Die normale Denkweise im Buddhismus ist ja die, dass:
a) Befreiung mit dem Verlöschen von Gier, Hass und Verblendung verbunden ist.
Im Zen heißt es: Samsara ist Nirwana. Also MIT Gier, Hass und Verblendung ist Nirwana möglich. Shozan Jack Haubner, ein Schüler von Sasaki, hat kürzlich in der Version der Gebote, wie er sie versteht, z. B. gesagt: "Ich gelobe, mich sexuell nicht falsch zu verhalten ... und ich gelobe, nicht daran zu haften, mich sexuell nicht falsch zu verhalten."
Man muss das nicht richtig finden, aber das ist eine Tradition im Zen. Das heißt konkret, ich kann mich auch auf Gier einlassen. Bei Muho aus dem Antaiji hört man z.B. oft: "ich setze mich nicht ins Gedankenkarusell." Aber man hört wohl nicht: "Ich setze mich ins Gedankenkarusell." Das, was mal jemand mir gegenüber als "Beliebigkeit des Zen" bezeichnete, ist m. E., richtig verstanden, die Freiheit der Wahl. Kein "Nicht", sondern ein "sowohl als auch". In der Gier ist man sich aber - im Gegensatz du dem, der zum "Opfer" seiner Gier wird - deren Leere, deren Nichtigkeit bewusst. Nur führt diese Erkenntnis nicht dazu, dass man sie nur noch ablehnt oder die Befreiung nur in der Befreiung von der Gier sieht - sondern in der Befreiung vom Dualismus "Gier ist prinzipiell schlecht". Natürlich ist sie das nicht, denn wir brauchen sie z. B. zur Vermehrung.
b) Die Verminderung von Gier und Hass und Verblendung eng mit ethischen Verhalten verbunden ist
Das würde ja bedeuten, dass ein Kind zu zeugen dann unethisch wäre. Das kann also nur Unsinn sein. Solche Interpretationen kommen aus dem Mönchskodex und werden unzulässigerweise von Laien für sich adaptiert, zumindest in ihrer Argumentation (in ihrem Leben scheitern sie sowieso daran).
Wir müssten uns genau ansehen, was mit Hass und Verblendung gemeint ist. Also belasse ich es mal bei diesem Gedankenanstoß.
c) Versenkung ein Weg ist, die Entstehung von Gier, Hass und Verblendung zu erkennen ( das wäre Erkenntnis/Weisheit) und dann auch zu vermindern.
Ich denke, auch wenn das nicht falsch ist, geht es im Zen vor allem darum, zu erkennen, dass Gier, Hass und Verblendung von "leerer Natur" sind, dies aber auch für ihre Gegenstücke, z. B. Selbstgenügsamkeit, Liebe und Gleichmut etc. gilt. Also auch das Entstehen von Liebesgefühlen, vom Hochgefühl des Erwachens usw. geschieht aus der Leere. Man vergleiche das z.B. mit der Wortwahl eines Wohlfühlbuddhismus wie bei TNH, dort sind diese "Gegenstücke" nicht in ihrer Wesenheit, der Leere, erfasst, sondern werden zu etwas "Gutem", das genauso vom anderen abgegrenzt wird wie von den Menschen gemeinhin in ihren einfachen Moralvorstellungen. "Frieden ist gut, Krieg ist schlecht", statt: "Frieden und Krieg sind leer." Wenn man Letzteres gründlich verstanden hat, ist Frieden UND Krieg möglich. Wenn nicht, wird man von der Wirklichkeit, der Realität, der So-Heit eines Besseren belehrt.
Meinst du mit deinen Punkten nur, dass man bei c) nicht notwendigerweise das eine zum anderen führt?
Ja, das Vermindern von Gier, Hass und Verblendung führt nicht automatisch zu Weisheit. Diese Weisheit geht gemäß z. B. der Hosshin Koan, einem Teil der Koan-Schulung nach Hakuin, mit Unterscheidungskraft daher. Mit anderen Worten, man betrachte sich bei Unsicherheit, was "Weisheit" denn bitteschön sein solle, ob Lehrer unterscheiden können, also z.B. auf Trottel hereinfallen wie andere auch oder in Schlüsselsituationen handeln wie jeder Nicht-Zennie. Manche meinen, bei Gleichmut und Nicht-Unterscheidung stehen bleiben zu können. Aber eine der Koan-Antworten lautet:
"Den Geist von Nirwana klären ist leicht, in die Weisheit der Unterscheidung eintreten ist schwer." (Nehan no kokoro wa akirame yasuku, sabetsu no chi wa iriga tashi.)
Viele Zen-Lehrer geben sich so, wie es die Schüler erwarten: Sie machen keine Unterschiede mehr und werden dafür hoch angesehen. Sie zeigen keine Gier, keinen Hass mehr und werden darum als weise angesehen. In der Koan-Schulung wäre man an diesem Punkt gescheitert.
Diese "Weisheit der Unterscheidung" ist also keine Beliebigkeit, sondern ein Potential. Und sie ist keine Kausalkette (kein Hass = Erwachen/Nirwana).
Man würde ja davon ausgehen, dass die Verminderung von Gier und Hass weniger Egoismus bedeutet und weniger Egoismus eng mit moralischen Verhalten verknüpft ist.
Hier muss man sich doch vor allem vor einem Zirkelschluss hüten. Was ist denn zunächst mal "moralisches Verhalten"? Ist es wiederum nur das, was im Palikanon definiert ist? Oder darf die Frage erlaubt sein, ob es nicht moralisch sein kann, einen Tyrannen zu töten oder den Mörder deines Kindes? Es macht einen qualitativen Unterschied im Zen, ob dies mit oder ohne Gier und Hass geschieht, denn natürlich wird es dich selbst fertig machen, wenn du dich von solchen Gefühlen hinreissen lässt. Dass Samsara (Übungsfeld für) Nirwana ist, heißt ja nicht, dass man sich im Hamsterrad des Samsara einrichten soll, sondern dass der Aspekt des Nirwana (Loslassen) integriert wird. Aber das Ablegen dieser Gefühle, das Loslassen dieser Gefühle, führt doch nicht notgedrungen dazu, dass keine nüchterne Entscheidung für eine Handlung z. B. des Tötens mehr möglich ist. Das wäre doch wieder nur Unsinn.
Ich hasse die Mücke nicht, die ich töte, ich will aber kein Dengue Fieber bekommen. Es macht einen Unterschied für mich, ob ich die Mücke mit oder ohne Hass töte (aber nicht für die Mücke). Nun dürfen wir uns natürlich fragen, das ist ja auch die Aufgabe der Moral, welches Recht die Mücke hat oder wie sie die Sache ggf. empfinden könnte. Das geht ja über die Lehren Buddhas hinaus, denn er hat ja z.B. nie das Lebensrecht von Tieren über die Möglichkeit gestellt, bei Unwissen als Mönch ein Tier essen zu können. Wenn wir über Moral reden, müssen wir also sowieso höhere Ansprüche als der Buddha anlegen und dürfen nicht im Korsett von Mönchsregeln denken.