Lieber Raphy,
danke für deine Antwort. So diskutiere ich gerne.
Wenn man sich die 32 Bestandteile des Körpers anschaut, sieht man, dass der Körper ja nur im Zusammenspiel seiner Bestandteile als Körper bezeichnet wird,
Ja, auch der Körper, wie der Wagen und alle anderen Dinge und Ereignisse und "Ursachen" und "Wirkungen" sind bloße Bezeichnungen, Benennungen. Da ist ein Körper, ein Wagen usw. kann schon deshalb nicht sein, weil da immer mehrere Teile sind. Und diese Teile bestehen wiederum aus Teilen. Das ist genauso wie mit der Person. Da ist eine Person, du oder ich.
Ich sehe da keinen Unterschied in der Existenzweise zwischen Person, Körper und Wagen.
Sicherlich ist da ein großer Unterschied ob bei der Zusammensetzung eines Phänomens ob Bewusstsein dabei ist oder nicht. Das macht den Unterschied möglich zwischen Leiden und nicht Leiden.
Möglicherweise machen deswegen die älteren Schulen im Buddhismus einen Unterschied in der Existenzweise zwischen Lebewesen und leblosen Dingen und irgendwelchen Vorgängen. In der Mahayana-Philosophie wird der Unterschied nicht gemacht.
Du schreibst, dass Leiden zum Gefühl gehört. Wird das in deiner Tradition so gelehrt?
In der ersten edlen Wahrheit heißt es ja am Schluß, dass Dukkha anhaften an den 5 Khandha ist. Also das Zusammenspiel der 5 Khandha und das haften daran macht doch Dukkha aus.
Da sehe ich den Unterschied zwischen der Ersten und Zweiten Wahrheit der Heiligen. Die Erste Wahrheit ist Leiden, die Zweite Wahrheit sind die Ursachen des Leidens. Das Anhaften an den 5 Khandha ist Ursache. Dieses Anhaften sehe ich nicht als die Empfindung von Leiden an.
Man kann sagen, dass die Ursachen und Bedingungen des Leidens mit dem Leiden verbunden sind, weil notwendig Leiden daraus folgt.
In meiner Schule sagt man: die beiden ersten Wahrheiten sind auf der "leidenschaftsverbundenen Seite".
In der Praxis, wie man Leiden überwindet, wird aber doch klar zwischen den Ursachen (Unwissenheit, Gier und Hass) und der Wirkung (Leiden) unterschieden, oder nicht?
Auch bei den Zwölf Gliedern des Bedingten Entstehens werden Verlangen und Ergreifen als Ursachen angesehn für das erst folgende Werden, Geburt, Altern, Krankkheit, Tod und die ganze Masse des Leidens.
Aber meistens denkt man wohl an ein Selbst, wenn man oder andere vom Täter spricht. Da die meisten ja nicht vollkommen befreit sind.
Deswegen wird vielleicht auch auf die Formulierung bestanden, dass da kein Täter ist, damit nicht jemand auf die Idee kommt, da wäre ein Selbst.
Das ist mir allerdings zu philosophisch, wenn ich an das tägliche Leben denke. Ich meine, die meisten (und ich auch) denken eher: da ist ein Mensch, der etwas tut. "Genau der große Mann da mit der Lederjacke hat's getan." Dass dieser Mann als Kern ein Selbst hat, daran denke ich im Eifer des Gefechts nicht. Aber ich halte ihn in diesem Augenblick für wahrhaft existent, für beständig (so ist schon lange), für eine Einheit irgendwie. Aber dabei sehe und denke ich immer an diese spezielle Erscheinung, an diesen speziellen Täter, so wie er aussieht.
Wie meinst du das eigentlich mit den 5 Aggregaten? Also dass sie kernlos sind, darin sind wir uns wohl einig. Aber bedeutet diese Kernlosigkeit, dass sie existieren oder nicht-existieren?
Ich bin Anhänger Nagarjunas, in der Interpretation Chandrakirtis. Und da existieren die Dinge, und zwar existieren sie als Illusionen. Wenn wir sie als Illusionen erkennen, so wie wir eine Fata Morgana als Fata Morgana erkennen und nicht als vermeintlich echtes Wasser, dann haben wir die rechte Sicht.
Es kommen Ursachen und Bedingungen zusammen und daraus entsteht mittels unserer Sinnesorgane, unseres Gehirns und unseres Bewusstseins (diese sind auch Bedingungen in dem gemeinsamen Topf) eine Erscheinung, so wie eine Fata Morgana oder ein Regenbogen entsteht.
Dank der moderen Wissenschaft haben wir das wunderbare Beispiel wie das Farben sehen entsteht, oder wie Töne hören entsteht.
Das will ich hier nicht ausbreiten, dass möge jeder selbst als Übungsbeispiele mal durchdenken.
Farben und Töne also existieren nicht so wie sie uns erscheinen zu existieren: da draußen als feste, wahrhaft existente materielle Dinge oder Ereignisse (das Ding da hat eine Farbe, von dort kommt ein Ton zu meinen Ohren), sondern Farben und Töne sind Illusionen in unserem Bewusstsein. So auch die fünf Aggregate.
Diese Illusionen existieren. Sie existieren als Illusionen. Wenn man auch das nicht anerkennt, dann wäre es Nihilismus.
Das Bewusstsein:
Zitat 12. Es ist, ihr Mönche, wie wenn ein Gaukler oder Gehilfe eines Gauklers am Treffpunkt vierer Straßen sein Gaukelwerk zeigt. Und ein scharfsichtiger Mann würde es erblicken, darüber nachsinnen, es gründlich untersuchen. Ihm, der es erblickt, darüber nachsinnt, es gründlich untersucht, eben als leer würde es da erscheinen, als hohl wurde es da erscheinen, als kernlos wurde es da erscheinen. Wie sollte auch, ihr Mönche, im Gaukelwerk ein Kern sein!
Samyutta Nikaya 22.91-120
Viele grüße
Rudolf