Ich glaube, dass Du hier den Kern der Unterscheidung zwischen amoralisch und unmoralisch missverstehst. Man kann sich in der Welt der Phänomene nicht amoralisch verhalten. Worauf die tantrische Praxis abzielt, ist die von Dir auch genannte Ebene der Nicht-Dualität erfahrbar zu machen.
Amoralis ist lateinisch für unmoralisch. Der also diesen Unsinn hier sprachlich verzapft hat, hat nicht kapiert, was er damit aussagen kann. Wer sich über die herrschende Moral hinwegsetzt, ist amoralisch - das ist so ähnlich im Gebrauch wie asozial. Aber vielleicht geht es ja dem DJK und dem Vajrayana um diese amoralische Haltung - sich also über eine herrschende Moral hinwegsetzen, sich über eine Gesellschaft erheben, sich außerhalb sehen und stellen - also das, was auch von Leuten, wie Andrew Cohen, dem amerikanischen Guru und sogenanntem Erleuchteten angesehen wird: man ist was besonderes, was außerhalb dem gemeinen Volk stehendes - ich brauch hier nicht betonen, dass das mit dem Zen nur hinsichtlich der D.T.Suzuki-Linie passt, also dem Rinzai oder auch Krieger-Zen - wie das bei Shimano der Fall war. Aber das ist eben nicht Dogen-Zen.
Kommen wir zur Erfahrung und Erfahrbarkeit von Nicht-Dualität - genau das Herzsutra zeigt doch worum es geht: die Realität, die wir mit unseren Sinnen und Bewusstsein unterscheiden, ist eben sowohl vorhanden, als auch nicht-vorhanden. Nicht-Dualität, also das nicht unterscheidbare lässt sich auch nicht erfahren. Und es gibt keine Praxis, die das erfahrbar machen könnte. Was wird also erfahren?
Was hat der Bodhisattva erfahren, von dem er ihm Herzsutra spricht? Er saß in tiefer Versenkung - im jijuyu samadhi, von Dogen im Bendowa beschrieben.
Da heisst es:
Zitat All dies jedoch erscheint nicht in der Wahrnehmung, weil es Ungeschaffenheit in Stille ist – es ist unmittelbare Verwirklichung. Wären Übung und Verwirklichung zweierlei, wie es gewöhnlichen Leuten erscheint, könnte jedes für sich erkannt werden. Aber was mit Erkennen erfasst werden kann ist nicht die Verwirklichung selbst, weil Verwirklichung nicht von einem getäuschten Geist erreicht werden kann. In der Stille fließen Geist und Objekt in Verwirklichung ineinander und gehen über Erleuchtung hinaus; trotzdem, weil du im Zustand des selbst-erfüllenden Samadhi bist, erweiterst du - ohne seine Qualität zu stören oder ein Atom zu bewegen - Buddhas große Aktivität, die unvergleichlich tiefe und subtile Lehre.
Wir haben also einen getäuschten Geist, der Verwirklichung nicht erreichen kann - wir haben eine Verwirklichung, die nicht erkannt werden kann und wir haben die Beschreibung des Bodhisattva im Herzsutra, mit der er sein Staunen über ein Erlebnis darstellt - und er bringt dieses Erlebnis mit Begriffen seines Erfahrungshintergrundes zur Sprache:
Zitat Sariputra! Alle Dinge sind in Wahrheit leer. Nichts entsteht und nichts vergeht. Nichts ist unrein, nichts ist rein. Nichts vermehrt sich und nichts verringert sich. Es gibt in der Leere keine Form, keine Empfindung, Wahrnehmung, geistige Formkraft und kein Bewußtsein,keine Augen, Ohren, Nase, Zunge, Körper oder Geist; es gibt nichts zu sehen, hören, riechen,schmecken, fühlen oder denken, keine Unwissenheit und auch kein Ende der Unwissenheit,kein Altern und keinen Tod, noch deren Aufhebung, kein Leiden und keine Ursache des Leidens, kein Auslöschen und keinen Weg der Erlösung, keine Erkenntnis und auch kein Erreichen. Weil es nichts zu erreichen gibt, leben Bodhisattvas Prajna Paramita und ihr Geist ist unbeschwert und frei von Angst
Dies gilt auch für die Unwissenden - es gibt keinen Grund und keine Möglichkeit, keine Mittel, diese Erkenntnis als Erkenntnis weiter zu geben - als Worte - aber mit dieser Haltung ist es auch überhaupt kein Problem peinlichst auf die Einhaltung von moralischen Regeln und ethischen Geboten zu achten - besonders wenn sie als "Zumutungen" im Rahmen eines "Lehrverhältnisses" daher kommen.
Gerade in der Einhaltung von moralischen Regeln zeigt sich aber der Grad der Verwirklichung dieser Erkenntnis von der Leerheit.