Bei allem Reden und Abwägen über Schulen, Linien, Richtungen, Lehrer und Missbrauch gerät eines oft aus dem Blick: Das Feld der Arbeit und der Schulung ist mein Leben, ist mein Geist, nicht abstrakt, esoterisch, tibetisch, chinesisch, thailändisch oder japanisch, sondern völlig Alltags-deutsch-öde. Das ist mühsam, zuweilen langweilig und langwierig, nicht gerade immer von Fortschritten oder guter Laune geprägt, echt anstrengend, fordert viel Disziplin und stellt mich und meine "Weisheiten" und "Ansichten" immer wieder massiv infrage.
Viele Leute fangen mit Buddhismus oder Meditation an. Und die meisten hören frustriert wieder auf, weil sie Wunder erwarten. Oder sie erwarten, dass sie nur den richtigen Lehrer, die richtige Linie, die richtige Schulung brauchen, um mühelos und (selbst-) zweifelsfrei zum Erwachen getragen zu werden. Da wird dann ewig diskutiert, welcher Lehrer wie authentisch ist, ob und welche Übertragung oder Berechtigung er oder sie hat, und wie viel besser die eigene Schule als andere ist. Oder die Befreiung wird einfach auf das alltägliche Maß der triebgesteuerten Wunscherfüllung reduziert. In diesem Fall bin ich ja eh schon erleuchtet. Wozu also noch Lehrer (sind eh alles Betrüger) oder Bemühungen (Wer sich bemüht, hat eh nichts verstanden).
Das ist alles Ablenkung. Spirituelle Prokrastination!
Dabei haben die meisten so wenig tatsächliche Entwicklung und Veränderung bei sich selbst durchgesetzt, dass die Hinweise eines hochverwirklichten, authentischen Lehrers eh verschwendet sind. Wenn die Grundlagen fehlen (und damit meine ich nicht das Wissen), sind die fortgeschrittenen Lehren eh nicht zugänglich. Und das beginnt schon damit, einfach nur den Geist ein paar Minuten stabil auf ein Objekt richten zu können (konzentrative Meditation). Von fortgeschritteneren Stufen der Meditation ganz zu schweigen. Auch Festigkeit in den Sila und in der Lehre gehören zu den Grundlagen fortgeschrittenerer Studien. Auch hier meine ich nicht das reine Wissen, sondern die Fähigkeit, das Gelernte konkret im eigenen Leben zu reflektieren und umzusetzen. Das wäre kontemplative Meditation und eine Verwirklichung der Grundlagen des Dharma im Leben.
Auf der Ebene, auf der sich die meisten befinden (mich übrigens eingeschlossen) ist ein Grundlagenbuch zur Meditation, sind ein paar Anfänger-Sutten aus dem Palikanon schon herausfordernd genug, zumindest, wenn man das im eigenen Leben umsetzt, was da steht, und es nicht beim intellektuellen Verstehen belässt. Intellektuell sind die meisten Dinge dort für jedes Kind nachvollziehbar. Darum herrscht oft der Glaube, was ich verstanden habe, habe ich auch schon umgesetzt. Ja, Pustekuchen!
Je länger ich persönlich praktiziere, desto weiter muss ich das Selbstverständnis bezüglich meiner Fortschritte im Dharma nach unten korrigieren. Heute bin ich schon froh, wenn ich die Sila halbwegs einhalten kann, in der Meditation nicht dauernd abschweife, mir halbwegs klarmache, dass das Bewusstsein von Altern, Krankheit, Tod, Vergänglichkeit und Verantwortung für meine Taten mein Leben weitgehend bestimmen sollten, um mit dem Dharma überhaupt anfangen zu können. Inkonsequenz ist allerdings mein zweiter Vornahme, weshalb ich gar nicht zu einem Lehrer rennen muss. Erst mal muss ich die ersten Schritte konsequent umsetzen, dann könnte irgendwann in vielen Jahren oder Jahrzehnten ein authentischer Lehrer relevant werden.
Wir, so kommt es mir manchmal vor, reden hier wie Grundschüler, die sich darüber unterhalten, ob Professor A oder Professor B in Sachen Quantenmechanik kompetenter ist. Dabei beherrschen wir nicht mal die Grundrechenarten.
Falls hier bei den Mitlesenden jemand dabei ist, der wirklich schon fest im Dharma ist und echte Fortschritte gemacht hat, so bitte ich natürlich die vorangegangenen Verallgemeinerungen zu entschuldigen. Aber ihn oder sie wird das Geschriebene dann eh nicht verletzen können, denn dann wäre er oder sie nicht fortgeschritten im Dharma.
Helau!