Es gibt aber auch immer in jeder Praxis eine klare Trennung aus Ordensleuten und Haushaltern. Wir können also eigentlich den Geschlechtsverkehr nicht komplett getrennt von anderen Ordensvorschriften diskutieren, etwa keine Saiteninstrumente zu spielen, nicht zu tanzen, etc.
Ja, die Trennung Ordinierte - Haushälter spielt(e), insbesondere im Theravada-Buddhismus, eine gewichtige Rolle im Hinblick auf die Chance, Nibbana zu erlangen - diese wird bei Mönchen und Nonnen durch deren ( vielen Sinnesgenüssen entsagende) Lebensweise natürlich als ungleich größer angenommen.
Geschlechtsverkehr/Sexualität hat m.E. schon einen wesentlich höheren Stellenwert im Leben von Menschen (und erfordert aufgrund möglicher Konsequenzen hohes Verantwortungsbewusstsein), als andere "Freizeitbeschäftigungen" -
Musizier- und Tanzverbote für Ordinierte müsste man daher primär unter dem Aspekt der damit verbundenen, möglichen Kontakte zu potentiellen SexualpartnerInnen betrachten.
(Musik und Tanz - an sich - wecken bekanntlich Emotionen und wirken anregend-stimulierend - das wusste auch der Buddha....).
Wer nun also ein Leben als Haushalter führt (wie wohl die meisten hier im Forum), operiert einfach in einer ganz anderen Situation als ein Mönch oder eine Nonne im Kloster. Und ich glaube es ist nicht immer hilfreich noch heilsam sich in allen Aspekten als Laie an den Ordensregeln zu orientieren.
Klar, die Ordensregeln privat (womöglich 1:1) zu übernehmen, stieße in unserem heutigen Alltag vielfach auf Hindernisse und Unverständnis, wäre wohl weder praktikabel, noch sinnvoll.
(Schon die Regel, ab 12 Uhr mittags auf Mahlzeiten zu verzichten würde in manchen Fällen Schwierigkeiten bereiten, z.B. angesichts eines körperlich anstrengenden, langen Arbeitstages.)
Allerdings ließen sich - bei ernsthafter Praxis - auch für Laien, freiwillig, gewisse klösterliche Grundprinzipien durchaus graduell adaptieren, z.B. in allem Maß zu halten, Übertreibungen/Luxus in jeder Hinsicht zu vermeiden und damit auch Sinnesvergnügungen, wie Sex, keinen so hohen Stellenwert (mehr) einzuräumen, Abhängigkeit/Sucht zu unterbinden, usw. .
Deswegen finde ich für mich die TNH's Take der pañcasīla https://plumvillage.org/de/die-funf-achtsamkeitsubungen insgesamt so wertvoll, denn statt sich darauf zu fokussieren was nicht sein darf definieren sie positiv, worin man sich üben kann. Und deswegen versuche ich mich in den brahmavihārā zu üben.
Da stimme ich dir von Herzen zu - so geht es natürlich auch (und womöglich besser, da für viele dieser Weg akzeptabler, als der rigide "Regel- und Verbotskatalog" ist...).
Fühlende Wesen entstehen auch wenn sich die Menschen nicht mehr fortpflanzen. Ich erinnere mich auch nicht, so einen Gedanken in Dharma-Material bisher gelesen zu haben. Am ehesten noch in den 12 Gliedern des bedingten Entstehens (jāti / Geburt), aber da stellt sich dann sowieso die Frage wie metaphorisch diese Glieder gemeint sind.
Mit Ersterem hast du natürlich recht:
Selbst, wenn die ganze Menschheit (was ja eh illusorisch ist) ihre Fortpflanzung einstellte und ausstürbe, entstünden weiterhin "fühlende Wesen" - die Tierwelt bliebe ja erhalten.
Nach (- nicht nur - buddhistischer Definition) leiden diese Wesen aber, aufgrund fehlender Ich-Illusion, weniger: Sie leben im Hier und Jetzt, machen sich keine Sorgen um zukünftige Ereignisse, wissen nicht, dass sie sterben müssen...usw. .
Natürlich vermied es der Buddha, aus einleuchtenden Gründen, direkt antinatalistische Lehrreden zu halten, er äußerte sich jedoch in steter Wiederholung indirekt (z.B. DN 1.15):
Zitat
4. 'Durch Geburt bedingt sind Alter und Tod', wenn das so gesagt wird, soll man, Ānanda, das in dieser Weise verstehen, wie Geburt durch Alter und Tod bedingt ist:
Wenn es aber, Ānanda, die Geburt nicht gäbe, ganz und gar nicht, nirgendwo, in keiner Weise, nirgends, zum Beispiel nicht bei den Göttern zu göttlichem Sein, nicht bei den Himmlischen zu himmlischem Sein, nicht bei den Dämonen zu dämonischem Sein, nicht bei den Geistern zu geisterhaftem Sein, nicht bei den Menschen zu menschlichem Sein, nicht bei den Vierfüßlern zu vierfüßlerischem Sein, nicht bei den Vögeln zu vogelhaftem Sein, nicht bei den Kriechtieren zu kriechtierhaftem Sein, bei den jeweiligen Lebewesen, Ānanda, in ihrem Sosein, wenn die Geburt nicht wäre, die Geburt überhaupt nicht wäre, die Geburt ausgetilgt wäre, könnte dann Alter und Tod erscheinen?" – "Nein, das nicht, Verehrungswürdiger." – "Daher, Ānanda, ist dies der Grund, ist dies die Ursache, ist dies die Entstehung, ist dies die Bedingung für Alter und Tod, nämlich die Geburt.
https://www.palikanon.com/digha1/dn15.html
Immerhin wurde bereits die (dem Buddha unterstellte) "Anwerbung" der Söhne für den Sangha , also ein zölibatäres Mönchsleben ("Reinheitswandel"), von den Familien kritisch gesehen...:
Zitat
Das Hinausziehen der Hochgeschätzten
63. Zu jener Zeit nahmen wohlbekannte und hochgeschätzte Söhne guter Familien in Magadha den Reinheitswandel beim Erhabenen auf sich. Die Menschen ärgerten sich darüber, wurden unruhig und erregten sich: ‘Zur Sohnlosigkeit führt der Asket Gotama. Zur Witwenschaft führt der Asket Gotama. Der Asket Gotama führt zur Zerstörung der Familien. Erst gingen tausend Flechtenasketen zu ihm in die Hauslosigkeit und jetzt gehen auch noch zweihundertfünfzig Wanderasketen von Sañcaya zu ihm in die Hauslosigkeit. Aber auch wohlbekannte und hochgeschätzte Söhne guter Familien aus Magadha nahmen beim Asketen Gotama den Reinheitswandel auf sich. Wenn sie diese Mönche sahen, tadelten sie sie mit diesem Vers:
„Der große Asket nach Giribbaja in Magadha kam.
die Führung Sañcaya’s Asketen er übernahm,
wen wird er jetzt wohl (ver-)führen?“
........
(MV 1.4.14)
https://www.palikanon.com/vina…v01_04_13-14.html#mv01_14
Alles anzeigen
Diese Söhne waren für die Familien als "Stammhalter", Versorger/Helfer und Erben verloren, was vorwiegend bei "einzigen" Söhnen für Verzweiflung sorgte.
Speziell zum Thema "Antinatalismus" und Homosexualität im Buddhismus fand ich noch folgendes im Netz:
Zitat
Der tief verwurzelte Antinatalismus des Buddhismus muss als grundlegend für die buddhistische Sexualethik angesehen werden. Während fortpflanzungsbezogener Sex in einigen religiösen Systemen durch Mythologie, Fruchtbarkeitskulte, religiöse Moral und die Sakralisierung der Ehe aufgewertet wird,und die Traditionen, die den monastischen Buddhismus in Indien begründeten, sprechen der menschlichen Fortpflanzung jeden moralischen und soteriologischen Wert ab und weisen darauf hin, dass Fortpflanzung – und die Realität der Geburt im Allgemeinen – dem buddhistischen Pfad hinderlich seien.
Zitat
... Die Fessel des sexuellen Begehrens führt zu Leid, doch Sexualität ist auch deshalb problematisch, weil sie der biologische Motor ist, der das Rad des Saṃsāra dreht und den Kreislauf der menschlichen Wiedergeburt antreibt. Wer fortpflanzungsbezogenen Sex hat, nimmt an dem kosmischen Mechanismus teil, der unaufhörlich Unwissenheit und Elend hervorbringt. ...
...Wenn der monastische Buddhismus des vormodernen Indiens Sex mit dem Hauptziel disziplinierte, ihn nicht-reproduktiv zu machen, war die beste Möglichkeit, dies für die Mehrheit der Mitglieder zu erreichen, natürlich die Forderung nach strikter Enthaltsamkeit. Die zweitbeste Möglichkeit war die Tolerierung (oder manchmal sogar Wertschätzung) von homosexuellem Sex oder nicht-ejakulativer Sexualität gegenüber gewöhnlicher Heterosexualität. Wir können beide Ansätze in vormodernen indischen buddhistischen Quellen beobachten. ....
(Quelle: Buddhismus und Sexualität/ Das Oxford-Handbuch der buddhistischen Ethik/Oxford Academic)
Die Folgen lassen sich erahnen:
Zitat
Leonard Zwilling, Autor eines frühen Artikels über Homosexualität im klassischen Buddhismus, stellt fest, dass man trotz eines weit verbreiteten Vorurteils gegenüber geschlechts- und geschlechtsnonkonformen Personen in frühen buddhistischen Quellen auch eine „gewisse Laxheit“ in Bezug auf gleichgeschlechtliche Beziehungen erkennt, die die Tatsache widerspiegelt, dass:
Zitat
Homosexualität, ganz zu schweigen von homoerotischen Freundschaften, ist mit dem Klosterleben nicht völlig unvereinbar, da sie für die Beteiligten weder eine Versuchung darstellt, den Orden, dem sie sich verpflichtet fühlen, aufzugeben, noch führt sie zu familiären Belastungen, denen viele durch den Beitritt zur Saṃgha entgehen müssten. (1992: 209)
(Quelle wie oben)
Liebe Grüße, Anna
