kommt, dass jeder andere individuelle Voraussetzungen mitbringt und man wahrscheinlich nicht verallgemeinern kann welche Meditations-Praktiken problematisch sind. Ob Metta-Meditation, Tonglen, Konzentration oder Vipassana Meditation im Einzelfall Probleme erzeugen, kann man wahrscheinlich nicht ohne weiteres prognostizieren.


    Und auch vor allem der erste Punkt ist ganz wichtig:

    Stress meiden. Ich weiss ja nicht, wie Du, Hue32 immer meditierst. Ich jedenfalls bin der Meinung, wenn es dabei nicht stressig zu geht - also das Gehirn in Daueranstrengung verweilt - dann machst du bei der Meditation was falsch. dann wuerde ich es eher 'doesen' nennen.

    Bei der konzentrativen Meditation würde ich zwei Arten unterscheiden wollen. Nehmen wir an, das Meditationsobjekt ist der Atem. Bei der einen Art ist die Konzentration eher angestrengt und versucht jede Ablenkung vom Meditationsobjekt wie zum Beispiel Gedanken, Körperwahrnehmungen etc. zu unterdrücken. Die zweite Art ist eher eine entspannte Offenheit, bei der ablenkende Gedanken etc. mit einer akzeptierenden Haltung bewusst wahrgenommen und auch wieder losgelassen werden. Danach wird der Geist wieder entspannt und offen auf das Meditationsobjekt zurück gelenkt. Für mich war diese Unterscheidung sehr hilfreich. Vielleicht könnt ihr ja auch was damit anfangen.

    Meditation kann nicht krank machen, wenn dann tauchen aus dem Unterbewusstsein (Speicherbewusstsein) lediglich unverarbeitete Eindrücke auf.

    Vielleicht sollte man statt "Meditation macht krank!" (reißerischer Aufmacher) differenzierter formulieren: Durch unterschiedliche Arten von Meditation- je nach Veranlagung und Vorgeschichte - können Menschen in Geisteszustände versetzt werden, die man auch als krank oder unheilsam bezeichnet.

    Der erfahrene Retreatbegleiter Tilmann Borghardt zu dem Thema:

    Zitat

    Immer wieder mal werde ich gefragt, ob Meditation auch schaden kann. Kann sie. Genau. Meditation - wir müssen auch darüber sprechen, welche Form von Meditation - ist nicht prinzipiell einfach gut für jeden. Es ist natürlich zu differenzieren. Ich habe in den vielen Jahren, in denen ich Retreats betreue, also meditative Zurückziehungen, so eigentlich fast alles gesehen. Angefangen von Depressionen, die sich eingestellt haben, von Schwächezuständen, Panikattacken, dissoziative Zustände, Traumata, die aktiviert worden sind und die dann das Geschehen beherrscht haben. Es ist früher auch, als es noch keine Retreatbegleiterinnen gab, ist es auch zu Psychosen gekommen in solchen längeren Retreats. Also es gibt eine Menge Möglichkeiten, dass die psychischen Prozesse sich verhaken und in eine Richtung gehen, die dann gar nicht mehr heilsam ist. Das bedeutet aber nicht, dass ein Moment des Innehaltens oder eine Phase des einfach entspannten Seins, dass das irgendwie schädlich sein könnte.


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