Morpho:
Vielleicht haben noch andere User in Interesse am Thema des Thread s.
Nun ja - zumindest ich. Und zumindest so viel Interesse, dass ich mich zu einer Anmerkung veranlasst sehe. Bei einer Interpretation des Shushōgi sollte man die Zielgruppe beachten - in diesem Fall Laienanhänger der Sōtōshu, was in Japan wiederum bedeutete, dass diese aufgrund ihrer Familienzugehörigkeit einer bestimmten Sekte zugeschrieben wurden (das sog. danka-System). Anders gesagt: Zielgruppe waren Leute, die kein oder zumindest nur ein sehr geringes Wissen über die Subtilitäten des Buddhadharma allgemein und Dōgens Darlegungen speziell hatten und die damit aufgeklärt werden sollten, was für einer Art von Sekte sie eigentlich angehören. Und das, ohne sie zu überfordern. Wobei es angesichts dieser Zielgruppe dann auch nicht verwundern dürfte, dass im Shushōgi das Zazen praktisch keine Rolle spielt - das war nach damaligem Verständnis nichts, womit Laienanhänger sich zu befassen hatten.
Das Shushōgi paraphrasiert Textausschnitte aus unterschiedlichen Schriften Dōgens. Die hier diskutierte Passage beruht hauptsächlich auf Dōgens Jinshin Inga, einem Text aus dem sog. 12er-Shōbōgenzō, das auf dem Yōkōji-Manuskript beruht. Es ist Dōgens Spätwerk zuzurechnen und nimmt in seinem Gesamtwerk eine besondere Stellung ein, die Anlass zu den verschiedensten Spekulationen gegeben hat. Zum einen ist da der prononcierte Monastizismus zu nennen (insbesondere in Kesa Kudoku und Shukke Kudoku sowie Jukai), der deutlich zu Dōgens früherem Werk konstrastiert sowie die vergleichsweise naiv anmutende Darlegung buddhistischer Prinzipien - wie eben in Jinshin Inga. Die mE plausibelste Erklärung dieses Kontrastes (die kurioseste mir bislang untergekommene war übrigens eine Demenzerkrankung Dōgens) ist ebenfalls das Zielpublikum und die besonderen Umstände, unter denen diese Texte entstanden bzw. kompiliert wurden. Sie sollten - so meine These - vor allem der Unterweisung von Novizen dienen, die in dem nun etablierten Eiheiji ausgebildet wurden. Also von Jugendlichen bzw. sogar Kindern, die am Anfang ihrer Ausbildung standen und bei denen Wert auf eine feste Vertrauensbasis gelegt wurde - weniger auf exegetische Subtilitäten. Die früheren Texte hingegen waren vor allem Teil des öffentlichen Diskurses über die korrekte Übertragung des Buddhadharma nach Japan. Hier gehörten neben Mönchen anderer Richtungen (bei denen die neuen Kamakura-Schulen gerne Proselyten machten) selbstverständlich auch gebildete Laien zur Zielgruppe, die ihrerseits zur intellektuellen und politischen Führungsschicht gehörten. 'Prototyp' ist hier das Bendōwa. Da ging es auch um Patronage - um die Finanzierung des Aufbaus einer der Übermittlung des o.g. korrekten Verständnisses gewidmeten Institution, u.a. in Konkurrenz zum sich ebenfalls gerade etablierenden Rinzai-Zen und dem Amidismus. Und es ging auch um Protektion vor Übergriffen des buddhistischen Establishments - d.h. vor allem der Tendaishu. Konsequenz dieser Phase war ein Teilerfolg - die Aufgabe des Projektes Kōshōji in Kyōto und stattdessen Aufbau des Eiheiji im entlegenen (und geschützten) Echizen. Und nicht zuletzt die Integration der Reste der zerschlagenen Sangha Dainichibō Nōnins (Darumashu) mit Koun Ejō an der Spitze.
Jedenfalls - diese sehr unterschiedlichen Zielgruppen scheinen mir eine hinreichend plausible Erklärung für die eigenartige Vielschichtigkeit (die von Manchen als Widersprüchlichkeit aufgefasst wird) der Shōbōgenzō-Schriften. Um Dōgens Sicht von karma und punarbhava in ihrer Tiefe auszuloten und wenigstens partiell nachzuvollziehen, ist es unerläßlich, insbesondere auch Daigō und Shōji mit Körper und Geist zu studieren - dies gibt dann auch Jinshin Inga bzw. dem Shushōgi erst Tiefe und Hintergrund (es erhellt die 'tieferen Schichten'). Diese Voraussetzungen scheinen mir in der Diskussion hier in unterschiedlichem Maße gegeben zu sein. Für sich sind das Shushōgi und weitgehend das ganze 12er-Shōbōgenzō lediglich eine Propädeutik für Dōgens Übertragung des Buddhadharma.
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