Beiträge von Sudhana im Thema „Ist der Buddhismus ein Idealismus?“

    Zunächst mal stimme ich Helmut grundsätzlich zu, wobei ich allerdings einen interkulturellen Zugang speziell zum philosophischen Aspekt des Buddhadharma als nützlich ansehe. Das kann, gerade wenn man akkulturierend (also als 'Westler') den Buddhadharma annimmt, das Verständnis des ersten Pfadaspektes (samyagdṛṣṭi / sammā diṭṭhi) erleichtern und vertiefen. Wobei ich hier pro domo spreche - als jemand, der den Zugang zum Buddhadharma über Schopenhauer gefunden hat.


    Und natürlich gibt es parallele Denkfiguren - schließlich sind wir bei allen kulturellen Unterschieden alle dieselben Superaffen und ticken entsprechend ähnlich. Madhyamaka und Skeptizismus / Pyrrhonismus sind durchaus verwandt, der frühe Buddhismus kann als eine dem neuzeitlichen (ab Locke, insbes. Hume) Sensualismus verwandte Form des Denkens/Argumentierens gesehen werden. Das Yogacara als ein absoluter Idealismus. Die Tathāgatagarbha - Lehre des Śrīmālādevī Siṃhanāda Sūtra als monistisch usw. usf. Muss man nicht alles kennen und wissen, kann aber bei Verständnisproblemen bestimmter Aspekte bei manchen Menschen (sicher nicht bei allen) durchaus hilfreich sein.


    Ich will das gar nicht überbewerten - wie schon geschrieben geht es hier nur um einen von acht Aspekten des Buddhadharma.

    Zitat

    Alles Gescheite ist schon gedacht worden, man muss nur versuchen, es noch einmal zu denken.

    (J. W. v. Goethe, Wilhelm Meisters Wanderjahre)

    Ich zitiere mal Lindtners Übersetzung:

    Zitat

    [The three natures] - the imagined, the dependent, and the absolute -

    have only one nature of their own: śūnyatā.

    They are the imaginations of mind.

    Meines Erachtens bezieht sich das "imaginations" auf die drei Naturen, nicht auf śūnyatā.

    Dass das Bodhicittavivaraṇa von Nāgārjuna stammt, ist (zurückhaltend gesagt) umstritten; ich persönlich halte die Zuschreibung für grob anachronistisch. Wobei Prof. Christoph Lindtner (der den Text für authentisch hält) generell recht großzügig mit dem Prädikat 'authentisch' bei Nāgārjuna zugeschriebenen Texten ist. Für die Gegenposition steht hier insbesondere Dr. Carmen Dragonetti, die das BV als eklektisch und synkretistisch einstuft und auch insbesondere Zitate aus Maitreyas Madhyāntavibhāga nachgewiesen hat.


    Wenn der Nāgārjuna, von dem die Mūlamadhyamakakārikā stammen, im 2. Jhdt. n.d.Z. lebte (was in der Forschung als einigermaßen gesichert gilt), dann trennen ihn über 200 Jahre von Vasubandhu und Asaṅga - und damit von der hier (angeblich von Nāgārjuna) in den Versen 26 - 56 kritisierten Cittamātra - Schule. Prof. Lindtner interpretiert diese Verse als Kritik am Laṅkāvatārasūtra, das er für älter als Nāgārjuna hält - womit er freilich eine extreme Außenseiterposition bezieht, nur um die Zuschreibung zu "retten". Prof. Jikido Takasakis Datierung des Laṅkāvatāra in das 4./5. Jahrhundert ist hingegen weitgehend akzeptierte Lehrmeinung.


    So viel zum angeblichen Autor. Der mag zwar auch Nāgārjuna geheißen haben (eher unwahrscheinlich), aber er lebte 2 - 3 Jahrhunderte nach dem Autor der MMK. Das ist ein bißchen so, als würde man eine Kritik des Existentialismus von Immanuel Kant präsentieren. Das fällt dann wohl unter siddhi - oder man muss einen Fall extremster Langlebigkeit annehmen ... ;)


    Inhaltlich ist die Kritik (sicher aus der Madhyamaka-Schule stammend) wenig fundiert, was wohl mit etwas Polemik kaschiert werden soll. Grundsätzlich sind solche Texte eher 'Merkverse', die vor allem als Grundlage ausführlicher Kommentierung dienten (wie etwa die MMK auch). Mit einem vierzeiligen Vers (konkret 28) z.B. die trisvabhāva - Lehre zu demontieren, ist schon etwas viel verlangt. Für Argumente ist da nicht viel Raum ...


    Prof. Lindtner beschreibt das BV als einen "regrettably neglected text" (bedauerlicherweise vernachlässigten Text) - auch diese Einschätzung Prof. Lindtners teile ich nicht.

    Echt jetzt?

    Es ist etliche Jährchen her, dass ich mich mit 'Das Sein und das Nichts' befasst habe, aber ich meine doch, mich recht zu erinnern. Der Untertitel 'Versuch einer phänomenologischen Ontologie' verweist ja schon auf die Herangehensweise. Ansonsten ging es bei dieser Bemerkung wohl speziell um das unauflösbare Solipsismus-Dilemma.

    Niemand in der Wissenschaft, der noch alle Tassen im Schrank hat, würde das Bild mit dem Abgebildeten verwechseln

    Der Unterschied schien mir in der Diskussion hier doch nicht so ganz klar - wenn da die Frage erörtert wird, ob das Gehirn (wie Du richtig anmerkst, ein "Modell" zur Beschreibung kausaler Effekte) Ursache des Geistes sei.

    dass ein Bild nicht in den wesentlichen, untersuchten Aspekten dem Abgebildeten entsprechen könnte.

    Nun ja, es ist ein (wen wundert's?) für Naturwissenschaftler typischer realistischer Ansatz, von einer weitgehenden Analogie von 'Bild' bzw. begrifflich Erfasstem und 'Abgebildetem' auszugehen. Was ja auch eine evolutionäre Erfolgsstrategie zu sein scheint (falls sie nicht in eine Sackgasse geführt hat) und nicht zuletzt (auch) beachtliche Erfolge bei der Minderung von Leiden (Krankheiten, Hunger ...) vorzuweisen hat. Allerdings auch bei der Vernichtung von Leben mit möglichst großer Effektivität. Ansonsten steckt da der Teufel im Detail: was ist "wesentlich" und was nicht? Das bedeutet konkret eine Selektion nach (als 'wesentlich' deklarierten) Kriterien, deren Wahl wiederum eine Willensabsicht voraussetzt und verweist damit auf die Sinnhaftigkeit einer Kritik des Willens und seiner Rolle bei der 'Abbildung' des Seins. Ein 'Wesen' des Beobachteten lässt sich nicht beobachten - es kann ihm nur vom Beobachter beigelegt werden.


    Das Madhyamaka mit seiner radikalen Dekonstruktion logisch-begrifflichen Denkens (und auch die moderne Sprachphilosophie, insbesondere Wittgenstein) verweisen auf den begrenzten Gültigkeitsbereich von Aussagen über 'Wirklichkeit'/ tathatā generell - was naturwissenschaftliche Aussagen mit einschließt. Das grundlegende ontologische Problem - dass etwas (und nicht einfach nichts) ist und warum es ist (vor allem so, wie es ist) - ist daher mit einer naturwissenschaftlichen Herangehensweise nicht zu lösen. Was, wenn einem die Fantasie für magische oder mythologische Modelle abgeht, auf die Alternative Introspektion verweist.

    Wie wäre es mit empirisch?

    Empirisch kannst Du Reize auf ihre Wirkungen und Wechselwirkungen untersuchen - ihre Quelle, das 'Ding an sich', entzieht sich jedem empirischen Zugang. Sie ist weder quantifizierbar noch qualifizierbar.

    da die Fragen immer wieder aufkommen und eine große Zahl der Antworten auch immer wieder in die Irre führen

    - wurde im Buddhadharma die von mir genannte 'Apologetik' entwickelt, also die Abhidharma-/Śāstra-Literatur - der 'dritte Korb'.

    Bewusstsein ist (wie die anderen skandha auch) eine Funktion der Kognition, die zu verschiedenen Zeiten wahrgenommene Reize (wozu in der buddhistischen Psychologie auch mentale Reize gehören) in Bezug zueinander setzt. Wobei diese 'Setzungen' zum einen stark konditioniert und zum anderen intentional gesteuert / ausgerichtet sind, was gemäß buddhistischer Analyse das besondere Problem dieser Art von Kognition oder Ergreifen, upādāna, ist - da die Intention sich letzlich auf die Dichotomie 'Gier' und 'Hass' (in psychoanalytischer Diktion 'Lust' und 'Unlust') bezieht, was die Kognition in der Summe leidhaft macht. Spätestens, wenn sie sich - was unvermeidlich ist - in Alter, Krankheit und Tod erschöpft.


    Auf der untersten Funktionsebene, der Reizung (skandha der Empfindung) ist eine solche 'Setzung' des Bewusstseins die, dass *Ich* (ein gesetztes Selbst) physische Organe hat, die es befähigen, als Nicht-Ich gesetzte Objekte eines subjektiven Ich wahrzunehmen um handelnd darauf Einfluss zu nehmen. Wobei man durchaus im Hinterkopf behalten sollte, dass diese 'Organe' der Kognition selbst Bewusstseinsobjekte sind - Konstruktionen unseres Bewusstseins. Die klassische Analyse des rupaskandha endet schlicht bei einer Differenzierung in sechs Klassen von Rezeptivität (indriya), denen sechs Klassen von Reizen (vișaya) entsprechen - das sind die āyatana, die Grundlagen der Wahrnehmung. Zu beachten ist, dass die vișaya, die 'Reize', nicht als etwas aufgefasst werden, das auf den rupaskandha einwirkt - eben das wäre nicht mehr rein analytisch, sondern spekulativ - sondern schlicht als Teil des rupaskandha. Genauer dessen objektiver Aspekt, reziprok zum subjektiven der indriya.


    Spekulativ ist auch schon ein Konzept 'Materie', erst recht ein Konzept 'Gehirn' (es war, wenn ich mich recht erinnere, Sartre, der darauf hinwies, dass noch niemand die Existenz seines Gehirns empirisch bestätigen konnte). 'Materie', 'Gehirn' usw. sind zweifellos nützliche Konzepte - wenn man das Ergreifen (upādāna) als nützlich wertet. Bei 'nützlich' stellt sich immer zwangsläufig die Frage: wozu?


    Das beantwortet natürlich nicht die Frage nach der Quelle dieser Reize (die mentalen immer mit inbegriffen); eine solche Anwort kann nicht analytisch gefunden werden (vgl. im Westen Kant) sondern nur spekulativ. Was die nächste Frage nach sich zieht - die, was eine spekulative Antwort wert ist. Was wiederum davon abhängt, welche aktiven Konsequenzen daraus folgen. Jedenfalls - im Buddhismus ist das das klassische Feld der dharma-Theorie. Da wurden unterschiedliche Konzepte entwickelt - vom objektiven Realismus bis hin zum absoluten Idealismus.


    Man sollte bei diesen Konzepten nicht vergessen, dass sie hinsichtlich der aktiven (praktischen) Konsequenzen, die der Buddhismus aus der Analyse der Wahrnehmung zieht bzw. nahelegt, von recht nachrangiger Bedeutung sind - und auch nachrangig (also später) entstanden. Was auf ihre hauptsächliche Funktion verweist: Apologetik gegenüber anderen, auf sozialer Ebene konkurrierenden 'Sichtweisen' (dṛṣṭi).

    Dieser Idealismus ist dadurch möglich, dass Vijñāna ( Bewußtsein) nicht einfach als etwas Vergänglichen und Bedingtes aufgefassen wird sondern mit dem geistigen Raum in dem sich die Phänomene auftun identifiziert wird.

    Auch, wenn der zentrale Begriff ālayavijñāna die Bezeichnung 'vijñāna' trägt, ist das eigentlich eine unzutreffende und daher leicht irreführende Bezeichnung. So, wie bei Hegel 'Geist' nicht einfach 'Bewusstsein' ist, ist das auch im Cittamātra-Yogācara nicht dasselbe. Es kommt sogar noch eine dritte Kategorie hinzu, manas. Natürlich wird auch im Cittamātra Bewusstsein - i.e. die 6 klassischen sensorischen Bewusstseine und das sie als 'synthetische Einheit der Apperzeption' bzw. 'Selbstbewusstsein' zusammenfassende manas oder kliṣṭamanovijñāna - als vergänglich und bedingt aufgefasst. Sonst wäre das auch keine buddhistische Philosophie. Das Substrat dieser personalen Bewusstseine ist der ālaya - nicht wirlich ein vijñāna, sondern lediglich Empfänger ('Resonanzboden') der durch die 7 personalen vijñānas produzierten karmischen Impulse, die als bija (wörtl. 'Samen') gespeichert und sich bei hinreichenden Bedingungen in personalen vijñānas wieder manifestieren. Dieser 'Speicher' verarbeitet nichts - er ist restlos identisch mit seinem Inhalt, der Speicher ist das Gespeicherte; insofern trifft es die Metapher 'Resonanzboden' oder 'Medium' nicht wirklich, das ist nur Beschreibung der Funktion.


    Zum besseren Verständnis des ideengeschichtlichen Zusammenhangs (und im Zweifelsfall der 'buddhistischen Orthodoxie' des Cittamātra-Yogācara) sicher hilfreich ist Bopitiye Wimalagnana, Bhavaṅga-citta and Ālaya-vijñāna: A Comparative and Analytical Study, LAP LAMBERT Academic Publishing 2013. Für ein 160-Seiten-Taschenbuch sind € 41,90 allerdings schon ein happiger Preis. Das abstract findet man hier (Anmeldung erforderlich). Kostenlos (dana), aber auf Theravada beschränkt diese Begriffsklärung von Citta - Manas - Viññāṇa.