Beiträge von void im Thema „Die Wahrheit ist ein pfadloses Land“

    "Wahrheit" hat im Grunde zwei Bedeutungen:


    1. Normalerweise bezieht man "Wahrheit" auf "wahre Aussagen". Das heißt Wahrheit ist etwas, was auf der sprachlichen Ebene spielt. Es werden darunter also gute Modelle verstanden. Dass sich die Erde um die Sinne dreht ist so eine Aussage. Aber es sind sozusagen "gute Pfade". Die Wirklichkeit selbst ist jenseits von Wahrheiten. Die Idee Wirklichkeit auf Wahrheitwn reduzieren zu können ist (Platos Ideen) ist eine der Grundsünden der westlichen Welt. Die Wirklichkeit ist jenseits von "wahren Aussagen". Dies entspricht wohl dem, was man im Mahayana konventionelle Wahrheit nennt.
    2. Von seiner Grundbedeutung ist etwas dann wahrscheinlich, wenn man ihm vertrauen kann. Von daher sind religiöse Wahrheiten oftmals eben keine Aussagen sondern "Wege denen man vertrauen kann". Diese Wege können wie Buddhas Weg zum Erwachen weitgehend jenseits von Logik, Sprache.

    Von daher ist die Aussage "Die Wahrheit ist ein pfadloses Land" für mich in mehrerlei Hinsicht verdreht.


    Ich würde das gemeint ist, genau umgekehrt ausdrücken: Der Pfad / das Dao ist jenseits von (konventioneller) Wahrheit.

    Krishnamurti verfolgt im Grunde folgende Auffassung:

    Wenn ich mich auf die Suche nach etwas (Wahrheit, Erlösung, Rettung, etc.) begebe, werde ich auch etwas finden, das dem entspricht, was ich suche, weil die Suche immer schon das impliziert, was dann gefunden werden soll. (Joseph Beuys: Nicht suchen, finden!)


    Wenn ich etwas suche, ist damit zugleich auch eine ganze Vorstellungswelt verbunden, wie das, was ich finden möchte, beschaffen sein soll. Diese Erwartungen erfüllen dann verschiedene religiöse und spirituelle Systeme, indem sie anhand der Konstanten Alter, Krankheit, Tod und Leiden Wege suggerieren, die die als beängstigend und unzufriedenstellend erlebte Wirklichkeit gegen eine andere Seinsebene einzutauschen vorgeben. Wie sehr diese neue Ebene auf Autosuggestion und Abhängigkeit beruht, kann man anhand der Gewaltbereitschaft messen, wenn diese Systeme durch andere, konkurrierende Systeme infrage gestellt werden. Mit der Wirklichkeit haben sie jedenfalls meist nicht viel zu tun. Es sind tröstliche Spiele, Halluzinationen.

    Religiöse Konzepte dienen ja nicht vorrangig der Welterklärung sondern sind upāya - geschickte Mittel. Wie man aus der Medizin weiß hat jedes Medikament seinen Beipackzettel - wann und unter welchen Bedingungen es genommen werden soll, was die Risiken und Nebenwirkungen sind


    Bei den Hindus gibt es bzw den Begriff "bhakti-yoga":


    Bhakti-Yoga (Sanskrit, m., भक्ति योग, bhakti yoga) oder Bhakti Marga (Sanskrit: "Weg der Hingabe") ist im Hinduismus die Bezeichnung für den Weg der liebenden Hingabe an Gott, der meist als persönlich angesehen wird. Bhakti ist in allen Hauptrichtungen des Hinduismus, dem Vishnuismus, Shivaismus und Shaktismus, zu finden. Dabei nutzt Bhakti Gefühle als einen Weg, Gott nahezukommen oder sich mit ihm oder ihr zu vereinen. Meist setzt das eine dualistische Gottesvorstellung voraus, da man annimmt, dass Liebe ein Objekt benötige.

    So wie das ich im Buddhismus auf anderem Weg aufgegeben wird, wird es hier in der Liebenden Hingabe aufgegeben. Einerseits geben zahlreichen Heilige Zeugnis davon ab, wie das im Idealfall gut funktioniert, aber ebenso klar sind die Nebenwirkungen, die eben an der egoistischen Anhaftung an diesen Gott besteht. Teilweise sieht man das sogar bei einzelnen Menschen wie dem heiligen Franziskus.


    Ich denke, man mus sich der Ambiguität stellen, dass religiöse Methoden einerseits funktionieren aber auch schädliche Nebenwirkungen haben können. Viele religiöse Menschen tun das nicht - sie negieren die Risiken und Nebenwirkungen. Sie denken z B dass nur weil bhakti heilsam ist, die damit verbundenen Konzepte auch die Welt erklären, die Gesellschaft organisieren sollten und teilweise andere mit Gewalt dazu gebracht werden sollen.


    Während Krishnamurti der Ambiguität in die andere Richtung entkommt. Nur weil etwas erhebliche Risiken und Nebenwirkungen hat, bedeutet es ni hat, dass es nicht funktioniert. Jemand kann durchaus durch Hingabe sein Ego verkleinern, unabhängig ob die damit verbundene Gottesvorstellung ein Äquivalent in der Realität findet. Von daher schüttet Krishnamurti das Kind mit dem Bad aus.


    Die Aussage, dass bei manchen Systemen die Risiken die Vorteile überwiegen, ist die eine Sache. Religiöse Pfade generell auf ihre negative. wirkungen zu reduzieren, ist aber eine Extremposition, die in ihrer Tendenz zu Verallgemeinerung und Dogmatik ebenfalls zu hinterfragen ist .

    In seinem Vortrag spricht Krishnamurti zuerst von Pfadlosigkeit:


    Zitat

    Ich behaupte, dass die Wahrheit ein pfadloses Land ist, und Sie können sich ihr auf keinem Pfad nähern, durch keine Religion, durch keine Sekte. Das ist meine Ansicht, an der ich absolut und bedingungslos festhalte.

    Die Wahrheit, die grenzenlos, unbedingt, unnahbar ist, auf welchem Pfad auch immer, kann nicht organisiert werden; auch sollte keine Organisation gebildet den, um Menschen auf einen besonderen Pfad zu führen oder zu nötigen. Wenn Sie das als erstes verstehen, dann werden Sie sehen, wie unmöglich es ist, einen Glauben zu organisieren. Glaube ist eine rein individuelle Angelegenheit, und Sie können und dürfen ihn nicht organisieren. Wenn Sie es tun, dann stirbt er, erstarrt er; er wird zur Konfession, zu einer Sekte, einer Religion, die anderen aufgenötigt wird.

    Das ist es aber, was überall auf der Welt jeder zu tun versucht. Die Wahrheit wird geschmälert und zum Spielzeug für die Schwachen, für diejenigen, die nur einen Augenblick unzufrieden sind.



    Aber gleich darauf spricht er aber genau wieder von einem Weg durch unwirtliches Terrain:


    Zitat


    Die Wahrheit kann nicht heruntergeholt werden; vielmehr muss der einzelne sich die Mühe machen, zu ihr hinaufzusteigen. Sie können den Gipfel des Berges nicht ins Tal herunterholen. Wenn Sie den Gipfel des Berges erreichen wollen, müssen Sie das Tal durchqueren und die steilen Felsen hinaufklettern, ohne sich vor den gefährlichen Klippen zu fürchten.


    Und wenn es da gefährliche Klippen gibt, dann kann man sich ja auch gegenseitig helfen, das durchzunavigieren


    Hier kommt es so rüber ist, das wogegen Krishnamurti ist nicht unbedingt Wege)Pfade sind sondern das "den Gipfel ins Tal herunterholen".


    Also vielleicht eben die Reduktion auf Konzepte und Sprachliches - etwas was die lebendige Wirklichkeit auf etwas ausgedacht es reduziert.

    Wie soll das ein Mensch mit schwerer psychischer Stoerung bewerkstelligen? Z.B. Jemand, der Halluzination und Wahnvorstellungen hat, oder auch dement ist. Magst du das erlaeutern, Igor?

    Es gibt ja fast alle psychischen Störungen in verschiedenen Abstufungen. Man kann leicht dement sein und noch alle möglichen Techniken einsetzten um das zu kompensieren oder schwer dement. Man kann eine Depression haben, wo man selber noch handlungsfähig ist, und eine wo das nicht mehr der Fall ist. Und auch bei Leuten mit Psychose gibt es einige die da z.B noch meditieren können und andere bei denen das einfach - beim Besten Willen- nicht geht. Man kann da nicht verallgemeinern.

    Krishnamurti war ein sehr rigoroser und strenger Mensch in seinen gewählten Worten, welcher jedoch vorher ebenso ein Floß oder eine Krücke benötigt hat, um seine ins Außen mitgeteilten Erkenntnisse zu sammeln und irgendwann kundzutun aber schlussendlich dann davor warnt, das alles was den Geist einschränkt, also jeglicher vorgegebener, Pfad überwunden werden sollte. Ich würde mich über das Weglassen, dass man vorerst eine Krücke benötigt, garnicht so hineinhängen.

    Krishnamurti war sicher ein großartiger Inspirator. Hier im Forum gibt es zahlreiche Menschen die seine Bücher gelesen haben und sich von seinen Gedanken anregen ließen. Er schrieb viele Bücher und hielt zahlreiche Vorträge. Aber er baute eben keine Organisation auf. Er inspirierte aber brachte niemand zur Befreiung.


    Während das zentrale an Buddha eben war, dass er den Menschen ein Floß - ein nen Pfad zur Befreiung brachte. Während ihm sein eigenes Leben - sein Wohl und Wehe nicht besonders. Was ihm dagegen wichtig war, war das der Pfad zur Befreiung - die Krücken die die Menschen von Samsara zu Befreiung beförderen erhalten bleiben. Dass Dharma und Sangha fortbestehen war das Projekt dem er dem größten Teil seines Lebens widmete. Der Krückenbaum trug Früchte - an der Zusammenfassung des Palikanons beim ersten buddhistischen Konzil waren 500 Arhats beteiligt und seitdem gab es bestimmt mehrere Tausende davon. Der Pfad in das pfadlose Land ist gangbar

    Krishnamurti:

    Ich behaupte, dass die Wahrheit ein pfadloses Land ist, und Sie können sich ihr auf keinem Pfad nähern, durch keine Religion, durch keine Sekte. Das ist meine Ansicht, an der ich absolut und bedingungslos festhalte. Die WAHRHEIT, die grenzenlos, unbedingt, unnahbar ist, auf welchem Pfad auch immer, kann nicht organisiert werden; auch sollte keine Organisation gebildet werden, um Menschen auf einen besonderen Pfad zu führen

    Für mich gehen da bei Krishnamurti mehrere Sachen durcheinander. Vieles ist ja, so dass man ihm da von einer Zen Perspektive aus zustimmen kann. Die lebendige Wirklichkeit ist nicht durch Worte einzufangen. Wirklichkeit kann nie auf Aussagen oder Systeme reduziert werden.


    Aber ich denke Krishnamurti sagt nicht nur, dass religiöse Methoden wie Flöße nur temporär sind und dann losgelassen werden, sondern er spricht Flößen generell den Sinn ab. Man soll sie nicht bauen. Dies ist doch ein großer Unterschied. Es ist auch etwas anderes, wenn man wie das Herzsutra Buddha, Dharma und Sangha als letztendlich leer und loszulassen sieht, oder ob man sie als nutzlos sieht. Mir kommt vor, Krishnamurti durchschaut Form als Keerheit, sieht aber nicht, wie sich Leerheit konkret als Form manifestiert.


    Auch im Bezug auf einen Pfad sieht er da die Gefahr da anzuhaften und etwas daraus zu machen - Organisationen und Strukturen zu schaffen, die ungenügend sind. Aber er sieht einen Pfad nicht als lebendige Praxis.


    Durch eine Praxis des Stillwerdens kann man sich der Stille annähern. Durch eine Praxis der Gewaltlosigkeit der Geduld. Durch eine Praxis der Friedfertigkeit dem Frieden. Ein Koan oder Shikantaza oder auch ein Mantra sind ja Pfade der lebendigen Praxis, wo sich eher der Gehende, das Ziel und das Gehen auflösen als die Praxis selbst.


    Und auch die Organisation und die Weitergabe - das Aufzeigen von Befreiung können eine lebendige Praxis sein - das Weitergeben der Lampe.


    Mir kommt vor als versteht Krishnamurti unter Pfad etwas anderes - nicht lebendige Praxis sondern etwas Totes. Äußerlichkeiten wie Ränge oder Strukturen.

    Die Rede hat einen ganz bestimmten historischen Kontext: Die Theosophen erwarteten von Krishnamurti ein Weltlehrer zu werden und der Welt die Wahrheit zu enthüllen. Und er lehnte diese Rolle für sich ab. Das muß man ihm zugestehen.


    So aus dem Kontext genommen ist die von Krishnamurti geäußerte Idee aber nicht sehr hilfreich. Nur weil man an religiösen Strukturen anhaften kann, weil sie zum Hindernis werden können, das Kind mit dem Bade auszuschütten kommt mir übertrieben vor.


    Wenn der Mensch verblendet ist, dann gibt es immer Möglichkeiten die Verblendung zu vermindern, Gier und Hass zu reduzieren, Lügen zu vermeiden. Auch wenn die Wahrheit ein pfadloses Land ist, führen Pfade hin..


    Wenn isolierte Egos das Problem sind, dann gibt es immer die Möglichkeit zusammenzufinden, Solidarität zu üben,Gemeinschaften zu bilden. Der edle achtfache Pfad ist eine gute Sache.


    Nur weil Krishnamurti als Weltlehrer gescheitert ist, bedeutet das nicht, dass Buddha gescheitert wäre.