TMingyur:
Ich bezog mich auf die Konditionierung bzgl. "gut" als ich schrieb "die aber eben auf Anhaftung an dieser Vorstellung von "gut" beruhen."
Die Zielrichtung ist also das Vermeiden von "Karma" jedweder Art, sowohl "gut"/"positiv" als auch "schlecht"/"negativ". Wenn wir den etwas überfrachteten Begriff "Karma", der manchmal schon metaphysische Züge anzunehmen scheint und die Phantasie zu Piruetten anregt mal ignorieren und uns "erden" und mit Begriffen arbeiten, mit denen auch ein Nicht-Buddhist was anfangen kann, dann geht es also nur um das Vermeiden des Nährens bereits bestehender Gewohnheiten/Gewohnheitsmuster und um ein Ent-Wöhnen von diesen. Darum geht es. Und ich sage, dass es nur darum geht. Ich sage auch, dass sowohl Shakyamuni als auch Bodhidharma genau dies lehrten (Annahme ist, dass das ihnen Zugeschriebene auch von ihnen stammt).
Bestimmt ist das Nähren oder Entwöhnen bereits bestehender Gewohnheiten ein zentraler Punkt, und ich nehme diesen Hinweis gerne zum Anlass, ihm in dieser Betrachtung höchste Priorität einzuräumen.
TMingyur:
mukti:
Daher werden nur die hinderlichen (schlecht) Impulse ausser Kraft gesetzt, nicht die Förderlichen (gut). Eine gute "ausgereifte Tat" ist in diesem Sinn kein Ansammeln, Aufbauen oder Anhäufen, sondern auf das Ziel der Befreiung ausgerichtet.
Das eben ist ein anderer Pfad. Den empfehle ich nicht (d.h. ich bestätige ihn nicht, verneine ihn aber auch nicht). Das ist wohl das, was du als "unsere Differenz" wahrgenommen hast.
Ja das ist der Knackpunkt. Das Fallenlassen jeglicher Bewertung steht gegen das zielgerichtete Bewerten.
TMingyur:
Jedoch indem du im Vorfeld selektierst: Die lösche ich aus und die anderen nicht, weil sie zweckdienlich sind, nährst du die Gewohnheiten bzw "sammelst weiteres Karma an" (obwohl du es vielleicht gar nicht beabsichtigst).
Also Gewohnheiten sind prinzipiell bindend, Achtsamkeit ist ohne jegliche Konditionierung, ein bewusstes Gegenwärtigsein ohne Impulsen zu folgen die aus dem Unterbewusstsein aufsteigen, auch wenn sie zielführend erscheinen. Denn alles was irgendwo hinführt ist nicht das Hier und Jetzt.
Karma erzeugt immer postive oder negative Reaktionen, zeitweiligen Himmel oder zeitweilige Hölle, Karma kann nicht zur Befreiung von Karma führen.
Soweit ist das logisch nachvollziehbar, und wie verhält sich diese theoretische Erkenntnis in der Praxis?
Eine Gewohnheits - Impuls taucht auf im Fluss der Geschehnisse. Er wird beobachtet wie alles Andere auch, aber im Gegensatz zu nicht eingewurzelten Geschehnissen verschwindet er nicht aufgrund der Beobachtung. Also wird beobachtet wie er zu Gedanken und Handlungen führt. Die gewohnte Handlung zieht die Achtsamkeit ganz an sich, die Wertung von Gut und Schlecht entsteht - ein gutes Gefühl beendet die quälende Leere des schlechten Gefühls.
Achtsamkeit wird also zum Ziel wenn sie nicht da ist, wenn sie da ist gibt es kein Ziel. Weil sie aber nicht ununterbrochen da ist, wird alles getan um sie zu erlangen, und das ist das zielgerichtete Wertesystem. Das Fallenlassen jeglicher Bewertung ist eine natürliche Folge von Achtsamkeit, und nicht eine Übung während der Unachtsamkeit.
TMingyur:
Aber der Punkt ist, dass es sich um ein Auslöschen ad infinitum handelt, den sobald dem "Wissen" auch nur die Spur von Willensformation erscheint wird diese desaktiviert. Die Inkonsistenz erscheint nur durch das Ausdrücken in Worten, weil mittels Worten immer nur ein "ja" oder "nein" vermittelt werden kann und weil eine Aussage sich immer nur auf eine Ebene von Auslöschen zu beziehen scheint, aber es gibt auch Wille(nsimpuls) bzgl. Nicht-Wollens (Anhaften an konditionierter Nicht-Anhaftung) und auch dieser wird ausgelöscht.
Dies genau führt zu den typischen, auf den ersten Blick absurd erscheinenden Bodhidharma-Äußerungen:
Zitat
"Weder in Verweilen verweilen, noch in Nicht-Verweilen verweilen, aber gemäß Dharma verweilen, dies wird verweilen in Dharma genannt."
Der Punkt ist also dass auch tief eingewurzelte Willensimpulse (Gewohnheiten) ausgelöscht werden, durch die Beobachtung verschwinden, bzw. ihr Auftauchen und Verschwinden im Fluss der Geschehnisse genauso beobachtet wird wie alles andere auch, bevor sie Gedanken und Handlungen ausbilden können.
Und wenn die Achtsamkeit grade mal nicht ausreicht? Ich meine wer ist schon auf der Ebene von Bodhidharma. Dann versucht man so achtsam wie möglich zu sein während der Handlung. Es geht also nur um das "Anwachsen der Achtsamkeit", und da sind wir wieder bei der Wertung - Achtsamkeit gut, Nicht-Achsamkeit schlecht.
Die Schlussfolgerung wäre also dass Wertung nötig ist, solange keine ununterbrochene Achtsamkeit besteht, ich sehe keinen Weg da drumrum zu kommen.
Wenn es um das Auslöschen jeglicher Willensformation geht, dann hat das ja einen Wert. Wenn es keinen Wert hat findet das Auslöschen Im Zuge der Achtsamkeit ununterbrochen von selber statt, im völlig erwachten Bewusstsein eines Buddha...