Beiträge von Simo im Thema „Visuddhi-Magga vs. Sutta-Piṭaka“

    Elliot:
    Simo:

    Ferner wird sowohl im Pāli als auch im Deutschen "selbst" schlichtweg als rückbezüzgliches Personalpronomen gebraucht. Dabei steht "selbst", als ein erstarrter Genitiv des Demonstrativpronomens "selb-" im Kasus der Herkunft und Zugehörigkeit (daher auch oft "leer von einem Selbst und was zu einem Selbst gehört).


    Für diese Auffassung würde ich mir konkrete Zitate aus dem Sutta-Piṭaka wünschen.


    Ich möchte vorher anmerken, dass das keineswegs der einzige Sinn ist, indem atta in den Lehrreden gebraucht wird, sondern der umgangsprachlich-alltägliche. Bhante Ñāṇamoli hat in einem Beitrag zu "anatta im Theravada" ein paar Stellen für diesen Gebrauch angegeben, was ich hiereinkopiere:


    Zitat

    as “one-self” in the more or less colloquial sense: attā hi attano nātho (Dhp 124/V 160), attanā va kataṃ pāpaṃ (Dhp 12 5/V 161), attānaṃ na dade poso (SN 1:78/S I 44), ahaṃ... parisuddhakāyakammantataṃ attani samanupassamāno (MN 4/M I 17), attahitāya paṭipanno no parahitāya (AN 4:95/A II 95), n’ev’ajjhagā piyataraṃ attanā kvaci, evam piyo puthu attā paresaṃ (S N 3:8/S I 75), yam hi appiyo appiyassa kareyya taṃ te attanā va attano karonti (SN 3:4/S I 72–2), pahitatta (MN 4/M I 22), attānuvāda (AN 4:121/A II 121), attakilamathānuyoga (SN 56:11/S V 421), attadīpa (DN 16/D II 100), attānaṃ gaveseyyātha (Vin Mv I), etc.;


    Liebe Grüße.


    Dreh und Angelpunkt dieses Suttas ist die Tatsache, dass sowohl Behauptung als auch Leugnung des Selbst beide von einer impliziten Grundannahme der Zuslässigkeit von Behauptung oder Leugnung ausgehen. Auf den ersten Blick erschiene es zulässig, gemäß dem Diktum "sabbe dhammā anattā" zu sagen, "Es gibt kein Selbst". In der Leugnung eines Selbst ist Selbst aber implizit immer mitgedacht (‚Früher hatte ich ein Selbst, jetzt nicht mehr‘, als verwirrte Konsequenz der Leugnung), Behauptung und Leugnung haben beide ihren Urpsrung in der (zumindest impliziten) Annahme eines Selbst.


    Ferner wird sowohl im Pāli als auch im Deutschen "selbst" schlichtweg als rückbezüzgliches Personalpronomen gebraucht. Dabei steht "selbst", als ein erstarrter Genitiv des Demonstrativpronomens "selb-" im Kasus der Herkunft und Zugehörigkeit (daher auch oft "leer von einem Selbst und was zu einem Selbst gehört). Substantiviert wird daher "das Selbst, mein Selbst" als Prinzip jeglicher Zugehörigkeit der Erfahrung immer vorreflexiv und unthematisch mitempfunden; es ist dasjenige, wodurch beständig die Leere des Mangels, Durstes (taṇhā) zu füllen versucht wird. Eine Seele ist dabei die, durch Ansicht enstandene, vorgestellte dingliche Entsprechung dieses Zugehörigkeits-Prinzips.


    Was heißt also "sabbe dhammā anattā"? In Übereinstimmung mit dem Anattalakkhana-Sutta erläutert der Kommentar zum Dhammapada es folgendermaßen:

    Zitat


    "tattha sabbe dhammāti pañcakkhandhā eva adhippetā. anattāti “mā jīyantu mā mīyantū”ti vase vattetuṃ na sakkāti avasavattanaṭṭhena anattā attasuññā assāmikā anissarāti attho."


    "Darin sind mit "alle Phänomene" eben die Fünf Gruppen gemeint. "nicht-selbst": nicht-selbst, leer von Selbst, ohne Besitzer, ohne Herr, ist der Sinn, im Sinne der Nichtkontrollierbarkeit, dass es nicht möglich ist, Kontrolle auszuüben wie "Nicht sollen sie altern! Nicht sollen sie sterben!"."


    Liebe Grüße,


    Simo

    Lieber Elliot,


    Elliot:

    Simo hat geschrieben:
    atta erstreckt sich im Ganzen sehr viel tiefer, bis hin zum vorreflexiven, unthematischen "ich-bin"-Vermeinen (asmi-māna), welches, solange noch avijjā vorhanden ist, aufgrund der grundliegenden Perspektivität jeglichen Erlebens immer gegeben ist,



    Hast Du zu dieser Auffassung eventuell einen konkreten Quellenverweis?


    Das khemakasutta, SN 22.89, ist wohl der konkreteste dazu: https://suttacentral.net/de/sn22.89



    Liebe Grüße,


    Simon

    Lieber Elliot,


    wenn sich ātman in der Buddha-Lehre ausschließlich auf ein subsitsierendes, ewiges etc. Selbst beziehen würde, wie es z.B. von den Jains und auch anderen angenommen wird, welche Bedeutung hätte die anatta-Lehre dann für diejenigen, die von vorneherein nicht an solch einen ātman glauben (wie z.B. die meisten westlichen naturwissenschaftlichen Materialisten)? Das saccakasutta und auch das anattalakkhanasutta verdeutlichen beide, dass es sich bei der atta-Vorstellung um Vorstellungen von Zugehörigkeit, und Kontrollierbarkeit handelt.
    atta erstreckt sich im Ganzen sehr viel tiefer, bis hin zum vorreflexiven, unthematischen "ich-bin"-Vermeinen (asmi-māna), welches, solange noch avijjā vorhanden ist, aufgrund der grundliegenden Perspektivität jeglichen Erlebens immer gegeben ist.



    Liebe Grüße,


    Simo

    Lieber Florian,


    vielleicht kennst Du, (oder auch die anderen) schon diese Stelle im Sutta Nipāta - eine deutlichere Beantwortung dieser Frage von Seiten des Buddha könnte man sich wohl kaum erhoffen. Im übrigen räumt sie auch mit dem gegenseitigen Vorwurf zwischen den Theravādins und Mahāyānins von Vernichtungsglaube und Ewigkeitsglaube auf (sn 5.7, Übers. Nyanaponika):





    Liebe Grüße,


    Simo