Jetzt hab ich mich doch tatsächlich näher mit diesem Batchelor befasst.
Seine großartige Errungenschaft, die "über das gesamte Spektrum der menschlichen Erfahrung angewendet werden kann", eine Reformation, die vielleicht "in der Lage ist, eine konsistente und kohärente Interpretation der buddhistischen Praxis, Philosophie und Ethik zu generieren, die als Grundlage für eine blühende menschlichen Existenz in der Art von Welt dienen könnte, in der wir heute leben", ist eine simple Umkehr, indem die vier edlen Wahrheiten in ihrer Auflistung als eine Abfolge verstanden werden:
Die Ursache von Leid ist nicht Verlangen, sondern Verlangen ist die Ursache von Leid.
Ersteres würde den Glauben nötig machen, dass man aufgrund von Verlangen geboren wurde. Denn Leid wird ja definiert als Geburt, Alter, Krankheit und Tod.
Das zweite, umgekehrte, bedarf keines solchen Glaubens, denn Leid tritt nun mal auf, und darauf folgt das Verlangen es loszuwerden bzw. das Verlangen nach Glück. Es geht also darum zuerst das Verlangen loszuwerden, nicht das Leid. Nichts neues also, nur die konstruierte Betonung auf Freiheit von Verlangen, statt Freiheit von Leid.
Das System nun, das er ELSA nennt, Erfassen und Annehmen, Loslassen, Stoppen und Aufhören, Agieren und Handeln, habe den Vorteil dass man nicht an vorgeburtliche Existenzen glauben muss, die er in den Bereich der Metaphysik verweist, als das Weltbild des alten Indien. Dieses Weltbild diene einzig der Orthodoxie, um eine Vormachtsstellung zu errichten.
Was dabei heraus kommt, ist Handeln ohne "durch Reaktivität konditioniert zu sein". Wenn die Handlungen nicht mehr von Verlangen bestimmt sind, eröffnet sich der achtfache Pfad. Das ist im Prinzip Buddhismus 2.0, der den Buddhismus auf den Kopf stellen und als falsche Lehre entlarven soll, um eventuell den wahren Buddhismus zu etablieren, denn:
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"könnten wir uns nicht auch vorstellen, dass, anstatt an ein Ende zu kommen, der Buddhismus vielleicht gerade erst beginnt?"
Vielleicht ist er ja der erste wahre Nachfolger des Buddha.
Den Wert einer Lehre erkennt man an ihrem Resultat, an der Zielsetzung. Herr Batchelor verheißt folgendes:
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Leiden vollständig zu umarmen, bedeutet nicht, Leiden zu verstärken, sondern steigert paradoxerweise deine Empfindung des Erstaunens, am Leben zu sein. Durch das «Ja»-Sagen zu Geburt, Krankheit, Alter und Tod, öffnest du dein Herz und Geist für das schiere Mysterium des Seins hier überhaupt erst: Dass du in diesem Moment atmest, den Wind in den Blättern der Bäumen rascheln hörst, du in den Nachthimmel aufschaust und in Staunen verloren bist.
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Eine sorgfältige Prüfung des eigenen menschlichen Zustandes lässt sehr wenig übrig, weswegen man narzisstisch sein könnte.
Je genauer sich jemand die vergänglichen, tragischen und unpersönlichen Bedingungen der eigenen Existenz anschaut, desto mehr bricht das Spiegelbild des geliebten, faszinierenden Selbst-Bilds auseinander und löst sich auf.
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Dieses Verfahren ist eine Vorlage, die über das gesamte Spektrum der menschlichen Erfahrung angewendet werden kann, von jemandes ethischer Vision bezüglich dessen, was ein «gutes Leben» ausmacht, bis zu jemandes tagtäglichen Interaktionen mit Kollegen am Arbeitsplatz. Buddhismus 2.0 hat kein Interesse daran, ob eine solche Lebensweise zu einem endgültigen Ziel namens «nibbana» führt oder nicht. Worauf es ankommt, ist ein immer tieferes, immer breiteres Engagement für einen Prozess der Praxis, in der jedes Element von ELSA ein notwendiger und wesentlicher Bestandteil ist.
Also Freiheit von Narzissmus, Ethik, ein gutes Leben. Was eintritt, wenn die "unpersönlichen Bedingungen der eigenen Existenz" vollkommen durchschaut werden, ist für Buddhismus 2.0 nicht relevant. Nibbana ist Freiheit von Verlangen heißt es an einer Stelle, das ist dann ein von Eigennutz befreiter Mensch, offen für das "Mysteriumm des Seins", eine "gedeihende menschliche Existenz", ein "erfülltes und aktives Leben" mit einem "reicheren kontemplativen, philosophischen und ethischen Horizont".
Sein Schlusssatz:
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So ist es mit dem Buddhismus 2.0. In Anbetracht dieses Gleichnisses (das Floß-Gleichnis) macht es wenig Sinn zu fragen: «Ist das wirklich Buddhismus?» Die einzig relevante Frage ist: «Schwimmt es?
Ich glaube es schwimmt und solange das Verlangen nach einem glücklichen Menschsein besteht, wird es wohl lange weiterschwimmen - falls da nicht einige Klippen der Selsbtherrlichkeit, Geltungsdrang und Bereicherung im Weg sind, dann könnte es zwischendurch mal untergehen. Ob es jemals irgendwo ankommt, kümmert die "säkularen Buddhisten" nicht. Sie schwimmen halt gerne so lange es geht.