Beiträge von Sudhana im Thema „Was sind eigentlich Karma und Wiedergeburt?“

    Sunu:
    MMK:

    Nichtvergehen, Nichtentstehen, Nichtabbrechen, Nichtandauern, Nichteinheit, Nichtvielheit, Nicht-zur-Erscheinung-Kommen, Nicht-aus-ihr-Verschwinden.

    Allen dharmas ist das Merkmal der Leere gemeinsam, sie entstehen nicht und vergehen nicht ... (Herzsutra).


    Aber das ist dann halt der Wechsel der Ebene, den Moosgarten aus gutem Grund vermeiden wollte. Wobei ich auch der Ansicht bin, dass man mit diesen Aporien ohne Wechsel der Ebene (anders: ohne ihre dialektische Aufhebung) nicht zu Potte kommt.


    Wobei natürlich fraglich ist, ob eine solche dialektische Aufhebung im Diskurs stattfinden kann - oder nicht doch beispielsweise Zazen da das geeignetere Instrument des Erkenntnisgewinns ist. Ob sich der nun wiederum im Diskurs hier zumindest vermitteln lässt, halte ich für fraglich. Das erfordert ein beidseitig anerkanntes Kompetenzgefälle - anders gesagt, eine Lehrer-Schüler-Beziehung. Ich denke, das Scheitern eines solchen Versuchs bekommen wir gerade wieder einmal vorgeführt.


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    Morpho:

    Vielleicht haben noch andere User in Interesse am Thema des Thread s. :rainbow:


    Nun ja - zumindest ich. Und zumindest so viel Interesse, dass ich mich zu einer Anmerkung veranlasst sehe. Bei einer Interpretation des Shushōgi sollte man die Zielgruppe beachten - in diesem Fall Laienanhänger der Sōtōshu, was in Japan wiederum bedeutete, dass diese aufgrund ihrer Familienzugehörigkeit einer bestimmten Sekte zugeschrieben wurden (das sog. danka-System). Anders gesagt: Zielgruppe waren Leute, die kein oder zumindest nur ein sehr geringes Wissen über die Subtilitäten des Buddhadharma allgemein und Dōgens Darlegungen speziell hatten und die damit aufgeklärt werden sollten, was für einer Art von Sekte sie eigentlich angehören. Und das, ohne sie zu überfordern. Wobei es angesichts dieser Zielgruppe dann auch nicht verwundern dürfte, dass im Shushōgi das Zazen praktisch keine Rolle spielt - das war nach damaligem Verständnis nichts, womit Laienanhänger sich zu befassen hatten.


    Das Shushōgi paraphrasiert Textausschnitte aus unterschiedlichen Schriften Dōgens. Die hier diskutierte Passage beruht hauptsächlich auf Dōgens Jinshin Inga, einem Text aus dem sog. 12er-Shōbōgenzō, das auf dem Yōkōji-Manuskript beruht. Es ist Dōgens Spätwerk zuzurechnen und nimmt in seinem Gesamtwerk eine besondere Stellung ein, die Anlass zu den verschiedensten Spekulationen gegeben hat. Zum einen ist da der prononcierte Monastizismus zu nennen (insbesondere in Kesa Kudoku und Shukke Kudoku sowie Jukai), der deutlich zu Dōgens früherem Werk konstrastiert sowie die vergleichsweise naiv anmutende Darlegung buddhistischer Prinzipien - wie eben in Jinshin Inga. Die mE plausibelste Erklärung dieses Kontrastes (die kurioseste mir bislang untergekommene war übrigens eine Demenzerkrankung Dōgens) ist ebenfalls das Zielpublikum und die besonderen Umstände, unter denen diese Texte entstanden bzw. kompiliert wurden. Sie sollten - so meine These - vor allem der Unterweisung von Novizen dienen, die in dem nun etablierten Eiheiji ausgebildet wurden. Also von Jugendlichen bzw. sogar Kindern, die am Anfang ihrer Ausbildung standen und bei denen Wert auf eine feste Vertrauensbasis gelegt wurde - weniger auf exegetische Subtilitäten. Die früheren Texte hingegen waren vor allem Teil des öffentlichen Diskurses über die korrekte Übertragung des Buddhadharma nach Japan. Hier gehörten neben Mönchen anderer Richtungen (bei denen die neuen Kamakura-Schulen gerne Proselyten machten) selbstverständlich auch gebildete Laien zur Zielgruppe, die ihrerseits zur intellektuellen und politischen Führungsschicht gehörten. 'Prototyp' ist hier das Bendōwa. Da ging es auch um Patronage - um die Finanzierung des Aufbaus einer der Übermittlung des o.g. korrekten Verständnisses gewidmeten Institution, u.a. in Konkurrenz zum sich ebenfalls gerade etablierenden Rinzai-Zen und dem Amidismus. Und es ging auch um Protektion vor Übergriffen des buddhistischen Establishments - d.h. vor allem der Tendaishu. Konsequenz dieser Phase war ein Teilerfolg - die Aufgabe des Projektes Kōshōji in Kyōto und stattdessen Aufbau des Eiheiji im entlegenen (und geschützten) Echizen. Und nicht zuletzt die Integration der Reste der zerschlagenen Sangha Dainichibō Nōnins (Darumashu) mit Koun Ejō an der Spitze.


    Jedenfalls - diese sehr unterschiedlichen Zielgruppen scheinen mir eine hinreichend plausible Erklärung für die eigenartige Vielschichtigkeit (die von Manchen als Widersprüchlichkeit aufgefasst wird) der Shōbōgenzō-Schriften. Um Dōgens Sicht von karma und punarbhava in ihrer Tiefe auszuloten und wenigstens partiell nachzuvollziehen, ist es unerläßlich, insbesondere auch Daigō und Shōji mit Körper und Geist zu studieren - dies gibt dann auch Jinshin Inga bzw. dem Shushōgi erst Tiefe und Hintergrund (es erhellt die 'tieferen Schichten'). Diese Voraussetzungen scheinen mir in der Diskussion hier in unterschiedlichem Maße gegeben zu sein. Für sich sind das Shushōgi und weitgehend das ganze 12er-Shōbōgenzō lediglich eine Propädeutik für Dōgens Übertragung des Buddhadharma.


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    kilaya:
    Sudhana:

    Man mag dann selbst beurteilen, wie weit meine Charakterisierung zutreffend ist oder nicht.


    Ich glaube das Problem ist da tatsächlich, dass der tibetische Buddhismus so vielseitig ist und verschiedene Tantraklassen umfasst, die auf verschiedenen philosophischen Schulen und Sichtweisen beruhen. Teilweise ist die Darstellung speziell in den unteren Tantraklassen stark vereinfacht,


    Sorry, dass ich hier abbreche, aber das Problem ist, dass Du komplett im falschen Film bist. Der Name Dharmakīrti sagt Dir offensichtlich nichts. Hast Du in den Essay von Hayes überhaupt mal reingeschaut? Sind Dir die fünf 'gesammelten Themen' (tshad ma'i bsdus grva) nach dem Nālanda-System eigentlich irgendwie ein Begriff? Die sind gleich in allen tibetischen buddhistischen Schulen, das ist Grundlagenstudium im tibetischen Buddhismus. Angelehnt daran übrigens auch das Grundstudium am Tibetischen Zentrum in Hamburg. Prajñāpāramitā (shes rab kyi pha rol du phyin pa/ phar phyin), Mādhyamaka (dbu ma), Pramāṇa (tshad ma), Abhidharma (mngon pa mdzod) und Vinaya ('dul ba). Hauptwerk im Fach Pramāṇa (Epistomologie) ist (neben Dignāgas Pramāṇasamuccaya) das Pramāṇavārttika, um das es hier geht. Das studiert man, bevor man auf die Tantras losgelassen wird - weil es Voraussetzung für deren korrektes Verständnis ist. Jedenfalls in einer traditionellen (Geshe-)Ausbildung.

    kilaya:

    dann habe ich meine eigene Lehrmeinung gebildet, die an den "tibetischen Buddhismus" angelehnt ist


    So ist das wohl. Ist auch nichts dagegen einzuwenden. Nur macht es halt einen Unterschied, ob man in einer Diskussion den Standpunkt einer Traditionslinie vertritt / darstellt oder seine persönliche Meinung.


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    kilaya:
    Sudhana:

    Dieser Geist-Materie-Dualismus, der die eigentliche Grundlage "tibetischer" Reinkarnationstheorien ist, ...


    Das ist merkwürdig, weil ich da keinen Dualismus sehen kann.


    Wie schon geschrieben, möchte ich hier nicht Dharmakīrtis Pramāṇavārttika diskutieren, dazu ist meine Kenntnis des Textes zu fragmentarisch. Nur darauf hinweisen, dass die Darlegungen von Reinkarnation, wie ich sie z.B. bei Alexander Berzin oder dem Dalai Lama gelesen habe, offensichtlich (und explizit) ganz wesentlich darauf beruhen. Dass das eine Gelug-Spezialität ist, glaube ich nicht - lasse mich da aber ggf. gerne eines besseren belehren. Zu noch späteren Ausarbeitungen in der Anuttarayoga-Tantra-Klasse, auf die in den genannten Darlegungen ebenfalls verwiesen wird, kann ich nichts sagen - die Beschäftigung damit ist mir vom Standort meiner eigenen Traditionslinie aus nun wirklich doch zu entlegen. Als Beleg, dass ich mir die oben kritisierte Charakterisierung nicht einfach aus dem Arsch gezogen habe, verlinke ich ich hier einen Essay von Richard P. Hayes mit etlichen Originalzitaten aus dem Pramāṇavārttika. Man mag dann selbst beurteilen, wie weit meine Charakterisierung zutreffend ist oder nicht.


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    Moosgarten:

    Nicht allein durch "Diskussion", aber auch nicht allein durch "Übung der Samadhi-Pfadglieder"


    Dazu noch eine kurze und hoffentlich nicht allzu schwer verständliche Anmerkung zur Form (nicht zum Inhalt) dieser und der vergangenen Diskussionen zum anliegenden Thema. Nach meiner Auffassung sind karma und punarbhava im Kontext Buddhismus Aporien und es ist nicht im Sinne des Dharma, sie als Anlass zur Formulierung von Dogmen zu missbrauchen statt einen (symmetrischen) mäeutischen Diskurs darüber zu führen (wenn schon Diskussion ...). Das ist natürlich eine Sichtweise, die meinerseits auf Nagārjunas Tetralemma-Methode und nicht zuletzt auf der Behandlung von Präzedenzfällen in der Chan / Zentradition basiert, insofern bin auch ich da natürlich 'Partei'. Dass der Śrāvaka-Zugang zum Thema eher auf der Unterscheidung gültiger von ungültigen Textinterpretationen basiert - anders gesagt: dogmatisch ist - kann wohl nicht überraschen; genau dies definiert den Śrāvaka (insofern ist dies eine tautologische Aussage). Wobei (dies vorsorglich angemerkt) 'Śrāvaka' hier nicht im Sinne einer Traditionszuschreibung gemeint ist, auch wenn es da (bei den Traditionen bzw. deren jeweiligen Anhängern) sicherlich unterschiedlich große Deckungsbereiche gibt. Konkret ergibt sich daraus natürlich ein grundsätzliches Verständigungsproblem. Bei solch diametral verschiedenen Ausgangsvoraussetzungen scheitert der Diskurs notwendig. Insofern kann ich nicht umhin, hier eine bedauerliche Vergeudung von Zeit und Energie zu konstatieren.


    Wobei natürlich auch dies nicht mehr als ein weiterer fruchtloser Versuch ist, den Dharma vor Missverständnissen zu schützen ;) . Aber ich will mich nicht ganz davor drücken, dabei mitzuhelfen, den Ozean leerzulöffeln ...


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    Moosgarten:
    kilaya:

    Die Frage ist dann wohl, ob man als Existenzgrundlage zwingend von einem physischen Körper ausgehen muss, oder ob es eine andere veränderliche Grundlage gibt, die nicht mit einem physischen Körper verbunden sein muss.


    Es ist einfach eine gegenseitige Bedingtheit, da gibt es kein Primat des Einen über das Anderen. Es gibt auch in Wirklichkeit keine Trennung von "physischem Körper" und irgendwelchem "Geistigen", die Unterscheidung ist rein begrifflich aufgrund von Benennung einzelner Funktionen.


    Zitat

    Ich weiss jetzt nicht genau, wie das im PK erklärt wird, aber aus tibetischer Sicht ist der Körper nicht zwingende Existenzgrundlage.


    Wie gesagt, geht am Problem glatt vorbei - beim Menschen besteht diese untrennbare gegenseitige Bedingtheit, und deshalb kann von daher und auch dahin nichts trasmigrieren


    Nur mal so als Anmerkung - diese "tibetische Sicht" wird natürlich nicht im Palikanon "erklärt". Auch nicht in den Überresten bzw. Übersetzungen des nördlichen Kanon. Dieser Geist-Materie-Dualismus, der die eigentliche Grundlage "tibetischer" Reinkarnationstheorien ist, geht auf Dharmakīrti zurück (genauer: das zweite, Pramāṇasiddhi-Kapitel seines Pramāṇavārttika). Das ist 6. oder schon 7. Jahrhundert u.Z. - also ziemlich lange nach der Kanonisierung und auch nach tibetischem Verständnis nicht Buddhavacana. Um mir eine kleine Spitze zu erlauben - so gerne Manche mit der Übereinstimmung buddhistischer Lehren mit aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen prahlen, so gerne wird dabei gerade diese substanzdualistische Theorie unterschlagen - aus gutem Grund. Näheren Aufschluss zu dieser Anmerkung hier.


    Vorsorglich - ich gedenke nicht, über Dharmakīrti zu diskutieren, mit dem ich nicht sonderlich gut vertraut bin. Er und schon sein Vorläufer Dignāga gehören nicht zu "meiner" Traditionslinie (und natürlich auch nicht zu der von Moosgarten, was vielleicht die Verständigungsprobleme hier etwas erklärt). Grundsätzlich finde ich die Energie, mit der hier die immergleichen Themen wieder und wieder durchgekaut werden, erstaunlich. Ich selbst vermag sie nicht so recht aufzubringen. Irgendwie hat das etwas von einem Pawlow'schen Reflex - irgend jemand schaltet (mehr oder weniger unschuldig-naiv) ein Eröffnungsposting mit 'karma' und / oder 'Reinkarnation' und prompt entwickelt sich in Nullkommanix ein Thread mit einigen Dutzend Postings. Als x-te Auflage, und genauso wenig fruchtbringend wie all die älteren.


    Trotzdem auch noch einmal von meiner Seite ein statement dazu: karma und das (irreführend mit "Wiedergeburt" oder "Reinkarnation" übersetzte) punarbhava sind hermeneutische Probleme, die sich nicht durch Diskussionen lösen lassen (dieses Forum ist das schlagende Beispiel dafür) sondern nur durch die Übung der samādhi-Pfadglieder. Wobei die prajñā-Pfadglieder (vor allem rechte Sicht hinsichtlich anatman und pratītyasamutpāda) damit primär wechselwirken - und sekundär (hinsichtlich einer karmischen Kausalbeziehung) die śīla-Pfadglieder.


    Damit soll es dann auch schon genug sein mit meinem Beitrag zu dieser neuen, erweiterten und verbesserten 8) Auflage ...


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