Beiträge von Elliot im Thema „Unterschied mit und ohne Enthaltsamkeit?“

    Andreas:

    Die Frage ist doch genau andersherum: führt Enthaltsamkeit (notwendig) zur Befreiung?


    Nein, natürlich nicht.


    Dann könnte man den achtfachen Pfad ja auf richtige Absicht reduzieren:


    Zitat

    "Und was, Freunde, ist Richtige Absicht? Absicht der Entsagung, Absicht des Nicht-Übelwollens und Absicht der Nicht-Grausamkeit - dies wird Richtige Absicht genannt."


    (Majjhima Nikāya 141: Die Darlegung der Wahrheiten - Saccavibhaṅga Sutta)


    Viele Grüße
    Elliot

    Sôhei:

    Es gibt die Sichtweise eines formalen Theravada-Buddhismus (was nicht unbedingt das sein muss, was der Buddha lehrte oder wie er sich gewünscht hat, dass sein Erbe weitergetragen wird), dass Enthaltsamkeit eine Notwendigkeit für die völlige Befreiung/Nibbana ist.
    Diese Sichtweise wird v.a. mit Textstellen unterlegt, in denen zur Enthaltsamkeit aufgefordert wird; oder in denen auf die unheilsame Wirkung von Sinnenlust verwiesen wird.


    Oder dass Befreiung notwendig zu Enthaltsamkeit führt:



    Viele Grüße
    Elliot

    Doris Rasevic-Benz:

    Könnte es sein, dass in dem Text einfach alle Impulse als "Triebe" deklariert werden und das zu Misverständissen führt?


    Die Übersetzung "Triebe" scheint nicht sonderlich gut gelungen zu sein. Es geht um folgendes:



    Das Bedürfnis nach Geschlechtsverkehr ist im "Sinnestrieb" enthalten. Es versiegt mit der Praxis des achtfachen Pfades, der Arahant hat dieses Bedürfnis nicht mehr, kann sich dem Geschlechtsverkehr nicht mehr hingeben (obwohl er vielleicht noch nicht mal impotent ist), genauso wenig, wie er es über sich bringen kann, zu töten.


    Nicht jedoch versiegen mit dem achtfachen Pfad das Bedürfnis nach Essen, Trinken, Notdurft, Schlaf usw. Diese Bedürfnisse zählen nicht zu den "Trieben":



    Viele Grüße
    Elliot

    Doris Rasevic-Benz:

    Das liegt womöglich daran, dass der Herr Gautama ein ehrlicher Mensch war. Er hat von SEINEM Weg und SEINEN Erfahrungen berichtet und nicht darüber spekuliert, wie es anders sein könnte. Sein Weg war – gemäß der Tradition – ein Weg ohne Sexualität. Also gibt er das wieder. Sex hatte er bevor er sich auf den Weg machte. Daher kann er den Weg mit Sexualität nicht beschreiben.
    In seiner Nachfolge gibt es jedoch unzählige, die sehr wohl sexuelle Beziehungen hatten und haben und davon berichten.


    Die Arahants in seiner (direkten) "Nachfolge" wohl eher nicht:


    Zitat

    "Aber, Meister Ānanda, wenn ein Bhikkhu ein Arahant ist, mit vernichteten Trieben, der das heilige Leben gelebt hat, getan hat, was getan werden mußte, die Bürde abgelegt hat, das wahre Ziel erreicht hat, die Fesseln des Werdens zerstört hat und durch letztendliche Erkenntnis vollständig befreit ist, könnte er Sinnesvergnügen genießen?"


    "Sandaka, wenn ein Bhikkhu ein Arahant ist, mit vernichteten Trieben, der das heilige Leben gelebt hat, getan hat, was getan werden mußte, die Bürde abgelegt hat, das wahre Ziel erreicht hat, die Fesseln des Werdens zerstört hat und durch letztendliche Erkenntnis vollständig befreit ist, ist er unfähig, Übertretungen in fünf Fällen zu begehen. Ein Bhikkhu, dessen Triebe vernichtet sind, ist unfähig, absichtlich einem Lebewesen das Leben zu nehmen; er ist unfähig zu nehmen, was nicht gegeben wurde, das heißt zu stehlen; er ist unfähig, sich dem Geschlechtsverkehr hinzugeben; er ist unfähig, wissentlich die Unwahrheit zu sprechen; er ist unfähig, Sinnesvergnügen zu genießen, indem er sie ansammelt, wie er es früher im Laiendasein getan hat [4]. Wenn ein Bhikkhu ein Arahant ist, mit vernichteten Trieben, der das heilige Leben gelebt hat, getan hat, was getan werden mußte, die Bürde abgelegt hat, das wahre Ziel erreicht hat, die Fesseln des Werdens zerstört hat und durch letztendliche Erkenntnis vollständig befreit ist, ist er unfähig, Übertretungen in diesen fünf Fällen zu begehen."


    (Majjhima Nikāya 76: An Sandaka - Sandaka Sutta)


    Viele Grüße
    Elliot

    Lieber Sôhei,


    Sôhei:

    Können christliche Priester/Mönche an und für sich nicht diese von dir angeführten Verweilungen erreichen?


    Es wäre mir jedenfalls neu, dass es unter christlichen Priestern/Mönchen verbreitet ist, sich in samma samadhi zu üben.


    Sôhei:

    Oder hat jeder enthaltsam Lebende, egal ob Christ oder Buddhist, der unzufrieden mit der Enthaltsamkeit ist, diese Verweilungen nicht erfahren? Oder endet mit einer Erfahrung dieser Verweilungen jegliches sexuelle Verlangen ein für allemal?


    Das kann sein, muss aber nicht:


    Zitat

    "... Ich hatte drei Paläste, einen für die Regenzeit, einen für den Winter und einen für den Sommer. Ich hielt mich die vier Monate der Regenzeit über im Regenzeit-Palast auf, vergnügte mich mit Musikern, die alle Frauen waren, und ich ging nicht zum unteren Palast hinunter."


    "Bei einer späteren Gelegenheit, nachdem ich den Ursprung, das Verschwinden, die Befriedigung, die Gefahr und das Entkommen im Falle der Sinnesvergnügen der Wirklichkeit entsprechend kannte , überwand ich das Begehren nach Sinnesvergnügen, entfernte ich das Fieber nach Sinnesvergnügen, und ich verweile ohne Durst, mit einem Geist, der inneren Frieden hat. ... Warum ist das so? Māgandiya, weil es eine Freude gibt, abseits von Sinnesvergnügen, abseits von unheilsamen Geisteszuständen, welche himmlische Glückseligkeit übertrifft. ..."


    (Majjhima Nikāya 75: An Māgandiya - Māgandiya Sutta)


    Es ist auch eine Frage der individuellen Veranlagung:


    Zitat

    "Und was, ihr Bhikkhus, ist die Art, Dinge zu verrichten, die jetzt schmerzhaft ist und in der Zukunft als Glück heranreift? Jemand, ihr Bhikkhus, hat von Natur aus starke Begierde in sich und ständig erfährt er Schmerz und Trauer, die aus der Begierde entstehen; er hat von Natur aus starken Haß in sich und ständig erfährt er Schmerz und Trauer, die aus dem Haß entstehen; er hat von Natur aus starke Verblendung in sich und ständig erfährt er Schmerz und Trauer, die aus der Verblendung entstehen. Dennoch führt er in Schmerz und Trauer, weinend mit tränenüberströmtem Gesicht, das perfekte und reine heilige Leben. Bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode erscheint er an einem glücklichen Bestimmungsort, ja sogar in der himmlischen Welt wieder. Dies nennt man die Art, Dinge zu verrichten, die jetzt schmerzhaft ist und in der Zukunft als Glück heranreift."


    "Und was, ihr Bhikkhus, ist die Art, Dinge zu verrichten, die jetzt angenehm ist und in der Zukunft als Glück heranreift? Jemand, ihr Bhikkhus, hat von Natur aus nicht starke Begierde in sich und er erfährt nicht ständig Schmerz und Trauer, die aus der Begierde entstehen; er hat von Natur aus nicht starken Haß in sich und er erfährt nicht ständig Schmerz und Trauer, die aus dem Haß entstehen; er hat von Natur aus nicht starke Verblendung in sich und er erfährt nicht ständig Schmerz und Trauer, die aus der Verblendung entstehen. Ganz abgeschieden von Sinnesvergnügen, abgeschieden von unheilsamen Geisteszuständen, tritt er in die erste Vertiefung ein, die von anfänglicher und anhaltender Hinwendung des Geistes begleitet ist, und verweilt darin, mit Verzückung und Glückseligkeit, die aus der Abgeschiedenheit entstanden sind. Mit der Stillung der anfänglichen und anhaltenden Hinwendung des Geistes (zum Meditationsobjekt) tritt er in die zweite Vertiefung ein, die innere Beruhigung und Einheit des Herzens enthält, ohne anfängliche und anhaltende Hinwendung des Geistes, und verweilt darin, mit Verzückung und Glückseligkeit, die aus der Konzentration entstanden sind. Mit dem Verblassen der Verzückung, in Gleichmut verweilend, achtsam und wissensklar, voll körperlich erlebter Glückseligkeit, tritt er in die dritte Vertiefung ein, von der die Edlen sagen: 'Glückselig verweilt derjenige, der voll Gleichmut und Achtsamkeit ist', und verweilt darin. Mit dem Überwinden von Glück und Schmerz und dem schon früheren Verschwinden von Freude und Trauer, tritt er in die vierte Vertiefung ein, die aufgrund von Gleichmut Weder-Schmerzhaftes-noch-Angenehmes und Reinheit der Achtsamkeit in sich hat, und verweilt darin. Bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode erscheint er an einem glücklichen Bestimmungsort, ja sogar in der himmlischen Welt wieder. Dies nennt man die Art, Dinge zu verrichten, die jetzt angenehm ist und in der Zukunft als Glück heranreift. Dies, ihr Bhikkhus, sind die vier Arten, Dinge zu verrichten."


    (Majjhima Nikāya 45: Die kürzere Lehrrede über die Arten, Dinge zu verrichten - Cūḷadhammasamādāna Sutta)


    Das ist sicher nicht jedem gegeben:


    Zitat

    "... Einmal lehrte der Mönch Gotama eine Versammlung von mehreren hundert Anhängern sein Dhamma, und da räusperte sich ein bestimmter Schüler von ihm. Daraufhin stieß ihn einer seiner Gefährten im heiligen Leben mit dem Knie an, um ihm damit zu sagen: >Sei still, ehrwürdiger Herr, mach keinen Lärm; der Erhabene, der Lehrer lehrt uns das Dhamma.< Wenn der Mönch Gotama eine Versammlung von mehreren hundert Anhängern das Dhamma lehrt, ist bei jener Gelegenheit keinerlei Husten oder Räuspern seitens seiner Schüler zu hören. Denn dann befindet sich jene große Versammlung in gespannter Erwartung: >Laßt uns das Dhamma hören, das der Erhabene gleich lehren wird.< So als ob ein Mann an einer Wegkreuzung stünde und reinen Honig aus Waben preßte, und eine große Gruppe von Menschen befände sich in gespannter Erwartung, ebenso ist, wenn der Mönch Gotama eine Versammlung von mehreren hundert Anhängern das Dhamma lehrt, bei jener Gelegenheit keinerlei Husten oder Räuspern seitens seiner Schüler zu hören. Denn dann befindet sich jene große Versammlung in gespannter Erwartung: >Laßt uns das Dhamma hören, das der Erhabene gleich lehren wird.< Und sogar jene seiner Schüler, die sich von ihren Gefährten im heiligen Leben trennen und zum niedrigen Leben zurückkehren - sogar sie preisen den Lehrer und das Dhamma und die Sangha; sie geben sich selbst statt anderen die Schuld, indem sie sagen: >Wir hatten Pech, wir haben wenig Verdienste; denn obwohl wir in solch einem wohlverkündeten Dhamma, einer wohlverkündeten Disziplin in die Hauslosigkeit gezogen sind, waren wir nicht in der Lage, das vollkommene und reine heilige Leben bis zu unserem Lebensende zu leben.< Nachdem sie Klosterdiener oder Laienanhänger geworden sind, nehmen sie die fünf Übungsregeln auf sich und befolgen sie. Auf solche Weise wird der Mönch Gotama von seinen Schülern geehrt, respektiert, gewürdigt und verehrt, und seine Schüler leben in Abhängigkeit von ihm, während sie ihn ehren und respektieren.'"


    (Majjhima Nikāya 77: Die längere Lehrrede an Sakuludāyin - Mahāsakuludāyi Sutta)


    Viele Grüße
    Elliot

    Sôhei:

    Am ehesten sind zu dem Thema doch wohl noch Befragungen christlicher Priester zugänglich, und da zeichnet sich klar ab, dass der Zölibat eher als unbefriedigend empfunden wird (und jetzt bitte nicht mit: "die folgen ja auch dem falschen Glauben", "meditieren ja nicht wie Buddhisten" etc. kommen).


    Doch, genau deshalb dienen die Erfahrungen christlicher Priester, die im Zölibat leben, aber die angenehmen Verweilungen hier und jetzt nicht kennen, nicht zum Vergleich.



    Viele Grüße
    Elliot