Beiträge von Sudhana im Thema „Diskussion zu "Was ist säk. Buddhismus"“

    Ich hatte ja bereits auf Kyōgens weniger martialisches "In einem verdorrten Baum singt ein Drache" hingewiesen. Nichtsdestotrotz eine heftige Kritik am Buddhismus der Worte und Schriften. In der Metapher lässt sich unschwer der verdorrte Baum als Bild für die in Wort und Schrift tradierte 'relative' oder 'verhüllte' Wahrheit erkennen - die toten Überreste lebendiger Erfahrung. Der 'Drache' steht für die absolute Wahrheit, ihr Ausdruck ist nicht Wort und Schrift, sondern ihr 'Gesang'. Womit sich natürlich die Frage stellt, wofür der 'Gesang' steht.


    Ganz so harmlos, wie das im Vergleich zu 'mit den Zähnen am Ast überm Abgrund' klingt, ist allerdings auch das nicht. Sōzan meinte zum 'Singen des Drachen': "Auf der ganzen Erde gibt es niemanden, der es nicht hören kann" - natürlich eine Anspielung auf die universelle Buddhanatur. Und auf die Frage, ob er wisse, was der Gesang des Drachen bedeute, sagte er: "Ich weiß auch nicht, was der Gesang bedeutet; doch wer ihn hört, der stirbt." Womit sich natürlich die Frage stellt, was da stirbt. Und ob da ein Toter oder ein Scharlatan spricht. Aber das findet man spätestens beim Hinhören selbst heraus ...

    Das, was jenseits von Wort und Schrift übermittelt wird, lässt sich zwar durch Worte und Schriften finden - aber nicht in ihnen, sondern nur in dir selbst. Worte und Schriften sind bestenfalls Wegbeschreibungen "where X marks the spot" (die Stelle, wo der Schatz vergraben liegt) und wenn wir ihnen folgen, dann auf eigene Gefahr.


    Die Karte ist Wegbeschreibung, nicht das Gelände. Ich habe beruflich viel mit Karten gearbeitet und auch viel im Gelände gearbeitet. Heute mache ich das als einfacher Zu- und Hinschauer. Karten sind nützlich, wenn sie dir Orientierung geben. Mehr kann man von ihnen nicht erwarten, zurechtfinden musst du dich schon selbst. Wenn Du Dich im Gelände bewegst, erzeugt dein Geist ein eigenes, dreidimensionales, fraktales Bild des Geländes, vielleicht sogar ein 'reines Land' - aber für andere wiedergeben kannst du es nur als zweidimensionale Karte, mit Farbklecksen an Stelle von Erde, Himmel, Wasser und Leben.

    Was meinst du, hat Kyogen so schallend gelacht, als er oben auf dem Baum war oder lachte er so, während er unter dem Baum war?

    the only time that I feel at ease

    is swinging up and down in the coconut trees

    oh what a life of luxury to be like an apeman


    Zitat

    Der Chan-Meister Mingjue von Xuedou, der Ehrwürdige Chongxian [d.h. Xuedou Chongxian (980-1052)], sagte: "Etwas auf einem Baum zu sagen ist leicht; etwas unter einem Baum zu sagen ist schwer. Dieser alte Mönch ist auf einem Baum. Bringt mir eine Frage."

    Hallo Voyager ,

    ich fürchte, den Buddhadharma auf ein "Bildungsprojekt" zu reduzieren, wird ihm nicht gerecht - und wenn das so wäre, würde seine Übertragung in der Tat nicht funktionieren. Da verwechselt man den Finger mit dem Mond, auf den er weist. Das, was Du eine "tiefergehende 'seelische' Bemühung" nennst, ist schon erforderlich und sich wiederum darauf einzulassen, erfordert einen Vertrauensvorschuss, der grundsätzlich unter dem Vorbehalt seiner Erfüllung steht. Dieses 'Einlassen' wiederum führt zu einer tiefgreifenden Transformation; im Kontext des Bodhisattva-Weges über die Entwicklung der Paramitā. Weisheit (Prajñāparamitā) ist nur ein Aspekt davon, aber gestützt durch die Übung der anderen Paramitā führen sie zu einem zunehmend vertieften Verständnis dessen, was die Worte und Schriften übertragen; einer subjektiven Hermeneutik. Diese ist deutlich tiefergehend als die objektive Hermeneutik eines philologischen oder philosophischen Zugangs.

    Auch weil ich eine solche Methode nicht in anderen Bildungsprozessen beobachten kann

    Ich denke, wir alle sind mit solchen Methoden aufgewachsen, wo - etwa in der Schule - hochkomplexe Sachverhalte auf einfache, verständliche 'Geschichten' heruntergebrochen werden, die dem jeweiligen Fassungsvermögen gerecht werden. Man kann diese 'Geschichten' mit der Zeit gewachsenen intellektuellen Fähigkeiten anpassen - und mit den meisten (bzw. bei den meisten) ist dann irgendwann Schluss, wenn ihre Komplexitat unser Fassungsvermögen übersteigt. Oder unser Verständnis dieser Geschichten zu einer Nutzbarmachung ausreicht.

    Du schreibst, jede Aussage entsteht bedingt!- nicht jede enteht oder entstand aber in Abhängigkeit von Nichtverstehen, das ist für mich innerhalb dieses Arguments ein entscheidender Punkt, also ein entscheidender Punkt in den Erklärungen Buddhas, der mich in meiner Auffassung bestärkt und auch die Absicht, die gesamte Bandbreite von wahnaft bis geistesklar oder auch erwacht ausschließlich den Worten/dem Sprechen wie auch den Denkakten und den Handlungen anerklären zu wollen.

    Diese "gesamte Bandbreite" habe ich versucht, mit dem Dōgen-Zitat ("es gibt Menschen, die erlangen Erwachen über Erwachen und Menschen, die sich in der Irre verirren") anzudeuten. Das eine Extrem dieser Bandbreite ist bedingt durch Verstehen (da hast Du durchaus recht) und wenn diesem Verstehen in Worten und Handlungen Form gegeben wird, ist das nicht ohne weiteres und/oder für jeden verständlich. Das nonverbale und nonduale Verstehen, deren Ausdruck sie sind, muss nachvollzogen werden um diesen Ausdruck zu verstehen und ihn damit nachzuvollziehen. Das ist dann auch deren Funktion - es sind keine "Erklärungen" mehr, weil ihr Inhalt den Rahmen des durch Zeichen Kommunizierbaren übersteigt. Das heisst, er lässt sich mit "Worten/dem Sprechen wie auch den Denkakten" nicht allgemein verständlich ausdrücken / kommunizieren - sonst würde es ja genügen, ein gutes Buch zu lesen, um erleuchtet zu sein. Dazu bedarf es eines Verstehen-Könnens, das sich der Hörer oder Leser zunächst durch seine Übung ethischer, intellektueller und mentaler Transformation erwirbt. Das klassische 'dreifache Training' von Śı̄la, Prajñā und Samādhi. Intellektuelles Verstehen ist nur ein Drittel der Miete.


    Kommunizierbarkeit erfordert eine soziale Konvention über den Bedeutungsgehalt von Zeichen - etwas, das wir hier nicht haben. Die soziale Konvention erfordert vergleichbare Erfahrungen, deren Ausdruck die Zeichen sind und die Erfahrung, um die es hier geht, ist zu selten, um sozial verhandelbar zu sein. Wenn es keine unmittelbare Erfahrung des Eintritts in das Nicht-Bedingte, Ungeborene gibt, kann ihr verbaler Ausdruck nur unverständlich sein. Allenfalls hat die Aussage für den Hörer appellative Funktion hinsichtlich Nachvollzugs der Erfahrung.

    Kyogen im Fall 5 des Mumonkan ist so ein "Zeigen" oder eine Weg-Weisung.

    Ja, wobei ich Mumons Spott nachvollziehen kann: "Kyogen schnattert nur, wie schädlich sein Gift sei." Aber die Geschichte geht ja noch ein Stück weiter, Mumon unterschlägt dies:

    Zitat

    Darauf kam Acarya Sho aus Koto nach vorn und sagte: "Ich frage nicht nach seiner Lage, nachdem er schon auf den Baum geklettert war. Bitte, Meister, sage mir, wie seine Lage war, bevor er auf den Baum stieg." Der Meister brach in lautes Gelächter aus.

    (Dōgen, Kana Shōbōgenzō III.44)

    Persönlich kann ich mit Kyogens "In einem verdorrten Baum singt ein Drache" mehr anfangen - bin halt ein unheilbarer Romantiker ...

    Mir war anfänglich nicht klar, dass du Buddhas Wirken einer Nagarjuna Interpretation, also einer bestimmten nachträglichen (1000 Jahre später?) philosophischen Erklärung/Bestimmung gerecht werden wollend so beschreibst.


    Ich fragte jedoch nach einer allgemeinen Gültigkeit dieser Aussagen,

    Sorry, aber da sehe ich einen Widerspruch. Jede Aussage wie auch jede Interpretation davon (selbst eine Aussage) ist bedingt - nicht zuletzt durch den Zeitpunkt, zu dem sie gäußert wird. Mit der "Gültigkeit" dieser Aussagen, weder allgemeiner noch spezieller, hat das jedoch nichts zu tun. Es sei denn, man wolle behaupten, jede Aussage sei bestenfalls zum Zeitpunkt ihrer Äußerung gültig - also in der spezifischen Konstellation ihrer Bedingungen. Dann könnten wir uns das hier eigentlich sparen ...

    "Das ist falsch" - z.B. dass der Buddha uns Wahnvorstellungen an die Hand gegeben habe, um die Wahnvorstellungen zu überwinden.

    Nur als kleine Anmerkung: ich fand da Dōgens 'Katto' recht hilfreich; 'Schlinggewächse mit Schlinggewächsen abschneiden'. Nicht so einfach, wie es sich anhört ... Was nun Wahn und Wahrheit angeht - "es gibt Menschen, die erlangen Erwachen über Erwachen und Menschen, die sich in der Irre verirren" heisst es im Genjōkōan. Aber was 'Wahrheit' angeht, gilt nun mal Nāgārjunas "ohne sich auf Anwendung von Worten zu stützen, ohne 'verhüllte' Wahrheit, kann die Wahrheit im absoluten Sinn nicht gezeigt werden". Mehr als 'Zeigen' ist nicht drin - und: es geht nicht ums Zeigen, es geht um die gewiesene Richtung des Weges.

    Und weil es das Unbedingte impliziert, werden selbst die im Unbedingten hinter sich gelassen, oder überstiegen.

    Ja. Das ist Nāgārjunas 'Erbe' - wobei man ihn ja durchaus auch aus Sthaviravada-Perspektive lesen kann, wie David Kalupahana gezeigt hat. Ansonsten zur Frage 'nirvana' passenderweise im Zusammenhang 'Bedingtheit' nachgereicht: bei den angesprochenen drei Seinsmerkmalen gibt es einen feinen Unterschied: das Merkmal duhkha und das Merkmal anitya (Dynamik) wird ausdrücklich allen bedingten ('zusammengesetzten') Seinsmomenten (dharmas) zugesprochen, lediglich anatman trifft uneingeschränkt für alle Seinsmomente zu.


    Was natürlich schon früh die Frage aufkommen ließ, welche Seinsmomente nicht-bedingt sind. Da die Theravadin die Diskussion als einzige überlebt haben, gilt deren Meinung: es gibt nur ein nicht-bedingtes Seinsmoment, und das ist nirvana. Was heisst, dass nirvana und Nicht-bedingtes (asaṃskṛta) Wechselbegriffe sind. Etwas poetischer Buddhas Beschreibung im Palikanon: das Ungeborene.


    Okay - auch bei Schulen, die etwa auch den Raum und/oder verschiedene Instanzen von nirvana als nicht-bedingt postulierten, stand natürlich nirvana im Zentrum. Die Mahāyānin haben sich mit einem dialektrischen Trick aus der Affäre gezogen: der schon erwähnte Nāgārjuna machte geltend, 'Seinsgrenze' (bhutakhoti) von Samsara und Nirvana seien identisch, beides mithin nicht voneinander zu trennen und insofern die Frage irrelevant.


    Nach meiner Wahrnehmung wird ja im sB viel über 'Empirie' geredet und Metaphysik als eine Art Aberglaube angesehen. Nun ist ein Nicht-Bedingtes sicherlich etwas, das sich jedem empirischen Nachweis entzieht. Daher meine Frage: wie hält's der sB mit dem nirvana? Agnostisch? Und was für ein Verständnis des achtfachen Pfades ergibt sich daraus? Ist die Zielrichtung dieses Pfades nicht die Befreiung von Bedingungen durch ihr Loslassen? Und was, wenn alle Bedingungen losgelassen sind? Bezweifelt man, dass das möglich ist? Und: wie wirkt sich das für die Motivation zu buddhistischer Praxis aus?

    Denn der achtfache Pfad ist nicht dukkha,

    Der achtfache Pfad ist nur eine Idee und das Gehen des achtfachen Pfades führt - so habe ich gehört - erst im Nirvana zu Leidfreiheit bzw. letzteres definiert ersteres. Bis zu diesem Punkt mag das Gehen des Pfades die Intensität von duhkha vermindern - leidfrei ist es dadurch nicht.


    Aber schau doch einfach noch mal ins Dhammacakka-pavattana Sutta hinein:


    Zitat

    Dieses nun, ihr Mönche, ist die edle Wahrheit vom Leiden: Geburt ist Leiden, Alter ist Lei­den, Tod ist Leiden, Sorge, Kummer, Trübsinn und Verzweiflung sind Leiden. Unangeneh­men Dingen ausgesetzt sein ist Leiden, auch nicht bekommen, was man sich wünscht, ist Lei­den. In Kürze, die fünf Faktoren des Ergreifens sind Leiden.

    Die pancaupādānaskandah sind Leiden - und sie sind nichts anderes als "das samsarische Dasein". Und - auch der achtfache Pfad wird ergriffen, als dharma-viṣaya des manas.

    Ich würde doch noch mal gerne auf das Thema 'duhkha' zurückkommen. Die Definition im Glossar der Buddhastiftung und der dort verlinkte Artikel erscheinen mir doch bedauerlich flach. Und das ist meiner bescheidenen Meinung nach (nicht, dass die zählen würde ...) auch kein Buddhismus. Im Buddhismus ist 'duhkha' ein gemeinsames Merkmal alles Seienden (aller zusammengesetzten Seinsmomente, saṃskṛtadharma) und das wird auch schon im Abhidhamma recht ausführlich erläutert - einschließlich der subtilen Leidhaftigkeit auch lustvoller Phänomene. Für einen schnellen Einstieg in das Thema würde die Lektüre der Schlagworte 'dukkha' und 'dukkhatā' in Nyanatilokas 'Buddhist Dictionary' empfehlen (besser die frei erhältliche PDF-Version, die auf palikanon.com ist ziemlich verstümmelt).


    Für einen etwas säkulareren Zugang zum Thema empfehle ich Schopenhauer (da sind die einschlägigen Stellen aus WWV zitiert). War für mich seinerzeit als 'Verständnisbrücke' recht hilfreich.


    Ansonsten war ich doch etwas verblüfft über die Idee, die erste der 'vier edlen Wahrheiten' unter den Tisch fallen zu lassen. Also - 'Buddhismus' würde ich das dann nicht mehr nennen ... Wenn man 'duhkha' nicht universell versteht, sondern als ein Sammelsurium von Problemen, die sich "bewältigen" lassen, dann ist das der Ansatz, an dem man sich möglicherweise einen 'Wellness-Buddhismus' andrehen lässt. Wenn man 'duhkha' nicht universell versteht, dann doktert man nur an Symptomen herum, weil man deren Ursache nicht erkennt. Da finde ich dann eher so Sachen wie MBSR empfehlenswert und ehrlich - nicht nur säkular, auch ideologiefrei.

    Um die Antwort zu unterstreichen - denn es geht da um einen ganz wesentlichen Punkt. Letztlich um die Frage, was 'Existenz' eigentlich ist, wobei nach buddhistischer Auffassung die direkte Anschauung drei Grundcharakteristika von 'Existenz' aufweist, die sich in Begriffe fassen lassen. Das ist noch keine Antwort auf das "was", sondern auf das "wie". Eine Antwort auf das "was" entzieht sich einer sinnvollen Begrifflichkeit - Metaphysik ist nichts als der Versuch der Vortäuschung ihrer eigenen Sinnhaftigkeit. Nur entfaltete Vorstellung von 'Existenz' - über Vorstellungen kommen wir nicht hinaus. Bestenfalls können wir sie teilen, aber in der Regel lässt sich nur darüber streiten.


    Immerhin können wir etwas über das das "wie" der Existenz lernen. Da zeigt sich zunächst, dass 'Existenz' nicht statisch, sondern dynamisch ist; ein permanenter, proteischer Prozess ohne Anfang und Ende. Dieser Prozess wiederum wird als prinzipiell 'leidhaft' beurteilt - d.h. sein Ablauf wird als nicht sinnhaft eingestuft. Es ist insbesondere dieser grundsätzliche Pessimismus, der theologische 'Sinnangebote' zurückweist - und folgerichtig auch ihre moderne Version, säkulare Ideologien. Was nun das dritte Grundcharakteristikum ist: dieser Prozess ist und hat keine Substanz, deren Attribut der Prozess wäre. Da ist nur der Prozess als laufende Wechselwirkung diverser Teilfunktionen. Dieser Prozess ist anitya, duhkata, anatman - das sind nach buddhistischer Auffassung seine entscheidenden 'Merkmale' - da gibt es nichts, das diesem Prozess 'unterliegt'. Das ist dann auch wieder so ein Punkt, wo gerne theologische Bedürfnisbefriedigung angeboten wird. Auch von Buddhisten - hoffentlich als geschicktes Mittel ...