Doch kein notwendiges Ergebnis. Dass Selbstakzeptanz - zu lernen, sich selbst liebevoll anzunehmen - ein schwieriger und oft auch schmerzvoller Prozess ist, ist natürlich richtig. Aber es ist ein Unterschied, ob man es bei einem "so bin ich - damit kann und will ich arbeiten" belässt oder ob man daraus ein "ich bin ein Opfer der gesellschaftlichen Umstände" oder auch ein "ich bin queer und stolz darauf" macht.
Mir ist nicht klar, warum Du lauter Widersprüche aufmachst. Wieso kann man "nicht so sein, wie man ist" und gleichzeitig "Opfer gesellschaftlicher Umstände" sein? Viele Transgender haben sich akzeptiert, wurden aber auch wegen des TSG zwangsgeschieden, zwangssterilisiert und man hat ihnen die Möglichkeit genommen, selbst über ihren Körper und vorzunehmende Maßnahmen zu entscheiden. Beides ist wahr: Man kann Opfer von Umständen sein und sich selbst lieben.
"Stolz" wird meiner Ansicht in der Community nicht im Sinne von "White Pride" verwendet sondern als Gegenteil von "Scham" und betont Selbstwert. Ich persönlich finde es auch ungeschickt, so etwas so kritisieren. Menschen mit Erfahrung von Marginalisierung müssen meiner Erfahrung diesen Selbstwert erst aufbauen - und das ist dann auch die Basis auf der eine spirituelle Entwicklung möglich ist.
Sudhana:
Ich halte von dem Verorten nicht viel. Das mit dem Regenbogen ist ja ein schönes Bild - aber gerade weil es, wie Du richtig schreibst, ein "Kontinuum" ist, welchen Sinn soll da das säuberliche scheiden machen? Zwischen rot und blau, grün und gelb usw. Zwischen "wir" und denen die anders sind. Ist nicht genau das die Wurzel der Probleme, die Menschen so miteinander haben?
Die Verortung ("Coming Out") ist für sexuelle und geschlechtliche Minderheiten schon wichtig, denn sie ist Voraussetzung für Selbstgestaltung. Ich bringe mal zwei Beispiele: Wenn jemand sich als "schwul" definiert, dann bedeutet das z.B.: "Ich bin nicht krank. Ich habe auch nicht sporadische gleichgeschlechtliche sexuelle Anfälle, sondern ich will emotionale Bindungen zu Männern aufbauen. Ich will eine Partnerschaft, vielleicht sogar eine Familie. Ich will ehrlich mir gegenüber sein, meinen Freunden, meiner Familie, meinen Arbeitskollegen. Mir ist klar, dass dies ein schwieriger Weg werden kann. Aber ich will diesen Weg gehen. Ich will ehrlich sein zu mir und anderen." Wie wichtig das ist, kannst Du z.B. an Menschen beobachten, die das Konzept dieser Identität nicht kennen. Schwule Geflüchtete erzählen mir, dass dies in ihrer Heimat völlig abwegig ist. Es gibt dafür keine Lebensentwürfe, noch nicht einmal einen Namen. Es wird eher wahrgenommen als eine krankhafte sexuelle Energie, die vielleicht etwas wie eine diffuse Bisexualität im Rahmen einer Ehe mit vielen Lügen ist. In so einer Situation müssen sie viele Dinge lernen: "Ich bin OK, wie ich bin. Ich kann meine Entscheidungen treffen und muss das Leben nicht von Unwerturteilen beeinflussen lassen."
Ich bringe noch ein weiteres Beispiel. Die Wissenschaft nennt das, was transgender, nicht-binär, gender-fluid etc. zugrunde liegt "Geschlechtsdysphorie". Bis vor kurzem dachte die Wissenschaft, dass dies nur bei transgender vorkommt. Nun lernt die Wissenschaft, dass das nicht so ist. Das hat erhebliche Auswirkungen, denn bei der Diagnose "Geschlechtsdysphorie" ist dann die Geschlechtsangleichung (Transition) nicht die richtige Entscheidung. Was nun einem Menschen hilft und was nicht und sogar schädlich ist, müssen die Betroffenen sehr gut verstehen, sonst entscheiden sie sich z.B. für Operationen, die sie später bereuen. Das erfordert auch Stärke, denn sie müssen sich mit Psychologen auseinandersetzten, die das Phänomen teilweise nicht verstehen und ihnen ggf. widersprechen.
Ich sehe die Verortung deswegen nicht als Problem, sofern sie auf Selbsterkenntnis und Selbstakzeptanz beruht. Und Du kannst auch davon ausgehen, dass die Betroffenen in diesem Prozess viel über sich lernen u.a. Selbstbild als internalisiertes Fremdbild ggf. um Familien- oder Gesellschaftserfahrungen zu entsprechen usw. Und jetzt gibt es noch was zu sagen. Sobald in der Community die Frage nach "Identität" und "Label" gestellt wurde, kam sofort die Gegenreaktion: "Wenn wir sowieso nicht in Schubladen passen, wieso schaffen wir uns neue?" Diese Position ist derjenigen, die sich "queer" nennen das oben beschriebene Vorhaben von sich weisen.
Diese Diskussion tobt nun seit Jahrzehnten in der Community. Ich persönlich meine, dass beide Seiten gute Argumente für ihre Position nennen - also in beiden Positionen steckt Weisheit. Ich persönlich möchte sie deswegen aber nicht gegeneinander ausspielen. Beide haben ihre Berechtigung und sie müssen sich nicht widersprechen, wenn man z.B. eine Positionierung nicht als endgültig betrachtet, sondern bereit ist, sich diese Fragen immer wieder und wieder zu stellen.
Es ist geht meiner Ansicht nicht um Abgrenzung, sondern der CSD hat andere Aussagen: Queere Menschen sind gerade nicht die "Anderen", sondern Söhne, Töchter, Onkel, Arbeitskollegen usw. Und wir sind auch keine "Besonderheiten", sondern eben eine Konsequenz der unendlichen Vielfalt, zu der alle(!) gehören. Wir sind doch nur "anders", weil die Gesellschaft in Polaritäten wie Mann - Frau oder heterosexuell - heterosexuell denkt. Natürlich gibt es auch die Polaritäten in der Realität, aber auch das Kontinuum dazwischen.
Sudhana:
Das wundert mich jetzt etwas, bei jemandem, der Zen als seine "Richtung" bezeichnet. Ist Zazen nicht die Übung des Weilens im Zeichenlosen? Und gibt es da Anfänger und Fortgeschrittene? Wenn du den Weg gehst, ist es weder nahe noch fern ...
Ich habe von einer Samadhi-Praxis geschrieben, von der mir Buddhologen gesagt haben, dass sie jenseits der Jhanas liegen soll. Ich habe aber nur kurz gegoogelt und geschlossen, dass es eine stufenweise Praxis ist und wohl völlig außerhalb meiner bescheidenen Praxis liegt. Mir ist jetzt nicht klar, warum Du eine Verbindung zu Zazen ziehst. Kennst Du eine?

P.S.: Sorry, dass ich so lange geschrieben habe. Ich komme mir sehr oberlehrerhaft vor.